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12. Volks- und Kunstlieder in der Romantik

Buchdeckel

Quelle:
http://upload.wikimedia.org/
wikipedia/commons/1/
1a/Wunderhorn.jpg
(Stand 9.2.2010)

Wenn ich ein Vöglein wär,
Und auch zwei Flüglein hätt’,
Flüg ich zu dir;
Weil es aber nicht kann sein,
Bleib ich allhier.
Bin ich gleich weit von dir,

Bin ich doch im Schlaf bei dir,
Und red’ mit dir:
Wenn ich erwachen tu,
Bin ich allein.

Es vergeht keine Stund’ in der Nacht,
Da mein Herze nicht erwacht,
Und an dich gedenkt,
Dass du mir viel tausendmal
Dein Herz geschenkt.

(Deutsche Liebeslyrik, S. 118 f.)

Enthalten in den Volksliedsammlungen Stimmen der Völker in Liedern
von Johann Gottfried Herder
Des Knaben Wunderhorn
von Achim von Arnim und Clemens
Brentano

CD: Deutsche Volkslieder Männerchor,
Nr. 21; Wunderhorn, Nr. 14

 

 

Heinrich Heine (1797-1856)

Ich steh auf des Berges Spitze,
Und werde sentimental.
»Wenn ich ein Vöglein wäre!«
Seufz ich vieltausendmal.

Wenn ich eine Schwalbe wäre,
So flög ich zur dir, mein Kind,
Und baute mir mein Nestchen
Wo deine Fenster sind.

Wenn ich eine Nachtigall wäre,
So flög ich zu dir, mein Kind,
Und sänge dir nachts meine Lieder
Herab von der grünen Lind‘.

Wenn ich ein Gimpel wäre,
So flög ich gleich an dein Herz;
Du bist ja hold den Gimpeln,
Und heilest Gimpelschmerz.

(Buch der Lieder. Lyrisches Intermezzo, Nr. 53, In: Gedichte, S. 97)

 

Frau Nachtigall

Nachtigall, ich hör dich singen,
Das Herz möcht mir im Leib zerspringen,
Komme doch und sag mir bald,
Wie ich mich verhalten soll.

Nachtigall, ich seh dich laufen,
An dem Bächlein tust du saufen,
Du tunkst dein klein Schnäblein ein,
Meinst, es wär der beste Wein.

Nachtigall, wo ist gut wohnen,
Auf den Linden, auf den Kronen,
Bei der schön Frau Nachtigall,
Grüß mein Schätzchen tausendmal.

(Des Knaben Wunderhorn, Bd. I, S. 85)

CD: Wunderhorn, Nr. 11


Clemens Brentano (1778-1842)

Der Spinnerin Nachtlied

Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall,
Das war wohl süßer Schall,
Da wir zusammen waren.

Ich sing und kann nicht weinen
Und spinne so allein
Den Faden klar und rein,
So lang der Mond wird scheinen.

Da wir zusammen waren,
Da sang die Nachtigall,
Nun mahnet mich ihr Schall,
Dass du von mir gefahren.

 

 

So oft der Mond mag scheinen,
Gedenk ich dein allein,
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle uns vereinen.

Seit du von mir gefahren,
Singt stets die Nachtigall,
Ich denk bei ihrem Schall,
Wie wir zusammen waren.

Gott wolle uns vereinen,
Hier spinn ich so allein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing und möchte weinen!

(Interpretationen:
Klassik und Romantik, S. 268)

Heinrich Heine

Aus meinen Tränen sprießen
Viel blühende Blumen hervor,
Und meine Seufzer werden
Ein Nachtigallenchor.
Und wenn du mich liebhast, Kindchen,
Schenk ich dir die Blumen all,
Und vor deinem Fenster soll klingen
Das Lied der Nachtigall.


 


(Buch der Lieder. Lyrisches Intermezzo, Nr. 2.
In: Gedichte, S. 73).
Musik: Robert Schumann, Dichterliebe

CD: Lieder nach Gedichten von Heinrich Heine, Nr. 2;
       Ich liebe dich. Fritz Wunderlich singt, Nr. 12

Ludwig Rellstab (1799-1860)

Ständchen

Leise flehen meine Lieder
Durch die Nacht zu dir;
In den stillen Hain hernieder,
Liebchen, komm zu mir!

Flüsternd schlanke Wipfel rauschen
In des Mondes Licht,
Des Verräters feindlich Lauschen
Fürchte, Holde, nicht.

Hörst die Nachtigallen schlagen?
Ach! sie flehen dich,
Mit der Töne süßen Klagen
Flehen sie für mich.


 

Sie verstehn des Busens Sehnen,
Kennen Liebesschmerz,
Rühren mit den Silbertönen
Jedes weiche Herz.

Lass auch dir die Brust bewegen,
Liebchen, höre mich,
Bebend harr ich dir entgegen!
Komm, beglücke mich!

(Liebesgedichte aus aller Welt, S. 151 f.)
Musik: Franz Schubert
CD: Ich liebe dich. Fritz Wunderlich singt, Nr. 4

Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb;
Sie konnten zusammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief.

„Ach Liebster, kannst du nicht schwimmen,
so schwimme doch her zu mir!
Drei Kerzen will ich dir anzünden,
und die sollen leuchten dir!“

Das hört eine falsche Nonne,
die tat, als ob sie schlief.
Sie tät die Kerzen auslöschen,
der Jüngling ertrank so tief.


Ein Fischer wohl fischte lange,
bis er den Toten fand.
„Nun sieh da, du liebliche Jungfrau,
hast hier deinen Königssohn!“

Sie nahm ihn in ihre Arme
und küsst seinen bleichen Mund.
Es musste das Herze ihr brechen,
sie sank in den Tod zur Stund.

CD: Wunderhorn, Nr. 9; Booklet-Text.
Ausführlichere Version in Des Knaben Wunderhorn: Edelkönigs-Kinder (Deutsche Liebeslyrik, S. 173-175)

Achim von Arnim (1781-1831)

Getrennte Liebe

Zwei schöne, liebe Kinder,
Die hatten sich so lieb,
Dass eines dem andern im Winter
Mit Singen die Zeit vertrieb
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Höret ihr immer den Doppelschall.

Der Winter bauet Brücken,
Sie beide hat vereint,
Und jedes mit frohem Entzücken
Die Brücke nun ewig meint;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Wohnten die Ältern getrennt im Tal.

Der Frühling ist gekommen,
Das Eis will nun aufgehn,
Da werden sie beide beklommen,
Die laulichen Winde wehn;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Stürzen die Bäche mit wildem Schall.

Was hilft der helle Bogen,
Womit der Fall entzückt,
Von ihnen so liebreich erzogen,
Zum erstenmal bunt geschmückt;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Höret sie klagen getrennt im Tal.

Die Vögel über fliegen,
Die Kinder traurig stehn,
Und müssen sich einsam begnügen
Einander von fern zu sehn;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Kreuzen die Schwalben mit lautem Schall.

Sie möchten zusammen mit Singen,
So wie der Vögel Brut,
Den himmlischen Frühling verbringen,
Das Scheiden so wehe tut;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Sehn sie sich endlich zum letztenmal.

Der Knabe kriegt zur Freude
Ein Röckchen wie ein Mann,
Das Mädchen ein Kleidchen von Seide,
Nun gehet die Schule an;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Gehn sie zum Kloster bei Glockenschall.
Sie sahn sich lang’ nicht wieder,

 

 

Sie kannten sich nicht mehr,
Das Mädchen mit vollem Mieder,
Der Knabe ein Mönch schon wär;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Kamen und riefen sie sich im Tal.

Das Mädchen ruft so helle,
Der Knabe singt so tief;
Verstehn sich endlich doch schnelle,
Als alles im Hause schlief;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Springen im Mondschein die Fische all.

Froh in der nächt’gen Frische,
Sie kühlen sich im Fluss,
Sie können nicht schwimmen wie Fische,
Und suchen sich doch zum Kuss;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Reißen die Strudel sie fort mit Schall.

Die Ältern hören singen
Und schaun aus hohem Haus,
Zwei Schwäne im Sternenschein ringen
Zum Dampfe des Falls hinaus;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Hören sie Echo mit lautem Schall

Die Schwäne herrlich sangen
Ihr letztes schönstes Lied,
Und leuchtende Wölkchen hangen,
Manch Engelein niedersieht;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Schwebet wie Blüte ein süßer Schall.

Der Mond sieht aus dem Bette
Des glatten Falls empor,
Die Nacht mir der Blumenkette
Erhebet zu sich dies Chor;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Grünt es von Tränen überall.

(Liebesgedichte aus aller Welt, S. 388-391)

Anregungen:

  • ähnliche Stoffe, Motive und Bilder (Vogel-, Nachtigallen- und Tränenmotiv; Königskinder: durch Wasser getrenntes Liebespaar, das zueinanderzukommen versucht und dabei stirbt)
  • Schillers Ballade „Hero und Leander“ im Vergleich mit Arnims „Getrennte Liebe:
    Klassische und romantische Szenerie, Epochenmerkmale
  • Meerenge der Dardanellen
  • Weite des Meers zwischen zwei Kontinenten
  • Süden, Griechenland
  • antiker Sagenstoff
  • Mythologie des Altertums (Götter, Liebesgeschichten)
  • Genuss des Liebesglücks
  • Wasserfall
  • beschränkter Raum
  • Norden, Deutschland
  • altdeutsches Volkslied als Vorlage
  • Katholizismus (Klosterschule, Mönch)
  • Zusammensein als Kinder, im Tod und virtuell über Natur (Regenbogen, Vogelflug) und Gesang
  • Vereinigung mit der Natur und der gesamten Schöpfung im Tod (Schwanengesang, Wachstum aus Tränen)