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12. Volks- und Kunst­lie­der in der Ro­man­tik

Buchdeckel

Quel­le:
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1a/Wun­der­horn.jpg
(Stand 9.2.2010)

Wenn ich ein Vög­lein wär,
Und auch zwei Flüg­lein hätt’,
Flüg ich zu dir;
Weil es aber nicht kann sein,
Bleib ich all­hier.
Bin ich gleich weit von dir,

Bin ich doch im Schlaf bei dir,
Und red’ mit dir:
Wenn ich er­wa­chen tu,
Bin ich al­lein.

Es ver­geht keine Stund’ in der Nacht,
Da mein Herze nicht er­wacht,
Und an dich ge­denkt,
Dass du mir viel tau­send­mal
Dein Herz ge­schenkt.

(Deut­sche Lie­bes­ly­rik, S. 118 f.)

Ent­hal­ten in den Volks­lied­samm­lun­gen Stim­men der Völ­ker in Lie­dern
von Jo­hann Gott­fried Her­der
Des Kna­ben Wun­der­horn
von Achim von Arnim und Cle­mens
Bren­ta­no

CD: Deut­sche Volks­lie­der Män­ner­chor,
Nr. 21; Wun­der­horn, Nr. 14

 

 

Hein­rich Heine (1797-1856)

Ich steh auf des Ber­ges Spit­ze,
Und werde sen­ti­men­tal.
»Wenn ich ein Vög­lein wäre!«
Seufz ich viel­tau­send­mal.

Wenn ich eine Schwal­be wäre,
So flög ich zur dir, mein Kind,
Und baute mir mein Nest­chen
Wo deine Fens­ter sind.

Wenn ich eine Nach­ti­gall wäre,
So flög ich zu dir, mein Kind,
Und sänge dir nachts meine Lie­der
Herab von der grü­nen Lind‘.

Wenn ich ein Gim­pel wäre,
So flög ich gleich an dein Herz;
Du bist ja hold den Gim­peln,
Und hei­lest Gim­pel­schmerz.

(Buch der Lie­der. Ly­ri­sches In­ter­mez­zo, Nr. 53, In: Ge­dich­te, S. 97)

 

Frau Nach­ti­gall

Nach­ti­gall, ich hör dich sin­gen,
Das Herz möcht mir im Leib zer­sprin­gen,
Komme doch und sag mir bald,
Wie ich mich ver­hal­ten soll.

Nach­ti­gall, ich seh dich lau­fen,
An dem Bäch­lein tust du sau­fen,
Du tunkst dein klein Schnäb­lein ein,
Meinst, es wär der beste Wein.

Nach­ti­gall, wo ist gut woh­nen,
Auf den Lin­den, auf den Kro­nen,
Bei der schön Frau Nach­ti­gall,
Grüß mein Schätz­chen tau­send­mal.

(Des Kna­ben Wun­der­horn, Bd. I, S. 85)

CD: Wun­der­horn, Nr. 11


Cle­mens Bren­ta­no (1778-1842)

Der Spin­ne­rin Nacht­lied

Es sang vor lan­gen Jah­ren
Wohl auch die Nach­ti­gall,
Das war wohl süßer Schall,
Da wir zu­sam­men waren.

Ich sing und kann nicht wei­nen
Und spin­ne so al­lein
Den Faden klar und rein,
So lang der Mond wird schei­nen.

Da wir zu­sam­men waren,
Da sang die Nach­ti­gall,
Nun mah­net mich ihr Schall,
Dass du von mir ge­fah­ren.

 

 

So oft der Mond mag schei­nen,
Ge­denk ich dein al­lein,
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle uns ver­ei­nen.

Seit du von mir ge­fah­ren,
Singt stets die Nach­ti­gall,
Ich denk bei ihrem Schall,
Wie wir zu­sam­men waren.

Gott wolle uns ver­ei­nen,
Hier spinn ich so al­lein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing und möch­te wei­nen!

(In­ter­pre­ta­tio­nen:
Klas­sik und Ro­man­tik, S. 268)

Hein­rich Heine

Aus mei­nen Trä­nen sprie­ßen
Viel blü­hen­de Blu­men her­vor,
Und meine Seuf­zer wer­den
Ein Nach­ti­gal­len­chor.
Und wenn du mich lieb­hast, Kind­chen,
Schenk ich dir die Blu­men all,
Und vor dei­nem Fens­ter soll klin­gen
Das Lied der Nach­ti­gall.


 


(Buch der Lie­der. Ly­ri­sches In­ter­mez­zo, Nr. 2.
In: Ge­dich­te, S. 73).
Musik: Ro­bert Schu­mann, Dich­ter­lie­be

CD: Lie­der nach Ge­dich­ten von Hein­rich Heine, Nr. 2;
       Ich liebe dich. Fritz Wun­der­lich singt, Nr. 12

Lud­wig Rell­stab (1799-1860)

Ständ­chen

Leise fle­hen meine Lie­der
Durch die Nacht zu dir;
In den stil­len Hain her­nie­der,
Lieb­chen, komm zu mir!

Flüs­ternd schlan­ke Wip­fel rau­schen
In des Mon­des Licht,
Des Ver­rä­ters feind­lich Lau­schen
Fürch­te, Holde, nicht.

Hörst die Nach­ti­gal­len schla­gen?
Ach! sie fle­hen dich,
Mit der Töne süßen Kla­gen
Fle­hen sie für mich.


 

Sie ver­stehn des Bu­sens Seh­nen,
Ken­nen Lie­bes­schmerz,
Rüh­ren mit den Sil­ber­tö­nen
Jedes wei­che Herz.

Lass auch dir die Brust be­we­gen,
Lieb­chen, höre mich,
Be­bend harr ich dir ent­ge­gen!
Komm, be­glü­cke mich!

(Lie­bes­ge­dich­te aus aller Welt, S. 151 f.)
Musik: Franz Schu­bert
CD: Ich liebe dich. Fritz Wun­der­lich singt, Nr. 4

Es waren zwei Kö­nigs­kin­der,
die hat­ten ein­an­der so lieb;
Sie konn­ten zu­sam­men nicht kom­men,
das Was­ser war viel zu tief.

„Ach Liebs­ter, kannst du nicht schwim­men,
so schwim­me doch her zu mir!
Drei Ker­zen will ich dir an­zün­den,
und die sol­len leuch­ten dir!“

Das hört eine fal­sche Nonne,
die tat, als ob sie schlief.
Sie tät die Ker­zen aus­lö­schen,
der Jüng­ling er­trank so tief.


Ein Fi­scher wohl fisch­te lange,
bis er den Toten fand.
„Nun sieh da, du lieb­li­che Jung­frau,
hast hier dei­nen Kö­nigs­sohn!“

Sie nahm ihn in ihre Arme
und küsst sei­nen blei­chen Mund.
Es muss­te das Herze ihr bre­chen,
sie sank in den Tod zur Stund.

CD: Wun­der­horn, Nr. 9; Book­let-Text.
Aus­führ­li­che­re Ver­si­on in Des Kna­ben Wun­der­horn: Edel­kö­nigs-Kin­der (Deut­sche Lie­bes­ly­rik, S. 173-175)

Achim von Arnim (1781-1831)

Ge­trenn­te Liebe

Zwei schö­ne, liebe Kin­der,
Die hat­ten sich so lieb,
Dass eines dem an­dern im Win­ter
Mit Sin­gen die Zeit ver­trieb
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Höret ihr immer den Dop­pel­schall.

Der Win­ter bauet Brü­cken,
Sie beide hat ver­eint,
Und jedes mit fro­hem Ent­zü­cken
Die Brü­cke nun ewig meint;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Wohn­ten die Äl­tern ge­trennt im Tal.

Der Früh­ling ist ge­kom­men,
Das Eis will nun auf­gehn,
Da wer­den sie beide be­klom­men,
Die lau­li­chen Winde wehn;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Stür­zen die Bäche mit wil­dem Schall.

Was hilft der helle Bogen,
Womit der Fall ent­zückt,
Von ihnen so lieb­reich er­zo­gen,
Zum ers­ten­mal bunt ge­schmückt;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Höret sie kla­gen ge­trennt im Tal.

Die Vögel über flie­gen,
Die Kin­der trau­rig stehn,
Und müs­sen sich ein­sam be­gnü­gen
Ein­an­der von fern zu sehn;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Kreu­zen die Schwal­ben mit lau­tem Schall.

Sie möch­ten zu­sam­men mit Sin­gen,
So wie der Vögel Brut,
Den himm­li­schen Früh­ling ver­brin­gen,
Das Schei­den so wehe tut;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Sehn sie sich end­lich zum letz­ten­mal.

Der Knabe kriegt zur Freu­de
Ein Röck­chen wie ein Mann,
Das Mäd­chen ein Kleid­chen von Seide,
Nun gehet die Schu­le an;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Gehn sie zum Klos­ter bei Glo­cken­schall.
Sie sahn sich lang’ nicht wie­der,

 

 

Sie kann­ten sich nicht mehr,
Das Mäd­chen mit vol­lem Mie­der,
Der Knabe ein Mönch schon wär;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Kamen und rie­fen sie sich im Tal.

Das Mäd­chen ruft so helle,
Der Knabe singt so tief;
Ver­stehn sich end­lich doch schnel­le,
Als alles im Hause schlief;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Sprin­gen im Mond­schein die Fi­sche all.

Froh in der nächt’gen Fri­sche,
Sie küh­len sich im Fluss,
Sie kön­nen nicht schwim­men wie Fi­sche,
Und su­chen sich doch zum Kuss;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Rei­ßen die Stru­del sie fort mit Schall.

Die Äl­tern hören sin­gen
Und schaun aus hohem Haus,
Zwei Schwä­ne im Ster­nen­schein rin­gen
Zum Damp­fe des Falls hin­aus;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Hören sie Echo mit lau­tem Schall

Die Schwä­ne herr­lich san­gen
Ihr letz­tes schöns­tes Lied,
Und leuch­ten­de Wölk­chen han­gen,
Manch En­ge­lein nie­der­sieht;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Schwe­bet wie Blüte ein süßer Schall.

Der Mond sieht aus dem Bette
Des glat­ten Falls empor,
Die Nacht mir der Blu­men­ket­te
Er­he­bet zu sich dies Chor;
Dies­seit und jen­seit am Was­ser­fall
Grünt es von Trä­nen über­all.

(Lie­bes­ge­dich­te aus aller Welt, S. 388-391)

An­re­gun­gen:

  • ähn­li­che Stof­fe, Mo­ti­ve und Bil­der (Vogel-, Nach­ti­gal­len- und Trä­nen­mo­tiv; Kö­nigs­kin­der: durch Was­ser ge­trenn­tes Lie­bes­paar, das zu­ein­an­der­zu­kom­men ver­sucht und dabei stirbt)
  • Schil­lers Bal­la­de „Hero und Le­an­der“ im Ver­gleich mit Ar­nims „Ge­trenn­te Liebe:
    Klas­si­sche und ro­man­ti­sche Sze­ne­rie, Epo­chen­merk­ma­le
  • Meer­enge der Dar­da­nel­len
  • Weite des Meers zwi­schen zwei Kon­ti­nen­ten
  • Süden, Grie­chen­land
  • an­ti­ker Sa­gen­stoff
  • My­tho­lo­gie des Al­ter­tums (Göt­ter, Lie­bes­ge­schich­ten)
  • Ge­nuss des Lie­bes­glücks
  • Was­ser­fall
  • be­schränk­ter Raum
  • Nor­den, Deutsch­land
  • alt­deut­sches Volks­lied als Vor­la­ge
  • Ka­tho­li­zis­mus (Klos­ter­schu­le, Mönch)
  • Zu­sam­men­sein als Kin­der, im Tod und vir­tu­ell über Natur (Re­gen­bo­gen, Vo­gel­flug) und Ge­sang
  • Ver­ei­ni­gung mit der Natur und der ge­sam­ten Schöp­fung im Tod (Schwa­nen­ge­sang, Wachs­tum aus Trä­nen)