2. Intuitionsgeleiteter Einstieg in das Thema
Christian Hofmann von Hofmannswaldau
Beschreibung vollkommener Schönheit
Ein Haar, so kühnlich Trotz der Berenike spricht,
Ein Mund, der Rosen führt und Perlen in sich heget,
Ein Zünglein, so ein Gift vor tausend Herzen träget,
Zwo Brüste, wo Rubin durch Alabaster bricht,
Ein Hals, der Schwanenschnee weit, weit zurücke sticht,
Zwei Wangen, wo die Pracht der Flora sich beweget,
Ein Blick, der Blitze führt und Männer niederleget,
Zwei Arme, deren Kraft oft Leuen hingericht’t,
Ein Herz, aus welchem nichts als mein Verderben quillet,
Ein Wort , so himmlisch ist und mich verdammen kann,
Zwei Hände, derer Grimm mich in den Bann getan
Und durch ein süßes Gift die Seele selbst umhüllet,
Ein Zierat, wie es scheint, im Paradies gemacht,
Hat mich um meinen Witz und meine Freiheit bracht.
Wolfdietrich Schnurre
Gedenken
(Deutsche Liebeslyrik. S. 295)
Johann Wolfgang Goethe
Willkommen und Abschied
Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde! [...] Und lieben, Götter, welch ein Glück!
https://de.wikipedia.org/wiki/Willkommen_und_Abschied
(gutenberg.org 11.2.08)
Frageimpulse
Welche Eindrücke rufen die Gedichte hervor?
Welche Stimmungen und Wirkungen erzeugen sie?
Wie ist das Verhältnis zwischen Liebendem und Geliebter?
Wie stellen die Gedichte die Geliebte dar?
Welches enthält die stärksten Gefühle?
Wie ist ihre äußere Form?
Weiterführung
Vergleich der beiden Gedichte „Beschreibung vollkommener Schönheit“ und „Vergänglichkeit der Schönheit“ von Hofmannswaldau; „Der Tod und das Mädchen“ von Hans Baldung Grien; Totentanzmotive
„Lyrik ist spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein »Medium der Auseinandersetzung mit Subjektivität« (Spinner: Umgang mit Lyrik, a.a.O., S. 16). Das lyrische Subjekt, das nur seiner eigenen, unverwechselbaren Stimme folgende Genie , wurde als Instanz angesehen, die nicht mehr nur eine tradierte, durch Gesellschaft und Religion fundamentierte Weltsicht in Verse und Strophen fassen, sondern ein autonomes Ausdruckszentrum subjektiven Empfindens und Erlebens darstellten sollte. Lyrische Subjektivität dieser Art sprengte die der Tradition verpflichteten Formen auf , verlangte nach einer eigenen, unverwechselbaren Sprache und neuen, unverbrauchten poetischen Ausdrucksmöglichkeiten. Das Autonomiepostulat bildet fortan ein Basiselement der Gattungsgeschichte. Dass die lyrischen Stimmen nicht mehr wie noch zur Goethezeit (und in der Hochblüte der Erlebnislyrik bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts) als authentische Herzensschrift, sondern als konstruiertes und reflektiertes Sprachgebilde verstanden werden, verweist auf die Rolle der historischen Zäsur um 1890 , auf die Bedeutung der lyrischen Moderne und ihre bis heute facettenreiche Geschichte
(Dieter Lamping: Das lyrische Ich. Definition zu Theorie und Geschichte der Gattung. Göttingen 1989). (Korte: Lyrik im Unterricht, a.a.O., S. 215, Hervorhebungen: G. F.)