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15. Liebesgedichte als Teil oder im Kontext umfangreicherer literarischer Werke

Friedrich Schiller
Amalias Lied in den Szenen II/2 und IV/4 der Räuber
(vgl. Ilias, 6. und 22. Gesang)

Hektors Abschied von Andromache

Andromache
Willst dich, Hektor, ewig mir entreißen,
Wo des Äaciden mordend Eisen
Dem Patroklus schröcklich Opfer bringt?
Wer wird künftig deinen Kleinen lehren
Speere werfen und die Götter ehren,
Wenn hinunter dich der Xanthus schlingt?

Hektor
Teures Weib, geh, hol die Todeslanze,
Lass mich fort zum wilden Kriegestanze,
Meine Schultern tragen Ilium;
Über Astyanax unsre Götter!
Hektor fällt, ein Vaterlandserretter,
Und wir sehn uns wieder in Elysium

Andromache
Nimmer lausch ich deiner Waffen Schalle,
Einsam liegt dein Eisen in der Halle,
Priams großer Heldenstamm verdirbt!
Du wirst hingehn, wo kein Tag mehr scheinet,
Der Cocytus durch die Wüsten weinet,
Deine Liebe in dem Lethe stirbt.


Hektor


Hektor
All mein Sehnen, all mein Denken
Soll der schwarze Lethefluss ertränken,
Aber meine Liebe nicht!
Horch! der Wilde rast schon an den Mauren –
Gürte mir das Schwert um, lass das Trauren,
Hektors Liebe stirbt im Lethe nicht!

Kontext: Faust I, Gretchentragödie,
insbesondere die Szene Am Brunnen

Carmina Burana (13. Jh.)
(ma. Lieder aus Beuren)

126
Ach, was fang ich Arme an!
Lang hab heimlich ichs getan
  und verstohlen ihn geliebt.

Nun wird alles offenbar,
denn mein Leib zeigt sonnenklar,
  dass es bald bei mir was gibt.

Mutter schlägt mich täglich mehr,
Vater zürnt mir gar so sehr,
  beide sind so bös zu mir.

Ganz allein sitz ich zuhaus,
traue mich nicht mehr hinaus,
lebt denn wohl, Gespielen ihr!

Will ich auf die Straße gehn,
bleiben alle Leute stehn,
  als ob wunder was ich sei.

Sehn sie meinen dicken Bauch,
tuscheln sie nach Leutebrauch,
  lassen schweigend mich vorbei.


Wundern sich und stoßen sich,
und ein jeder zeigt auf mich,
  als hätt sonstwas ich getan.

Es besagt ein jeder Wink:
auf den Holzstoß mit dem Ding!
  als wär ich auf schiefer Bahn.

Was erzähl ich weiter noch?
Bin ja im Gerede doch
  und in aller Leute Mund.

Bin um ihn in großer Not,
Kummer bringt mir noch den Tod,
  ich ertrink in Tränen schier.

Dabei tut mirs doppelt leid,
dass um diese Kleinigkeit
  mein Geliebter mir entschwund.

Denn ob Vaters hartem Drohn
ist nach Frankreich er entflohn,
  weilet jetzt so weit von hier.

Ließ in Trübsal mich zurück,
mit ihm schwand dahin mein Glück,
  und mein Herz ist, ach, so wund.

(Liebesgedichte aus aller Welt, S. 344 f.)

Kontext: Theodor Fontane, Effi Briest, 17. Kapitel

Heinrich Heine

Seegespenst
Ich aber lag am Rande des Schiffes,
Und schaute, träumenden Auges,
Hinab in das spiegelklare Wasser,
Und schaute tiefer und tiefer -
Bis tief, im Meeresgrunde,
Anfangs wie dämmernde Nebel,
Jedoch allmählich farbenbestimmter,
Kirchenkuppel und Türme sich zeigten,
Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,
Altertümlich niederländisch,
Und menschenbelebt.
Bedächtige Männer, schwarzbemäntelt,
Mit weißen Halskrausen und Ehrenketten
Und langen Degen und langen Gesichtern,
Schreiten, über den wimmelnden Marktplatz,
Nach dem treppenhohen Rathaus,
Wo steinerne Kaiserbilder
Wacht halten mit Zepter und Schwert.
Unferne, vor langen Häuserreihn,
Beschleicht mein Herz,
Mein kaum geheiltes Herz; -
Mir ist, als würden seine Wunden
Von lieben Lippen aufgeküsst,
Und täten wieder bluten -
Heiße, rote Tropfen,
Die lang und langsam niederfalln
Auf ein altes Haus, dort unten
In der tiefen Meerstadt,
Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
Das melancholisch menschenleer ist,
Nur dass am untern Fenster
Ein Mädchen sitzt,
Den Kopf auf den Arm gestützt,
Wie ein armes, vergessenes Kind -
Und ich kenne dich armes, vergessenes Kind!

So tief, meertief also
Verstecktest du dich vor mir,
Aus kindischer Laune,
Und konntest nicht mehr herauf,
Und saßest fremd unter fremden Leuten,

 

 


Wo spiegelblanke Fenster
Und pyramidisch beschnittene Linden,
Wandeln seidenrauschende Jungfern,
Schlanke Leibchen, die Blumengesichter
Sittsam umschlossen von schwarzen Mützchen
Und hervorquellendem Goldhaar.
Bunte Gesellen, in spanischer Tracht,
Stolzieren vorüber und nicken.
Bejahrte Frauen,
In braunen, verschollnen Gewändern,
Gesangbuch und Rosenkranz in der Hand,
Eilen, trippelnden Schritts,
Nach dem großen Dome,
Getrieben von Glockengeläute
Und rauschendem Orgelton.

Mich selbst ergreift des fernen Klangs
Geheimnisvoller Schauer!
Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut,

Jahrhundertelang,
Derweilen ich, die Seele voll Gram,
Auf der ganzen Erde dich suchte,
Und immer dich suchte,
Du Immergeliebte,
Du Längstverlorene,
Du Endlichgefundene, -
Ich hab dich gefunden und schaue wieder
Dein süßes Gesicht,
Die klugen, treuen Augen,
Das liebe Lächeln -
Und nimmer will ich dich wieder verlassen,
Und ich komme hinab zu dir,
Und mit ausgebreiteten Armen
Stürz ich hinab an dein Herz -

Aber zur rechten Zeit noch
Ergriff mich beim Fuß der Kapitän,
Und zog mich vom Schiffsrand,
Und rief, ärgerlich lachend:
‹Doktor, sind Sie des Teufels?›

(Buch der Lieder. Die Nordsee. Gedichte, S. 186-188)

 

Ausschnitt aus Effi Briest, 17. Kapitel:
(Auf ihrem letzten Ausritt mit Crampas sagt Effi zu ihrem Begleiter, der sie für sich zu gewinnen sucht:)

„[…] Aber sehen Sie da die Bojen, wie die schwimmen und tanzen. Die kleinen roten Fahnen sind eingezogen. Immer, wenn ich diesen Sommer, die paar Mal ,wo ich mich bis an den Strand hinauswagte, die roten Fahnen sah, sagt ich mir: da liegt Vineta, da muss es liegen, das sind die Turmspitzen …“
„Das macht, weil Sie das Heinesche Gedicht kennen.“
„Welches?“
„Nun, das von Vineta.“
„Nein, das kenne ich nicht; ich kenne überhaupt nur wenig. Leider.“
„Und haben doch Gieshübler und den Journalzirkel! Übrigens hat Heine dem Gedicht einen anderen Namen gegeben, ich glaube ‚Seegespenst‘ oder so ähnlich. Aber Vineta hat er gemeint. Und er selber – verzeihen Sie, wenn ich Ihnen so ohne weiteres den Inhalt hier wiedergebe – der Dichter also, während er die Stelle passiert, liegt auf einem Schiffsdeck und sieht hinunter, und sieht da schmale, mittelalterliche Straßen und trippelnde Frauen in Kapotthüten, und alle haben ein Gesangbuch in Händen und wollen zur Kirche, und alle Glocken läuten. Und als er das hört, da fasst ihn eine Sehnsucht, auch mit in die Kirche zu gehen, wenn auch bloß um der Kapotthüte willen, und vor Verlangen schreit er auf und will sich hinunterstürzen. Aber im selben Augenblicke packt ihn der Kapitän am Bein und ruft ihm zu: 'Doktor' sind Sie des Teufels?‘
„Das ist ja allerliebst. Das möchte ich lesen. Ist es lang?“
„Nein, es ist eigentlich kurz, etwas länger als 'Du hast Diamanten und Perlen‘ oder 'Deine weichen Lilienfinger‘ …“ und er berührte leise ihre Hand. „Aber lang oder kurz, welche Schilderungskraft, welche Anschaulichkeit! Er ist mein Lieblingsdichter, und ich kann ihn auswendig, so wenig ich mir sonst, trotz gelegentlich eigener Versündigungen, aus der Dichterei mache. Bei Heine liegt es aber anders: Alles ist Leben, und vor allem versteht er sich auf die Liebe, die doch die Hauptsache bleibt. Er ist übrigens nicht einseitig darin … “
„Wie meinen Sie das?“
„Ich meine, er ist nicht bloß für die Liebe … “
„Nun, wenn er diese Einseitigkeit auch hätte, das wäre am Ende noch nicht das Schlimmste. Wofür ist er denn sonst noch?“
„Er ist auch sehr für das Romantische, was freilich gleich nach der Liebe kommt und nach Meinung einiger sogar damit zusammenfällt. Was ich aber nicht glaube. Denn in seinen späteren Gedichten, die man denn auch die 'romantischen‘ genannt hat, oder eigentlich hat er es selber getan, in diesen romantischen Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings vielfach aus Liebe. […]“

 

Anregungen:
Vergleich des Gedichts mir seiner Wiedergabe durch Crampas.
Begriff des „Romantischen“