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Diana beim Baden

  1. VV 23-31: Das Kopfkino des (antiken) Lesers

    Aus der Einführungsübung zum Kopfkino weißt du: Um sich die erzählte Welt eines Textes vorzustellen, nutzt ein Leser Vorwissen sowie Bilder und Vorstellungen, die er bereits in seinem Kopf hat.

    Versetze dich nun in den Kopf eines antiken Lesers und beschreibe in einem kurzen Kommentar für Schüler*innen mögliche Elemente für das Kopf-Kino eines antiken Lesers.

    Info

    Diana (griechisch: Artemis): Diana, die Göttin der Jagd galt als Herrin der Wälder, der freien Natur und der ungezähmten Tiere. Um sich ungestört in Wald und Gestrüpp bewegen zu können, trägt die Jägerin – anders als eine ehrbare römische Frau im Alltag – meist ein nur ein knielanges schulterloses Kleid sowie Pfeil und Bogen. Diana lebt frei und jungfräulich mit einem Gefolge ebenfalls unverheirateter Nymphen. Wer diese Lebensweise missachtet, wird hart von der Göttin bestraft: So verwandelt Diana ihre Begleiterin Kallisto unnachsichtig in eine Bärin, als deren verheimlichte Schwangerschaft – ebenfalls beim gemeinsamen Bad – sichtbar wird: und dies, obwohl die unschuldige Kallisto von Jupiter getäuscht und vergewaltigt worden war (Metamorphosen, Buch 2).

    Eine leibhaftige nackte Göttin? Die einzige olympische Göttin, die unseres Wissens in der antiken Kunst vollständig als Akt dargestellt wurde, war die Liebesgöttin Venus (griechisch Aphrodite): Die Statue der Aphrodite von Knidos erregte aufgrund der freizügigen und zugleich realistischen Darstellungsweise großes Aufsehen. Der berühmte Bildhauer Praxiteles hatte sie im vierten Jahrhundert v. Chr. für ein Heiligtum geschaffen und die Göttin in dem Moment dargestellt, in dem sie sich vollständig für ein rituelles Bad entkleidet hat. Von dieser Statue existierten in Rom zahlreiche Kopien in verschiedenen Abwandlungen. (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Aphrodite_von_Knidos)

    Lösungshinweise kursiv

    Der Leser weiß: Wer die Göttin Diana nackt sieht, bricht ein Tabu und beschwört eine heftige Rachereaktion der streng jungfräulichen Göttin herauf. Zugleich erhöht vielleicht gerade das Verbotene den Reiz, sich die Göttin nackt vorzustellen. – Eventuell denkt der Leser an die zugleich einzige und berühmte Darstellung einer vollkommen nackten Göttin: die der Liebesgöttin Venus bzw. Aphrodite, die in Rom in zahlreichen Kopien existierte; dadurch werden Assoziationen zur erotischen Freizügigkeit dieser sexuell selbstbestimmten und promisken weiblichen Göttin freigesetzt.

    (Bereits bei der ersten Erwähnung der Göttin Diana wird sie als succincta – „hochgegürtet“ [V 14] charakterisiert, wodurch in der Vorstellung des antiken Lesers ein erotischer Unterton entsteht.)

    Mögliche zusätzliche Impulse bzw. Info durch die Lehrperson:

    Selbstverständlich werden Vorstellungen aus der persönlichen Lebenserfahrung und aus bildlichen Darstellungen das Kopf-Kino des antiken Lesers zusätzlich angeregt haben (vergleiche etwa die ca. 80 Jahre nach den „Metamorphose“n zu datierenden erotischen Fresken aus Pompeji). Solche und ähnliche Bilder und Vorstellungen können aber nur schwer oder gar nicht rekonstruiert werden.

  2. Wer sieht wen oder was?

    Ähnlich wie für die Invidia-Episode ist auch im Geschehen um Actaeon das Thema des Sehens – und vor allem das des Gesehenwerdens – zentral, und dies in einem existentiellen Sinne: Denn die Tatsache, dass Actaeon Diana nackt beim Baden gesehen hat und dabei entdeckt wird, ist der Grund für dessen Verwandlung und letztlich dessen Tod durch die eigenen Hunde. Diese sehen Actaeon ebenso wie die Gefährten zwar, erkennen aber nicht ihren Herrn bzw. Anführer aufgrund seiner Hirsch-Gestalt.

    VV 23-51: Zeige im lateinischen Text: Wer genau sieht wen oder was? Achte besonders auf entsprechende Verben und erkläre, um welches Stilmittel es sich bei „ecce“ in V 32 handelt.

    Lösungshinweise kursiv
    • Folgt man den expliziten Angaben des Textes, so sieht der in V 32ff (pervenit im Präsens: V 34!) in die Szene ‚stolpernde‘ Actaeon die nackte Diana nur für einen ganz kurzen Augen-Blick, da die Begleiterinnen Dianas ihrer nackten Herrin sofort mit ihren Körpern Sichtschutz bieten (circumfusae Dianam corporibus texere suis: V 38f). – Bezeichnenderweise findet sich keine Formulierung, dass Actaeon aktiv etwas sieht. - Es heißt lediglich in variierender Wiederholung einer passiven Phrase, dass Diana von Actaeon ohne Kleid gesehen – man müsste wohl eher formulieren: erblickt – wurde: visae sine veste Dianae (V 43); „... me posito visam velamine“ (Figuren-Rede Dianas: V 50)
    • Erwähnt wird dagegen, dass Actaeon – von den Nymphen und auch Diana – gesehen wird (viso viro: V 36: Hyperbaton und Paronomasie)
    • Mit der Apostrophe „ecce“ wendet sich der Erzähler an den Leser und fordert ihn auf, auf Actaeon zu blicken. Im konkreten Sinne kann der Leser der Aufforderung „ecce“ nur folgen, wenn er selbst wie Actaeon ein Teil der beschriebenen Szene ist. Mit der Apostrophe wird der Leser also als Beobachter in die erzählte Handlung hineingezogen. (Dies sollte mithilfe der Erzähl-Modelle unter 1c verdeutlicht werden).

      mögliche Impulse für ein Unterrichtsgespräch:

      • Bestimme in den Erzählmodellen den ‚Ort‘, an dem sich der Leser befinden muss, damit er der Aufforderung „ecce“ tatsächlich folgen kann
      • Wenn Actaeon die nackte Diana eigentlich nur für einen kurzen Moment sieht: Wer betrachtet dann eigentlich ausführlich und beinahe genüsslich Diana beim Ausziehen und Baden in VV 23-32a?

      Denkt man dies weiter, so wird klar: Der Leser wird hier als der eigentliche Voyeur entlarvt, der sich in den VV 23-32 vom Erzähler unversehens dazu ‚verführen‘ lässt, in seiner Vorstellung die nackte Göttin Diana mit den Nymphen beim Baden zu beobachten. – Provokativ formuliert: Actaeon stört nicht nur Diana beim Baden, sondern den Leser beim Beobachten der erotisch aufgeladenen Szene.6


6 Dass bereits die Beschreibung der Grotte und der Quelle eindeutig erotische Assoziationen an ein weibliches Genital weckt, wird man kaum mit SuS thematisieren können, ist aber typisch für die römische Dichtung spätestens seit den Neoterikern, wie sich an Catull demonstrieren lässt.

 

Actaeon: Lehrermaterial: Herunterladen [docx][328 KB]

Actaeon: Lehrermaterial: Herunterladen [pdf][2 MB]

 

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