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Die an­ti­ken Fas­sun­gen – ein syn­chro­ner Ver­gleich

Ein­füh­rung – di­dak­ti­sche Hin­wei­se

Si­cher­lich wird man in die­sem zwei­stün­di­gen Kurs nicht alle drei an­ti­ken Dra­men voll­stän­dig lesen und doch ist es reiz­voll, alle drei in den Blick zu neh­men und sie unter prä­zi­sen Fra­ge­stel­lun­gen zu ver­glei­chen.

Sinn­voll wäre z.B., alle Schü­le­rin­nen und Schü­ler das so­pho­klei­sche Drama lesen zu las­sen, weil die­ses in be­son­de­rem Maße prä­gend ge­wirkt hat. Die Texte von Ais­chy­los und Eu­ri­pi­des wer­den dann über kurze In­halts­an­ga­ben und ex­em­pla­ri­sche Text­aus­zü­ge ein­be­zo­gen. Die Er­gie­big­keit von Ver­glei­chen, be­son­ders für das Er­ken­nen der Spe­zi­fik eines Aus­gangs­tex­tes kann hier ex­em­pla­risch ge­zeigt wer­den. Wir ver­ste­hen die Be­son­der­heit eines Tex­tes bes­ser, wenn wir sehen, wie das­sel­be Hand­lungs­ge­rüst, das­sel­be Per­so­nal, die­sel­be Gat­tung auf an­de­re Weise ge­stal­tet wer­den kann, mög­li­cher­wei­se ganz an­de­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­dürf­nis­sen dient und ganz an­de­re Aus­sa­gen macht.

Die Cho­epho­ren, der zwei­te Teil der Ores­tie des Ais­chy­los, zeigt schon durch den Titel, die Gra­bes­spen­de­rin­nen, dass Elek­tra nicht im Mit­tel­punkt der Hand­lung steht. Die­ser Teil der Tri­lo­gie ist dra­ma­tur­gisch not­wen­dig, um die bei­den an­de­ren Teile sinn­voll zu ver­bin­den. Im ers­ten Teil, Aga­mem­non, er­le­ben wir die Rück­kehr Aga­mem­nons aus dem Tro­ja­ni­schen Krieg. Aga­mem­non, der die Se­he­rin Kas­san­dra als Beute aus Troja und als seine Ge­lieb­te mit sich bringt, wird von Ägisth, sei­nem Vet­ter, und Klytäm­ne­s­tra, sei­ner Frau, er­schla­gen. Beide Mör­der haben un­ter­schied­li­che Mo­ti­ve für die Tat. So rächt Klytäm­ne­s­tra sich an Aga­mem­non dafür, dass er den Op­fer­tod ihrer ge­mein­sa­men Toch­ter Iphi­ge­nie ver­an­lasst hat. (Deren Op­fer­tod ist dem My­thos zu­fol­ge not­wen­dig ge­wor­den, weil Ar­te­mis als Stra­fe dafür, dass Aga­mem­non eine ihrer hei­li­gen Hir­sche er­legt hat, den Wind nicht mehr hat wehen las­sen, wo­durch die Flot­te, die auf dem Weg nach Troja ist, an der Wei­ter­fahrt ge­hin­dert wird. Nur durch die­ses Opfer kann Ar­te­mis ver­söhnt und der Kriegs­zug nach Troja fort­ge­setzt wer­den.) Zum an­de­ren be­straft sie Aga­mem­non für des­sen Un­treue mit Kas­san­dra. Ägisth ver­folgt ei­ner­seits Macht­in­ter­es­sen, kann aber als Be­grün­dung für die Tat auch die fa­mi­liä­re Ver­pflich­tung zur Rache an die­sem Sohn des Atreus an­füh­ren, da Atreus die Kin­der sei­nes Bru­ders Thy­es­tes, Ägis­ths Vater, ge­tö­tet und sie ihm zum Mahl vor­ge­legt hat. In den Cho­epho­ren wird nun dar­ge­stellt, dass Orest, der nach dem Tod Aga­mem­nos vom Hof ent­fernt wor­den ist, nach mehr­jäh­ri­ger Ab­we­sen­heit zu­rück­kehrt, um den Mord an sei­nem Vater zu rä­chen, und diese Tat voll­bringt. Der drit­te Teil, die Eu­men­iden, hat den Ein­set­zungs­my­thos des Areo­pags, der schließ­lich Orest von sei­ner Schuld des Mut­ter­mords frei­spre­chen wird, zum Ge­gen­stand.

Orest kehrt auf Ge­heiß Apol­lons mit der Ab­sicht, sei­nen Vater zu rä­chen und sein Erbe an­zu­tre­ten, nach Argos zu­rück. Er op­fert auf des­sen Grab­hü­gel eine Locke. Elek­tra naht mit den Frau­en des Cho­res. Orest er­kennt sie so­fort. Durch Elek­tra er­fah­ren wir die Vor­ge­schich­te, auch sie will Rache und hofft auf eine Rück­kehr Orests. Sie ent­deckt die Locke, die ihren Haa­ren gleicht, die Fuß­spur, die ihrer ei­ge­nen gleicht, und ahnt die Rück­kehr Orests, der im sel­ben Mo­ment vor­tritt und sich so­fort zu er­ken­nen gibt, als wei­te­ren Be­weis sei­ner Iden­ti­tät auf sein Ge­wand ver­wei­send, das Elek­tra ge­wo­ben hat. Elek­tra zwei­felt kaum. Beide rufen Zeus an. Die Mord­tat am Vater wird noch ein­mal in Er­in­ne­rung ge­ru­fen eben­so wie das Ge­setz, dass Rache Rache er­zeugt, alles, um den Ent­schluss zur Tat noch ein­mal zu recht­fer­ti­gen. So sagt Orest: „Ihr wollt es so, dunk­le Mäch­te! Ihr wollt es selbst, Hände ihr! Ich räum‘ sie weg, sei‘s auch mein Ver­der­ben!“ Die Ge­schwis­ter bit­ten den Vater um Un­ter­stüt­zung ihres Vor­ha­bens (Orest: „Du gib die Herr­schaft dei­nes Hau­ses mir zu­rück!“ Elek­tra: „[...] Gönn mir den Gat­ten, half ich zu Ai­gis­t­hos‘ End!“ a.a.O., S.277). Die Tat ist be­schlos­sen. Damit ist Elek­t­ras Auf­ga­be er­füllt. Sie spielt im wei­te­ren Ver­lauf des Dra­mas keine Rolle mehr, sagt nichts mehr. Orest möch­te nun wis­sen, wie es zur Grab­spen­de ge­kom­men ist, die Chor und Elek­tra ge­bracht haben. Der Chor be­rich­tet von einem Traum Klytäm­ne­stras, in dem sie einen Dra­chen ge­bo­ren zu haben glaub­te, der Blut aus ihrer Brust saug­te. Aus Angst habe sie nun die Spen­de be­auf­tragt. Orest deu­tet die­sen Traum auf sich. Er ent­deckt Elek­tra und dem Chor die List, die er an­wen­den möch­te. Mit ver­stell­ter Spra­che will er als ein frem­der Rei­sen­der die Bot­schaft vom Tod des Orests über­brin­gen, so Zu­gang zum Pa­last er­hal­ten und dann Ägisth töten. Nur Klytäm­ne­s­tra ist im Pa­last, hört die Bot­schaft und schickt die Die­ne­rin Ki­lis­sa zu Ägisth, er möge kom­men. Der Chor tritt Ki­lis­sa in den Weg und rät ihr, Ägisth nicht, wie Klytäm­ne­s­tra ge­bo­ten hat, zu sagen, er solle „um­ringt von Lan­zenk­nech­ten“ kom­men, son­dern al­lein. Denn „Bei man­cher Bot­schaft nützt ein un­ge­sag­tes Wort“ (a.a.O., S.287). Hier greift also der Chor in die Hand­lung ein und un­ter­stützt die Ab­sich­ten der Ge­schwis­ter. Ägisth kommt al­lein, be­tritt den Pa­last, man hört ihn in To­des­angst rufen. Ein Die­ner stürzt aus dem Pa­last und ver­kün­det den Tod Ägis­ths. Klytäm­ne­s­tra ist alar­miert. Es kommt zu einem Dia­log zwi­schen Klytäm­ne­s­tra und Orest, sie sucht sich zu ret­ten mit dem Hin­weis, sie sei seine Mut­ter, Vor­wür­fe wer­den er­ho­ben, Recht­fer­ti­gun­gen for­mu­liert. Orest bleibt zur Tat ent­schlos­sen. Er schleppt sie ins Haus. Man hört nichts von dem, was ver­mut­lich im Pa­last vor sich geht, der Mord wird auch nicht be­rich­tet. Orest sieht die Er­in­ny­en nahen, die ihn jagen wer­den. Der Chor hat das letz­te Wort, ver­weist auf den gött­li­chen Wil­len, der voll­zo­gen wor­den ist, und schließt: „Den Ruf stimmt ihn an: ‚Die hier mit­ge­wohnt, bald sind ver­jagt sie ganz!‘ Ich darf schau­en das Licht!“ (a.a.O., S.295).

Die Recht­fer­ti­gung der Tat, die Wie­der­her­stel­lung von Recht und dy­nas­ti­sche In­ter­es­sen ste­hen im Mit­tel­punkt.

Ganz an­ders bei So­pho­kles: Hier ist der Hand­lungs­ort nicht der Grab­hü­gel, son­dern der Platz vor dem Pa­last, aber auch hier tritt als Ers­ter Orest auf, al­ler­dings nicht nur mit Py­la­des wie bei Ais­chy­los, der hier eben­falls eine stum­me Rolle hat, son­dern mit sei­nem Pfle­ger. Durch ihn er­fah­ren wir einen Teil der Vor­ge­schich­te und von der Rolle des Pfle­gers, der, wie er sagt, Orest aus Argos „schüt­zend fort­trug und erzog zum Mann, be­reit zu rä­chen dei­nes Va­ters Fall“. Orest be­rich­tet von sei­nem Be­such beim Ora­kel, das er nicht auf­ge­sucht hat, um zu er­fah­ren, was er tun soll, son­dern um Rat ein­zu­ho­len in der Frage „wie“ die Tat zu voll­brin­gen sei. Nun teilt er dem Alten mit, „daß un­ge­rüs­tet ich und ganz al­lein,/ mit Schild nicht, noch mit Heer,/ doch lis­tig ins­ge­heim sie rich­ten soll/ mit eig­ner Hand.“ Auch die be­reits er­wähn­te List, die Vor­täu­schung des ei­ge­nen Todes, wird ent­deckt, so dass der Zu­schau­er be­reits zu Be­ginn über Orests ge­plan­tes Vor­ge­hen im Bilde ist. Elek­tra tritt auf, Orest er­kennt ihre Stim­me, will blei­ben und hören, was sie sagt, je­doch der Pfle­ger mahnt, zu­erst zum Grab Aga­mem­nons zu gehen und zu op­fern.

So ist Elek­tra zu­nächst al­lein auf der Bühne und in einer drei­glied­rig sich stei­gern­den Sze­nen­fol­ge wird ihre aus­weg­lo­se und ein­sa­me Si­tua­ti­on deut­lich. Zu­erst hören wir ihre Klage um den er­mor­de­ten Vater, ihre Rufe um Hilfe zur Rache, ihre Bitte, der Bru­der möge ge­sandt wer­den. Der Chor tritt auf, äu­ßert Mit­leid, ver­sucht zu trös­ten. Elek­tra be­klagt ihr ei­ge­nes Schick­sal, ihre er­zwun­ge­ne Ehe­lo­sig­keit, ihre Rolle als Magd, die schlech­ten Klei­der, den Man­gel an Nah­rung, schil­dert das fre­che Ver­hal­ten Klytäm­ne­stras und Ägis­ths, die all­jähr­lich am To­des­tag Aga­mem­nons ein Fest ver­an­stal­ten. Elek­tra wagt nur so zu spre­chen, weil Ägisth ab­we­send ist. Ihre Schwes­ter Chry­so­the­mis kommt mit Grab­spen­den in der Hand. Sie hält Elek­t­ras Zorn für maß­los, ist der Mei­nung, dass man den Mäch­ti­gen ge­hor­chen muss, und teilt mit, dass ein Plan be­steht, Elek­tra zu ver­ban­nen. In einer län­ge­ren Sti­cho­my­thie gren­zen die bei­den ihre Po­si­tio­nen ge­gen­ein­an­der ab: Elek­tra wirft Chry­so­the­mis Feig­heit vor, Chry­so­the­mis rät Elek­tra zu Klug­heit. Sie be­rich­tet von Klytäm­ne­stras Traum, Aga­mem­non sei zu­rück­ge­kehrt, habe Ägisth den Herr­scher­stab ent­wun­den, ihn ein­ge­pflanzt, wor­auf­hin dar­aus ein Zweig ge­wach­sen sei. Chry­so­the­mis soll in Klytäm­ne­stras Namen nun eine Grab­spen­de zu Aga­mem­nons Grab brin­gen. Elek­tra kann Chry­so­the­mis über­zeu­gen, nicht dies, son­dern Lo­cken der bei­den Schwes­tern und einen Gür­tel Elek­t­ras zu op­fern. Klytäm­ne­s­tra tritt auf, be­strei­tet den Mord an Aga­mem­non nicht, son­dern recht­fer­tigt ihn als Rache für die Op­fe­rung Iphi­ge­nies durch Aga­mem­non, die aus ihrer Sicht nur er­folgt sei, um sei­nem Bru­der Me­ne­la­os zu die­nen. Doch Elek­tra will das nicht gel­ten las­sen: „Ob es ge­recht nun war, ob nicht!/ Doch sag ich dir, daß du ihn nicht des Rech­tes wegen hast ge­tö­tet,/ nein, die Ver­lo­ckung riß dich hin an jenes schlech­ten Man­nes Seite,/ mit dem du nun zu­sam­men­lebst!“ und ver­weist auf die Vor­ge­schich­te, den Fre­vel Aga­mem­nons Ar­te­mis ge­gen­über. Elek­tra ist sich wohl der Un­an­ge­mes­sen­heit ihres Tones be­wusst, sieht sich aber an­ge­sichts der Un­ge­heu­er­lich­keit des Ver­hal­tens ihrer Mut­ter dazu ge­zwun­gen. Klytäm­ne­s­tra droht, wenn Ägisth zu­rück­kom­me, werde Elek­tra die­ses Ver­hal­ten büßen, und betet dann zu Apol­lon. In diese Si­tua­ti­on tritt der alte Pfle­ger auf und be­rich­tet, die Vor­fäl­le aus­führ­lich und an­schau­lich schil­dernd, vom Tod Orests. Er­war­tungs­ge­mäß sind die Re­ak­tio­nen ge­gen­sätz­lich: Klytäm­ne­s­tra hört die Nach­richt er­freut und er­leich­tert, Elek­tra ist er­schüt­tert, aller Hoff­nung be­raubt.

Auf die ver­zwei­felt zu­rück­ge­blie­be­ne Elek­tra trifft Chry­so­the­mis, die vom Grab­be­such zu­rück­kehrt und be­rich­tet, dass sie dort ge­spen­de­te Milch, Blu­men und ein Haar­bü­schel vor­ge­fun­den habe. Sie ist si­cher, dass Orest zu­rück­ge­kehrt ist, wird aber von Elek­tra vom Tod Orests in Kennt­nis ge­setzt. Die Zei­chen auf dem Grab wer­den schnell als Eh­ren­ga­ben für den ver­stor­be­nen Orest um­ge­deu­tet, die an­schau­li­che Er­zäh­lung des Pfle­gers für be­weis­kräf­ti­ger als die real vor­han­de­nen Op­fer­ga­ben ge­hal­ten. Elek­tra ist nun ent­schlos­sen, die Tat selbst aus­zu­füh­ren und will die Schwes­ter als Ver­bün­de­te ge­win­nen. Chry­so­the­mis ver­sucht Elek­tra davon ab­zu­hal­ten und auch der Chor un­ter­stützt ihre Po­si­ti­on. Keine kann die an­de­re über­zeu­gen. Elek­tra bleibt al­lein zu­rück.

Orest tritt auf mit einer Urne in der Hand. Elek­tra klagt er­neut. An die­sem ab­so­lu­ten Tief­punkt der Ein­sam­keit Elek­t­ras kommt die Wende. Orest be­fragt sie, er­fährt so von ihrer ver­zwei­fel­ten Lage und gibt sich schließ­lich zu er­ken­nen. Zum Be­weis dient ein Sie­gel­ring, den Elek­tra so­fort er­kennt und als Be­weis ak­zep­tiert. Elek­tra ist außer sich vor Freu­de. Der alte Pfle­ger, der hin­zu­kommt, drängt schließ­lich zum Han­deln. Die Män­ner gehen in den Pa­last. Man hört Klytäm­ne­s­tra rufen, auch sie for­dert von Orest Er­bar­men mit der Mut­ter, Elek­tra un­ter­stützt Orest, indem sie ihm zu­ruft, noch ein­mal zu­zu­sto­ßen. Orest tritt kurz aus dem Pa­last, be­stä­tigt den Tod Klytäm­ne­stras und kehrt in das Ge­bäu­de zu­rück, um Ägisth zu er­war­ten. Elek­tra gibt sich Ägisth ge­gen­über ein­sich­tig. Das Tor des Pa­las­tes wird ge­öff­net, man sieht eine ver­hüll­te Lei­che, Ägisth in der An­nah­me, es hand­le sich um die Lei­che Orests, bit­tet Klytäm­ne­s­tra her­bei­zu­ho­len, hebt die Decke von der Lei­che und er­kennt Klytäm­ne­s­tra. Orest be­steht dar­auf, ihn dort zu töten, wo die­ser Aga­mem­non er­schla­gen hat. Mit den Wor­ten „Not wär's, daß jeden diese Stra­fe trifft,/ der da zu­wi­der den Ge­set­zen han­deln will:/ daß man ihn töte!/ Der Bos­heit wäre dann wohl we­ni­ger!“ folgt Orest Ägisth in den Pa­last. Der Chor be­stä­tigt, dass das Ziel er­reicht ist.

Deut­lich wird durch die kom­men­tie­ren­de In­halts­an­ga­be, dass hier das Lei­den Elek­t­ras ganz im Vor­der­grund steht, ihre immer grö­ßer wer­den­de Ein­sam­keit, ihre völ­li­ge Iso­liert­heit, ihr Lei­den an der un­er­träg­li­chen Si­tua­ti­on bil­den nicht nur den in­halt­li­chen Kern, son­dern be­an­spru­chen kon­se­quen­ter­wei­se den Lö­wen­an­teil des Tex­tes. Nach der Ana­gno­ri­sis sind die Taten schnell voll­bracht. Chry­so­the­mis tritt nicht mehr auf. Wie bei Ais­chy­los wird der zwei­te Mord nicht mehr ex­pli­zit aus­ge­führt. Beide Male ist Orest der al­lei­ni­ge Täter, an­ders als bei Ais­chy­los ist aber Elek­tra an­we­send und un­ter­stützt Orest durch Zu­ru­fe und ihr dis­si­mu­lie­ren­des Ver­hal­ten Ägisth ge­gen­über. Zwar spielt Apol­lon als Rat­ge­ber für die Art und Weise, wie die Rache voll­zo­gen wer­den kann, eine Rolle, die Tat selbst aber und ihre Über­tra­gung auf ge­ne­rel­les mensch­li­ches Han­deln, die Orest nach den Mor­den for­mu­liert, zei­gen in­ner­welt­li­che Hand­lungs­be­reit­schaft und Hand­lungs­fä­hig­keit. Die Ord­nung ist wie­der­her­ge­stellt. Die­sen Orest ver­fol­gen keine Er­in­ny­en.

Wie­der ganz an­ders Eu­ri­pi­des: Schon die Aus­gangs­si­tua­ti­on ist eine völ­lig an­de­re. Die Szene ist die Hütte des Land­manns, mit dem Elek­tra ver­hei­ra­tet ist. Klytäm­ne­s­tra und Ägisth haben also, indem sie Elek­tra nicht stan­des­ge­mäß ver­hei­ra­tet haben, die Ge­fahr ge­bannt, Elek­tra könn­te Nach­kom­men haben, die einen Rechts­an­spruch auf die Herr­schaft ein­for­dern könn­ten. Der Land­mann er­weist sich als höchst tu­gend­haft, hat er doch die Ehe mit Elek­tra nie voll­zo­gen. Beide sind flei­ßig, re­spek­tie­ren sich ge­gen­sei­tig und schei­nen eine gute Ehe zu füh­ren. Orest und Py­la­des tre­ten auf. Orest gibt die Ab­sicht kund, die Mör­der für den Mord am Vater büßen zu las­sen, er kommt vom Grab Aga­mem­nons, wo er Haar und Lamm­blut ge­op­fert hat. Die­ser Orest sucht Elek­tra auf, um sie als Hel­fe­rin zu ge­win­nen. Als Elek­tra kommt, ver­ste­cken sich die bei­den Män­ner und lau­schen Elek­t­ras Klage, die un­ter­bro­chen wird vom Chor, der Elek­tra zu einem Fest mit­neh­men möch­te. Orest stellt sich Elek­tra in den Weg, of­fen­bart sich nicht, gibt sich aber als Über­brin­ger einer Nach­richt von Orest, der lebe, zu er­ken­nen. Nach­dem er Elek­tra über ihre Le­bens­um­stän­de aus­ge­fragt hat, ver­sucht er her­aus­zu­fin­den, ob sie be­reit wäre, mit Orest zu­sam­men den Mut­ter­mord zu wagen. „Gern sterb' ich, wenn ich mei­ner Mut­ter Blut ver­goß“, lau­tet die klare Ant­wort Elek­t­ras, der eine aus­führ­li­che Schil­de­rung ihres ei­ge­nen kar­gen und des fri­vo­len Le­bens der Mör­der folgt, die den Toten nicht ehren, son­dern ihn im Ge­gen­teil ver­höh­nen. Die bei­den Frem­den wer­den vom Land­mann ins Haus ge­be­ten, nicht ohne dass Orest ein Lob­lied auf die­sen Eh­ren­mann ge­sun­gen hätte. Elek­tra schickt ihn, den Er­zie­her Aga­mem­nons zu holen, damit auch der er­fah­re, dass Orest lebt. Der Greis kommt von einem Be­such am Grab Aga­mem­nons, hat die Op­fer­ga­ben ge­fun­den, glaubt in der Locke die Orests zu er­ken­nen. In ein­deu­ti­ger An­spie­lung auf Ais­chy­los weist Elek­tra Locke, Fuß­spur und Ge­wand als nicht be­weis­kräf­tig für eine An­we­sen­heit Orests zu­rück. Es ist schließ­lich eine Narbe, an der der Greis Orest er­kennt, ein Zei­chen, das auch Elek­tra über­zeugt. Die Wie­der­er­ken­nungs­sze­ne be­en­det Orest mit der Frage an den Greis, wie er die Morde durch­füh­ren könne. Der Greis hat er­fah­ren, dass Ägisth nur in Be­glei­tung von Ge­sin­de ein Stier­op­fer vor­be­rei­tet. Eine Si­tua­ti­on, bei der sich die Ge­le­gen­heit zum Mord fin­den ließe. Um Klytäm­ne­s­tra zu töten, ent­wi­ckelt Elek­tra den Plan, sie mit der Be­haup­tung, Elek­tra habe ein Kind ge­bo­ren und Klytäm­ne­s­tra solle es seg­nen, aus dem Pa­last zu lo­cken. Orest, nicht ohne vor­her nach dem Weg ge­fragt zu haben, geht, um Ägisth zu töten. Der Alte ver­lässt die Bühne, um Klytäm­ne­s­tra die Nach­richt von der Ge­burt des Kin­des zu über­brin­gen. Ein Bote be­rich­tet von Orests Mord an Ägisth, bevor Orest selbst mit dem Leich­nam kommt, der in die Hütte des Land­manns ge­bracht wird. Orest stellt plötz­lich den Mut­ter­mord in Frage, be­zeich­net Apol­lons Wort als Wahn, ver­mu­tet gar Schlim­me­res: „Sprach's etwa gar ein Teu­fel in des Gotts Ge­stalt?“ Elek­tra ver­sucht ihn zu über­re­den, er­mun­tert ihn, so dass er sich schließ­lich be­reit er­klärt, sich dem gött­li­chen Wil­len zu beu­gen, und die Hütte be­tritt. So fin­det Klytäm­ne­s­tra bei ihrer An­kunft nur Elek­tra vor, die ihr Vor­wür­fe macht. Hier ent­spinnt sich nun ein ähn­li­cher Agon wie bei So­pho­kles. Klytäm­ne­s­tra ver­tei­digt sich, ver­weist auf die Op­fe­rung Iphi­ge­nies und Aga­mem­nons Un­treue und be­klagt, dass Frau­en nicht die­sel­ben Rech­te haben wie Män­ner. Sie brüs­tet sich nicht mit dem Mord an Aga­mem­non, steht aber dazu. Schließ­lich be­tritt sie die Hütte, Elek­tra folgt ihr. Man hört Klytäm­ne­s­tra rufen. Kurz dar­auf kom­men Orest und Elek­tra aus der Hütte. Elek­tra nimmt die Tat auf sich, beide füh­len sich hei­mat­los und rat­los, re­ka­pi­tu­lie­ren die Er­mor­dung der Mut­ter noch ein­mal, als die Di­o­sku­ren als Dei ex ma­chi­na über dem Gie­bel der Hütte er­schei­nen. Sie klä­ren die Lage, be­zeich­nen Apol­lons Spruch als un­wei­se, tei­len Orest mit, er müsse tun, was Zeus und das Schick­sal über ihn be­schlos­sen hät­ten. Elek­tra wird mit Py­la­des ver­hei­ra­tet, Orest wird in Aus­sicht ge­stellt, dass er sich vor dem Blut­ge­richt wird ver­ant­wor­ten müs­sen, aber frei­ge­spro­chen wer­den wird. Sie schlie­ßen damit, dass sie an an­de­rer Stel­le, im si­zi­li­schen Meer, ge­braucht wer­den. Ein Hin­weis, der immer wie­der zur Da­tie­rung des Dra­mas her­an­ge­zo­gen wird. Auch hier hat der Chor das letz­te Wort.

Elek­tra und Orest sind hier Spiel­ball eines völ­lig un­durch­sich­ti­gen Göt­ter­wil­lens. Die Ver­la­ge­rung des Ortes, der ver­än­der­te Fa­mi­li­en­stand Elek­t­ras, ihre an­ders ge­ar­te­ten Vor­wür­fe ge­gen­über Klytäm­ne­s­tra, die sich we­ni­ger auf den Mord an Aga­mem­non als auf die Ver­nach­läs­si­gung durch die Mut­ter rich­ten, die ent­schlos­sen han­deln­de Elek­tra, die zur Mit­tä­te­rin wird, der auf­fäl­lig schwa­che und hilf­lo­se Orest ma­chen die­ses Drama sehr viel stär­ker zu einer Ra­che­tra­gö­die, als es die Fas­sung von So­pho­kles ist.

Eine klei­ne Syn­op­se we­sent­li­cher Merk­ma­le soll die Ori­en­tie­rung er­leich­tern:

Merkmale

Quel­le: ei­ge­ne Dar­stel­lung

 

2 Ais­chy­los: Die Tra­gö­di­en und Frag­men­te. Über­tra­gen von Jo­hann Gus­tav Droy­sen. Durch­ge­se­hen und ein­ge­lei­tet von Wal­ter Nest­le. Stutt­gart 1957, S.275

3 https://​www.​pro­jekt-​gu­ten­berg.​org/​so­phok­le/​elek­tra/​cha­p001.​html

4 https://​www.​pro­jekt-​gu­ten­berg.​org/​so­phok­le/​elek­tra/​cha­p003.​html

5 Eu­ri­pi­des Werke. Grie­chisch mit me­tri­scher Über­set­zung von J.A. Har­tung. Ach­tes Bänd­chen: Elek­tra. Leip­zig 1850, S. 103https://​books.​goog­le.​de/​books?​id=r3o​yAQA​AMAA​J&​pri​ntse​c=fro​ntco​ver&​dq=Eur​ipid​es+Ele​ktra+Har​tung&​hl=de&​sa=X&​ved=0ah​UKEw​jb3I​X5nf​LpAh​UOws​QBHQ​PTCa​UQ6A​EIJz​AA#​v=one­page&​q=Eu­ri­pi­des Elek­tra Har­tung&f=false

 

Per­so­nen­ver­zeich­nis­se

So­pho­kles: Elek­tra

Der Pro­log

Ana­gno­ri­sis

Elek­tra

Agon

Schluss

In­ter­textua­li­tät

 

Drama: Elek­tra: Her­un­ter­la­den [docx][8 MB]

 

Wei­ter zu Per­so­nen­ver­zeich­nis­se