Die antiken Fassungen – ein synchroner Vergleich
Einführung – didaktische Hinweise
Sicherlich wird man in diesem zweistündigen Kurs nicht alle drei antiken Dramen vollständig lesen und doch ist es reizvoll, alle drei in den Blick zu nehmen und sie unter präzisen Fragestellungen zu vergleichen.
Sinnvoll wäre z.B., alle Schülerinnen und Schüler das sophokleische Drama lesen zu lassen, weil dieses in besonderem Maße prägend gewirkt hat. Die Texte von Aischylos und Euripides werden dann über kurze Inhaltsangaben und exemplarische Textauszüge einbezogen. Die Ergiebigkeit von Vergleichen, besonders für das Erkennen der Spezifik eines Ausgangstextes kann hier exemplarisch gezeigt werden. Wir verstehen die Besonderheit eines Textes besser, wenn wir sehen, wie dasselbe Handlungsgerüst, dasselbe Personal, dieselbe Gattung auf andere Weise gestaltet werden kann, möglicherweise ganz anderen Kommunikationsbedürfnissen dient und ganz andere Aussagen macht.
Die Choephoren, der zweite Teil der Orestie des Aischylos, zeigt schon durch den Titel, die Grabesspenderinnen, dass Elektra nicht im Mittelpunkt der Handlung steht. Dieser Teil der Trilogie ist dramaturgisch notwendig, um die beiden anderen Teile sinnvoll zu verbinden. Im ersten Teil, Agamemnon, erleben wir die Rückkehr Agamemnons aus dem Trojanischen Krieg. Agamemnon, der die Seherin Kassandra als Beute aus Troja und als seine Geliebte mit sich bringt, wird von Ägisth, seinem Vetter, und Klytämnestra, seiner Frau, erschlagen. Beide Mörder haben unterschiedliche Motive für die Tat. So rächt Klytämnestra sich an Agamemnon dafür, dass er den Opfertod ihrer gemeinsamen Tochter Iphigenie veranlasst hat. (Deren Opfertod ist dem Mythos zufolge notwendig geworden, weil Artemis als Strafe dafür, dass Agamemnon eine ihrer heiligen Hirsche erlegt hat, den Wind nicht mehr hat wehen lassen, wodurch die Flotte, die auf dem Weg nach Troja ist, an der Weiterfahrt gehindert wird. Nur durch dieses Opfer kann Artemis versöhnt und der Kriegszug nach Troja fortgesetzt werden.) Zum anderen bestraft sie Agamemnon für dessen Untreue mit Kassandra. Ägisth verfolgt einerseits Machtinteressen, kann aber als Begründung für die Tat auch die familiäre Verpflichtung zur Rache an diesem Sohn des Atreus anführen, da Atreus die Kinder seines Bruders Thyestes, Ägisths Vater, getötet und sie ihm zum Mahl vorgelegt hat. In den Choephoren wird nun dargestellt, dass Orest, der nach dem Tod Agamemnos vom Hof entfernt worden ist, nach mehrjähriger Abwesenheit zurückkehrt, um den Mord an seinem Vater zu rächen, und diese Tat vollbringt. Der dritte Teil, die Eumeniden, hat den Einsetzungsmythos des Areopags, der schließlich Orest von seiner Schuld des Muttermords freisprechen wird, zum Gegenstand.
Orest kehrt auf Geheiß Apollons mit der Absicht, seinen Vater zu rächen und sein Erbe anzutreten, nach Argos zurück. Er opfert auf dessen Grabhügel eine Locke. Elektra naht mit den Frauen des Chores. Orest erkennt sie sofort. Durch Elektra erfahren wir die Vorgeschichte, auch sie will Rache und hofft auf eine Rückkehr Orests. Sie entdeckt die Locke, die ihren Haaren gleicht, die Fußspur, die ihrer eigenen gleicht, und ahnt die Rückkehr Orests, der im selben Moment vortritt und sich sofort zu erkennen gibt, als weiteren Beweis seiner Identität auf sein Gewand verweisend, das Elektra gewoben hat. Elektra zweifelt kaum. Beide rufen Zeus an. Die Mordtat am Vater wird noch einmal in Erinnerung gerufen ebenso wie das Gesetz, dass Rache Rache erzeugt, alles, um den Entschluss zur Tat noch einmal zu rechtfertigen. So sagt Orest: „Ihr wollt es so, dunkle Mächte! Ihr wollt es selbst, Hände ihr! Ich räum‘ sie weg, sei‘s auch mein Verderben!“ Die Geschwister bitten den Vater um Unterstützung ihres Vorhabens (Orest: „Du gib die Herrschaft deines Hauses mir zurück!“ Elektra: „[...] Gönn mir den Gatten, half ich zu Aigisthos‘ End!“ a.a.O., S.277). Die Tat ist beschlossen. Damit ist Elektras Aufgabe erfüllt. Sie spielt im weiteren Verlauf des Dramas keine Rolle mehr, sagt nichts mehr. Orest möchte nun wissen, wie es zur Grabspende gekommen ist, die Chor und Elektra gebracht haben. Der Chor berichtet von einem Traum Klytämnestras, in dem sie einen Drachen geboren zu haben glaubte, der Blut aus ihrer Brust saugte. Aus Angst habe sie nun die Spende beauftragt. Orest deutet diesen Traum auf sich. Er entdeckt Elektra und dem Chor die List, die er anwenden möchte. Mit verstellter Sprache will er als ein fremder Reisender die Botschaft vom Tod des Orests überbringen, so Zugang zum Palast erhalten und dann Ägisth töten. Nur Klytämnestra ist im Palast, hört die Botschaft und schickt die Dienerin Kilissa zu Ägisth, er möge kommen. Der Chor tritt Kilissa in den Weg und rät ihr, Ägisth nicht, wie Klytämnestra geboten hat, zu sagen, er solle „umringt von Lanzenknechten“ kommen, sondern allein. Denn „Bei mancher Botschaft nützt ein ungesagtes Wort“ (a.a.O., S.287). Hier greift also der Chor in die Handlung ein und unterstützt die Absichten der Geschwister. Ägisth kommt allein, betritt den Palast, man hört ihn in Todesangst rufen. Ein Diener stürzt aus dem Palast und verkündet den Tod Ägisths. Klytämnestra ist alarmiert. Es kommt zu einem Dialog zwischen Klytämnestra und Orest, sie sucht sich zu retten mit dem Hinweis, sie sei seine Mutter, Vorwürfe werden erhoben, Rechtfertigungen formuliert. Orest bleibt zur Tat entschlossen. Er schleppt sie ins Haus. Man hört nichts von dem, was vermutlich im Palast vor sich geht, der Mord wird auch nicht berichtet. Orest sieht die Erinnyen nahen, die ihn jagen werden. Der Chor hat das letzte Wort, verweist auf den göttlichen Willen, der vollzogen worden ist, und schließt: „Den Ruf stimmt ihn an: ‚Die hier mitgewohnt, bald sind verjagt sie ganz!‘ Ich darf schauen das Licht!“ (a.a.O., S.295).
Die Rechtfertigung der Tat, die Wiederherstellung von Recht und dynastische Interessen stehen im Mittelpunkt.
Ganz anders bei Sophokles: Hier ist der Handlungsort nicht der Grabhügel, sondern der Platz vor dem Palast, aber auch hier tritt als Erster Orest auf, allerdings nicht nur mit Pylades wie bei Aischylos, der hier ebenfalls eine stumme Rolle hat, sondern mit seinem Pfleger. Durch ihn erfahren wir einen Teil der Vorgeschichte und von der Rolle des Pflegers, der, wie er sagt, Orest aus Argos „schützend forttrug und erzog zum Mann, bereit zu rächen deines Vaters Fall“. Orest berichtet von seinem Besuch beim Orakel, das er nicht aufgesucht hat, um zu erfahren, was er tun soll, sondern um Rat einzuholen in der Frage „wie“ die Tat zu vollbringen sei. Nun teilt er dem Alten mit, „daß ungerüstet ich und ganz allein,/ mit Schild nicht, noch mit Heer,/ doch listig insgeheim sie richten soll/ mit eigner Hand.“ Auch die bereits erwähnte List, die Vortäuschung des eigenen Todes, wird entdeckt, so dass der Zuschauer bereits zu Beginn über Orests geplantes Vorgehen im Bilde ist. Elektra tritt auf, Orest erkennt ihre Stimme, will bleiben und hören, was sie sagt, jedoch der Pfleger mahnt, zuerst zum Grab Agamemnons zu gehen und zu opfern.
So ist Elektra zunächst allein auf der Bühne und in einer dreigliedrig sich steigernden Szenenfolge wird ihre ausweglose und einsame Situation deutlich. Zuerst hören wir ihre Klage um den ermordeten Vater, ihre Rufe um Hilfe zur Rache, ihre Bitte, der Bruder möge gesandt werden. Der Chor tritt auf, äußert Mitleid, versucht zu trösten. Elektra beklagt ihr eigenes Schicksal, ihre erzwungene Ehelosigkeit, ihre Rolle als Magd, die schlechten Kleider, den Mangel an Nahrung, schildert das freche Verhalten Klytämnestras und Ägisths, die alljährlich am Todestag Agamemnons ein Fest veranstalten. Elektra wagt nur so zu sprechen, weil Ägisth abwesend ist. Ihre Schwester Chrysothemis kommt mit Grabspenden in der Hand. Sie hält Elektras Zorn für maßlos, ist der Meinung, dass man den Mächtigen gehorchen muss, und teilt mit, dass ein Plan besteht, Elektra zu verbannen. In einer längeren Stichomythie grenzen die beiden ihre Positionen gegeneinander ab: Elektra wirft Chrysothemis Feigheit vor, Chrysothemis rät Elektra zu Klugheit. Sie berichtet von Klytämnestras Traum, Agamemnon sei zurückgekehrt, habe Ägisth den Herrscherstab entwunden, ihn eingepflanzt, woraufhin daraus ein Zweig gewachsen sei. Chrysothemis soll in Klytämnestras Namen nun eine Grabspende zu Agamemnons Grab bringen. Elektra kann Chrysothemis überzeugen, nicht dies, sondern Locken der beiden Schwestern und einen Gürtel Elektras zu opfern. Klytämnestra tritt auf, bestreitet den Mord an Agamemnon nicht, sondern rechtfertigt ihn als Rache für die Opferung Iphigenies durch Agamemnon, die aus ihrer Sicht nur erfolgt sei, um seinem Bruder Menelaos zu dienen. Doch Elektra will das nicht gelten lassen: „Ob es gerecht nun war, ob nicht!/ Doch sag ich dir, daß du ihn nicht des Rechtes wegen hast getötet,/ nein, die Verlockung riß dich hin an jenes schlechten Mannes Seite,/ mit dem du nun zusammenlebst!“ und verweist auf die Vorgeschichte, den Frevel Agamemnons Artemis gegenüber. Elektra ist sich wohl der Unangemessenheit ihres Tones bewusst, sieht sich aber angesichts der Ungeheuerlichkeit des Verhaltens ihrer Mutter dazu gezwungen. Klytämnestra droht, wenn Ägisth zurückkomme, werde Elektra dieses Verhalten büßen, und betet dann zu Apollon. In diese Situation tritt der alte Pfleger auf und berichtet, die Vorfälle ausführlich und anschaulich schildernd, vom Tod Orests. Erwartungsgemäß sind die Reaktionen gegensätzlich: Klytämnestra hört die Nachricht erfreut und erleichtert, Elektra ist erschüttert, aller Hoffnung beraubt.
Auf die verzweifelt zurückgebliebene Elektra trifft Chrysothemis, die vom Grabbesuch zurückkehrt und berichtet, dass sie dort gespendete Milch, Blumen und ein Haarbüschel vorgefunden habe. Sie ist sicher, dass Orest zurückgekehrt ist, wird aber von Elektra vom Tod Orests in Kenntnis gesetzt. Die Zeichen auf dem Grab werden schnell als Ehrengaben für den verstorbenen Orest umgedeutet, die anschauliche Erzählung des Pflegers für beweiskräftiger als die real vorhandenen Opfergaben gehalten. Elektra ist nun entschlossen, die Tat selbst auszuführen und will die Schwester als Verbündete gewinnen. Chrysothemis versucht Elektra davon abzuhalten und auch der Chor unterstützt ihre Position. Keine kann die andere überzeugen. Elektra bleibt allein zurück.
Orest tritt auf mit einer Urne in der Hand. Elektra klagt erneut. An diesem absoluten Tiefpunkt der Einsamkeit Elektras kommt die Wende. Orest befragt sie, erfährt so von ihrer verzweifelten Lage und gibt sich schließlich zu erkennen. Zum Beweis dient ein Siegelring, den Elektra sofort erkennt und als Beweis akzeptiert. Elektra ist außer sich vor Freude. Der alte Pfleger, der hinzukommt, drängt schließlich zum Handeln. Die Männer gehen in den Palast. Man hört Klytämnestra rufen, auch sie fordert von Orest Erbarmen mit der Mutter, Elektra unterstützt Orest, indem sie ihm zuruft, noch einmal zuzustoßen. Orest tritt kurz aus dem Palast, bestätigt den Tod Klytämnestras und kehrt in das Gebäude zurück, um Ägisth zu erwarten. Elektra gibt sich Ägisth gegenüber einsichtig. Das Tor des Palastes wird geöffnet, man sieht eine verhüllte Leiche, Ägisth in der Annahme, es handle sich um die Leiche Orests, bittet Klytämnestra herbeizuholen, hebt die Decke von der Leiche und erkennt Klytämnestra. Orest besteht darauf, ihn dort zu töten, wo dieser Agamemnon erschlagen hat. Mit den Worten „Not wär's, daß jeden diese Strafe trifft,/ der da zuwider den Gesetzen handeln will:/ daß man ihn töte!/ Der Bosheit wäre dann wohl weniger!“ folgt Orest Ägisth in den Palast. Der Chor bestätigt, dass das Ziel erreicht ist.
Deutlich wird durch die kommentierende Inhaltsangabe, dass hier das Leiden Elektras ganz im Vordergrund steht, ihre immer größer werdende Einsamkeit, ihre völlige Isoliertheit, ihr Leiden an der unerträglichen Situation bilden nicht nur den inhaltlichen Kern, sondern beanspruchen konsequenterweise den Löwenanteil des Textes. Nach der Anagnorisis sind die Taten schnell vollbracht. Chrysothemis tritt nicht mehr auf. Wie bei Aischylos wird der zweite Mord nicht mehr explizit ausgeführt. Beide Male ist Orest der alleinige Täter, anders als bei Aischylos ist aber Elektra anwesend und unterstützt Orest durch Zurufe und ihr dissimulierendes Verhalten Ägisth gegenüber. Zwar spielt Apollon als Ratgeber für die Art und Weise, wie die Rache vollzogen werden kann, eine Rolle, die Tat selbst aber und ihre Übertragung auf generelles menschliches Handeln, die Orest nach den Morden formuliert, zeigen innerweltliche Handlungsbereitschaft und Handlungsfähigkeit. Die Ordnung ist wiederhergestellt. Diesen Orest verfolgen keine Erinnyen.
Wieder ganz anders Euripides: Schon die Ausgangssituation ist eine völlig andere. Die Szene ist die Hütte des Landmanns, mit dem Elektra verheiratet ist. Klytämnestra und Ägisth haben also, indem sie Elektra nicht standesgemäß verheiratet haben, die Gefahr gebannt, Elektra könnte Nachkommen haben, die einen Rechtsanspruch auf die Herrschaft einfordern könnten. Der Landmann erweist sich als höchst tugendhaft, hat er doch die Ehe mit Elektra nie vollzogen. Beide sind fleißig, respektieren sich gegenseitig und scheinen eine gute Ehe zu führen. Orest und Pylades treten auf. Orest gibt die Absicht kund, die Mörder für den Mord am Vater büßen zu lassen, er kommt vom Grab Agamemnons, wo er Haar und Lammblut geopfert hat. Dieser Orest sucht Elektra auf, um sie als Helferin zu gewinnen. Als Elektra kommt, verstecken sich die beiden Männer und lauschen Elektras Klage, die unterbrochen wird vom Chor, der Elektra zu einem Fest mitnehmen möchte. Orest stellt sich Elektra in den Weg, offenbart sich nicht, gibt sich aber als Überbringer einer Nachricht von Orest, der lebe, zu erkennen. Nachdem er Elektra über ihre Lebensumstände ausgefragt hat, versucht er herauszufinden, ob sie bereit wäre, mit Orest zusammen den Muttermord zu wagen. „Gern sterb' ich, wenn ich meiner Mutter Blut vergoß“, lautet die klare Antwort Elektras, der eine ausführliche Schilderung ihres eigenen kargen und des frivolen Lebens der Mörder folgt, die den Toten nicht ehren, sondern ihn im Gegenteil verhöhnen. Die beiden Fremden werden vom Landmann ins Haus gebeten, nicht ohne dass Orest ein Loblied auf diesen Ehrenmann gesungen hätte. Elektra schickt ihn, den Erzieher Agamemnons zu holen, damit auch der erfahre, dass Orest lebt. Der Greis kommt von einem Besuch am Grab Agamemnons, hat die Opfergaben gefunden, glaubt in der Locke die Orests zu erkennen. In eindeutiger Anspielung auf Aischylos weist Elektra Locke, Fußspur und Gewand als nicht beweiskräftig für eine Anwesenheit Orests zurück. Es ist schließlich eine Narbe, an der der Greis Orest erkennt, ein Zeichen, das auch Elektra überzeugt. Die Wiedererkennungsszene beendet Orest mit der Frage an den Greis, wie er die Morde durchführen könne. Der Greis hat erfahren, dass Ägisth nur in Begleitung von Gesinde ein Stieropfer vorbereitet. Eine Situation, bei der sich die Gelegenheit zum Mord finden ließe. Um Klytämnestra zu töten, entwickelt Elektra den Plan, sie mit der Behauptung, Elektra habe ein Kind geboren und Klytämnestra solle es segnen, aus dem Palast zu locken. Orest, nicht ohne vorher nach dem Weg gefragt zu haben, geht, um Ägisth zu töten. Der Alte verlässt die Bühne, um Klytämnestra die Nachricht von der Geburt des Kindes zu überbringen. Ein Bote berichtet von Orests Mord an Ägisth, bevor Orest selbst mit dem Leichnam kommt, der in die Hütte des Landmanns gebracht wird. Orest stellt plötzlich den Muttermord in Frage, bezeichnet Apollons Wort als Wahn, vermutet gar Schlimmeres: „Sprach's etwa gar ein Teufel in des Gotts Gestalt?“ Elektra versucht ihn zu überreden, ermuntert ihn, so dass er sich schließlich bereit erklärt, sich dem göttlichen Willen zu beugen, und die Hütte betritt. So findet Klytämnestra bei ihrer Ankunft nur Elektra vor, die ihr Vorwürfe macht. Hier entspinnt sich nun ein ähnlicher Agon wie bei Sophokles. Klytämnestra verteidigt sich, verweist auf die Opferung Iphigenies und Agamemnons Untreue und beklagt, dass Frauen nicht dieselben Rechte haben wie Männer. Sie brüstet sich nicht mit dem Mord an Agamemnon, steht aber dazu. Schließlich betritt sie die Hütte, Elektra folgt ihr. Man hört Klytämnestra rufen. Kurz darauf kommen Orest und Elektra aus der Hütte. Elektra nimmt die Tat auf sich, beide fühlen sich heimatlos und ratlos, rekapitulieren die Ermordung der Mutter noch einmal, als die Dioskuren als Dei ex machina über dem Giebel der Hütte erscheinen. Sie klären die Lage, bezeichnen Apollons Spruch als unweise, teilen Orest mit, er müsse tun, was Zeus und das Schicksal über ihn beschlossen hätten. Elektra wird mit Pylades verheiratet, Orest wird in Aussicht gestellt, dass er sich vor dem Blutgericht wird verantworten müssen, aber freigesprochen werden wird. Sie schließen damit, dass sie an anderer Stelle, im sizilischen Meer, gebraucht werden. Ein Hinweis, der immer wieder zur Datierung des Dramas herangezogen wird. Auch hier hat der Chor das letzte Wort.
Elektra und Orest sind hier Spielball eines völlig undurchsichtigen Götterwillens. Die Verlagerung des Ortes, der veränderte Familienstand Elektras, ihre anders gearteten Vorwürfe gegenüber Klytämnestra, die sich weniger auf den Mord an Agamemnon als auf die Vernachlässigung durch die Mutter richten, die entschlossen handelnde Elektra, die zur Mittäterin wird, der auffällig schwache und hilflose Orest machen dieses Drama sehr viel stärker zu einer Rachetragödie, als es die Fassung von Sophokles ist.
Eine kleine Synopse wesentlicher Merkmale soll die Orientierung erleichtern:
2 Aischylos: Die Tragödien und Fragmente. Übertragen von Johann Gustav Droysen. Durchgesehen und eingeleitet von Walter Nestle. Stuttgart 1957, S.275
3 https://www.projekt-gutenberg.org/sophokle/elektra/chap001.html
4 https://www.projekt-gutenberg.org/sophokle/elektra/chap003.html
5 Euripides Werke. Griechisch mit metrischer Übersetzung von J.A. Hartung. Achtes Bändchen: Elektra. Leipzig 1850, S. 103https://books.google.de/books?id=r3oyAQAAMAAJ&printsec=frontcover&dq=Euripides+Elektra+Hartung&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjb3IX5nfLpAhUOwsQBHQPTCaUQ6AEIJzAA#v=onepage&q=Euripides Elektra Hartung&f=false
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