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Epilog: Lena als Figur hermeneutischen Verstehens

Vor dem Hintergrund dieser Erzählanalyse macht es Sinn, die Hauptfigur Lena in Bezug zu den eingangs erwähnten Stationen der Hermeneutik zu setzen. Alle vier Ebenen – Christentum, Schleiermacher, Gadamer sowie Moderne – sind in Lenas Erzählweise rekonstruierbar.

Parallel zur christlichen Bibel-Auslegung lässt sich gerade der Streit zwischen Lena und Ulf Seitz zur Stuhl-Episode im Umfeld der Verhaftung des Vaters heranziehen, um die Themenfelder von „Dogmatik“ und „Zensur“ im Verstehensprozess zu konkretisieren: Wie sehr wird Verstehen behindert, wenn jemand behauptet, es habe sich so und nicht anders verhalten? Wie hinderlich ist ein Wahrheitsbegriff für den Verstehensprozess?

Schleiermachers historisierender Zugriff ist konstitutiv für fast alle Narrationen Lenas, insofern durchweg das Bemühen im Vordergrund steht, das gegenwärtige Leben der Protagonist*innen des Romans vor dem Hintergrund von Herkunft und Familienhistorie zu klären. Dabei verdeutlicht gerade die idealisierende Sicht auf Lenas Vaterfigur die Unmöglichkeit, dem hermeneutischen Zirkel der Gegenwartsgebundenheit von Erinnerung zu entkommen.

Gadamers philosophische Ethik bleibt wiederum eng verknüpft mit der existentiellen Suche der Protagonistin nach dem Kern unserer Existenz, dem „Schatten“ unseres Seins.

Und schließlich bietet die Literatur selbst einen breiten Horizont zusätzlicher Kontexte, in denen Erzähltes selbst wieder verstanden und neu gedeutet werden kann. Diese Ebene der Intertexutalität überschreitet das scheinbar Faktische und sorgt für neue Perspektiven, etwa diejenige der Außenseiterin Lena auf das Berlin der Gegenwart (parallel und doch ganz anders als Döblins „Franz Biberkopf“).

 

 

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