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Veremejs Europabild

Wenn ich Veremejs Protagonistin Lena solchermaßen zur Figur hermeneutischen Verstehens schlechthin deute, dann mündet diese Interpretation in das Europabild des Romans. Wie lässt sich Europa in der Narration Lenas verstehen? Es wird bezüglich des Vergangenen durchaus auch erfahrbar als das Europa der Schlachtfelder, von Not, Hunger, Armut und einer ungeheuren Diversität von Lebensbedingungen. Über die beiden Hauptfiguren verschwimmen aber die Perspektiven von Sieger und Besiegten, Russen und Deutschen, damit von Ost und West:

„[Ulf Seitz und ich] sind aber kein Paar, genauer gesagt, kein richtiges. Unsere Zweisamkeit lässt sich schwer einordnen, unsere Freundschaft hat vage Konturen, wie aufeinandergestapelte Dias: Samariterin und Verwundeter, Väter und Töchter, Deutscher und Russin, Siegerin und Besiegter – zwischen uns liegen Welten, Jahrzehnte, Flüsse, Gräben, Meilen, und die Seilbrücke über diesen Abgrund ist gespannt wie eine Saite, die seltsame und nur für uns wahrnehmbare Töne hervorbringt.“

Nellja Veremej, Berlin liegt im Osten. Berlin: Aufbau-Verlag, 2015. S. 146.
Veremejs Europabild ist gerade über die Erzählfigur Lena zutiefst human, damit grenzüberschreitend. Die „Seilbrücke über den Abgrund“ ist mehr als die Beziehung des ungleichen Paares. Sie lässt sich mit der Kraft verbindender Narration parallelisieren. Lena bringt das Interesse und die Kraft zum Verstehen mit, und das über Grenzen hinweg. Sie bewegt sich souverän auf der Ebene einer Weltliteratur, welche keine Grenzen kennt. Lena verkörpert als Erzählerin Ost wie West, Russland wie Deutschland. Es wundert nicht, wenn Nellja Veremej folgendes Bild als „Mein Europa“ betitelt [siehe Seite 14 dieses Handouts]: Ein Körper, der unverwundet ist, ohne Schlachtfelder und Grenzen. Eine Utopie – oder längst diskursive Wirklichkeit?

 

Bild von Karte

„Europa als Reichskönigin“ von Heinrich Büntin (Foto von Nellja Veremej)

 

Roman: Nellja Veremej: Herunterladen [pdf][1022 KB]

 

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