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These 3

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Die Fä­hig­keit, ko­gni­tiv ak­ti­vie­rend zu un­ter­rich­ten, hängt zu­sam­men mit fach­li­chem Wis­sen der Lehr­kräf­te, mit fach­di­dak­ti­schem Wis­sen und auch mit pro­fes­sio­nel­len Über­zeu­gun­gen.

Was ist damit ge­meint? Ich stüt­ze mich hier auf eine sehr wich­ti­ge Stu­die von Jür­gen Bau­mert u. a., die be­glei­tend zu PISA 2003 er­ar­bei­tet wurde. Un­ter­sucht wurde die päd­ago­gi­sche Kom­pe­tenz und das Wis­sen von Lehr­kräf­ten im Fach Ma­the­ma­tik. [6] PISA 2003 war, wie Sie
viel­leicht wis­sen, auch in Deutsch­land als Längs­schnit­t­un­ter­su­chung an­ge­legt. Letz­ten No­vem­ber wur­den die Er­geb­nis­se prä­sen­tiert. Lei­der wurde sie in der Pres­se nur re­zi­piert mit der Bot­schaft: Ein gro­ßer Pro­zent­satz der deut­schen Schü­ler lernt im 9. und 10. Schul­jahr nichts hinzu, was ers­tens als Aus­sa­ge so nicht halt­bar ist und zwei­tens auch nicht son­der­lich in­ter­es­sant ist. In­ter­es­sant sind Be­fun­de, wie sie in den be­glei­ten­den Stu­di­en er­ho­ben wur­den, und genau des­halb hat man über­haupt die Längs­schnitt­stu­die bei PISA ge­macht. Man woll­te nicht ir­gend­wie einen mitt­le­ren Leis­tungs­ge­winn be­schrei­ben, son­dern man hat die Stu­die durch­ge­führt, um er­klä­ren zu kön­nen, unter wel­chen Be­din­gun­gen man bes­se­re, po­si­ti­ve­re Lern­ent­wick­lung ver­zeich­net. Dazu hat man ins­be­son­de­re das fach­di­dak­ti­sche Wis­sen, das Fach­wis­sen von Lehr­kräf­ten als einen wich­ti­gen Prä­dik­tor für die Leis­tungs­ent­wick­lung der Klas­se un­ter­sucht.

In die­ser Stu­die haben die Kol­le­gen sich das ge­traut, was wir uns da­mals in un­se­rer Un­ter­su­chung nicht ge­traut haben: Sie haben näm­lich den Leh­rern 13 hand­fes­te Ma­the­ma­ti­ki­tems vor­ge­legt und sie die Lö­sung raten las­sen, z. B.: „Ist 2 1024 -1 eine Prim­zahl?“ Ich bin neu­lich selbst daran ge­schei­tert. Aber man kann die Auf­ga­be mit einem klei­nen Trick, mit ele­men­ta­rem Schul­wis­sen lösen.

Den Kern des fach­di­dak­ti­schen Wis­sens in der Stu­die von Bau­mert u. a. bil­det

1. das Wis­sen dar­über, wie ich etwas er­klä­re und re­prä­sen­tie­re. Wie re­prä­sen­tiert man Ma­the­ma­tik in ver­schie­de­nen For­ma­ten?

2. Wis­sen über Schü­ler­ko­gni­ti­on, d. h.: Was sind ty­pi­sche Miss­ver­ständ­nis­se von Schü­le­rin­nen und Schü­lern, und wie ent­wi­ckeln sich diese Miss­ver­ständ­nis­se? Wie kom­men Schü­ler von einem Fehl­ver­ständ­nis zu einem kor­rek­ten Wis­sen (con­cep­tio­nal chan­ge)? und

3. Wis­sen über Auf­ga­ben: Was sind ei­gent­lich gute Auf­ga­ben? Je­den­falls in der Ma­the­ma­tik ist das ein Kern­punkt, und die Kol­le­gen haben diese Frage fo­kus­siert auf mul­ti­ple Lös­bar­keit. Sie haben das Stel­len von Haus­auf­ga­ben, die meh­re­re Lö­sungs­mög­lich­kei­ten haben, als Bei­spiel ken­nen ge­lernt. Auch die Wert­schät­zung die­ser ver­schie­de­nen Lö­sungs­mög­lich­kei­ten ist em­pi­risch nach­weis­bar und ein wich­ti­ger In­di­ka­tor für ko­gni­ti­ve Ak­ti­vie­rung und des­halb ein wich­ti­ger Prä­dik­tor für Ver­ste­hens­leis­tun­gen von Schü­lern. Des­halb haben Bau­mert u. a. un­ter­sucht, ob Lehr­kräf­te über­haupt den Un­ter­schied ver­ste­hen zwi­schen einer Lö­sung und meh­re­ren Lö­sun­gen. Sie haben her­aus­ge­fun­den, dass ge­ra­de die ko­gni­ti­ve Ak­ti­vie­rung vom fach­di­dak­ti­schen Wis­sen ab­hängt.

Das ist kom­ple­men­tär zu un­se­rer Stu­die. Wir haben in Vi­deo­set­tings nach­ge­wie­sen, wie wich­tig eine fach­di­dak­tisch und fach­wis­sen­schaft­lich an­spruchs­vol­le Um­set­zung ist. Das haben Sie an dem Bei­spiel des Leh­rers D ge­se­hen. Die Stu­die von Bau­mert u. a. er­gänzt das, indem sie sagt: „Damit man so un­ter­rich­ten kann, braucht man fach­di­dak­ti­sches Wis­sen und Fach­wis­sen.“

Die Fol­ge­rung liegt nahe: Das muss man in der Leh­rer­bil­dung ler­nen. Dazu kom­men – das ist ein Er­geb­nis aus un­se­rer Stu­die, in der wir auch Leh­rer be­fragt haben – Über­zeu­gun­gen, etwa: Wie ver­ste­he ich Ma­the­ma­tik? Ist Ma­the­ma­tik ein Satz von all­zeit ge­ge­be­nen Aus­sa­gen, ewig gül­ti­gen Wahr­hei­ten, die ich nur stau­nend zur Kennt­nis neh­men muss und in mei­ner klei­nen Welt immer wie­der an­wen­den kann? Oder ist Ma­the­ma­tik ein Pro­zess, in dem sich Men­schen den­kend Wirk­lich­keit er­schlie­ßen, abs­trak­te For­men und Ge­gen­stän­de er­fin­den?

Ein sol­ches Ver­ständ­nis von Ma­the­ma­tik als Pro­zess er­leich­tert es, ko­gni­tiv ak­ti­vie­rend zu un­ter­rich­ten, weil man dann eine Idee davon hat, was ma­the­ma­ti­sches Den­ken ist und wie es ent­steht. Weil man nicht nur die Idee hat: Ich habe den Satz des Py­tha­go­ras a² + b² = c², und den wende ich in 50 Fäl­len an. Ich plä­die­re für Kon­struk­ti­vis­mus als Über­zeu­gung. Das heißt: Gehe ich davon aus, dass sich Schü­ler ihr Wis­sen selbst kon­stru­ie­ren oder wird das Wis­sen in sie hin­ein­ge­stopft? Habe ich über­haupt zum Ziel, die Schü­ler ko­gni­tiv zu ak­ti­vie­ren, oder – jetzt sage ich mal etwas Ge­fähr­li­ches – kommt es mir haupt­säch­lich dar­auf an, dass der Stan­dard ein­ge­hal­ten wird? Im po­si­ti­ven Fall ist der Stan­dard die ko­gni­ti­ve Ak­ti­vie­rung. Sehe ich mich über­haupt als Ver­ur­sa­cher des Pro­zes­ses? Bin ich über­haupt ver­ant­wort­lich oder ist es das El­tern­haus oder die Faul­heit der Schü­ler oder das Schul­buch oder wer auch immer? Wir haben ge­sagt, es gibt eine dy­na­mi­sche Sicht von Ma­the­ma­tik, von Ma­the­ma­tik­un­ter­richt, und diese dy­na­mi­sche Sicht hängt damit zu­sam­men, dass die Leute mit die­sen Über­zeu­gun­gen die Ma­the­ma­tik als Pro­zess sehen, sie gehen von Ler­nen als kon­struk­ti­vem Pro­zess aus, wol­len ak­ti­vie­rend un­ter­rich­ten und dafür die Ver­ant­wor­tung über­neh­men. Diese Lehr­kräf­te un­ter­rich­ten tat­säch­lich an­ders. In Ver­bin­dung mit der Un­ter­su­chung von Bau­mert u. a. kann man sagen, dass sie genau das ma­chen, was wir als ko­gni­ti­ve Ak­ti­vie­rung be­zeich­nen.

wei­ter

 

[6] Kun­ter, M./Dub­ber­ke, T. & Bau­mert, J. (2006). Ma­the­ma­tik­un­ter­richt in den PISA-Klas­sen 2004: Rah­men­be­din­gun­gen, For­men und Lehr-Lern­pro­zes­se. In: Deut­sches PISA-Kon­sor­ti­um: PISA 2003 (161-194). Müns­ter: Wax­mann; Brun­ner, M. u.a. (2006). Die pro­fes­sio­nel­le Kom­pe­tenz von Ma­the­ma­tik­lehr­kräf­ten: Kon­zep­tua­li­sie­rung, Er­fas­sung und Be­deu­tung für den Un­ter­richt. Eine Zwi­schen­bi­lanz des COAC­TIV-Pro­jekts. In: Pren­zel, M. & Al­lo­lio-Näcke, L. (Hg.) (2006). Un­ter­su­chun­gen zur Bil­dungs­qua­li­tät von Schu­le. Ab­schluss­be­richt des DFG-Schwer-punkt­pro­gramms, 54-82. Müns­ter: Wax­mann.