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Er­zähl­tem­po: Wie schnell läuft der ‚Film‘ der Er­zäh­lung ab?

  1. Er­zähl­zeit und er­zähl­te Zeit

    Um zu be­stim­men, wie schnell ein er­zähl­tes Ge­sche­hen in einer Er­zäh­lung wie­der­ge­ge­ben wird, hilft es, das Ver­hält­nis von Er­zähl­zeit zu er­zähl­ter Zeit gemäß fol­gen­dem Sche­ma10 zu be­stim­men:

    Beschreibung

    Be­son­ders auf­schluss­reich ist es, die VV 64-95a in die­ser Hin­sicht zu ana­ly­sie­ren:

    Be­stim­me mög­lichst genau, wie sich das Ver­hält­nis von Er­zähl­zeit zu er­zähl­ter Zeit in die­sen Ver­sen ver­än­dert.

    Zeige dabei auch, an wel­cher Stel­le der Er­zäh­ler selbst die­ses Ver­hält­nis kom­men­tiert und über­le­ge, was er damit be­ab­sich­ti­gen könn­te.

    Lö­sungs­hin­wei­se kur­siv
    • VV 64-65: Zeit de­ckend – Ac­taeon bleibt keine Zeit zum Über­le­gen, er wird so­fort von den Hun­den ent­deckt.
    • VV 66-83: Zeit deh­nend – die aus­führ­li­che Be­schrei­bung der ein­zel­nen Hunde ver­zö­gert als re­tar­die­ren­des Mo­ment (der Be­griff sollt hier von der LP ein­ge­führt wer­den) die Hand­lung und wirkt da­durch span­nungs­stei­gernd
    • In V 83a kom­men­tiert der Er­zäh­ler mit quosque re­fer­re mora est selbst iro­nisch die Ver­zö­ge­rung des Er­zähl­flus­ses und ver­lässt damit den fik­tio­na­len Rah­men der Er­zäh­lung – ggf. zu­sätz­li­che L-Info: Mit dem Hunde-Ka­ta­log und sei­nem Kom­men­tar par­odiert Ovid auf raf­fi­nier­te Weise das epi­sche Ele­ment des Hel­den­ka­ta­logs, wie man ihn von Homer oder auch aus der Aen­eis kennt.11
    • VV 83b-88: Zeit raf­fend – die Jagd durch die un­zu­gäng­li­che Berg­land­schaft wird nicht in allen Ein­zel­hei­ten ihrer Ab­fol­ge be­schrie­ben, son­dern sum­ma­risch ge­schil­dert. Der Ein­druck der Raf­fung wird durch den zu­sam­men­fas­sen­den Rück­blick in V 86 ver­stärkt.
    • VV 89-91: Zeit de­ckend – Der Ein­druck der Un­mit­tel­bar­keit des Ge­sche­hens wird durch den Tem­pus­wech­sel vom Im­per­fekt zum his­to­ri­schen Prä­sens und an­schlie­ßend zum Per­fekt ver­stärkt.
    • VV 92-93a: nicht­li­nea­rer Ein­schub und Rück­blick auf den Weg der schnells­ten Hunde im Plus­quam­per­fekt und Per­fekt
    • VV 93b-94: zeit­raf­fend – die Bisse der Hunde wer­den nicht im Ein­zel­nen ge­schil­dert, son­dern das Zu­bei­ßen wird sum­ma­risch im Prä­sens er­zählt und gip­felt in dem bru­tal wir­ken­den Fazit, dass kein Platz mehr für wei­te­re Wun­den blieb.
  2. VV 92-106: Tem­po­rei­cher Schnitt – der Tod des Ac­taeon

    Filme wir­ken be­son­ders schnell durch eine hohe Er­eig­nis­dich­te und durch die Span­nung der Hand­lung (z. B. Ver­fol­gungs­jagd mit zahl­rei­chen Orts­wech­seln im Ge­gen­satz zu einem ru­hi­gen Ge­spräch in einem Zim­mer), aber auch durch die Art der Ver­fil­mung: Vor allem ein häu­fi­ger Wech­sel der Ka­mer­a­per­spek­ti­ve und eine hohe Fre­quenz der Schnit­te füh­ren dazu, dass die Hand­lung be­schleu­nigt wahr­ge­nom­men wird; da­ge­gen er­zeugt eine lange Ka­me­ra­ein­stel­lung, in der bei­spiels­wei­se ein Raum oder Fi­gu­ren nach und nach ‚ab­ge­tas­tet‘ wer­den, eine Ver­lang­sa­mung.

    In einem Text kön­nen ähn­li­che Ef­fek­te er­reicht wer­den durch:

    • die Schil­de­rung einer mehr oder we­ni­ger dich­ten Er­eig­nis­fol­ge;
    • den be­wuss­ten Ein­satz ver­schie­de­ner Tem­po­ra (z. B. du­ra­ti­ves oder ite­ra­ti­ves Im­per­fekt, punk­tu­el­les Per­fekt);
    • die Ver­wen­dung tem­po­ra­ler ad­ver­bia­ler Be­stim­mun­gen (z. B. diu, su­bi­to …);
    • die Ver­schie­bung im Ver­hält­nis von er­zähl­ter Zeit und Er­zähl­zeit (s. In­fo­kas­ten oben).

    Beim Tod des Ac­taeon er­höht sich das Tempo der Er­zäh­lung ra­sant. Dies ge­schieht da­durch, dass der Leser das Ge­sche­hen durch die Augen der ein­zel­nen Be­tei­lig­ten sieht – und da­durch, dass der point of view/die Er­zähl­per­spek­ti­ve häu­fig wech­selt; bei einer Ver­fil­mung müss­te man ent­spre­chend viele Schnit­te zwi­schen den wech­seln­den Ka­me­ra­ein­stel­lun­gen set­zen.

    Mar­kie­re die ver­schie­de­nen Blick­rich­tun­gen im la­tei­ni­schen Text durch ver­schie­de­ne Far­ben:

    Beschreibung

10 Vgl. auf https://​leh​rerf​ortb​ildu​ng-​bw.​de/​u_​sprach­lit/​deutsch/​bs/​pro­jek­te/​epik/​der_​vor­le­ser/​spra­che/​index.​html den Down­load unter 4: Er­zähl­zeit und er­zähl­te Zeit.

11 Hier muss – wenn über­haupt – ein Hin­weis ge­nü­gen (vgl. Reitz 1998). – Eine ver­glei­chen­de Auf­ga­be (etwa mit einem der Hel­den­ka­ta­lo­ge in der Aen­eis) im Sinne einer in­ter­tex­tu­el­len und gat­tungs­spe­zi­fi­schen Fra­ge­stel­lung wäre gemäß dem Bil­dungs­plan dem Leis­tungs­fach vor­be­hal­ten: BP 3.​3.​2.​0 (10): Die SuS kön­nen „durch den Ver­gleich an­ti­ker Texte her­aus­ar­bei­ten, wie The­men, Mo­ti­ve und Gat­tungs­tra­di­tio­nen um­ge­setzt wer­den“.

 

Ac­taeon: Leh­rer­ma­te­ri­al: Her­un­ter­la­den [docx][328 KB]

Ac­taeon: Leh­rer­ma­te­ri­al: Her­un­ter­la­den [pdf][2 MB]

 

Wei­ter zu Ac­taeon – Der Film