2. Sequenz: Grenouilles Start in Seine Welt zwischen Fakten und Symbolik
Der Einstieg mit Hilfe der Bilder (vgl. AB 2) soll verdeutlichen, dass der Roman „Das Parfum“ mit Fakten arbeitet – Grenouilles Geburt auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofs Cimetière des Innocents hat neben der Beglaubigung der Geschichte durch eingebaute Fakten (v.a. zu den Orten) eine Symbolik, die das Leitmotiv Geruch (Gestank) mit dem Antagonismus der Motive Tod und Leben verbindet; gleichzeitig wirft der Name des Friedhofs die Frage nach der „Unschuld“ des Kindes Grenouille auf, das einerseits Opfer einer gleichgültigen Mutter, aber auch als seltsames, schon früh monströs wirkendes Wesen inszeniert wird.
Die Textarbeit (vgl. AB 3), die die Situation von Grenouilles Geburt inhaltlich und sprachlich analysiert, soll die detaillierte und anschauliche Beschreibung der Gerüche (u.a. durch Vergleiche, Aufzählungen, Verwendung vieler Attribute, S.5f.) sowie der Befindlichkeit von Grenouilles Mutter bei seiner Geburt zeigen (S.7). Der Kontrast zwischen der genauen Beschreibung von Ort und Geburtsvorgang und der kurzen, wenig anteilnehmenden „Entsorgung“ des Kindes sowie des Todes der Mutter ist hier ebenso wichtig wie die (ironisch wirkende) Darstellung der Mutter als jung und hübsch, aber völlig verlebt und krank. Diese Darstellung von Kontrasten und Widersprüchen wird als Kernelement weitergeführt, etwa in der Darstellung Grenouilles als Monster und als Genie. Dem drastisch beschriebenen Friedhof (S.6f.) kommt eine besondere Symbolik zu, da Grenouille von Anfang an hier zum Sterben bestimmt ist und folgerichtig am Schluss dort den Tod findet.
Die Kreisstruktur des Textes unterstellt somit eine Schicksalhaftigkeit, die in der zweiten Textanalyse, den Schluss betreffend, weitergeführt wird. Hierbei fällt auf, dass die Figuren, die Grenouilles Auflösung vollziehen, ebenso böse sind wie er, aber durch ihn, wider seinen Willen, Freude und Glück erfahren. Damit wendet sich die Motivik in die ironische Subversion, aber auch in die Spiegelung des Ortes als Symbol der Vergänglichkeit.
Der Einschub des Textvergleichs (Methodisches) soll den SuS erkennbar machen, dass ein fiktionaler Text anschauliche Ausschmückungen und symbolische Zusatzbedeutungen sowie eine narrative Struktur bzw. Handlung enthält, während sich faktuale Sachtexte auf die Darstellung von Fakten und Sachverhalten samt Nachweisen (siehe Fußnoten mit Quellen) sowie einen eher neutral-sachlichen Darstellungsstil beschränken. Fakten in fiktionalen Texten sind „Spolien“, die zur besseren Anschaulichkeit und Beglaubigung verwendet werden, aber auch zu einem Teil der erzählten Handlung und deren Symbolik gemacht werden.
Die Diskussion und Formulierung einer ersten Deutungshypothese soll den SuS helfen, eine Art „roter Faden“ für die weitere Textarbeit zu finden. Der Bezug zur Heldenreise soll dabei zeigen, dass Grenouille durch seine ihm feindliche Umgebung genügend Gründe hat, aufzubrechen, dass aber der Aufbruch und die Heldenreise nicht mit einer moralischen und persönlichen Reifung verbunden sein muss, den Grenouilles Haltung am Ende zeigt, dass er seinem Schicksal weder entgeht noch einen Reifungs- und Besserungsprozess im Sinne der klassischen Heldenreise durchlaufen hat. Der Ort (ehemaliger Friedhof) und der Akt der kannibalischen Selbstauflösung verstärkt die Symbolik des unausweichlichen Schicksals, allerdings zeigt Grenouilles Aufbruch zur Rückkehr (Kap.51, S.315ff., vgl. AB 4a-b)) auch dessen planvolle Entschlossenheit zum Selbstmord, so dass es sich nicht um ein unplanbares Schicksal im eigentlichen Sinne handeln kann. Dass Grenouille am Ende seiner Reise auf Seinesgleichen trifft, wirkt im Sinne der Symbolik unwahrscheinlich und konstruiert, aber konsequent.
Die Hausaufgabe bzw. Vertiefung soll diese Erkenntnisse weiterführen, indem anhand der Textstellen verdeutlicht wird, dass Grenouille als außergewöhnliche – und dadurch faszinierend neuartige – Figur inszeniert wird, die Teil einer uns fremden historischen Zeit ist, die die Fremdartigkeit der Figur scheinbar plausibel macht, indem sie z.B. auch andere ähnlich seltsame historisch verbürgte Zeitgenossen benennt (S.5). Grenouille als Kind seiner Zeit zeigt sich darin, dass auch die anderen Figuren ebenso egoistisch sind wie er, und das von Beginn an als Teil des historischen „Settings“ inszeniert wird.
Die intertextuellen Verweise der Schlussszene auf den Kannibalismus als eine Art magischen Akt der Kraftpotenzierung der Kannibalen und auf den (von Nietzsche weiter verarbeiteten) Dionysos-Mythos der Wiedergeburt durch kannibalische Auflösung sollen die parodistischen Verkehrung verdeutlichen: Grenouille gibt den anderen Figuren ohne es zu wollen, Glück, wird in den anderen Mördern gleichsam wiedergeboren, löst aber in ihnen wahrscheinlich keine dauerhafte Veränderung im Verhalten aus, da er selbst egoistisch und mörderisch ist.
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