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An­mer­kun­gen und Lö­sungs­hin­wei­se zu Ka­pi­tel 2 und 3

Die­ses Ka­pi­tel ver­netzt fol­gen­de Kom­pe­ten­zen mit­ein­an­der:

Pro­zess­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen

2. Schrei­ben

2.2. sich stan­dard­sprach­lich aus­drü­cken und den Un­ter­schied zwi­schen münd­li­chem und schrift­li­chem Sprach­ge­brauch sowie Merk­ma­le um­gangs­sprach­li­chen Spre­chens er­ken­nen und ziel­ge­rich­tet ein­set­zen (→ VI.2)

2.25. die for­ma­le und sprach­lich-sti­lis­ti­sche Ge­stal­tungs­wei­se von Tex­ten und deren Wir­kung an Bei­spie­len er­läu­tern (zum Bei­spiel sprach­li­che Bil­der deu­ten, Dia­lo­ge ana­ly­sie­ren)

2.26. die Er­geb­nis­se einer Text­ana­ly­se selbst­stän­dig fach­ge­recht und as­pek­t­ori­en­tiert dar­stel­len

In­halts­be­zo­ge­ne Kom­pe­ten­zen

3.​3.​1.​1

(11) sprach­li­che Ge­stal­tungs­mit­tel be­schrei­ben und auf ihre Funk­ti­on hin un­ter­su­chen

3.​3.​1.​2

(10) Sach- und Ge­brauchs­tex­te hin­sicht­lich der As­pek­te

[...]

– Spra­che (Sti­le­be­ne, sprach­li­che Mit­tel)

[...]

in ihrem Wir­kungs­ge­fü­ge ana­ly­sie­ren und dabei Un­ter­su­chungs­schwer­punk­te bil­den

3.​3.​2.​1

(4) die Struk­tur auch von kom­ple­xen Sät­zen und Satz­ge­fü­gen ana­ly­sie­ren, im Fel­der­mo­dell be­schrei­ben und die Ana­ly­se für ihr Ver­ständ­nis nut­zen

(8) Gleich- und Un­ter­ord­nung von Sät­zen un­ter­schei­den und dif­fe­ren­ziert in ihrer Funk­ti­on er­läu­tern (Pa­ra­ta­xe und Hy­po­ta­xe)

Leit­per­spek­ti­ven

Me­di­en­bil­dung (MB)

[...] Me­di­en­bil­dung be­deu­tet im Deutsch­un­ter­richt dar­über hin­aus immer auch, dass die Me­di­en und ihre spe­zi­fi­schen [...] äs­the­ti­schen Qua­li­tä­ten zu einem Ge­gen­stand des Un­ter­richts wer­den.

 

Von be­son­de­rem In­ter­es­se ist die Frage, wie weit und wie gut sich das to­po­lo­gi­sche Mo­dell für die funk­tio­na­le Ana­ly­se prag­ma­ti­scher und li­te­ra­ri­scher Texte an­wen­den lässt. Die Übun­gen der Ka­pi­tel 2 und 3 lie­fern Bei­spie­le für sol­che An­wen­dun­gen, und zwar ins­be­son­de­re sol­che, wo das to­po­lo­gi­sche Mo­dell ge­gen­über her­kömm­li­chen, an der la­tei­ni­schen Gram­ma­tik ori­en­tier­ten Mo­del­len aus Sicht d. Verf. Vor­tei­le mit Hin­blick auf seine heu­ris­ti­sche Funk­ti­on und auf die Dar­stell­bar­keit syn­tak­ti­scher Auf­fäl­lig­kei­ten hat.

Zu 4.2.1: Das be­han­del­te Phä­no­men wird in der Li­te­ra­tur als Aus­klam­me­rung, Ex­tra­po­si­ti­on oder Rechts­ver­set­zung be­zeich­net. Wäh­rend es in den Fremd­spra­chen E,F, Sp, It, die al­le­samt keine ‚Klam­mer­spra­chen‘ sind, bei kom­ple­xen Prä­di­ka­ten gar keine Al­ter­na­ti­ve zur Be­set­zung des ‚Nach­felds‘ gibt, exis­tiert im Deut­schen eine Ten­denz, schwe­re No­mi­n­alphra­sen (Wöll­stein 2010, S. 51, Aver­int­se­va-Klisch in Wöll­stein 2015, S.113u., S. 118 ) aus­zu­la­gern, um die se­man­ti­sche In­for­ma­ti­on des kom­ple­xen Prä­di­kats ko­hä­ren­ter zu ver­ge­ben (statt sie durch eine ge­spreiz­te Klam­mer aus­ein­an­der­zu­rei­ßen) oder aber das aus­ge­la­ger­te Ele­ment zu be­to­nen (vgl. Gran­zow-Emden 2014, S.77). „Schwe­re No­mi­n­alphra­sen“ sind dabei in aller Regel Prä­po­si­tio­nal­grup­pen – ad­ver­bia­le Be­stim­mun­gen eben­so wie Prä­po­si­tio­nal­at­t­ri­bu­te. Gerne ver­wen­det man die Ex­tra­po­si­ti­on im Deut­schen für das Zu­stands­pas­siv und bei Prä­di­ka­tiv-Kon­struk­tio­nen.

Die Stil­übun­gen kön­nen dazu ver­hel­fen, SuS für sol­che Phä­no­me­ne zu sen­si­bi­li­sie­ren, was sich auch auf die ei­ge­ne schrift­sprach­li­che Pro­duk­ti­on aus­wir­ken kann, sei es im Auf­satz oder in jour­na­lis­ti­schen Schreib­ver­su­chen.

3. Verf. schlägt Va­ri­an­te b als die ele­gan­tes­te Ver­si­on vor, da sie weder durch eine weit ge­spreiz­te Klam­mer die Ver­ständ­lich­keit be­ein­träch­tigt (Va­ri­an­te a) noch eine an sich un­nö­ti­ge Aus­klam­me­rung (Va­ri­an­te c) vor­nimmt. Al­ler­dings steht zu er­war­ten, dass Va­ri­an­te c sich im jour­na­lis­ti­schen, po­li­ti­schen und wis­sen­schafts­sprach­li­chen Dis­kurs als do­mi­nan­tes Pa­ra­dig­ma durch­set­zen wird (so­fern sie dies nicht schon getan hat).

Zu 4.2.2: Ein Kenn­zei­chen münd­li­cher Texte oder schrift­li­cher Texte mit be­ab­sich­tig­ter Af­fi­ni­tät zur Münd­lich­keit ist ein ge­wis­ses Maß an (not­wen­di­ger) Red­un­danz. In die­sem Zu­sam­men­hang ist syn­tak­tisch die Ten­denz zu be­ob­ach­ten, durch ana­pho­ri­sche De­mons­tra­ti­va („..., die sind…“ „..., da hat es…“) das Thema wie­der­auf­zu­grei­fen, was aber häu­fig we­ni­ger einem Be­dürf­nis nach Er­hö­hung der Text­ko­hä­renz als viel­mehr einem sti­lis­ti­schen Au­to­ma­tis­mus ge­schul­det zu sein scheint. So ist das Wie­der­auf­grei­fen des Sub­jekts bzw. der ad­ver­bia­len Be­stim­mung in den Bei­spie­len aus 1. na­tür­lich völ­lig über­flüs­sig, weil die Satz­glie­der denk­bar kurz sind und der Satz ohne Un­ter­bre­chung wei­ter­geht. An­ders ver­hält es sich im Bei­spiel 3. Hier könn­te man zu­min­dest beim Zu­hö­ren ‚den An­schluss ver­lie­ren‘.

Fel­der­gram­ma­tisch ist das Phä­no­men von In­ter­es­se, weil in der Regel im VF genau eine Er­gän­zung ste­hen kann (vgl. Gran­zow-Emden 2014, S.73, Wöll­stein 2010, S.54, Dür­scheid 2007, 101), durch das ana­pho­ri­sche De­mons­tra­tiv­pro­no­men aber ein zwei­tes Ele­ment dort auf­tritt (vgl. Wöll­stein 2010, S.54):

VF

LSK

MF

RSK

NF

Die Ak­ti­en­kur­se in Frank­furt

sind

na­tür­lich in den Kel­ler

ge­rutscht.

 

Die Ak­ti­en­kur­se in Frank­furt, die

sind

na­tür­lich in den Kel­ler

ge­rutscht

 

Man spricht hier von einer Links­ver­set­zung (LV) bzw. der Schaf­fung eines Vor-Vor­fel­des (VVF) (Wöll­stein 2010, S.54f., 69; vgl. hier­zu auch Aver­int­se­va-Klisch in Wöll­stein 2015, S.107ff.), so­fern das Pro­no­men die­sel­be Satz­glied­funk­ti­on (und bei Ak­tan­ten ent­spre­chend den­sel­ben Kasus) hat wie die No­mi­nal­grup­pe (vgl. Wöll­stein 2010, S.54). Das Feld LV/VVF soll­te nicht mit dem Au­ßen­feld ver­wech­selt wer­den (Wöll­stein 2010, S.69f.), al­ler­dings sind sol­che ter­mi­no­lo­gi­schen Un­ter­schei­dun­gen für die SuS nicht not­wen­dig. Wich­ti­ger ist es, dass diese fest­stel­len, „dass die Po­si­tio­nen vor dem fi­ni­ten (LSK) bzw. hin­ter dem in­fi­ni­ten Prä­di­kats­teil (RSK), die Satz­rän­der, im Deut­schen ein ge­wis­ses „Aus­klapp-Po­ten­zi­al“ haben“ (Aver­int­se­va-Klisch, S.122).

Zu 4.3.1.: Es han­delt sich hier um eine Text­lu­pe mit Fokus auf einem As­pekt, die nicht iso­liert ver­wen­det wer­den soll, son­dern z.B. im Rah­men einer Un­ter­richts­se­quenz zur Lyrik des Sturm und Drang ein­ge­setzt wer­den kann.

  • Es emp­fiehlt sich zu­nächst an­hand der W-Fra­gen und einer Be­stim­mung der Il­lo­ku­tio­nen (Sprech­ak­te) und der Ge­füh­le des ly­ri­schen Ich zu klä­ren, was in die­ser Hymne die in­ne­re und die äu­ße­re Hand­lung ist. Dabei fal­len mög­li­cher­wei­se von selbst schon ei­ni­ge der syn­tak­ti­schen Ano­ma­li­en auf.

  • Diese kön­nen in einem zwei­ten Schritt an­hand der fol­gen­den Fra­gen un­ter­sucht und funk­tio­nal ge­deu­tet wer­den, nach­dem zuvor die re­le­van­ten to­po­lo­gi­schen Re­geln aus Kl.5-8 wie­der­holt und die Er­geb­nis­se ge­si­chert wor­den sind.

  • In einem drit­ten Schritt wer­den dann Fi­gu­ren und Tro­pen in den Blick ge­nom­men und funk­tio­nal ge­deu­tet, indem sie auf den zuvor ge­klär­ten In­halt be­zo­gen wer­den.

Zu 4.3.1.1 (J. W. Goe­the: Ga­ny­med)1

1. je­mand je­man­dem etwas/je­man­den (S, Dat, Akk) → drei­wer­ti­ges Verb

2. In der Regel steht im VF genau eine Er­gän­zung (vgl. Gran­zow-Emden 2014, S.73, Wöll­stein 2010, S.54). Mehr­fach­be­set­zun­gen sind nur sel­ten mög­lich (Mor­gens am Früh­stücks­tisch teil­te er seine Ent­schei­dung mit. Dort end­lich gab er ihm den Brief), in Ver­bin­dung mit Ak­tan­ten gar un­g­ram­ma­tisch (*Ihm den Brief gab er. *Abends seine Ab­sicht teil­te er mit.) In Wen­dun­gen wie „Gegen 20 Uhr abends kam er...“ han­delt es sich um eine ad­ver­bia­le Be­stim­mung mit tem­po­ra­lem At­tri­but. Umso auf­fäl­li­ger sind sol­che mehr­fach be­setz­ten Vor­fel­der in der Lyrik.

3. Im NF ste­hen At­tri­but­sät­ze und an­de­re Ne­ben­sät­ze (auch entspr. In­fi­ni­tiv­grup­pen) sowie Ver­glei­che: Man hatte den Mann ge­fun­den, | der das Foto ge­macht hatte[NF]. Sie hatte be­foh­len, | dass man sie we­cken soll­te[NF]. Er hatte ver­sucht, sich zu er­in­nern. Ich habe viel öf­ters beim Ab­wa­schen ge­hol­fen | als du[NF].

4. Sub­jekt und Ob­jekt ste­hen im MF oder VF.

5.

VF

LSK

MF

RSK

NF

Ich

glau­be

nicht,

 

dass du Recht hast.

Ob­wohl … kam,

ver­lief

alles rei­bungs­los.

   

Zu 4.​3.​1.​2

1. Das Nach­feld er­füllt in der Li­te­ra­tur häu­fig die Funk­ti­on der Her­vor­he­bung (vgl. Gran­zow-Emden 2014, S.77), so auch hier in V.3. In V.9f. wird al­ler­dings we­ni­ger (oder nicht nur) der Arm be­tont, son­dern auch das Verb „fas­sen“, und zwar da­durch, dass nor­ma­ler­wei­se die ad­ver­bia­le Be­stim­mung im MF und damit noch vor der RSK ste­hen müss­te (...​in die­sem Arm fas­sen möch­te), durch ihre Ex­tra­po­si­ti­on ins NF aber das Prä­di­kat in den Vor­der­grund tritt.

2. Es han­delt sich um Wunsch­sät­ze wie „Wenn er doch nur käme“, „O dass er doch nie ge­kom­men wäre“ usw.

3./4. Drei Satz­glie­der im Vor­feld (zwei ad­ver­bia­le Be­stim­mun­gen [modal und lokal] und ein Ak­ku­sa­tiv­ob­jekt [sich]), was der Regel aus 3.1.1, Aufg. 2 zu­wi­der­läuft. Die im Vor­feld ver­ge­be­nen In­for­ma­tio­nen wer­den beim Lesen zu­erst auf­ge­nom­men und ent­spre­chen der Rei­hen­fol­ge, in der das lyr. Ich die Au­ßen­welt er­le­bend wahr­nimmt. Mög­li­che Deu­tung: Das Ge­fühl des Ge­liebt­seins und die Wahr­neh­mung der ei­ge­nen Er­re­gung (Herz) sind das, was sich zu­erst ein­stellt und die Suche nach dem Ur­he­ber (Du) an­stößt; damit haben sie in die­ser ich­be­zo­ge­nen Per­spek­ti­ve auch zu­nächst den Vor­rang vor dem Ur­he­ber („dei­ner“), der so­dann aber als Ziel­punkt durch die be­ton­te End­stel­lung und den mar­kan­ten Neo­lo­gis­mus („Schö­ne“) her­vor­ge­ho­ben wird.

5. Vor­übung: S. 3.​1.​1.​1. „Rufen“ kommt mit zwei ver­schie­de­nen Va­len­zen vor: je­mand ruft etwas oder je­man­den (Ak­ku­sa­tiv­ob­jekt) und je­mand ruft nach je­man­dem (Prä­po­si­tio­nal­ob­jekt), aber na­tür­lich nie­mals gleich­zei­tig mit Ak­ku­sa­tiv- und Prä­po­si­tio­nal­ob­jekt wie hier. Die Deu­tung, dass das ly­ri­sche Ich im ek­sta­ti­schen Zu­stand eines Ver­schmel­zungs­er­leb­nis­ses auch zwei Ge­dan­ken ver­schmel­zen lässt, liegt nahe.

6. Na­tür­lich blei­ben beide Satz­klam­mern frei, so­dass gar kein Satz ent­steht, was durch die to­po­lo­gi­sche Dar­stel­lung be­son­ders au­gen­fäl­lig wird. Mög­li­che Deu­tung: Rich­tung, Ziel und die Um­stän­de der Be­we­gung (um­fan­gend um­fan­gen) hal­ten das ly­ri­sche Ich so in ihrem Bann, dass die Art der Fort­be­we­gung (schwe­ben? flie­gen?) und damit die Frage nach der rea­len Um­setz­bar­keit die­ses Wun­ders völ­lig ir­re­le­vant wird.

Zu 4.3.2 (Georg Heym)2: Es han­delt sich hier um eine Un­ter­su­chung mit Fokus auf der funk­tio­na­len Deu­tung sprach­li­cher Mit­tel, die sinn­vol­ler­wei­se durch­ge­führt wird, nach­dem der In­halt, des­sen Aus­druck die sprach­li­chen Mit­tel schließ­lich die­nen, ge­klärt ist.

  • Es emp­fiehlt sich zu­nächst an­hand der W-Fra­gen das in­halt­li­che Ge­sche­hen des Ge­dichts zu klä­ren und fest­zu­stel­len, dass der Spre­cher, recht ty­pisch für die Epo­che, nicht ex­pli­zit in Form eines ly­ri­schen Ichs auf­taucht, son­dern als – auf den ers­ten Blick – dis­tan­ziert wir­ken­der Be­schrei­ben­der.

  • So­dann ist bei der Frage nach den Il­lo­ku­tio­nen (Sprech­ak­ten) dar­auf hin­zu­wei­sen, dass das ganze Ge­dicht nur die Il­lo­ku­tio­nen „be­schrei­ben“ und „ver­glei­chen“ ent­hält. Unter Ein­be­zie­hung der vier Sei­ten der sprach­li­chen Bot­schaft (bzw. der drei Sprach­funk­tio­nen nach Büh­ler) kann al­ler­dings ge­klärt wer­den, dass trotz Ab­we­sen­heit eines lyr. Ich in­di­rekt ein hohes Maß an „Selbstof­fen­ba­rung“ des Spre­chers statt­fin­det, näm­lich sei­ner As­so­zia­tio­nen, sei­nes Er­le­bens des Ge­wit­ters – so­wohl durch die Se­man­tik der Ver­glei­che (V.3, 7, 10) als auch durch die­je­ni­ge der Ad­jek­ti­ve und Sub­stan­ti­ve („Pracht“, „selt­sam“, „Trau­rig­keit“).

  • Fi­gu­ren und Tro­pen: So­dann soll­ten die As­so­zia­tio­nen, die durch die Bild­spen­der der Ver­glei­che / Per­so­ni­fi­ka­tio­nen her­vor­ge­ru­fen wer­den (Nacht, Tod, Maske, dro­hen usw.), eben­so ein­be­zo­gen wer­den wie die Wir­kung der auf­fäl­li­gen Klang­fi­gu­ren (z.B. in der 4. Stro­phe).

  • Nicht zu­letzt wird bei die­sem Ge­dicht eine syn­tak­ti­sche Ana­ly­se frucht­bar sein, die nach Maß­ga­be des Bil­dungs­plans mit Hilfe des to­po­lo­gi­schen Mo­dells er­fol­gen soll­te. Lö­sungs­vor­schlä­ge fin­den sich unten an­ge­ge­ben. Eine wei­te­re syn­tak­ti­sche Auf­fäl­lig­keit sind die vor­an­ge­stell­ten Ge­ni­ti­vat­tri­bu­te (V.11, 13, 16).

7.

KO

VF

LSK

MF

RSK

NF

 

Der Him­mel

wird

so schwarz,*

 

als würd es Nacht.

 

Der blei­che Schein der fer­nen Blit­ze

loht,

   

Wie Todes Aug aus gel­ber Maske droht.

 

Das Wet­ter

zieht

 

her­auf

in dunk­ler Pracht.

 

Die Raben

wir­beln

 

auf

wie schwar­zes Laub.

und

 

zieht

zur See

hin­aus

wie Wol­ken grau.

 

Im Wind und Regen

friert

der Ufer­wald

 

Wie in No­vem­berabends Trau­rig­keit.

* In der hier ge­wähl­ten Dar­stel­lungs­wei­se wird das Prä­di­ka­tiv im MF ana­ly­siert (vgl. z.B. Wöll­stein 2010). An­de­re Au­to­ren set­zen es in die RSK (vgl. z.B. Wein­reich 1993). Auch Gran­zow-Emden (2014) weist auf die Pro­ble­ma­tik der Zu­ord­nung zu einem der Fel­der hin (S.71).

Auf­fäl­lig ist die un­ge­wöhn­lich häu­fi­ge Be­set­zung des Nach­fel­des. Sie ist bis auf V.4 durch die vie­len Ver­glei­che zu er­klä­ren. Im Nach­feld ste­hen – wenn auch nicht aus­schließ­lich – durch­gän­gig zen­tra­le As­so­zia­tio­nen des Spre­chers, wel­che für die düs­te­re At­mo­sphä­re des Ge­dichts ver­ant­wort­lich sind. Durch ihre Aus­klam­me­rung wer­den sie au­to­ma­tisch be­tont (eine häu­fi­ge sti­list. Funk­ti­on in der Li­te­ra­tur [vgl. Gran­zow-Emden 2014, S.77]), was die at­mo­sphä­ri­sche Wir­kung na­tür­lich er­höht.

Eben­falls auf­fäl­lig: asyn­de­ti­sche Rei­hung (außer V.8) von V2-Sät­zen (asyn­de­tisch be­deu­tet im to­po­lo­gi­schen Mo­dell, dass das Ko­or­di­na­ti­ons­feld [KO] nicht be­setzt ist) mit Sub­jekt im Vor­feld; VE-Sätze le­dig­lich mit Ver­gleichs­funk­ti­on). Da­durch ent­steht der Ein­druck eines suk­zes­si­ven Pro­to­kolls von Ein­drü­cken ohne lo­gi­sche Ver­bin­dung.

8. Sub­jekt im Vor­feld außer in V.7, 14 und 15. Mög­li­che Deu­tung der Wir­kung – in V.14 be­son­ders deut­lich zu sehen – : Im Sinne des pro­to­kol­la­ri­schen Fest­hal­tens von Ein­drü­cken wird von Ein­druck zu Ein­druck ge­sprun­gen, wobei zu­nächst je­weils „ob­jek­tiv“ der kon­kre­te Ge­gen­stand ge­nannt und dann mit „sub­jek­ti­ven As­so­zia­tio­nen“ ver­knüpft wird. Im Falle der vor­an­ge­stell­ten adv. Be­stim­mun­gen (V.14f.) be­rei­tet Heym beim Leser das ei­gent­li­che Ge­sche­hen („Vor­der­grund“) vor, indem er zu­nächst den Hin­ter­grund (Strand, Wol­ken, Wind/Regen) ent­ste­hen lässt.

9.

V.10

VF

LSK

MF

RSK

NF

Ihr Fit­tich

ist

wie Frau­en­schul­tern rein.

   

statt:

VF

LSK

MF

RSK

NF

Ihr Fit­tich

ist

[so] rein (wie Frau­en­schul­tern)

  (wie Frau­en­schul­tern).

Wir­kung: Das Ad­jek­tiv „rein“ er­hält durch die End­stel­lung eine be­son­de­re Be­to­nung. Dies ist in Zu­sam­men­hang mit Aufg. 10. wich­tig. Heym er­reicht diese Her­vor­he­bung da­durch, dass er einen Ver­gleich ins Mit­tel­feld in­te­griert, statt ihn, wie man er­war­ten würde, ins Nach­feld aus­zu­la­gern (oder zu­min­dest ans Ende des MF zu stel­len; beide Dar­stel­lun­gen sind bei Per­fekt­pro­be mög­lich: ist so rein ge­we­sen wie F. / ist so rein wie F. ge­we­sen).

V.14

VVF

VF

LSK

MF

RSK

NF

Fern in den Wol­ken noch

der Don­ner

hallt

     

statt

 

Fern in den Wol­ken

hallt

noch der Don­ner

   

Sog. Links­ver­set­zung, d.h. das Vor­feld, in dem in der Regel nur ein Satz­glied steht (vgl. An­mer­kung zu 2.2), wird aus­ge­dehnt. Krea­ti­ve SuS könn­ten auch auf die Be­zeich­nung „VE-Satz mit lee­rer LSK“ kom­men, aber diese Kon­struk­ti­on exis­tiert ter­mi­no­lo­gisch nicht.

10. Die End­stel­lung der Ad­jek­ti­ve (rau, grau, rein, weiß) hebt diese na­tür­lich her­vor und un­ter­streicht da­durch den Kon­trast von Str. 2 zu 3 (vgl. auch die dunk­len / hel­len Di­phthon­ge der Reime). (End­stel­lung und Vo­kal­fär­bung gel­ten auch für die aus­drucks­star­ken Ver­ben in V.2-3.)

Zu 4.3.33: Das Ar­beits­blatt ver­steht sich als in­te­gra­ti­ve gram­ma­ti­sche Se­quenz bei der Be­hand­lung des Brief­ro­mans. Erst­mals in Kl. 9/10 wer­den im BP nun die Be­grif­fe „Hy­po­ta­xe“ und „Pa­ra­ta­xe“ ver­wen­det. Nach einer grif­fi­gen, für den Un­ter­richt sehr brauch­ba­ren De­fi­ni­ti­on von Gran­zow-Emden (2014, S.68) liegt Hy­po­ta­xe vor, so­bald ein Satz min­des­tens einen ab­hän­gi­gen Teil­satz ent­hält, Pa­ra­ta­xe hin­ge­gen bei Ab­fol­ge gleich­wer­ti­ger Sätze.

Brief vom 10. Mai

KO

AF

VF

LSK

MF

RSK

NF

Wenn*

das … um mich

dampft

und

[wenn]

die … Wal­des

ruht

und

[wenn]

nur …Hei­lig­tum

steh­len

[wenn]

ich …Bache

liege

und

[wenn]

näher … merk­wür­dig**

wer­den

wenn

ich … Her­zen

fühle

und

fühle

die …All­mäch­ti­gen,

der

uns…Bilde

schuf

das Wehen … All­lie­ben­den,

der

uns…

trägt und er­hält;

Mein Freund!

wenn

‘ s dann

däm­mert

und

[wenn]

die Welt … Seele

ruhn

wie…Ge­lieb­ten

dann

sehne

ich mich oft

* Die hier ge­wähl­te Dar­stel­lungs­wei­se un­ter­schei­det, wie bei den meis­ten Theo­re­ti­kern, Pro­no­mi­nal­satz (Ein­lei­tungs­wort im VF) und Sub­junk­tio­nal­satz (Ein­lei­tungs­wort in der LSK), statt bei­den ein kon­tra­hier­tes Ein­lei­tungs­feld (VF+LSK; vgl. Anm. zu 1.4) vor­an­zu­stel­len. Die letzt­ge­nann­te Dar­stel­lungs­wei­se ist aber na­tür­lich eben­so mög­lich.

** In der hier ge­wähl­ten Dar­stel­lungs­wei­se wird das Prä­di­ka­tiv im MF ana­ly­siert (vgl. z.B. Wöll­stein 2010). An­de­re Au­to­ren set­zen es in die RSK (vgl. z.B. Wein­reich 1993). Auch Gran­zow-Emden (2014) weist auf die Pro­ble­ma­tik der Zu­ord­nung zu einem der Fel­der hin (S.71).

Der be­rühm­te Wer­t­her-Satz ein­mal to­po­lo­gisch ge­fasst. Dies hat di­dak­tisch den Vor­teil, dass drei­er­lei op­tisch sehr au­gen­fäl­lig wird: Zu­nächst na­tür­lich der Par­al­le­lis­mus von VE-Sät­zen, so­dann aber auch der syn­tak­ti­sche Bruch in Z.5: Hier steht ein el­lip­ti­scher V2-Satz („und [ich] fühle die Ge­gen­wart des All­mäch­ti­gen“) statt eines zu er­war­ten­den VE-Sat­zes („und [wenn ich] die Ge­gen­wart … fühle“), die LSK ist nicht mehr durch eine Sub­junk­ti­on, son­dern durch ein Fi­ni­tum be­setzt. Schließ­lich der Fol­ge­satz als kor­rekt ge­bau­ter V2-Satz: Das VF ist durch ein Ad­verb be­setzt, die LSK durch das fi­ni­te Verb. Durch die lange, durch syn­tak­ti­schen Bruch ver­kom­pli­zier­te Hy­po­ta­xe hängt die­ser vom Leser er­war­te­te Fol­ge­satz in der Luft bzw. kann ein ko­hä­ren­ter Rück­be­zug von den ers­ten VE-Sät­zen zu ihm kaum noch her­ge­stellt wer­den.

Die­ses freie Flot­tie­ren von In­for­ma­ti­on (in den VE-Sät­zen) passt zum as­so­zia­ti­ven Duk­tus der Stel­le, es stellt ra­di­kal das sub­jek­ti­ve Er­le­ben des Sen­ders über das Ko­hä­renz­be­dürf­nis des Emp­fän­gers und die Gram­ma­ti­ka­li­tät des Satz­baus (syn­tak­ti­scher Bruch): Was sich Wer­t­hers Seele auf­drängt, muss zu­erst und in Gänze aus­ge­drückt wer­den, koste es auch die Ver­ständ­lich­keit einer über­schau­ba­ren Hy­po­ta­xe!

Brief vom 18. Au­gust

KO

VF

LSK

MF

RSK

NF

Wenn

ich sonst ...

über­schau­te

usw.

[Z.9] wie

faßte

ich … Herz

[wie]

fühl­te

[ich] mich ... ver­göt­tert

und

die … Welt

be­weg­ten

sich … Seele.

Un­ge­heu­re Berge

um­ga­ben

mich

Ab­grün­de

lagen

vor mir

und

Wet­ter­bä­che

stürz­ten

her­un­ter

die Flüs­se

ström­ten

unter mir

und

Wald und Ge­bir­ge

er­klang;

Deut­lich wird durch die to­po­lo­gi­sche Dar­stel­lung der Kon­trast zwi­schen dem as­so­zia­ti­ven Schwei­fen der VE-Sätze bis Z.10 und der prä­gnan­ten Auf­zäh­lung in par­al­lel ge­bau­ten, pa­rat­ak­ti­schen, teil­wei­se asyn­de­tisch ge­reih­ten kur­zen V2-Sät­zen ab Z.11 (Un­ge­heu­re…). Der Über­gang zwi­schen bei­den voll­zieht sich flie­ßend: Auf einen ers­ten V2-Aus­ru­fe­satz (Wie faßte…) folgt ein wei­te­rer, al­ler­dings durch El­lip­se gram­ma­ti­scher Aus­ru­fe­zei­chen (das Sub­jekt fehlt), bevor das Ge­fü­ge mit einem syn­de­tisch an­ge­schlos­se­nen V2-Aus­sa­ge­satz mit Sub­jekt im VF endet, also dem syn­tak­ti­schen Mo­dell, das die fol­gen­de Pa­ra­ta­xe (Un­ge­heu­re Berge…) prägt. Mög­li­che funk­tio­na­le Deu­tung: Die oben er­wähn­te Pa­ra­ta­xe tritt bei der ‚ob­jek­ti­ven‘ Be­schrei­bung der Au­ßen­welt auf, bei der kein Bezug mehr zum „Her­zen“ her­ge­stellt wird.

Zu 4.3.44: Das Ar­beits­blatt ver­steht sich als in­te­gra­ti­ve gram­ma­ti­sche Se­quenz bei der Be­hand­lung der No­vel­le.

Hö­he­punkt der No­vel­le

1. / 2. Die ge­wähl­te Dar­stel­lung in einer Zeile ist di­dak­tisch sinn­voll, weil sie die Auf­fäl­lig­kei­ten deut­li­cher macht:

KO

VF

LSK

MF

RSK

NF

und

(1) knur­rend und bel­lend,

(2) grad als ob … käme,

(3) rück­wärts gegen den Ofen

weicht

er

aus.

 

Das Vor­feld ist in die­sem Satz­ge­fü­ge völ­lig über­la­den. 2. Es ste­hen dort lau­ter ad­ver­bia­le Be­stim­mun­gen, die sich auf die Art und Weise des Ge­sche­hens be­zie­hen (Par­ti­zi­pi­en, Ver­gleichs­satz, lo­ka­le ad­ver­bia­le Be­stim­mung). Sol­che adv. Best. sind nor­ma­ler­wei­se im MF plat­ziert (an­ders als etwa tem­po­ra­le adv. Best.) und rut­schen nur zur Her­vor­he­bung ins VF. 3. Der Satz­bau wird da­durch un­g­ram­ma­tisch: Die klas­si­sche V2-Kon­struk­ti­on mit adv. Best. im VF würde er­for­dern, nach dem ers­ten Ad­ver­bi­al un­mit­tel­bar das Fi­ni­tum an­zu­schlie­ßen (vgl. Aufg. 2): Knur­rend und bel­lend weicht er rück­wärts … aus, ge­ra­de so, als ob…

Wir­kung: Was dem wahr­neh­men­den per­so­na­len Er­zäh­ler ins Auge springt oder as­so­zia­tiv in den Kopf kommt, wird „un­ver­traut“ und un­ge­ord­net in der­sel­ben li­nea­ren Ab­fol­ge re­pro­du­ziert, was beim iden­ti­fi­ka­to­ri­schen Lesen ma­xi­ma­le Un­mit­tel­bar­keit er­zeugt. Die Ele­men­te im VF er­hal­ten damit glei­ches Ge­wicht wie das ei­gent­li­che ‚Haupt­ge­sche­hen‘ des Aus­wei­chens.

3. Die Dar­stel­lungs­wei­se in der Fel­der­ta­bel­le ist di­dak­tisch Ge­winn brin­gend, um den Zu­sam­men­hang von Form und In­halt dar­zu­stel­len: In be­kann­ter Kleist‘scher Ma­nier rückt das dra­ma­ti­sche Haupt­ge­sche­hen um den Mar­che­se („wäh­rend der … durch­haut“) im Satz­ge­fü­ge in die Ne­ben­sät­ze, wäh­rend die dem­ge­gen­über se­kun­dä­re Hand­lung der Mar­qui­se die­ses Ge­sche­hen in Haupt­sät­zen flan­kiert. Somit wird der töd­li­che Wahn­sinn des Mar­che­se syn­tak­tisch von der ‚ge­sun­den‘, le­bens­ret­ten­den Flucht­hand­lung der Mar­qui­se ge­trennt, und Letz­te­re bil­det gleich­sam einen fes­ten, Halt ge­ben­den Rah­men um das töd­lich-ver­wirr­te Ge­sche­hen der VE-Sätze.

KO

VF

LSK

MF

RSK

 
 

Bei … An­blick

stürzt

die Mar­qui­se … Zim­mer

   

und

 

wäh­rend

der Mar­che­se … „Wer da?“

ruft

 

und

 

da

ihm …

ant­wor­tet

 
   

gleich … Luft

durch­haut

 
   

lässt

sie

an­span­nen, ...

 

 

1 Die hier ent­lehn­ten Zi­ta­te be­zie­hen sich auf: J.W. Goe­the: Pro­me­theus. In: K. O. Con­ra­dy (Hg.): Das große deut­sche Ge­dicht­buch. Li­zenz­aus­ga­be 1997 für die Wis­sen­schaft­li­che Buch­ge­sell­schaft. 5. Aufl. Zü­rich/Düs­sel­dorf (Ar­te­mis & Wink­ler Ver­lag) 1997, S.145.

2 Be­zugs­text und Quel­le der hier ent­lehn­ten Zi­ta­te: Georg Heym (1887 – 1912): Der Him­mel wird so schwarz ...

3 Be­zugs­text und Quel­le aller hier ent­lehn­ten Zi­ta­te: http://​www.​zeno.​org/​Li­te­ra­tur/​M/​Goe­the,+Jo­hann+Wolf­gang/Ro­ma­ne/Die+Lei­den+des+jun­gen+Wer­t­her/Ers­tes+Buch, letz­ter Auf­ruf: 21.3.2018

 

Fach­di­dak­ti­sche An­mer­kun­gen und Lö­sungs­hin­wei­se: Her­un­ter­la­den [docx][46 KB]

Fach­di­dak­ti­sche An­mer­kun­gen und Lö­sungs­hin­wei­se: Her­un­ter­la­den [odt][63 KB]

 

Wei­ter zu Li­te­ra­tur