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4. Se­quenz: Gre­nouil­les Be­wäh­rungs­pro­ben und „Be­loh­nun­gen“ - äs­the­ti­sche In­sze­nie­rung in Roman und Film

Der Bezug zur Haus­auf­ga­be soll den SuS sicht­bar ma­chen, dass ein Er­lö­sungs­weg mit einer „Hel­den­fi­gur“ wie Gre­nouil­le eher aus­ge­schlos­sen ist, weil sie Ein­sicht und Än­de­rungs­wil­len vor­aus­setzt. Ge­ne­rell soll aber er­kenn­bar sein, dass die Hel­den­rei­se ge­ne­rell Va­ri­an­ten, also Plot-Twists und brü­chi­ge Hel­den­fi­gu­ren, zu­lässt. Dass Gre­nouil­le ein po­ten­zi­el­les „Happy End“ un­ter­läuft, stellt eine Be­son­der­heit und Ab­wei­chung von den gän­gi­gen Er­war­tun­gen dar, die den Reiz des Ro­mans aus­ma­chen.

Die Leit­fra­ge, wie ein Mons­ter als Prot­ago­nist, also „Held“ in­sze­niert wer­den kann, führt in die­ser Un­ter­richts­se­quenz zur me­tho­di­schen Ana­ly­se der In­sze­nie­rungs- und Ge­stal­tungs­tech­ni­ken, also auch zur Frage nach der äs­the­ti­schen Mach­art von fik­tio­na­len Wel­ten in Li­te­ra­tur und Film.

Daher wer­den v.a. mit den Film­sze­nen „Im Gar­ten des Wai­sen­hau­ses“, „Mord am Mi­ra­bel­len­mäd­chen“, „Plomb du Can­tal“ und „Hin­rich­tung/ Orgie in Gras­se“ film­tech­ni­sche Ele­men­te der In­sze­nie­rung im Ver­gleich mit dem Text er­mög­licht, wie es der Bil­dungs­plan vor­sieht.

„Im Gar­ten des Wai­sen­hau­ses“:

Die Film­ana­ly­se der Szene „Im Gar­ten des Wai­sen­hau­ses“ (vgl. AB 8) ver­deut­licht den SuS die Fo­kus­sie­rung auf das Ge­ruchs­mo­tiv durch die Fo­kus­sie­rung auf die Nase sowie auf die Ge­gen­stän­de, die Gre­nouil­le riecht. Es wird – v.a. durch Schwenks der Ka­me­ra und Nah­auf­nah­men – er­kenn­bar, dass Gre­nouil­le selbst kleins­te und ent­fern­tes­te Ge­gen­stän­de er­fas­sen kann. Gleich­zei­tig wird die zu­sätz­li­che Di­men­si­on von Ge­räu­schen und Musik er­kenn­bar, die At­mo­sphä­re er­zeugt und die olfak­to­ri­sche Kom­po­nen­te er­set­zen soll. Die Er­zäh­ler­stim­me aus dem Off hält uns über die ver­schie­de­nen Hand­lun­gen und deren Be­wer­tung auf dem Lau­fen­den, ist also auk­to­ria­ler Kom­men­ta­tor und Er­zäh­ler der Hand­lung zu­gleich, wäh­rend Gre­nouil­le als schwei­gen­de Figur in­sze­niert wird (laut Roman kann er so­wie­so kaum reden).

Die Text­ana­ly­se der­sel­ben Stel­le zeigt, dass Gre­nouil­les Ent­wick­lung au­ßer­ge­wöhn­lich ab­läuft, da er in­tel­lek­tu­ell und sprach­lich wenig Fort­schrit­te macht, dafür aber seine Um­ge­bung zu­neh­mend um­fas­send mit sei­ner Nase er­fas­sen und auf­schlüs­seln kann. Die For­mu­lie­run­gen, na­ment­lich die Ver­glei­che und At­tri­bu­te auf S.32-34 sowie die wer­ten­de Be­schrei­bung der Hand­lun­gen Gre­nouil­les durch den auk­to­ria­len, aber fi­gu­ren­na­hen Er­zäh­ler zei­gen, dass Gre­nouil­le an­ders­ar­tig, weil er de­tail­liert alles über die Nase wahr­nimmt (der per­so­na­le Er­zäh­ler kommt hier nur zeit­wei­lig zum Vor­schein, z.B. S.32f.).

Die Aus­wer­tung der Text­ar­beit soll nach­wei­sen, dass Gre­nouil­le nach üb­li­chen Maß­stä­ben ein zu­rück­ge­blie­be­nes Kind ist, das kaum spre­chen kann, gleich­zei­tig au­ßer­ge­wöhn­li­che Fer­tig­kei­ten ent­wi­ckelt, z.B. das ver­steck­te Geld von Ma­dame Gail­lard zu rie­chen, die wun­der­bar bzw. pro­phe­tisch auf die an­de­ren Fi­gu­ren wir­ken. Diese wer­den auch sprach­lich durch au­ßer­ge­wöhn­li­che For­mu­lie­run­gen (siehe Text­ar­beit) her­vor­ge­ho­ben und durch den auk­to­ria­len Er­zäh­ler be­wer­tet.

Die Ana­ly­se der wei­te­ren Film­se­quen­zen (siehe Leit­fra­gen für die Aus­wer­tung und Dis­kus­si­on) ver­deut­licht, dass das Leit­mo­tiv des Ge­ruchs bzw. Rie­chens den Film durch­zieht und mit be­reits er­kann­ten Mit­teln, v.a. aber durch mu­si­ka­li­sche Leit­mo­ti­ve ver­tieft wird. Gre­nouil­les kurze Re­de­bei­trä­ge zei­gen zwar eine Ent­wick­lung, sind je­doch wenig hand­lungs­lei­tend – der Stim­me des Er­zäh­lers aus dem Off kommt als Len­ker der Hand­lung eine grö­ße­re Rolle zu, zumal er die Ent­wick­lung Gre­nouil­les als Ge­ruchs­ge­nie ver­deut­licht.

Die Hin­füh­rung und die Auf­ga­ben­stel­lung der Haus­auf­ga­be soll die SuS dar­auf len­ken, dass Gre­nouil­le nicht nur ein Duft­ge­nie ohne Ei­gen­ge­ruch ist, also eine Ab­wei­chung von der Nor­ma­li­tät, son­dern auch un­wahr­schein­lich viele Wid­rig­kei­ten und Krank­hei­ten über­lebt, bis hin zur ge­ziel­ten Krank­heit und Hei­lung im Hause Bal­di­nis, um die­sem die letz­ten Ge­heim­nis­se ab­zu­trot­zen, und dem jah­re­lan­gen Über­le­ben in einer Höhle. Durch die De­fi­ni­ti­on der „Phan­tas­tik“ soll den SuS deut­lich wer­den, dass Gre­nouil­les Dar­stel­lung nicht mehr rea­lis­tisch ist, son­dern deut­lich ins Wun­der­ba­re über­geht. Auch die Folge der Tode, die Gre­nouil­les je­wei­li­ger Weg­gang aus­löst, er­füllt als „pan-de­ter­mi­nis­ti­sche“ Er­eig­nis­ket­te die Vor­aus­set­zun­gen für Phan­tas­tik/Wun­der­ba­res. Seine rea­lis­tisch dar­ge­stell­te Um­welt ak­zep­tiert das Wun­der­ba­re, ohne es zu hin­ter­fra­gen, wird damit vom Wun­der­ba­ren „in­fi­ziert“ (vgl. dazu die Zu­satz­in­for­ma­ti­on 6 samt Hin­weis zu „Das Par­fum“ als „ma­gi­scher Rea­lis­mus“ und AB 9d).

Die „Hel­fer­fi­gu­ren“ sind zudem zu­meist mo­ti­viert durch ego­is­ti­sche Prin­zi­pi­en der Aus­beu­tung (vgl. AB 7b; Geld ver­die­nen, Ar­beits­kraft und Kön­nen aus­beu­ten), aber Gre­nouil­le wird zu­neh­mend ma­ni­pu­la­tiv, indem er von Bal­di­ni und dem Mar­quis sowie Ma­dame Ar­nul­fi und ihrem Ge­sel­len Wis­sen und an­de­re Fer­tig­kei­ten er­wirbt. Ri­chis ist hier teil­wei­se eine Aus­nah­me, weil er ana­ly­ti­sche Ei­gen­schaf­ten sowie Hand­lungs­wei­sen eines Ge­gen­spie­lers ent­wi­ckelt, den­noch lässt auch er sich von Gre­nouil­le ma­ni­pu­lie­ren (vor­zugs­wei­se durch den Ein­fluss des per­fek­ten Par­füms).

Die frei­wil­li­ge Zu­satz­aus­ga­be soll in­ter­es­sier­ten SuS er­mög­li­chen, den Ver­gleich mit an­de­ren Fi­gu­ren, wie z.B. Fran­ken­stein, zu zie­hen, um zu zei­gen, dass Gre­nouil­le hier als eine Art „Ma­gi­er“ in­sze­niert wird und ähn­li­che Fer­tig­kei­ten er­wirbt, auch wenn er nicht der in­tel­lek­tu­el­le Wis­sen­schaft­ler ist.

Gre­nouil­les Morde:

Durch die Aus­wer­tung der Haus­auf­ga­be sind den SuS Gre­nouil­les „wun­der­ba­re“ Ei­gen­schaf­ten ver­traut, die ihn als ver­kann­tes Genie und Au­ßen­sei­ter glei­cher­ma­ßen in­sze­nie­ren, der zudem eine Spur von Lei­chen hin­ter sich lässt, auch ohne Hand an­zu­le­gen. Daher ist die Leit­fra­ge nach der In­sze­nie­rung eines Mons­ters sinn­voll wei­ter­zu­füh­ren.

Die Film­se­quenz „Mord am Mi­ra­bel­len­mäd­chen“ (vgl. AB 8) zeigt Gre­nouil­le als je­man­den, der von sei­ner Nase ge­lei­tet wird wie ein Hund. Der Film führt hier die be­kann­ten Tech­ni­ken der Ka­me­ra­füh­rung (Fokus auf die Nase als Leit­mo­tiv) und Mu­sik­mo­ti­vik wei­ter. Der Tod des Mi­ra­bel­len­mäd­chens wird in­sze­niert als ge­ruch­li­che Über­wäl­ti­gung Gre­nouil­les, die zum „Un­fall“ führt, da das Mäd­chen er­stickt, als er sie am Schrei­en und der Ge­gen­wehr hin­dern will.

Die Text­ana­ly­se (vgl. AB 9a-e) zeigt hin­ge­gen, dass Gre­nouil­le nicht nur aktiv der Ge­ruchs­spur folgt, son­dern auch aktiv das Mäd­chen er­würgt, um bes­ser ihre Ge­rü­che sam­meln zu kön­nen (vgl. S.56). Er wird hier dar­ge­stellt in fi­gu­ren­na­her Dar­stel­lung, die weit­ge­hend die per­so­na­le Per­spek­ti­ve ein­nimmt, so­bald Gre­nouil­le der Ge­ruchs­spur folgt – erst nach dem Mord kommt zeit­wei­lig der auk­to­ria­le Er­zäh­ler zum Vor­schein, wäh­rend Gre­nouil­les Auf­ar­bei­tung des Mor­des in sei­nem Schlaf-Ver­schlag wie­der vor­wie­gend per­so­nal dar­ge­stellt wird.

Die an­schlie­ßen­den Fra­gen und der Zu­satz­text zu „Man­trai­ling“ sol­len ver­deut­li­chen, dass Gre­nouil­le eher tie­risch-in­stink­tiv agiert, weder gut sieht noch sehr viel hört, vor allem nicht denkt, was durch das vor­wie­gend per­so­na­le Er­zäh­len nach­voll­zieh­bar ge­macht wer­den soll.

Der auk­to­ria­le Er­zäh­ler tritt v.a. als Zu­sam­men­fas­sung der Hand­lung und des­sen, was Gre­nouil­le nicht wahr­neh­men kann, in Ak­ti­on sowie in den an­ge­deu­te­ten Be­wer­tun­gen am Schluss des Ka­pi­tels.

Die Dis­kus­si­on zwi­schen den SuS soll wei­ter ver­deut­li­chen, dass Gre­nouil­le nun eine Art „Pro­gramm“ ent­wi­ckelt, das dazu führt, dass er auf­bricht und sich aktiv einen „Men­tor“ in Bal­di­ni sucht. Der per­fek­te Duft und das Duft­sys­tem ist eine Art „Er­kennt­nis­fort­schritt“ und er­in­nert an das „Idea­le“ an dem sich die klas­si­schen Hel­den ori­en­tie­ren, al­ler­dings ist Gre­nouil­les Weg völ­lig ei­gen­süch­tig.

Die ge­mein­sa­me Aus­wer­tung soll ver­deut­li­chen, dass ge­ra­de Gre­nouil­les Kalt­blü­tig­keit und Ego­is­mus im Roman ihn zum Mons­ter macht, wäh­rend der Film genau diese Ele­men­te ver­mei­det. Den­noch macht die per­so­na­le Per­spek­ti­ve und In­nen­sicht im Roman das Mons­ter Gre­nouil­le nach­voll­zieh­bar, ohne dass man sich mit die­ser Figur iden­ti­fi­ziert, wäh­rend der Film eher An­sät­ze zur Psy­cho­lo­gi­sie­rung und ggf. zur Em­pa­thie zeigt. Das Duft­mo­tiv ist im Film wie im Roman zen­tral, wobei der Film mit der Musik zu­sätz­li­che Tech­ni­ken auf­weist. Die Stim­me aus dem Off ent­spricht im We­sent­li­chen dem auk­to­ria­len Er­zäh­ler. Die­ser ist je­doch par­tei­isch, da er v.a. Gre­nouil­le als Pa­ra­sit und Mons­ter ent­larvt, sich aber bei den an­de­ren Fi­gu­ren, die kaum bes­ser sind, zu­rück­hält, die ja Teil der aso­zia­len, lieb­lo­sen So­zia­li­sa­ti­on Gre­nouil­les sind – die­ser lernt nie Liebe und Moral ken­nen, will sie dann auch nicht ken­nen­ler­nen. Er bleibt un­ver­stan­de­nes Genie und un­ver­ständ­li­cher Au­ßen­sei­ter.

Der Bezug zur Haus­auf­ga­be der vor­an­ge­gan­ge­nen Stun­de soll noch­mals ver­tie­fen, dass Gre­nouil­le dem li­te­ra­ri­schen Motiv des Al­chi­mis­ten und Ma­gi­er ent­spricht, al­ler­dings in der Va­ri­an­te des ge­nia­len Mons­ters, das wun­der­ba­re Ele­men­te um­fasst.

Die neue Haus­auf­ga­be un­ter­sucht Gre­nouil­les fach­kun­di­ges, emo­ti­ons­lo­ses Vor­ge­hen beim Mord an Laure, die er als Be­loh­nung auf­fasst, weil er damit die ent­schei­den­de Kopf­no­te sei­nes per­fek­ten Par­fums ge­winnt und seine Ver­gan­gen­heit über­win­det (vgl. S.276-280). Das per­so­na­le Er­zäh­len er­mög­licht die Nach­voll­zieh­bar­keit von Gre­nouil­les Vor­ge­hens­wei­se, aber auch seine un­mo­ra­li­sche Hal­tung als An­ti­held.

Ex­kurs: Rea­lis­ti­sches und Wun­der­ba­res – „Der Schim­mel­rei­ter“ in ex­em­pla­ri­schen Aus­zü­gen:

Der Ex­kurs zu „Der Schim­mel­rei­ter“ soll den SuS trans­pa­rent ma­chen, dass das Wun­der­ba­re auch Teil eines rea­lis­ti­schen Ro­mans sein kann, dort aber auch rea­lis­tisch, z.B. als Aber­glau­be der an­de­ren Fi­gu­ren, also als deren sub­jek­ti­ve Sicht­wei­se, auf­ge­löst wird. Im Falle von „Der Schim­mel­rei­ter“ spielt der se­ri­ös und auf­ge­klärt wir­ken­de Er­zäh­ler in der Rah­men­hand­lung eine wich­ti­ge Rolle, die Ge­scheh­nis­se rea­lis­tisch zu deu­ten. Gre­nouil­le wirkt im Ver­gleich zu Hauke Haien we­ni­ger rea­lis­tisch, weil er viel mehr wun­der­ba­re Ele­men­te in sich ver­ei­nigt, aber da er als Genie einer an­de­ren Epo­che den­noch nach­voll­zieh­bar bleibt (hier­zu AB 9d ver­wend­bar).

Plomb du Can­tal:

Gre­nouil­les Da­sein in der Höhle auf dem Plomb Can­tal wird als eine Art „Selbst­fin­dung“ in­sze­niert, was bei der Hel­den­rei­se dem Weg des Hel­den zum Kampf mit dem Geg­ner bzw. dem „Vor­drin­gen in die tiefs­te Höhle“ und der „ent­schei­den­de Prü­fung“ ent­spricht. Gre­nouil­les Rin­gen und „Ver­pup­pung“ wird mit Nah­auf­nah­men und kom­men­tie­ren­dem Er­zäh­ler dar­ge­stellt, da nicht wie im Roman die In­nen­sicht dar­ge­stellt wer­den kann.

Die Text­ana­ly­se (siehe Leit­fra­gen und Im­pul­se zur Aus­wer­tung sowie die Ein­bin­dung der Haus­auf­ga­be; vgl. dazu AB 10)) er­mög­licht die – be­reits be­kann­te Ana­ly­se – in­ter­tex­tu­el­ler Be­zü­ge, etwa zur Bibel und zu Goe­thes „Pro­me­theus“. Gleich­zei­tig sol­len die SuS er­ken­nen, dass Pla­tons Höh­len­gleich­nis par­odiert wird, denn Gre­nouil­le macht kei­nen Weg zur mo­ra­li­schen oder in­tel­lek­tu­el­len Er­kennt­nis durch und bleibt geis­tig in der Höhle, sti­li­siert sich je­doch selbst in einer ex­tre­men, par­odis­tisch wir­ken­den pa­the­ti­schen Hy­bris als Über­mensch im Sinne Nietz­sches bzw. als re­li­gi­ös sti­li­sier­ten Mes­sias. Die Sta­ti­on der „Prü­fung“ wird eben­falls iro­nisch und par­odis­tisch sti­li­siert, weil er sich selbst als Ge­ruchs­lo­ser er­kennt (S.306f.). Gre­nouil­les Wunsch nach dem per­fek­ten Par­fum, das Ver­eh­rung er­zeugt, wird hier zu­sätz­lich mo­ti­viert, es ent­spricht daher dem „größ­ten Schatz“ der Hel­den­rei­se, die hier par­odiert wird. Sein Man­gel an in­ne­rer Wand­lung und Ent­wick­lung wird je­doch an­schlie­ßend durch den Zi­vi­li­sa­ti­ons­pro­zess des Mar­quis und das Er­ler­nen von Ma­ni­pu­la­ti­ons­tech­ni­ken kom­pen­siert (vgl. Kap. 30-32). Wie der Mord an Laure zeigt, bleibt Gre­nouil­le emo­ti­ons­los und kalt­blü­tig.

Die Haus­auf­ga­be soll die SuS dar­auf len­ken, dass der An­ti­held Gre­nouil­le nicht nach einer Er­lö­sung im ei­gent­li­chen Sinne strebt oder ein so­zia­ler, hu­ma­ner Mensch wer­den will – er strebt viel­mehr nach mehr Macht und Ma­ni­pu­la­ti­on und er­füllt nicht die Vor­aus­set­zun­gen einer Er­lö­sungs­ge­schich­te (siehe auch die Rolle der „Hel­fer­fi­gu­ren“ und deren Schick­sal, AB 7b)

Hin­rich­tungs­sze­ne und Tod in Paris

Der Ein­stieg mit Hilfe des Ma­te­ri­als aus dem di­dak­ti­schen Film­heft (Ki­no­fens­ter) stellt die Frage, was Macht ist und ab wann sie ak­zep­tiert wird bzw. böse und ma­ni­pu­la­tiv wird. Da­durch wird dis­ku­tier­bar, wel­che Rolle Dro­hun­gen und Sank­tio­nen, aber auch cha­ris­ma­ti­sche Per­sön­lich­keit (z.B. als Mes­sias oder Füh­rer) spie­len.

Die Hin­wei­se für die Lehr­kraft ver­wei­sen auf die struk­tu­rel­le und funk­tio­na­le Ein­ord­nung der Text­stel­le in den Hand­lungs­ver­lauf und rich­ten mit Hilfe der Leit­fra­ge den Blick dar­auf, in­wie­fern Gre­nouil­le in die­ser Si­tua­ti­on der schein­ba­ren Er­fül­lung schei­tert.

Die an­schlie­ßen­de Text­ar­beit zur Hin­rich­tungs­sze­ne (vgl. dazu auch AB 9a und 11) zeigt, dass das Pu­bli­kum be­reits sen­sa­ti­ons­gie­rig zur Hin­rich­tung er­scheint. Die vom auk­to­ria­len Er­zäh­ler be­schrie­be­nen Fi­gu­ren zei­gen die Band­brei­te der so­zia­len Schich­ten von Men­schen, vom Hoch­ste­hen­den bis zu den ein­fa­chen Men­schen – da­durch wird die At­mo­sphä­re von einer Art Volks­fest er­zeugt.

Er­zähl­tech­nisch wird aus der Si­tua­ti­on her­aus er­zählt, also eher de­tail­liert und zeit­deh­nend, die Per­spek­ti­ve des Pu­bli­kums und deren Emo­tio­nen ver­mit­telnd (vgl. S.296-303) – auf S.300-302 ein­deu­tig in der Per­spek­ti­ve des Pu­bli­kums bzw. ein­zel­ner Fi­gu­ren mit Blick auf ihre Ge­dan­ken und Ge­füh­le. Die Wech­sel­wir­kung zwi­schen Gre­nouil­le und sei­nem Pu­bli­kum wird da­durch an­schau­lich und le­ben­dig dar­ge­stellt, um dann auf S.303 in einen – iro­nisch kom­men­tie­ren­den und wer­ten­den – auk­to­ria­len Kom­men­tar zu mün­den. Ab S.304—308 fol­gen Gre­nouil­les Ge­dan­ken und Ge­füh­le aus per­so­na­ler und fi­gu­ren­na­her Per­spek­ti­ve be­schrie­ben und in Ka­pi­tel 50 und 51 wei­ter­ge­führt. Ge­ne­rell liegt im Ka­pi­tel 49 die zeit­deh­nen­de und de­tail­lier­te Dar­stel­lung vor, um die Si­tua­ti­on an­schau­lich zu ma­chen.

Im Film (vgl. AB 8 und 11) wird Gre­nouil­le stumm agie­rend dar­ge­stellt, er agiert nur durch Ges­ten und das Pu­bli­kum ant­wor­tet mit Ges­ten, un­ter­malt von Film­mu­sik. Die Ka­me­ra fo­kus­siert Gre­nouil­le zu­neh­mend mit Hilfe des Zooms und teil­wei­se in Nah­auf­nah­me. Als Sym­bo­lik wer­den neben dem Bac­cha­nal (vgl. Dio­ny­sos-Kult) auch As­so­zia­tio­nen an Mas­sen­ver­an­stal­tun­gen des NS ab­ge­ru­fen.

Aus­wer­tend kann man sagen, dass Gre­nouil­le durch Ges­ten und durch den Duft – im Film un­ter­malt durch die Musik – und nicht durch Re­de­ge­walt Macht aus­übt, also schein­bar das Bild des Cha­ris­ma­ti­kers er­füllt (vgl. S.299-303). Damit kann er das Pu­bli­kum auch zu zü­gel­lo­sen und un­mo­ra­li­schen Ver­hal­tens­wei­sen ani­mie­ren, er agiert also auf in­tui­ti­vem Wege und spricht damit die Trie­be und nicht den Ver­stand an.

Sym­bo­lik – siehe Fra­gen im UE-Ent­wurf: Im Roman (S.304) steht Gre­nouil­le nur da und wirkt über sei­nen Duft, wäh­rend er im Film auch noch Ges­ten macht. Er sieht im Roman wohl ge­ra­de des­we­gen als gött­li­ches, ge­nia­les Wesen an (S.305). Gre­nouil­les Ma­ni­pu­la­ti­on der Mas­sen wirkt wie das Po­sing von Stars, auch hier zählt die Il­lu­si­on der Per­fek­ti­on sowie die Hys­te­rie der Mas­sen. Gre­nouil­le je­doch be­nutzt weder das Wort noch die äu­ßer­li­che Er­schei­nung zur In­sze­nie­rung, das macht ihn be­son­ders. Damit wirkt das Ver­hal­ten des Pu­bli­kums wie Magie – al­lein der Duft ma­ni­pu­liert alle. Auch wenn sich Gre­nouil­le auf S.305 als eine Art Mes­sias sieht (der „Große Gre­nouil­le“), bricht sich diese Selbst­sti­li­sie­rung in sei­nem Hass (S.306f.) –

er will also gar kein Füh­rer sein, son­dern bleibt Ego­ist.

Hin­wei­se zur Grup­pen­ar­beit

Per­spek­ti­ve 1: Gre­nouil­le als Par­odie der Füh­rer- und Er­lö­ser­fi­gur

Grup­pe 1: Ge­schich­te und Re­li­gi­on: Gre­nouil­le wird im Roman als Par­odie des Mes­sias (vgl. auch Plomp du Can­tal) und im Film als Par­odie des Füh­rers dar­ge­stellt. Sein Ende ist eine Par­odie des Abend­mahls und des (kan­ni­ba­li­schen) Dio­ny­sos-My­thos´ als Ri­tu­al. Seine Morde sind wie im Mär­chen an die Zahl 7 und den My­thos der be­son­de­ren Macht von Jung­frau­en ver­bun­den.

Grup­pe 2: Psy­cho­lo­gie: Gre­nouil­le ma­ni­pu­liert be­wusst, aber nicht ra­tio­nal und in­tel­lek­tu­ell be­stimmt, son­dern in­tui­tiv. Er wirkt wie ein Cha­ris­ma­ti­ker, ist aber kei­ner, weil er nichts aus sei­ner Ma­ni­pu­la­ti­on macht und die Macht nicht nutzt, keine po­si­ti­ve Be­zie­hung zu den Mas­sen auf­baut.

Grup­pe 3: Phi­lo­so­phie: Gre­nouil­les Genie als Duft­künst­ler ruft den My­thos der Par­fu­meu­re als be­son­ders Be­gab­te ab, die mehr kön­nen, also die nor­ma­len Men­schen. Das per­fek­te Par­fum zi­tiert das Idea­le und Schö­ne, indem es Per­fek­ti­on ver­mit­telt, gleich­zei­tig aber auch In­stru­ment von Il­lu­si­on und Ma­ni­pu­la­ti­on, also der Sub­ver­si­on von idea­ler Wahr­heit ist.

Per­spek­ti­ve 2: Das Pu­bli­kum als Masse Mensch

Grup­pe 4: Das Bild von Ho­garth zeigt eine Hin­rich­tung als Volks­fest und Fa­mi­li­en­fest mit Ver­kauf von Essen, aber auch Dieb­stahl – also eine Re­prä­sen­tanz des All­tags im 18.​Jahrhhun­dert. Die Quel­le stützt die­ses Bild.

Text­ar­beit: Das Pu­bli­kum will Sen­sa­ti­on und be­kommt sie, al­ler­dings an­ders als ge­wohnt, weil sie Teil einer Orgie als letz­te Kon­se­quenz ihrer Hys­te­rie wer­den. Sie wol­len ihren Trieb nach Sen­sa­ti­on, aber auch nach Blut­durst stil­len, durch die Orgie wird die Fas­sa­de des An­stands aber völ­lig be­sei­tigt, sie wer­den Teil eines Schuld­kom­ple­xes (vgl. S.312f.). Der Rausch wäh­rend der Orgie ist die Sehn­sucht nach Trieb­be­frie­di­gung, aber auch nach Selbst­auf­lö­sung und all­um­fas­sen­der Liebe, die aber eben­so per­ver­tiert ist wie die der „Mör­der“ Gre­nouil­les in Paris. Die wis­sen­schaft­li­chen Texte sol­len zei­gen, dass Men­schen in einer Masse eher ma­ni­pu­lier­bar sind und emo­tio­nal/ir­ra­tio­nal re­agie­ren, so dass auch Gren­zen des An­stands über­schrit­ten wer­den (Grup­pen­dy­na­mik, siehe auch Sport­ver­an­stal­tun­gen oder große Kon­zer­te mit Stars).

Prä­sen­ta­ti­on der Er­geb­nis­se: Ei­gent­lich will Gre­nouil­le Macht, die er dann aber wie­der ab­lehnt, daher ist sein größ­ter Er­folg für ihn sein größ­tes Schei­tern, er emp­fin­det keine Liebe, son­dern Hass. Das Pu­bli­kum ist reif für die Ma­ni­pu­la­ti­on, weil hys­te­risch und sen­sa­ti­ons­geil, daher ist die kör­per­li­che Geil­heit nur eine kon­kre­te Um­set­zung ihrer Hal­tung, die zeigt, wie wenig zi­vi­li­siert sie ei­gent­lich sind (Zi­vi­li­sa­ti­on und Moral nur als Fas­sa­de). Damit ist die Orgie in Gras­se eine Art Pa­ra­bel, dass Men­schen trieb­haft sind und ma­ni­pu­lier­bar, wenn es je­man­den gibt, der das ab­ru­fen kann.

Haus­auf­ga­be: Die Ge­schich­te des ge­nia­len Se­ri­en­kil­lers wirkt als ori­gi­nel­le, nie da­ge­we­se­nen Sen­sa­ti­on, die vom Ver­lag und Feuille­ton zu­sätz­lich in­sze­niert wird.

 

Kom­men­ta­re und Lö­sungs­hin­wei­se zur UE „Das Par­fum“: Her­un­ter­la­den [docx][28 KB]

 

Wei­ter zu 5. Se­quenz