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Philo-Talk

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Philo-Talk – Po­si­tio­nen und Ar­gu­men­te aus der ak­tu­el­len phi­lo­so­phi­schen De­bat­te

Heute mit dem Phi­lo­so­phen Rai­ner Forst zum Thema „Men­schen­wür­de“

 

Philo-Talk: Rai­ner Forst, ge­bo­ren 1964, ist Pro­fes­sor für Po­li­ti­sche Theo­rie und Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Frank­furt/M. Er gilt als ein her­aus­ra­gen­der Ver­tre­ter der jüngs­ten Ge­ne­ra­ti­on der sog. „Frank­fur­ter Schu­le“. In sei­nen For­schun­gen z.B. zum Be­griff der To­le­ranz oder dem der Men­schen­wür­de wurde er sehr durch sei­nen aka­de­mi­schen Leh­rer, Jür­gen Ha­ber­mas, be­ein­flusst. - Herr Forst, ich be­grü­ße Sie herz­lich und danke Ihnen, dass Sie Zeit ge­fun­den haben, sich mit uns zu un­ter­hal­ten! 

Forst: Guten Tag, ich freue mich auf unser Ge­spräch!

Philo-Talk: Wir wol­len heute den Be­griff der Men­schen­wür­de näher un­ter­su­chen. Ihrem Ver­ständ­nis nach hat der Be­griff der Men­schen­wür­de eine Funk­ti­on in der Be­grün­dung der Men­schen­rech­te. Könn­ten Sie uns in we­ni­gen Wor­ten sagen, wel­che Rolle die Men­schen­wür­de Ihrer Mei­nung hier ein­nimmt?

Forst: So­fern die Men­schen­rech­te in­sti­tu­tio­nell si­cher­stel­len sol­len, dass kein Mensch auf eine Weise be­han­delt wird, die ihm oder ihr ge­gen­über nicht als mo­ra­lisch Glei­che(r) ge­recht­fer­tigt wer­den kann, im­pli­ziert dies - re­fle­xiv ge­spro­chen -, dass es einen Grund­an­spruch gibt, der allen Men­schen­rech­ten vor­aus und zu­grun­de liegt, näm­lich der An­spruch, in dem Sinne als au­to­no­mes Wesen re­spek­tiert zu wer­den, dass man das Recht hat, nicht be­stimm­ten Hand­lun­gen oder In­sti­tu­tio­nen un­ter­wor­fen zu wer­den, die einem ge­gen­über nicht an­ge­mes­sen ge­recht­fer­tigt wer­den kön­nen.

Philo-Talk: Sie ver­ste­hen die Men­schen­wür­de also - grob ge­sagt - als Aus­druck eines An­spru­ches, als au­to­no­mes Wesen ge­ach­tet zu wer­den. Und das heißt kon­kret, unter po­li­ti­schen und so­zia­len Be­din­gun­gen zu leben, die durch den Re­spekt vor den Men­schen­rech­ten be­schrie­ben wer­den kann. - Wie ver­ste­hen Sie die Men­schen­rech­te ge­nau­er?

Forst: Ers­tens haben Men­schen­rech­te einen ge­mein­sa­men Grund in einem ba­sa­len mo­ra­li­schen Recht, dem Recht auf Recht­fer­ti­gung . <<…>>

Philo-Talk: Auf das von Ihnen an­ge­führ­te Recht auf Recht­fer­ti­gung als mo­ra­li­sche Grund­la­ge der Men­schen­rech­te wol­len wir spä­ter noch ge­nau­er ein­ge­hen. Nach Ihrer Auf­fas­sung si­chern Men­schen­rech­te also die Struk­tu­ren einer Rechts­ge­mein­schaft, denen jede(r) frei zu­stim­men kann. Hier­bei fällt auf, dass Sie die Men­schen­rech­te sehr for­mal cha­rak­te­ri­sie­ren. Sehen Sie hier­in - drit­tens - einen Vor­teil Ihrer Ar­gu­men­ta­ti­on?

Forst: <<…>>

Philo-Talk: Und den­noch ist für Ihr Ver­ständ­nis der Men­schen­rech­te und der Würde des Men­schen der kon­kre­te Ent­ste­hungs­kon­text in un­se­rer eu­ro­päi­schen Ge­schich­te nicht ir­re­le­vant. Was kann man aus der Ge­schich­te die­ser Be­grif­fe ab­le­sen?

Forst: <<…>> Dies sind na­he­zu Bin­sen­wahr­hei­ten, doch wich­ti­ge, denn <al­ter­na­ti­ve> (…) An­sät­ze (…) nei­gen dazu, die  we­sent­li­che ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Bot­schaft der Men­schen­rech­te zu ver­nach­läs­si­gen: den An­spruch, nicht nur ein voll­stän­dig in­te­grier­tes Mit­glied der Ge­sell­schaft zu sein, son­dern ein so­zia­les und po­li­ti­sches Sub­jekt, das - ne­ga­tiv ge­spro­chen - von ge­sell­schaft­li­cher oder po­li­ti­scher Will­kür­herr­schaft frei ist und das - po­si­tiv for­mu­liert - je­mand ist, der oder die »zählt«, also als Per­son mit »Würde«  an­ge­se­hen wird - als je­mand mit einem ef­fek­ti­ven Recht auf Recht­fer­ti­gung.

Philo-Talk: Las­sen Sie uns jetzt dar­auf näher ein­ge­hen. Wie ver­ste­hen Sie die­ses Recht auf Recht­fer­ti­gung ?

Forst: <<…>>

Philo-Talk: Und wie kommt hier der mo­ra­li­sche Be­griff der Men­schen­wür­de ins Spiel?

Forst: Die mo­ra­li­sche Grund­la­ge der Men­schen­rech­te, wie ich sie re­kon­stru­ie­re, ist der Re­spekt für die mensch­li­che Per­son als au­to­nom Han­deln­de(r) mit einem Recht auf Recht­fer­ti­gung, d. h. einem Recht dar­auf, als je­mand an­er­kannt zu wer­den, der oder die für eine jede Hand­lung, die be­an­sprucht, mo­ra­lisch ge­recht­fer­tigt zu sein, und für jede po­li­ti­sche oder so­zia­le Struk­tur bzw. für jedes Ge­setz, das ihn oder sie zu bin­den be­an­sprucht, an­ge­mes­se­ne Grün­de ver­lan­gen kann. Men­schen­rech­te si­chern den Sta­tus von Per­so­nen als Glei­che in der po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Welt in die­sem grund­le­gen­den  Sinne - auf der Basis eines un­ab­ding­ba­ren mo­ra­li­schen An­spruchs auf wech­sel­sei­ti­ge Ach­tung. Diese For­de­rung hängt nicht davon ab, ob ihre Er­fül­lung dem guten Leben der sie be­ach­ten­den oder der be­ach­te­ten Per­son zu­träg­lich ist - viel­mehr ist der ge­gen­sei­tig Re­spekt in Ab­se­hung davon ge­schul­det.  Das be­deu­tet, dass die we­sent­li­che Funk­ti­on der Men­schen­rech­te darin be­steht, den Sta­tus von Per­so­nen als Glei­che in Bezug  auf ihr Recht auf Recht­fer­ti­gung zu ge­währ­leis­ten, zu si­chern und aus­zu­drü­cken.

Philo-Talk: Wenn ich Sie rich­tig ver­ste­he, dann ent­wi­ckelt sich die­ser Wür­de­be­griff Ihrer Mei­nung nach schon sehr früh.

Forst: <<…>>

Philo-Talk: Ver­ste­hen Sie also die Men­schen­wür­de aus­schließ­lich als po­li­ti­schen Be­griff - oder hat er auch seine mo­ra­li­sche Seite?

Forst: Hier­bei han­delt es sich <<…>>
 
Philo-Talk: Sie outen sich in die­ser Hin­sicht also als Kan­tia­ner, denn - wie Sie ge­ra­de sag­ten - ist die Ach­tung der Würde des Men­schen als Recht­fer­ti­gungs­we­sen un­be­dingt ge­bo­ten. Aber könn­ten wir nicht diese Ar­gu­men­ta­ti­on um das Recht auf Recht­fer­ti­gung ver­ges­sen und ein­fach sagen, dass wir si­cher­lich bes­ser leben, wenn wir die Men­schen­wür­de ge­gen­sei­tig ach­ten?

Forst: Per­so­nen, die die­sen Sta­tus nor­ma­ti­ver Hand­lungs­fä­hig­keit be­sit­zen, haben ein ur­sprüng­li­ches Men­schen­recht auf be­stimm­te For­men des Re­spekts, die ihnen an­de­re nicht vor­ent­hal­ten kön­nen, ohne zu­gleich die­sen Sta­tus zu ne­gie­ren. Aus einer Per­spek­ti­ve der ers­ten Per­son kann daher der Re­spekt für die Men­schen­rech­te an­de­rer weder davon ab­hän­gen, dass dies mei­nem guten Leben zu­träg­lich ist, noch davon, dass dies dem guten Leben der An­de­ren dient. Denn ich könn­te ra­tio­na­ler Weise auch den­ken, dass mein Ei­gen­in­ter­es­se an­ders bes­ser ge­för­dert würde, und ich könn­te auch - etwa aus einer re­li­giö­sen Per­spek­ti­ve her­aus - davon über­zeugt sein, dass der Re­spekt für die Re­li­gi­ons­frei­heit des An­de­ren die­sen auf­grund sei­nes fal­schen Le­bens der ewi­gen Ver­damm­nis - und nicht dem Guten - näher bringt. Und doch muss ich die­ses Recht wie an­de­re Men­schen­rech­te auch ach­ten - in einem mo­ra­lisch un­be­ding­ten Sinne. So müs­sen sie auf an­de­ren Grund­la­gen be­ru­hen, die von nie­man­dem mit guten Grün­den zu­rück­ge­wie­sen wer­den kön­nen, der sich und an­de­re als mit dem Ver­mö­gen der prak­ti­schen Ver­nunft aus­ge­stat­tet sieht und die Pflicht zur Recht­fer­ti­gung an­er­kennt, die dem re­kur­si­ven Prin­zip der Recht­fer­ti­gung in­ne­wohnt, wel­ches be­sagt,  dass jeder nor­ma­ti­ve An­spruch, der ge­gen­über an­de­ren er­ho­ben wird, ihnen ge­gen­über gemäß der er­ho­be­nen Gel­tungs­an­sprü­che nach be­stimm­ten Kri­te­ri­en ge­recht­fer­tigt wer­den muss.

Philo-Talk: D.h. also, wir ach­ten die Men­schen­rech­te, weil wir uns wech­sel­sei­tig als Wesen mit Würde an­er­ken­nen, die ein ur­sprüng­li­ches und grund­le­gen­des Recht auf Recht­fer­ti­gung be­sit­zen? Und diese wech­sel­sei­ti­ge An­er­ken­nung der Würde des an­de­ren ist nichts, was ein­fach da ist, son­dern er­gibt sich als For­de­rung an uns, wenn wir uns als ver­nünf­ti­ge Wesen ver­ste­hen?

Forst: Der Grund der Men­schen­rech­te ist die mo­ra­li­sche An­er­ken­nung des/r An­de­ren als je­mand mit einem Recht auf Recht­fer­ti­gung, doch ist diese Art der An­er­ken­nung ein Im­pe­ra­tiv mo­ra­lisch-prak­ti­scher Ver­nunft.

Philo-Talk: Wow – bei die­ser Aus­sa­ge hätte Kant sich aber ge­freut! – Könn­ten Sie für un­se­re Leser noch skiz­zie­ren, wie sie sich eine aus­ge­führ­te Theo­rie der Men­schen­rech­te vor­stel­len?

Forst: Die nor­ma­ti­ve Grund­la­ge für eine Kon­zep­ti­on der Men­schen­rech­te ist das Recht einer jeden Per­son, als je­mand re­spek­tiert zu wer­den, der oder die ein mo­ra­li­sches Recht auf Recht­fer­ti­gung be­sitzt, dem zu­fol­ge eine jede Hand­lung oder Norm, die le­gi­tim zu sein be­an­sprucht, auf eine an­ge­mes­se­ne Weise ge­recht­fer­tigt wer­den kön­nen muss. Dem­nach müs­sen mo­ra­li­sche Hand­lun­gen oder Nor­men in mo­ra­li­schen Dis­kur­sen mit mo­ra­li­schen Grün­den frei von Zwang oder Täu­schung ge­recht­fer­tigt wer­den kön­nen, und po­li­ti­sche bzw. so­zia­le Struk­tu­ren oder Ge­set­ze müs­sen auf mo­ra­li­schen Nor­men be­ru­hen oder zu­min­dest mit ihnen ver­ein­bar sein, und sie müs­sen in ent­spre­chen­den recht­li­chen und po­li­ti­schen Prak­ti­ken der Recht­fer­ti­gung le­gi­ti­mier­bar sein. <<…>>

Philo-Talk: Das be­deu­tet also, wenn ich Sie rich­tig ver­ste­he, dass Sie die for­ma­len Kri­te­ri­en der Re­zi­pro­zi­tät und All­ge­mein­heit be­nen­nen, die die Dis­kur­se über den be­stimm­ten Ge­halt der Men­schen­rech­te struk­tu­rie­ren müs­sen. Nur wenn eine be­stimm­te In­ter­pre­ta­ti­on eines Men­schen­rech­tes sich gemäß die­sen Kri­te­ri­en be­grün­den lässt, hat sie An­spruch auf Gel­tung in einer Rechts­ge­mein­schaft, die die Würde des Men­schen ach­tet – und das heißt, jeden Men­schen als au­to­no­mes Recht­fer­ti­gungs­we­sen an­er­kennt. Kön­nen Sie die­ser Zu­sam­men­fas­sung Ihrer Aus­füh­run­gen zu­stim­men?

Forst: Der Be­griff der „Würde“, der im Zen­trum der Idee der Men­schen­rech­te steht, ist (…) kein me­ta­phy­sisch oder ethisch be­grün­de­ter, der mit einer Kon­zep­ti­on des guten Le­bens ver­bun­den wäre. Die Würde einer Per­son zu ach­ten heißt viel­mehr, sie als je­man­den an­zu­er­ken­nen, dem oder der ge­gen­über für Hand­lun­gen oder Nor­men, die ihn oder sie auf re­le­van­te Weise be­tref­fen, an­ge­mes­se­ne Grün­de ge­schul­det wer­den. Diese Art des Re­spekts nö­tigt es uns ab, an­de­re als au­to­no­me Quel­len nor­ma­ti­ver An­sprü­che in­ner­halb einer Recht­fer­ti­gungs­pra­xis an­zu­se­hen. Im Raum der Grün­de zählt eine jede Per­son als »Au­to­ri­tät«. Die­ser Be­griff der Würde ist re­la­tio­na­ler Natur; seine kon­kre­ten Im­pli­ka­tio­nen kön­nen nur auf dem Wege dis­kur­si­ver Recht­fer­ti­gung be­stimmt wer­den.

Philo-Talk: Herr Forst, wir dan­ken Ihnen, dass Sie sich Zeit ge­nom­men haben!

 

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