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Sta­ti­on 3: Sein-Sol­len-Fehl­schluss

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Grund­la­gen:

Die Grund­la­ge un­se­res Ar­gu­men­tie­rens bil­det der sog. Syl­lo­gis­mus , der aus Prä­mis­sen (Vor­aus­set­zun­gen) und einer Kon­klu­si­on (Schluss­fol­ge­rung) auf­ge­baut ist.

Der prak­ti­sche Syl­lo­gis­mus:

Der sog. p rak­ti­sche Syl­lo­gis­mus ist eine Son­der­form des Syl­lo­gis­mus. Er be­steht aus einem nor­ma­ti­ven Ober­satz (= 1. Prä­mis­se), einem de­skrip­ti­ven (nicht nor­ma­ti­ven) Un­ter­satz (= 2. Prä­mis­se) und einer nor­ma­ti­ven Kon­klu­si­on.

Ver­deck­te nor­ma­ti­ve Prä­mis­sen un­se­rer Ur­tei­le:

In un­se­ren all­täg­li­chen Ur­tei­len nen­nen wir häu­fig die nor­ma­ti­ven Prä­mis­sen nicht. So schlie­ßen wir häu­fig schnell und ohne große Be­den­ken von Fak­ten, die zwei­fels­frei fest­ste­hen, auf be­stimm­te Im­pe­ra­ti­ve, die uns zum Han­deln auf­for­dern.

So fol­gern wir z.B. aus der em­pi­risch be­leg­ba­ren Tat­sa­che, dass sich durch ein Ver­bot des Te­le­fo­nie­rens mit dem Handy ohne Frei­sprech­an­la­ge durch einen Au­to­fah­rer X Pro­zent we­ni­ger Un­fäl­le als bei dem er­laub­ten Han­dy­ge­brauch er­eig­nen, dass das Handy-Ver­bot ein­ge­führt wer­den soll­te.

De­skrip­ti­ve Prä­mis­se: Durch ein Ver­bot des Te­le­fo­nie­rens durch den Fah­rer wäh­rend einer Au­to­fahrt mit einem Handy ohne Frei­sprech­an­la­ge geht die An­zahl der Un­fäl­le um X Pro­zent zu­rück.

Schluss­fol­ge­rung: Also ist es ge­bo­ten, das „Handy-Ver­bot“ ein­zu­füh­ren.

Diese Schluss­fol­ge­rung er­scheint uns ver­nünf­tig. Hier liegt aber ein Fehl­schluss vor, da die  nor­ma­ti­ve Prä­mis­se fehlt, aus der die Auf­for­de­rung zum kon­kre­ten Han­deln kor­rekt ge­schlos­sen wer­den könn­te. Rich­ti­ger­wei­se müss­te der fol­gen­de nor­ma­ti­ve Ober­satz er­gänzt wer­den:

Nor­ma­ti­ver Ober­satz: Wir sol­len die Zahl der Ver­kehrs­un­fäl­le auf un­se­ren Stra­ßen re­du­zie­ren.

De­skrip­ti­ver (Tat­sa­chen be­schrei­ben­der) Un­ter­satz: Durch ein Ver­bot des Te­le­fo­nie­rens durch den Fah­rer wäh­rend einer Au­to­fahrt mit einem Handy ohne Frei­sprech­an­la­ge geht die An­zahl der Un­fäl­le um X Pro­zent zu­rück.

Schluss­fol­ge­rung: Also ist es ge­bo­ten, das „Handy-Ver­bot“ ein­zu­füh­ren.

Dass man sich diese un­ter­schla­ge­ne nor­ma­ti­ve Prä­mis­se aber be­wusst macht, ist sehr wich­tig, denn nur, wenn wir sie tei­len, ist das Ar­gu­ment kor­rekt und über­zeugt uns. Wird die nor­ma­ti­ve Prä­mis­se aber un­ter­schla­gen, ent­zieht sie sich der Pro­ble­ma­ti­sie­rung und Dis­kus­si­on.

Übung 1:

Herr I. äu­ßert sich auf Ihrer Party in fol­gen­der Weise: „Die Men­schen in Afri­ka hun­gern. Also ma­chen wir nicht rum: Man muss die­sen Men­schen hel­fen!“
For­mu­lie­ren Sie einen kor­rek­ten Schluss.

Übung 2:

Wer falsch parkt, er­hält einen Buß­geld­be­scheid über 10 Euro.  Herr B. muss 10 Euro Buß­geld zah­len.
Be­ur­tei­len Sie die­sen Schluss, be­grün­den Sie Ihre Mei­nung.

Übung 3:

Der Nach­bar berät sei­nen Sohn, was er dem Freund aus der Nach­bar­schaft wohl zum  Ge­burts­tag schen­ken könn­te: Ulli ist doch ein klei­ner Junge. Also sollst du Ulli ein Spiel­zeug­ge­wehr schen­ken!
Er­läu­tern Sie, wieso die­ser Schluss nicht kor­rekt ist.

Der Sein-Sol­len-Fehl­schluss:

In den obi­gen Bei­spie­len liegt ein Feh­ler vor, den man als den sog. „Sein-Sol­len-Fehl­schluss“ be­zeich­net. Ein sol­cher Fehl­schluss liegt dann vor, wenn ein nor­ma­ti­ver Schluss­satz aus­schließ­lich aus de­skrip­ti­ven Sät­zen bzw. Prä­mis­sen ab­ge­lei­tet wird. Es fehlt die wei­ter be­nö­tig­te nor­ma­ti­ve Prä­mis­se. Nur dann, wenn die Prä­mis­sen auch einen nor­ma­ti­ven Satz ent­hal­ten, ist der Schluss auf einen nor­ma­ti­ven Satz gül­tig.

Hin­ter­grund - das Hume´sche Ge­setz:

Hin­ter die­sen Über­le­gun­gen steht die phi­lo­so­phi­sche Tren­nung von Sein und Sol­len. Diese ist für das ethisch-mo­ra­li­schen Ar­gu­men­tie­ren fun­da­men­tal, da sich diese Ar­gu­men­ta­tio­nen oft­mals zwi­schen Aus­sa­gen zu dem, was ge­ge­ben ist, und dem, was sein soll und ge­bo­ten ist, be­we­gen. Ethisch-mo­ra­li­sches Ar­gu­men­tie­ren be­steht also we­sent­lich darin, nor­ma­ti­ve Aus­sa­gen bzw. Nor­men  mit Tat­sa­chen­aus­sa­gen bzw. Aus­sa­gen über die Em­pi­rie zu ver­bin­den.

Aus­sa­gen über Tat­sa­chen:
„X ist der Fall“
„Ist“-Sätze
De­skrip­ti­ve Aus­sa­gen
Be­schrei­bun­gen
  nor­ma­ti­ve Aus­sa­gen:
„Y ist ge­bo­ten/soll sein!"
„Soll“-Sätze
prä­skrip­ti­ve For­de­run­gen
Wer­tun­gen

David Hume hat als einer der ers­ten auf den Un­ter­schied von Aus­sa­gen über em­pi­ri­sche Sach­ver­hal­te und über das, was ge­bo­ten ist, hin­ge­wie­sen. Ihm fiel auf, dass viele phi­lo­so­phi­sche Au­to­ren un­merk­lich von de­skrip­ti­ven Aus­sa­gen auf Aus­sa­gen über­ge­hen, die Wer­tun­gen oder Nor­men be­inhal­ten. Die­ser Über­gang von „Ist“- zu „Soll“-Sät­zen muss aber nach Hume ge­recht­fer­tigt wer­den, sonst be­geht man einen Fehl­schluss in der Ar­gu­men­ta­ti­on. So schreibt er:

„Bei jedem Sys­tem der Moral, das mir bis­lang be­geg­net ist, habe ich stets fest­ge­stellt, dass der Autor eine ge­wis­se Zeit in der üb­li­chen Ar­gu­men­ta­ti­ons­wei­se fort­schrei­tet und be­grün­det, dass es einen Gott gibt, oder Be­ob­ach­tun­gen über mensch­li­ches Ver­hal­ten trifft; dann plötz­lich stel­le ich über­rascht fest, dass an­statt der üb­li­chen Satz­ver­knüp­fun­gen, näm­lich ‚ist‘ und ‚ist nicht‘, ich nur auf Sätze stoße, wel­che mit ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ ver­bun­den sind. Diese Än­de­rung ge­schieht un­merk­lich. Sie ist je­doch sehr wich­tig. Die­ses ‚soll‘ oder ‚soll nicht‘ drückt eine neue Ver­knüp­fung oder Be­haup­tung aus. Darum muss sie not­wen­di­ger­wei­se be­ob­ach­tet und er­klärt wer­den. Zu­gleich muss not­wen­di­ger­wei­se ein Grund an­ge­ge­ben wer­den für dies, was voll­stän­dig un­be­greif­lich er­scheint: Wie näm­lich diese neue Ver­knüp­fung eine lo­gi­sche Fol­ge­rung sein kann von an­de­ren, davon ganz ver­schie­de­nen Ver­knüp­fun­gen... Ich bin der Über­zeu­gung, dass eine sol­che ge­ring­fü­gi­ge Auf­merk­sam­keit alle ge­wohn­ten Mo­ral­sys­te­me um­wer­fen würde. Sie würde uns au­ßer­dem zei­gen, dass die Un­ter­schei­dung von Las­ter und Tu­gend nicht nur auf den Ver­hält­nis­sen von Ob­jek­ten grün­det und auch nicht mit der Ver­nunft wahr­ge­nom­men wird.“

David Hume: A Trea­ti­se of Human Na­tu­re (Buch III, Teil I, Ka­pi­tel I), http://​de.​wi­ki­pe­dia.​org/​wiki/​Hu­mes_​Ge­setz (Stand: 12.9.12).

Im Sein-Sol­len-Fehl­schluss wird also die ei­gent­lich pro­ble­ma­ti­sche nor­ma­ti­ve Prä­mis­se un­ter­schla­gen. Der vom Ar­gu­men­tie­ren­den mehr oder min­der plau­si­bel vor­ge­nom­me­ne Ver­weis auf Fak­ti­zi­tät ver­deckt, dass eine nor­ma­ti­ve Prä­mis­se nicht ex­pli­zit ge­nannt wird. Damit ent-zieht der Ar­gu­men­tie­ren­de diese Prä­mis­se aber der Pro­ble­ma­ti­sie­rung und Dis­kus­si­on.
Wenn man diese aber for­mu­liert und damit der kri­ti­schen Prü­fung zu­gäng­lich macht, dann  – so Hume – führt das in vie­len Fäl­len zum „Um­wer­fen“ gan­zer Mo­ral­sys­te­me, wenn sich in der Prü­fung ge­zeigt hat, dass wir die Gül­tig­keit der nor­ma­ti­ven Prä­mis­se ab­leh­nen müs­sen, sie uns also nicht über­zeugt. Aus­ge­hend von die­ser Er­kennt­nis hat man das sog. "Hum'sches Ge­setz" for­mu­liert, das die Ab­leit­bar­keit von Nor­men aus Tat­sa­chen, vom Sol­len aus einem Sein ver­bie­tet.

Übung 4:

Ein ex­tre­mes Bei­spiel für einen na­tu­ra­lis­ti­schen Fehl­schluss lie­fert der Na­tio­nal­so­zia­lis­mus mit sei­ner so­zi­al­dar­wi­nis­ti­schen Ar­gu­men­ta­ti­on:
Der Lauf der Evo­lu­ti­on un­ter­liegt den ewi­gen Ge­set­zen des „sur­vi­val of the fit­test“: Die Star­ken set­zen sich im Kampf ums Über­le­ben ge­gen­über den Schwa­chen und Kran­ken durch. Dass dies so ist, zeigt jede Be­ob­ach­tung der Natur. Also ist es un­se­re Auf­ga­be, auch bei den Men­schen das Star­ke und Ge­sun­de zu för­dern, das Kran­ke und Schwa­che „weg­zu­häm­mern“.
Er­läu­tern Sie, worin der Sein-Sol­len-Fehl­schluss be­steht.

Schwie­rig­kei­ten bei der Prü­fung eines Sein-Sol­len-Fehl­schlus­ses:

Die Prü­fung, ob ein Sein-Sol­len-Fehl­schluss vor­liegt, ist aber in vie­len Fäl­len nicht ganz ein-fach. Denn nur wenn die Prä­mis­sen, aus denen die Schluss­fol­ge­rung ge­zo­gen wird, ein­deu­tig de­skrip­tiv sind, liegt ein sol­cher Fehl­schluss vor. Nun gibt es aber eine Fülle von Ur­tei­len, in denen die Prä­mis­sen nor­ma­ti­ve Ele­men­te ent­hal­ten.
Bei­spie­le fin­den sich z.B. in Ur­tei­len über Stra­ßen­ver­kehrs­re­geln:

  1. Ein Stopp-Schild be­deu­tet: Du musst an­hal­ten!
  2. Dort steht ein Stopp-Schild.
  3. Also musst du an­hal­ten!
Die Frage ist nun, ob die erste Prä­mis­se wirk­lich nur de­skrip­tiv ist, also eine Aus­sa­ge über eine Tat­sa­che for­mu­liert. Auf den ers­ten Blick scheint dies der Fall zu sein, denn der Satz for­mu­liert eine Aus­sa­ge dar­über, was ein be­stimm­tes Ver­kehrs­zei­chen be­deu­tet. Und dies ist ja so der Fall.
Dass diese Aus­sa­ge aber keine reine Be­schrei­bung einer Tat­sa­che ist, wird deut­lich, wenn wir uns klar­ma­chen, dass die Be­deu­tung die­ses Ver­kehrs­zei­chens durch die Stra­ßen­ver­kehrs-ord­nung fest­ge­legt ist. Diese re­gelt, wie sich die Ver­kehrs­teil­neh­mer im Stra­ßen­ver­kehr ver­hal­ten müs­sen . Das Ver­kehrs­zei­chen sagt uns also als Be­stand­teil die­ser Stra­ßen­ver­kehrs-ord­nung, wie wir uns an einer Kreu­zung ver­hal­ten müs­sen . Es hat – als Teil der nor­ma­ti­ven Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung – also selbst nor­ma­ti­ven Cha­rak­ter.

⇒ Die Lö­sun­gen zu die­ser Lern­sta­ti­on fin­den Sie im Down­load.

 

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Sta­ti­on 3: Sein-Sol­len-Fehl­schluss: Her­un­ter­la­den [doc][45 KB]

Sta­ti­on 3: Sein-Sol­len-Fehl­schluss: Her­un­ter­la­den [pdf][115 KB]