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Franz-Josef Wetz

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Franz Josef Wetz wurde 1958 ge­bo­ren. Nach dem Stu­di­um der Phi­lo­so­phie, Ger­ma­nis­tik und Theo­lo­gie 1989 Pro­mo­ti­on im Fach Phi­lo­so­phie, 1992 Ha­bi­li­ta­ti­on.  Wetz ist seit 1994 Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie an der Päd­ago­gi­schen Hoch­schu­le im Schwä­bisch-Gmünd und Autor des Bu­ches llu­si­on Men­schen­wür­de. Auf­stieg und Fall eines Grund­werts, Stutt­gart 2005.

Meine These ist, dass alle Ver­su­che, die Men­schen­wür­de als We­sens­merk­mal zu de­fi­nie­ren, als etwas, das uns durch die Ge­burt au­to­ma­tisch zu­kommt, welt­an­schau­lich im­prä­gniert sind. Ein Ge­mein­we­sen, das sich zu welt­an­schau­li­cher Neu­tra­li­tät be­kennt, wird sich nicht durch­hal­ten las­sen kön­nen. Es geht dabei nicht darum, was der Ein­zel­ne unter Würde ver­ste­hen darf. Wir leben ja in einer li­be­ra­len Ge­sell­schaft, die streng trennt zwi­schen dem Pri­va­ten und Öf­fent­li­chen. Im pri­va­ten Be­reich darf na­tür­lich jeder unter Würde ver­ste­hen, was er möch­te. Wenn es aber darum geht, was darf ich mei­nem Nach­bar als ver­bind­lich vor­schrei­ben, was darf der Staat sei­nen Bür­gern als ver­bind­lich vor­schrei­ben oder die UNO ihren Mit­glied­staa­ten, dann – so meine These – ge­hört die Idee der Würde als We­sens­merk­mal des­halb nicht dazu, weil die­ser Be­griff ein welt­an­schau­lich ge­bun­de­nes Men­schen­bild vor­aus­setzt, auf das sich nicht jeder ver­pflich­ten las­sen kann.

In un­se­rer Ge­sell­schaft herr­schen ja auch sehr stark re­li­giö­se Vor­stel­lun­gen von der Men­schen­wür­de, da gilt na­tür­lich, dass jede ein­zel­ne Grup­pe oder Grup­pie­rung an der Idee der Men­schen­wür­de als Gott­eben­bild­lich­keit und der­glei­chen fest­hal­ten kann, auch jeder ein­zel­ne Gläu­bi­ge. Aber der Staat, das Recht, die Po­li­tik darf mei­nes Er­ach­tens den Bür­ger nicht auf eine sol­che re­li­gi­ös ge­bun­de­ne Vor­stel­lung ver­pflich­ten, so­lan­ge er sich als ein li­be­ra­les, mul­ti­kul­tu­rel­les, plu­ra­lis­ti­sches Ge­mein­we­sen ver­steht. Und ein sol­ches sind wir ja hier in Deutsch­land. Das glei­che gilt für die Kan­ti­sche Vor­stel­lung der Men­schen­wür­de, denn auch sie ist welt­an­schau­lich im­prä­gniert. Der Ge­dan­ke vom Men­schen als ein aus der Natur her­aus­ge­ho­be­nes Ver­nunft­we­sen zehrt letzt­end­lich – und das kann im Ein­zel­nen nach­ge­wie­sen wer­den - von re­li­gi­ös-me­ta­phy­si­schen Vor­stel­lun­gen, die sich heute so auf kei­nen Fall mehr durch­hal­ten las­sen. Hinzu kommt noch dass, selbst wenn wir den Men­schen als Ver­nunft­we­sen sehen, Ver­nunft­be­sitz als sol­ches ja noch keine Wer­tei­gen­schaft ist. Ver­nunft als die Fä­hig­keit, den­ken zu kön­nen, kau­sal den­ken zu kön­nen, als Re­fle­xi­ons­ver­mö­gen – das ist ja letzt­end­lich erst ein­mal nur eine Ei­gen­schaft, die be­stimm­ten Le­be­we­sen zu­kommt, aus der man nicht ohne wei­te­res eine hö­he­re, ab­so­lu­te Wert­be­stim­mung ab­lei­ten kann. Ver­schär­fend kommt hinzu, dass wir heute nicht über den Men­schen reden kön­nen, ohne die Na­tur­wis­sen­schaf­ten zu be­rück­sich­ti­gen. Und wenn wir die mo­der­ne Kos­mo­lo­gie, die Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gie, die Mo­le­ku­lar­ge­ne­tik, die Neu­ro­phy­sio­lo­gie hin­zu­zie­hen, dann wird der Schluss ge­ra­de­zu un­ver­meid­lich, dass der Mensch nicht der „vor­nehms­te Buch­sta­be im Buch der Natur“ ist, son­dern dass wir Men­schen einem na­tur­haf­ten Pro­zess ent­stam­men und end­li­che Wesen sind. Man könn­te es auch bio­lo­gi­scher for­mu­lie­ren: Der Mensch – und dafür spricht heute recht viel – ist letzt­end­lich nichts an­de­res als ein schmal­na­si­ges Säu­ge­tier mit über­ge­wich­ti­gem Kopf auf einer für den auf­rech­ten Gang eher un­ge­eig­ne­ten Wir­bel­säu­le.[…]

Wenn sich die Würde als We­sens­merk­mal nicht hal­ten lässt, bleibt aber im­mer­hin noch die Würde als Ge­stal­tungs­auf­trag übrig. In einem ers­ten Schritt kann man sagen, die Würde als Ge­stal­tungs­auf­trag hat si­cher­lich min­des­tens drei Fa­cet­ten, die man zwar im ein­zel­nen be­grün­den müss­te, die aber auch so auf An­hieb ein­leuch­ten dürf­ten: Zu einem men­schen­wür­di­gen Leben ge­hört eine ge­wis­se ma­te­ri­el­le Si­cher­heit oder Si­che­rung nach unten hin, damit zu­sam­men­hän­gend die ge­gen­sei­ti­ge Ach­tung der Men­schen als Per­so­nen mit ei­ge­nen Rech­ten und die Mög­lich­keit der Selbst­ach­tung, die die Ent­wick­lung und Ent­fal­tung der ei­ge­nen Fä­hig­kei­ten vor­aus­setzt.

Daran schließt sich die schwie­ri­ge Frage an: Wie lässt sich eine sol­che prak­ti­sche Men­schen­wür­de-Vor­stel­lung, die sie nur noch als Ge­stal­tungs­auf­trag kon­zi­piert wis­sen möch­te, be­grün­den? Das ist ein wich­ti­ges phi­lo­so­phisch-po­li­ti­sches Thema. Ich denke, man soll­te jetzt nicht, wie man es immer in der Ge­schich­te ge­macht hat, von oben nach unten gehen, also von der Er­ha­ben­heit des Men­schen zu sei­ner Wert­be­son­der­heit, son­dern man soll­te viel­mehr – und das hat, glau­be ich, bes­se­re Chan­cen, an­er­kannt zu wer­den – grenz­über­schrei­tend von unten nach oben gehen. Wir müs­sen also schau­en, was ver­bin­det uns Men­schen denn un­ter­halb aller kul­tu­rel­len Dif­fe­ren­zen mit­ein­an­der. Als ers­ten Punkt ist die exis­ten­zi­el­le Gleich­stel­lung der Men­schen zu nen­nen als ver­wund­ba­re, schmerz­fä­hi­ge Wesen, hilfs­be­dürf­tig, aus­ge­stat­tet mit be­stimm­ten In­ter­es­sen, mit Ge­brech­lich­kei­ten der un­ter­schied­lichs­ten Art. Wir alle sind gleich als end­li­che, sterb­li­che, ver­wund­ba­re, lei­dens­fä­hi­ge Wesen. Der men­schen­wür­di­ge Schutz, um den es hier geht, den es zu be­grün­den gilt, grün­det auf der Evi­denz der Vor­zugs­wür­dig­keit eines Le­bens in Ab­we­sen­heit von Mord und Tot­schlag, von Schmerz und Ge­walt, von Fol­ter, Not, Hun­ger, Un­ter­drü­ckung und Aus­beu­tung. Die Men­schen­wür­de dient ge­wis­ser­ma­ßen auf die­ser un­ters­ten Ebene den fun­da­men­ta­len Er­hal­tungs- und Ent­wick­lungs­in­ter­es­sen der Men­schen. Und diese sind ja bei uns allen ver­nünf­ti­ger­wei­se in gro­ben Zügen gleich, so dass es ge­wis­ser­ma­ßen zur an­thro­po­lo­gi­schen Natur ge­hört, be­stimm­te In­ter­es­sen zu haben, wie sich satt zu essen, sich frei ent­fal­ten zu kön­nen und seine Ta­len­te zu ent­wi­ckeln. Diese Be­dürf­nis­se sind fun­da­men­tal und sie müs­sen mei­nes Er­ach­tens be­frie­digt wer­den, um einem Leben in un­ter­schied­li­chen kul­tu­rel­len Kon­tex­ten über­haupt das Kenn­zei­chen „men­schen­wür­dig“ zu­er­ken­nen zu kön­nen.

Für mich als Ein­zel­nen leuch­tet das si­cher­lich ein, aber warum soll ich denn ein In­ter­es­se daran haben, dass an­de­ren Men­schen auch die Mög­lich­keit ge­währt wird, ihre In­ter­es­sen und Be­dürf­nis­se er­füllt zu be­kom­men? Warum soll ich den an­de­ren schüt­zen? Dar­auf las­sen sich ver­schie­de­ne Ant­wor­ten fin­den, ich werde hier nur zwei nen­nen. Die eine ist noch nicht ein­mal im stren­gen Sinne ethisch, sie geht vom wohl­ver­stan­de­nen Ei­gen­in­ter­es­se aus: Man soll­te wol­len, dass dem an­de­ren als Min­dest­maß ge­währt wird, was man auch für sich selbst be­an­sprucht, weil man selbst dann nur mit­tel­fris­tig und auf Dauer seine ei­ge­nen Wün­sche und In­ter­es­sen er­füllt be­kommt. Das ist ein ethisch ego­is­ti­sches Motiv. Wenn man ein wirk­lich mo­ra­li­sches Motiv haben möch­te, dann muss man sagen, wir Men­schen ver­fü­gen alle über die grund­sätz­li­che Fä­hig­keit, einen Schritt zur Seite zu tre­ten und Ab­stand von uns selbst zu neh­men. Wenn ich von mir Ab­stand nehme, er­ken­ne ich, dass meine ei­ge­nen In­ter­es­sen, nur weil sie meine ei­ge­nen In­ter­es­sen sind, des­halb nicht mehr wie­gen als die an­de­rer Men­schen. Meine Be­dürf­nis­se, mich satt essen zu kön­nen, ein Dach über dem Kopf zu haben, ist bei an­de­ren Men­schen ge­nau­so an­zu­tref­fen. Dar­aus folgt ge­ra­de­zu von selbst der mo­ra­li­sche An­spruch oder die mo­ra­li­sche Auf­for­de­rung, sich dafür bei an­de­ren ein­zu­set­zen und zu en­ga­gie­ren. Die Be­grün­dung eines wür­de­vol­len Le­bens liegt letzt­end­lich in solch ein­fa­chen Über­le­gun­gen. Wem diese ein­fa­chen Über­le­gun­gen je­doch nicht ge­nü­gen, dem wird si­cher­lich ein Ver­nunft­ge­bot, ein Got­tes­ge­setz auch nicht rei­chen.

Nun be­fin­den wir uns in der schwie­ri­gen Si­tua­ti­on, dass wir Men­schen zwar diese Dinge er­ken­nen, dass wir aber nicht nach ihnen han­deln. Der Ver­stand ist der Held, aber das Herz noch nicht be­wegt. Des­we­gen muss als Drit­tes hin­zu­kom­men so etwas ganz Alt­mo­di­sches wie das Wohl­wol­len, was die alten Römer „be­ne­vo­len­cia“ nann­ten, oder die Milde. Ohne Wohl­wol­len ist jede Ethik zum Schei­tern ver­ur­teilt. Und ohne Wohl­wol­len ist im Grun­de Ach­tung und für­sorg­li­ches Ver­hal­ten nicht mög­lich. Lei­der kön­nen wir uns auf das Wohl­wol­len auch nicht ver­las­sen. […]

Ab­schlie­ßend kann man fra­gen, worin be­steht denn nun ein men­schen­wür­di­ges Leben, was ist jetzt Würde? Sehr schön hat das ein­mal Fried­rich Schil­ler for­mu­liert. Er schrieb:
Die Würde des Men­schen, nichts mehr davon, ich bitt Euch, zu essen gibt ihm, zu woh­nen, habt Ihr die Blöße be­deckt, gibt sich die Würde von selbst.
(Süd­west­funk ma­nu­skript­dienst)

Ar­beits­auf­trä­ge:
Er­schlie­ßen Sie die zen­tra­len Aus­sa­gen und den Ar­gu­men­ta­ti­ons­gang des Tex­tes mit Hilfe der Zeit­schrift­me­tho­de ( Werk­zeug­kas­ten ).
In jeder Zeit­schrift  gibt es Spe­zia­lis­ten für die ver­schie­de­nen Auf­ga­ben und Tä­tig­kei­ten. Ei­ni­ge füh­ren In­ter­views durch, an­de­re sind für das Lay­out zu­stän­dig, wie­der an­de­re kür­zen oder re­di­gie­ren die Texte oder set­zen das in den Tex­ten Ge­sag­te in eine er­läu­tern­de Gra­fik um usw. Ge­nau­so wol­len wir mit die­sem Text ver­fah­ren. Das be­deu­tet, wir lesen und be­ar­bei­ten den glei­chen Text in vier ver­schie­de­nen Grup­pen. Es gibt die Krea­ti­ven , die In­ter­view­er , die Vi­sua­li­sie­rer und die Ana­lys­ten . Jede Grup­pe hat einen an­de­ren Ar­beits­auf­trag und prä­sen­tiert ihr Er­geb­nis der Klas­se.

 

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