Fachwissenschaftliche Synopse Rom-China
Die beiden Reiche der Römer und Chinesen stellten die größten,
dauerhaften politischen Entitäten der klassischen Antike dar. Sie umfassten
zusammen wohl knapp die Hälfte der damaligen Weltbevölkerung und erstreckten
sich, was ihre Landmasse betrifft, auf ungefähr ähnlich große
Flächen (jeweils ca. 4 Millionen Quadratkilometer). Beide entstanden ungefähr
um dieselbe Zeit (+/- 200 Jahre) getrennt voneinander und entwickelten Züge
einer Protostaatlichkeit. Beide zerfielen nach fast ähnlich langer Dauer,
nach etwa 400 Jahren, wobei spätere Generationen immer wieder, und teilweise
bis ins 20. Jahrhundert, an die imperiale Tradition der Vorgänger anknüpften.
Rom | China | |
Urbane Blüte durch lokale Magistrate, weitgehende Autonomie der lokalen
Eliten ca. 2000 von lokalen Eliten selbstverwaltete Städte
>> Funktion als unabhängige Quelle sozialer Macht |
Städte |
Urbane Blüte durch staatliche Intervention direkte Kontrolle der lokalen
Elite und munizipaler Entscheidungen, zentral investierte Beamte
>> Funktion als kontrollierte Quelle sozialer Macht |
Imperiale Architektur dient der Demonstration politischer Macht im öffentlichen Raum (Foren, Thermen, Theater, Statuen). Öffentliche Inschriften verherrlichen die jeweiligen Kaiser, mit deren Nennung meist die Inschrift beginnt. Provinzialstädte sind reduzierte Abbilder der Hauptstadt. | Städtebau | Imperiale Architektur dient dem Ausschluss der Bevölkerung von der politischen Macht, auch Marktplätze sind streng kontrolliert, die kaiserlichen Paläste verschlossen. Bei öffentlichen Inschriften wird das Wort huang-di (göttlicher Herrscher) gezielt ausgelassen, da es als zu heilig gilt. |
Rom: organisch gewachsene Stadt mit öffentlich erinnerter Vergangenheit (Literatur, Tempel, Skulpturen), bis zu 1 Mio Einwohner in Kaiserzeit, im Zentrum ein Forum mit Repräsentativbauten, die zur Versammlung und Unterhaltung der Bürger dienen (Kaiserforen, Thermen, Theater etc.) oder der Erinnerung an große Siege (Triumphbögen, Statuen, Inschriften). Die Kaiser inszenieren ihre Herrschaft und legitimieren sich durch die Bestätigung der Volksmassen. Sie sind stets sichtbar. Einzigartige Privilegien, Herzstück des Reiches (caput mundi) |
Hauptstadt |
Chang'an: Unter dem ersten Han-Kaiser planmäßig errichtete Stadt (ex nihilo) mit 35qkm Größe, davon 66% für Paläste und andere öffentliche Gebäude reserviert. Zutritt zu den Gebäuden nur individuell und als Privileg, der Kaiser bleibt für die meisten Menschen unsichtbar. Keine Triumphzüge nach gewonnenen Kriegen. Mauern 12m hoch, auch im Inneren der Stadt. Zentrum der Stadt ein großes Waffenlager für die Armee, bis 500 000 Einwohner. Versammlung der Einwohner nur auf den |
Restaurierte res publica mit dem imperator (Feldherrn) als Träger höchster auctoritas und princeps (inter pares) an der Spitze. Zähmung der großgrundbesitzenden Oberschicht durch Einbindung in die Verwaltung des Reiches und formaler Abgrenzung vom Königtum. Es gibt differenzierte Konzepte von Herrschaft: Republik, Monarchie, imperium etc. |
Herrschaft | Göttlich legitimierte Monarchie mit dem Huang-di (göttlich - erhabener Herrscher) als Tianzi (Himmelssohn) an der Spitze. Zähmung der großgrundbesitzenden Oberschicht durch teilweise Einbindung in die Reichsverwaltung und offizieller Abgrenzung von der tyrannischen Herrschaft des ersten Kaisers Qin. Es gibt keine differenzierten Konzepte von Herrschaft, die Monarchie wird als unumstößlich betrachtet. |
Universale Herrschaft durch göttliche Prophezeiung (imperium sine
fine)
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Selbstver- ständnis Reich |
Universale Herrschaft durch Mandat des Himmels „Kaiser“ als
tugendhafter, die göttliche Ordnung bewahrender Weiser
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Eher dezentralisierte und aristokratische Verwaltung von Honoratioren, Delegation von staatlichen Aufgaben an lokale Elite. Sozialer Aufstieg nur im Militär möglich, ansonsten Rückgriff auf Senatoren und v.a. Ritter für die Präfekturen und Prokuraturen. Keine nennenswerte Aktenführung außerhalb Roms, keine klare Kompetenzbeschreibung der Prokuraturen. Protobürokratische Entwicklungen erst in der Spätantike. |
Verwaltung Eliterekru- tierung
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Eher zentralisierte, hierarchisierte (9 Gehaltsstufen) und bürokratische Verwaltung von Honoratiorenbeamten, teilweise Aufstiegsmöglichkeiten für kleine Beamte durch beginnende Examinierung in klassischer Bildung (124 v. Chr. Reichsakademie der Wissenschaften gegründet). Sozialer Aufstieg in ziviler Administration teilweise möglich (meritokratisches Prinzip). Selbst der als militärisch geltende Kaiser Wu ernennt zwei konfuzianische Gelehrte zum Kanzler und höchsten Befehlshaber. Aktenführung auch in entlegener Provinz schriftlich, klare Kompetenzbeschreibungen der Beamten. Konfuzianismus als tragende, Kaiser und Elite im Sinne einer konservativen Erhaltung des status quo verbindene Ideologie der Beamtenschaft. |
ca. 1000 in der Hauptstadt, max. 5 – 10 000 in den ca. 50 Provinzen (inklusive Offiziere) Bürgerschaft und Bürgerrecht als essentielle Merkmale des Romanus sum“) |
Anzahl
Rechtsstatus des Einzelnen |
30 000 Beamte in der Hauptstadt, 100 000 in den 80 Provinzen (Zählung 2 n. Chr.) Kein Begriff und keine Vorstellung von Bürgerrecht und Bürgerschaft |
Republikanisch- monarchiekritische Tradition z.B. Tacitus | Geschichts- schreibung | Tyrannen-kritische, aber für milde Monarchie schreibende Tradition: Sima Qian |
Grabhügel z.B. des Augustus am Rande der Stadt, zentrale Elemente wie der Rechenschaftsbericht (res gestae) oder der Friedensaltar dienen der öffentlichen Zurschaustellung. Die vorchristlichen Kaiser streben eine – im Reich unterschiedlich ausgeprägte – Divinität an, meist durch den Zusatz divi filius in Bezug auf ihren vergöttlic |
Religion Grabmo- numente Sakralität des Kaisers |
Grabhügel der Kaiser außerhalb der Stadt als eigene „Städte“, zentrale Elemente wie z.B. die Terracotta-Armee sind verborgen. Die Kaiser der ersten 200 Jahre v. Chr., v.A. Qin und Wu, verstehen sich als göttliche Kaiser (Thearchen), die durch rituelle Praxis bereits zu Lebzeiten Stufe für Stufe die Leiter zur höchsten Himmelsgottheit emporklimmen. Sie verstehen sich |
Integrierter Binnenmarkt mit dichtem Handelsnetz ausgeprägte Infrastruktur, v.a. Straßennetz Ausgeprägte, differenzierte Münzprägung (Gold, Silber, Bronze), geschätzte 4 Milliarden Gold und Silbermünzen im Umlauf im 2. Jhdt. n. Chr. ca. 1,3 Milliarden Sesterzen (davon 50% für das Militär, 10% für die Bevölkerung der Hauptstadt) = 2,6-3,5 Millionen Tonnen Getreide zum Preis im 2. Jhdt. |
Wirtschaft
Geld
Staats- haushalt |
Integrierter Binnenmarkt mit dichtem Handelsnetz ausgeprägte Infrastruktur, v.a. Straßennetz Bronzewährung 12 Milliarden cash (davon 20% für die Beamtenschaft und das Militär, kaum Ausgaben in der Hauptstadt) = 2,1-3,6 Millionen Tonnen Getreide zum Preis im 2. Jhdt. |
Literatur:
Fritz-Heiner Mutschler/ Achim Mittag, Conceiving the empire: China and Rome
compared, Oxford 2008
Walter Scheidel (Hrsg.) Rome and China: Comparative Perspectives on Ancient
World Empires. Oxford Studies in Early Empires. Oxford/New York:
Oxford University Press, 2009
Maria Dettenhofer, Das Römische Reich und das China der Han-Zeit, in GWU
3 (2010), S. 171-181.
Walter Scheidel (Hrsg.), State Power in Ancient China and Rome, Oxford 2015
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