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Inhalt

Handkes Stück beginnt mit dem Gedicht 16 jahr von Ernst Jandl, das als eine Art Motto gelesen werden kann: Es verweist im Kontext des Dramas sprachspielerisch auf die Geschichte des realen Kaspar Hausers, der im Alter von 16 Jahren als hilfloser Jüngling in Nürnberg auftauchte. Handke nutzt zwar dessen Geschichte, aber er macht n einer Art Vorwort darauf aufmerksam, dass das Stück nicht zeigt, ,wie es wirklich ist oder wirklich war‘, sondern ,was möglich ist mit jemandem‘, der durch auf ihn einsprechende Stimmen zum Sprechen gebracht wird. Dass diese Art des Spracherwerbs gewaltsam geschieht, darauf wird in dem Vorwort bereits hingewiesen, wenn von „Sprechfolterung“ durch die Stimmen der Einsager die Rede ist. Es folgen genaue Anweisungen zur szenischen Umsetzung: So sollen die Stimmen nicht unmittelbar auf den Helden einreden, sondern durch ein technisches Medium vermittelt werden. Sowohl die Bühne selbst mit Requisiten, die v.a. alltägliche Möbel wie einem Tisch, Stühle und einem Schrank darstellen, als auch die Figur des Kaspar, der an Frankensteins Monster oder King Kong erinnert und dessen Gesicht eine Maske ist, werden genau beschrieben.

Das in insgesamt 65 Szenen eingeteilte Stück zeigt, wie Kaspar durch die Stimmen der Einsager gewaltsam zum Sprechen gebracht wird. Zu Beginn tritt Kaspar mit einem einzigen Satz auf, den er mehrfach wiederholt und schließlich auf alles, was ihm begegnet, z.B. auf den Zusammenstoß mit Gegenständen auf der Bühne, anwendet, ohne einen Begriff von dem Gesagten zu haben: „Ich möchte ein solcher werden wie einmal ein anderer gewesen ist.“ Von den Einsagern, die jetzt einsetzen, wird in den Bühnenanweisungen gesagt, dass ihr medial vermitteltes Sprechen nicht auf einen Sinn abziele, sondern dass sie vielmehr Sprechen spielen. Der Text der Einsager findet sich fortan in der rechten Spalte des Textes, während die linke Spalte Kaspars Handlungen, auch seine Sprechhandlungen beschreibt. Diese Struktur wird durch eingeschobene Szenenanweisungen ergänzt.

Die Einsager versuchen Kaspar zunächst den Nutzen von Sprache am Beispiel seines Satzes deutlich zu machen: Demzufolge kann der Satz für alle möglichen Zwecke gebraucht werden, er tauge ebenso zur Selbstbehauptung, Abgrenzung gegen andere und der Erschließung der Welt (vgl. die Szenen 8-16). Bereits hier wird deutlich, was das Hauptanliegen der Einsager ist, nämlich Kaspar durch die Sprache einer Ordnung zu unterwerfen.

Fortan vollzieht sich die Sprachvermittlung durch die Einsager auf verschiedenen Ebenen der Sprache: Wörter und Laute werden vertauscht und imperativisch werden bestimmte Worte wiederholt, die wiederum die Aufforderung zur Ordnung enthalten: „Ordnen. Stellen. Legen. Setzen“. Die Konfrontation mit dem vorgesagten Sprachmaterial führt dazu, dass Kaspar sein eigener Satz ausgetrieben wird (vgl. Szene 17). Den Lauten und Wörtern folgen die Sätze, die sich durch Beliebigkeit und dadurch auszeichnen, dass sie nichts erzählen und keine Fragen nach sich ziehen (vgl. Szenen 20-23). Entsprechend sprechen die Einsager Kaspar Gemeinplätze und Lebensweisheiten, die sich als Phrasen und Klischees herausstellen, vor (vgl. Szenen 25-26). Die Einsager setzen verschiedene Schwerpunkte (metaphorische Sprache, scheinbare Analogieschlüsse, Relativierungen usw.), die alle das Ziel haben, Kaspar einer Ordnung zu unterwerfen, die die Auslöschung seiner Individualität bewirkt.

Zunächst scheint die ,Spracherziehung‘ auch zu funktionieren und Kaspar übernimmt die phrasenhafte und sinnlose Sprache der Einsager. Als Kaspar aber seine eigene Identität reflektiert, stellt er eine Frage, die nicht durch die Einsager vorgegeben ist: „Warum fliegen da lauter so schwarze Würmer herum?“ Die Bühne wird schwarz, nach nur wenigen Augenblicken wird es aber wieder hell und die Einsager setzen ihre ,Sprechfolter‘ fort. Allerdings werden die Redeanteile der Einsager deutlich geringer gegenüber der Beschreibung der Handlungen und Sprechhandlungen Kaspars und gegenüber den Szenenanweisungen.

Ein weiterer Kaspar tritt auf und die Einsager sind still. Der erste Kaspar will jetzt kein anderer mehr sein und hat sich sprachlich die Gegenstände angeeignet (vgl. Szene 58). Die Bühne leert sich und die Szenenanweisungen sehen eine Pause vor, in der aber medial vermittelte Stimmen zu hören sind, die Phrasen zu verschiedenen Themen (Flüchtlinge, Krieg, Leben usw.) äußern (vgl. Szene 59).

Nach der Pause treten drei weitere Kaspars auf, die äußerlich mit den anderen Kaspars identisch sind. Nur der erste Kaspar spricht aber. Nachdem die Einsager thematisieren, wie Ordnung mittels Gewalt hergestellt wird (vgl. Szene 61), und (der erste) Kaspar die Sprache der Einsager übernimmt, ist er schließlich irritiert und fragt sich, was er gerade gesagt habe. Er reflektiert seine Entwicklung, endet aber schließlich in der mehrfachen Wiederholung der Aufzählung zweier Tierarten, Ziegen und Affen, was im Rahmen seines Prozesses der sprachlichen Sozialisation einen Rückschritt darzustellen scheint. Die Einsager schweigen und der Vorhang schließt sich.

Textausgaben:

Peter Handke: Kaspar. Frankfurt a. M. 1967 (1968).

Peter Handke: Kaspar. In: Ders.: Die Theaterstücke. Frankfurt a. M. 1992. S. 87-190.

Handke: „Kaspar“: Herunterladen [pdf][207 KB]