Zur Hauptnavigation springen [Alt]+[0] Zum Seiteninhalt springen [Alt]+[1]

Inhalt

Die Romanhandlung lässt sich in zwei Ereignisebenen einteilen: eine langsam fortschreitende, von Schilderungen, Dialogen und Reflexionen dominierte Gegenwartshandlung und eine durch ereignisreiche Binnenerzählungen Florentins (Lebensgeschichte, Venedig-Episoden), Julianes Geistergeschichte sowie eingesprengte Verweise und Andeutungen verwirklichte Vergangenheitsebene. Die Ereignisse auf der Gegenwartsebene zeigen einen romantischen Helden unbestimmten Alters, der auf Wanderschaft „vertieft in Genuss der ihn umgebenden Herrlichkeit und in Phantasieen“ (11) den rechten Weg verfehlt. Er rühmt sich, „ein freier Mensch zu sein“ (ebd.), der auf der Suche ist: nach sich selbst und seiner Herkunft, nach seinem Platz unter den Menschen, deren „unsinnigen Anstalten“ (13) er sich entfremdet hat, sowie nach der unbekannten Geliebten („noch hat mein Auge sie nicht gesehen, aber ich kenne sie“, 13) und seinem Lebensziel (vorläufig: als Soldat in Amerika für die Freiheit zu kämpfen). Der weitere Handlungsverlauf sowie seine Neigung zur reflektierenden Prokrastination lassen jedoch vermuten, dass dieses Ziel nicht mit äußerster Konsequenz verfolgt wird, sondern eher als Vorwand dient, um das zyklische Verweilen und Wieder-Aufbrechen zu rechtfertigen. Florentin hört auf dem Weg durch den Wald einen Schuss sowie Hilferufe, eilt an den Ort des Geschehens und rettet den auf der Jagd befindlichen Grafen Schwarzenberg vor einer Wildsau. Widerwillig nimmt Florentin die Einladung des dankbaren Mannes in sein Schloss an und sieht sich durch die harmonisch geordneten Verhältnisse sowie das wertschätzende Miteinander im kultivierten Hause Schwarzenberg mit der menschlichen Gesellschaft ausgesöhnt. Er knüpft Freundschaften mit dem Grafen und seiner Frau Eleonora, mit deren Tochter Juliane und deren Verlobtem Eduard – und verspricht, bis zu deren Hochzeit ihr Gast zu bleiben. Durch Erzählungen sowie ein Gemälde, das ihn tief berührt, lernt er ferner die geheimnisvolle Schwester des Grafen kennen, die von ihrer Nichte wie eine Mutter verehrt wird. Auf einem Ausflug mit den jungen Leuten in die Natur erzählt Florentin auf Julianes Wunsch seine Lebensgeschichte (s.u.). Als sie danach von einem Gewitter überrascht werden, suchen sie in einer Mühle Zuflucht und verbringen dort die Sturmnacht, in deren Verlauf Juliane eine mysteriöse Geschichte ihrer Tante Clementina erzählt. Am Tag der Hochzeit reist Florentin überraschend ab, um Clementina aufzusuchen. Die kränkliche, menschenscheue und dennoch wohltätig wirkende Gräfin entzieht sich zunächst einem direkten Kontakt und lässt Florentin zu einem Chorkonzert einladen. Als sie ihn nach dessen Ende erblickt, fällt sie in Ohnmacht und Florentin bleibt im Unklaren über ihre Person und deren Bedeutung in seinem Leben. Nach einem Streit mit einem grobschlächtigen Rittmeister bricht Florentin überstürzt auf und ist nicht mehr auffindbar. Eine Entwicklung Florentins ist auf dieser Gegenwartsebene nur ansatzweise zu erkennen und auch seinen romantischen Zielen (s.o.) kommt er kaum näher. Lediglich seine „Neigung zu Melancholie und Menschenverachtung wird unter den sympathischen Personen, mit denen er zu tun hat, zu einem gewissen Grad korrigiert.“ (Nehring 2012). Auch das spannungsgeladene Dreiecksverhältnis (unbedarftes junges Mädchen/ungeduldig begehrender junger Mann, der Florentin wegen dessen Freiheit beneidet/Sympathien beider für Florentin) kommt mit Florentins Weggang ohne Konsequenzen zu einem Ende. Die Vergangenheitsebene besteht vorwiegend, aber nicht nur, aus Florentins Rückblick auf seine Kindheit und Jugend. Ist die Gegenwartsebene arm an Handlung, aber reich an Reflexion und gedanklichem Tiefgang, ist die Jugendgeschichte reich an äußerem Geschehen, das aber nur kursorisch erzählt wird. Folgende Stationen reihen sich linear aneinander: einsame Kindheit in einem Haus auf einer kleinen Insel – Noviziat unter Aufsicht eines Priors bzw. Paters (Ziel: Klosterleben) – wachsender innerer Widerstand – Befreiung mithilfe des jungen Nachbars Manfredi und dessen Vaters – zwei Jahre Militärschule – gescheiterte Befreiung der Schwester aus dem Kloster – Enthüllung: Florentin ist elternlos, die Mutter eine Pflegemutter – Flucht nach Venedig – Rettung eines befreundeten Zufallsmörders – Flucht nach Rom – Künstlerleben – Heirat mit einer Römerin – Trennung nach der Abtreibung seines Kindes – Flucht aus Italien: Marseille, Paris, London – Wanderung durch Südfrankreich – auf Einladung eines Schweizers nach Basel, dann Reise durch Deutschland. Als Nachtrag zu seiner Lebensgeschichte ergänzt Florentin die Episode der ‚verschlafenen Liebesnacht‘, ein Liebesabenteuer in Rom, das seine romantische Begeisterungsfähigkeit, aber auch seine rasche Entfremdung angesichts veränderter Rahmenbedingungen zeigt. Weitere Verweise auf die Vergangenheitsebene, die in der Gegenwartshandlung aufblitzen, sind: die Geschichte, die Juliane in der Sturmnacht ihren Begleitern erzählt und die sie von Tante Clementina erzählt bekommen hat (Verzweiflung einer verheirateten Frau über anhaltende Kinderlosigkeit – Gelübde, nach einem weiteren Jahr ohne Kind den Gatten freizugeben – permanente Engelserscheinung, die nur von ihr wahrgenommen wird – Schwangerschaft – Verschwinden der Erscheinung am Tage der Niederkunft); ferner: die Andeutung einer verborgenen Beziehung zwischen Florentin und Clementina durch deren Reaktion aufeinander in verschiedenen Situationen und durch den Umstand, dass sie durch ihr humanitäres Wirken vergangene Liebesschmerzen oder -irrtümer vergessen machen will. Diese Spuren des Vergangenen verleihen dem Gegenwartsgeschehen eine geheimnisvolle Aura und lassen Verknüpfungen erahnen, die jedoch nicht aufgelöst oder konkretisiert werden. Der dazu vorgesehene zweite Band wurde nicht realisiert.

Textausgaben:

Florentin. Erstdruck. Hrsg. von Friedrich Schlegel. Lübeck und Leipzig 1801. Online verfügbar unter: books.google.de

Dorothea Schlegel: Florentin. Roman, Fragmente, Varianten. Hrsg. von Liliane Weissberg Frankfurt/M. 1986

Dorothea Schlegel: Florentin. Ein Roman. Hrsg. von Wolfgang Nehring, inkl. Anmerkungen, Dokumente zur Entstehung und zur Rezeption, Literaturhinweise, Nachwort. Stuttgart 1993, Neuauflage: 2012

Schlegel: „Florentin“: Herunterladen [pdf][226 KB]