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Literaturwissenschaftl. Einordnung & Deutungsperspektiven

Der Roman Hiob fällt mit seinem Erscheinungsjahr 1930 in die sogenannte ‚Romankrise‘. Diese, von zahlreichen Autoren wahrgenommene Krise war der Ausdruck der Erkenntnis, dass der „Roman als Kunstwerk und das Postulat einer Darstellung von Wirklichkeit“ (Schärf 2001) nicht mehr realisierbar ist, so dass seit der Jahrhundertwende neue Formen des Romans gesucht und poetologisch entfaltet wurden. Die Romankrise wurde zu einem Kernpunkt der Intellektuellendiskurse, und die Romanautoren suchten nicht nur nach theoretischen und poetologischen Antworten, sondern insbesondere auch nach einer praktischen Möglichkeit der Überwindung der Romankrise; als bedeutende Versuche können etwa Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften und insbesondere Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz gewertet werden. Zeichnen sich diese Romane durch innovative Erzählformen aus, liegt demgegenüber bei Hiobeine traditionelle Erzähl- und Romanform vor, was bereits der Beginn verdeutlicht: „Vor vielen Jahren lebte in Zuchnow ein Mann namens Mendel Singer. Er war fromm, gottesfürchtig und gewöhnlich, ein ganz alltäglicher Jude. Er übte den schlichten Beruf eines Lehrers aus.“ Diese Art des chronologischen Erzählens blieb zwar nicht ohne Kritik (es wurden der weiche, zurückhaltende Erzählton und das realitätsferne Ende des Romans bemängelt), aber dennoch wurde der Roman, der zunächst in der Frankfurter Zeitung im Vorabdruck erschien, zu einem großen literarischen Erfolg in der Weimarer Republik. Stefan Zweig schrieb etwa in einer Rezension: „Was an dem neuen Roman Joseph Roths vor allem so überrascht und ergreift, ist seine große, gebändigte Einfachheit. […] Mir und dir und jedermann kann diese wahre und klare Jedermannsgeschichte heute oder morgen oder übermorgen geschehen.“ (zitiert nach: von Sternburg 2009)

Die Lebensgeschichte Mendel Singers basiert auf dem biblischen Intertext der alttestamentarischen Erzählung der Lebensgeschichte des frommen Hiob: Satan wettet mit Gott, dass der fromme Hiob vom Glauben abfallen würde, wenn ihm Leid zugefügt werden würde. Gott lässt zu, dass Hiob seinen Besitz verliert, dessen Kinder sterben und er schließlich an einem Geschwür leidet, das den gesamten Körper bedeckt. Doch Hiob hält zu Gott: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (Hiob 2, 10) Gegen Ende belohnt Gott Hiobs Treue, erlöst ihn vom Geschwür, gibt ihm seinen Besitz zurück und er bekommt mit seiner Frau wieder sieben Kinder. Indem Roth sich auf diesen biblischen Hypotext bezieht, gilt es, Kategorien der ‚Intertextualität‘ heranzuziehen. Den Ausgangspunkt für den Terminus der Intertextualität bildet der sowjetrussische Literaturwissenschaftler Michail Bachtin mit dem grundlegenden In-Frage-Stellen der Originalität eines Textes. Diesen fundamentalen Gedanken greift Julia Kristeva auf und betont, dass der literarische Verstehensprozess nicht nur vom Verstehen des eigentlichen Primärtexts abhängig ist, sondern auch vom Erkennen der Referenzbeziehungen, so dass der Prozess des Lesens automatisch auch eine Rückerinnerung an die dahinter lesbaren Texte beinhaltet.

Textausgaben:

Hiob. Roman eines einfachen Mannes. München 2002. [die hier verwendete Ausgabe]

Hiob. Roman eines einfachen Mannes. Mit Nachwort, Materialien, Zeittafel und Kommentar von Martin Lowsky. Husum 2010.

Hiob. Roman eines einfachen Mannes. Kommentiert von Heribert Kuhn. Frankfurt am Main 2011.

Roth: „Hiob“: Herunterladen [pdf][184 KB]