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Inhalt

Die Brieferzählung beginnt mit einem Brief Ljus an seinen revolutionär gestimmten Freund Konstantin, in welchem unmittelbar die politischen Hintergründe für seine Einstellung im Haus des Gouverneurs und seine Sicht auf die Familienmitglieder dargestellt werden. Die Frau des Gouverneurs ist demnach aufgrund eines Drohbriefes an ihren Mann auf die Idee gekommen, einen Leibwächter für ihren Mann einzustellen. Daraufhin werden die drei Kinder des Gouverneurs und seiner Frau ebenfalls aus der Sicht Ljus eingeführt: Welja ist ein Student der Rechte, hübsch und drollig, die beiden Töchter, „Jessika und Katja, zwischen zwanzig und dreiundzwanzig Jahren, blond, niedlich, einander ähnlich wie Zwillinge“. Die wahre Gesinnung des Attentäters wird zugleich deutlich, da er hinter der liebenswürdigen Harmlosigkeit der ganzen Familie ihren Hochmut betont. Die Mitglieder der Familie verkörpern für ihn eine aus der Zeit gefallene Sippe. Ihr Diener, der trinkende Kutscher Iwan, der sich im Folgenden als stärkster Verächter des Leibwächters herausstellt, wird von Lju ambivalent gezeichnet: Als Leibeigener, der seine Herrschaft anbetet und doch zugleich über sie „mit unbewusster Überlegenheit“ zu urteilen vermag.

Auf den Eingangsbrief, der die Figuren aus der Sicht Ljus vorstellt und die Handlung einleitet, folgen weitere Briefe der verschiedenen Familienmitglieder. Sie ermöglichen eine multiperspektivische Annäherung an die Familie. Einen besonderen inhaltlichen Schwerpunkt der Briefe stellt das Verhältnis der Familienmitglieder zu Lju dar. „Der Schutzengel“ – wie ihn die verschiedenen Familienmitglieder nennen – ist laut Welja, der häufig an seinen Freund Peter Briefe schreibt, „schlank, glattrasiert, zurückhaltend, eher ein englischer Typus“. Sein kalter und „durchdringende[r] Blick“ sowie seine Unergründlichkeit werden von allen bemerkt. Während sich anfangs alle Familienmitglieder für ihn begeistern, entstehen erste Brüche im Verhältnis zu ihm, als die jüngste Tochter Jessika sich in ihn verliebt. Davon enttäuscht distanziert sich etwa die ältere Tochter Katja deutlich von Lju, den sie sogar zeitweise dem um sie werbenden Peter vorzieht. Sie nimmt ihn fortan als bedrohliches Element wahr und warnt ihren Bruder Welja vor ihm, damit er die Eltern vor ihm schützt. Obwohl sie sich über die Universitätsschließungen des Vaters mehrfach empört, steht sie hinter ihrem Vater als Familienoberhaupt und bangt wie die Mutter um sein Leben. Der unbekümmerte Welja ist Lju jedoch stets wohlgesonnen. Obwohl er dessen rebellische Gesinnung erkennt („Lju ist im Grunde ein Revolutionär“), ist er sich sicher, dass ein kluger Kopf, dessen Gedanken vom System abweichen, dennoch ein Theoretiker bleibt. Er wird nie handgreiflich und stellt schon gar nicht eine Bedrohung für die Familie dar. Auch lässt er sich wie die Mutter leicht täuschen: Als er erkennt, dass der Drohbrief die Handschrift Ljus trägt, glaubt er dessen Ausrede, lediglich eine graphologische Nachahmungsübung der Schrift des Drohbriefes durchgeführt zu haben. Weljas Haltung zu seinen Eltern ist loyal, auch wenn er erkennt, dass der Vater die Unterordnung aller einfordert und seine Mutter anderen Haltungen gegenüber offener ist. Die Mutter Lusinja schreibt der Tante Tantjana zwar, dass sie das Gefühl hat, Ljus Inneres nicht zu kennen und er ihr nach und nach unheimlicher wird, hofft zuletzt jedoch auf seine freiwillige Abreise und ist durchweg unfähig, ihn als Gewalttäter zu durchschauen. Obwohl sie Lju eines Tages im Schlafzimmer überrascht, hält sie ihn anschließend für einen unheimlichen Nachtwandler. Nachdem sie einen von Lju verfassten zweiten Drohbrief unter ihrem Kopfkissen findet, fühlt sie sich zunehmend bedroht, ohne die Gefahr konkretisieren zu können. Die Abreise ihrer Kinder begrüßt sie, da sie die sich andeutenden politischen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten in der Familie dadurch bereinigen und mit ihrem Mann das Alleinsein genießen will.

Einzig der Kutscher und Trunkenbold Iwan zeigt offen seine Abneigung gegenüber dem Leibwächter seines Herrn, der ihm zu gebildet und deshalb verdächtig ist.

Dass der Gouverneur an seiner politischen Linie festhält und zu keinen Veränderungen bereit zu sein scheint, wird deutlich, als er einen Brief der Mutter des inhaftierten Anführers Demodow für dessen Begnadigung abschlägig beantwortet.

Die Briefe Ljus an seinen Freund und Mitstreiter Konstantin offenbaren durchgehend seine anarchistische Gesinnung, aber auch seine Faszination für den in sich gefestigten Gouverneur, der zeitweise geradezu einen Zauber auf ihn ausübt. Da sich Lju deswegen scheut, selbst beim Attentat anwesend zu sein, zumal er sich mit der Familie zu sehr vertraut fühlt, lässt er seinen Freund Konstantin die Schreibmaschine des Gouverneurs manipulieren, so dass sie beim Drücken des ersten Buchstabens des Vornamens des Gouverneurs ‚J‘ am Ende explodieren wird.

Textausgaben:

Ricarda Huch: Der letzte Sommer. Eine Erzählung in Briefen. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart und Leipzig 1910.

Ricarda Huch: Der letzte Sommer. Eine Erzählung. Leipzig 1920.

Ricarda Huch: Der letzte Sommer. Eine Erzählung in Briefen. Berlin 2019.

Huch: „Der letzte Sommer“: Herunterladen [pdf][175 KB]