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Literaturwissenschaftl. Einordnung & Deutungsperspektiven

In den 1970er und 1980er Jahren galt der Roman als einer der wichtigsten deutschsprachigen Exilromane. Anna Seghers verarbeitet in ihm zeitgeschichtliche und biographische Aspekte. Wichtig im Kontext der Interpretation ist jedoch, dass keine Einengung auf autobiographische Aspekte vorgenommen wird, sondern der Roman als fiktionale Gattung wahrgenommen werden sollte.

Der Titel Transit bezieht sich nicht nur auf die primäre Bedeutung, also die Durchreise von Personen in ein anderes staatliches Hoheitsgebiet, sondern auch auf die metaphorische Entsprechung als Übergang zwischen Leben und Tod, so dass der gesamte Roman als Parabel auf das „Transitäre dieser Welt“ (Nachwort) gelesen werden kann.

Im Mittelpunkt des Romans steht die Identitätssuche des Ich-Erzählers. Aufgrund der historischen Rahmenbedingungen muss der Ich-Erzähler seine bisherige Existenz aufgeben, erfährt dadurch einen Identitätsverlust und (re-)konstruiert seine Identität in Interaktion mit den ihn begleitenden Figuren. Zu Beginn des Romans ist die Handlung bereits abgeschlossen und der Ich-Erzähler möchte das Geschehene „von Anfang an“ darlegen. Er folgt damit unbewusst dem modernen Konzept der narrativen Psychologie, indem er durch Narration eine kohärente Identität erschafft und ein Lebensskript in Form einer ‚Pachtwork-Identität‘ generiert. Gegen Ende des Romans scheint dieser Prozess in positivem Sinne abgeschlossen zu sein und der Ich-Erzähler findet eine neue Identität als Landarbeiter.

Erzähltechnisch liegt dem Roman eine Auseinandersetzung mit Georg Lukács und Bertolt Brecht und der sogenannten ‚Realismusdebatte‘ zugrunde. Zentral ist hierbei die Frage, wie die Realität in der Literatur abgebildet werden könne. Lukács postuliert (sehr verkürzt dargestellt), dass der Roman der historischen Darstellungsform folgen müsse, währenddessen Brecht demgegenüber konzediert, dass diese Form durch moderne Erzählweisen ersetzt werden müsse. Implizit wird dadurch die Frage aufgeworfen, wie antifaschistische Literatur gestaltet werden könne, um die Wirklichkeit zugunsten des Proletariates zu verändern. Seghers entwickelt ein offenes Konzept des Realismus, das auf Erfahrung und subjektiver Authentizität basiert und das in der Forschung als ‚sozialistischer Realismus‘ bezeichnet wird: „Der sozialistische Realismus bedient nicht allein ein theoretisches, sich aus dem Gegenstand und der seiner Erforschung dienenden Disziplinen ergebendes Interesse, sondern ist die programmatische Fassung eines praktischen Bedürfnisses (zunächst) der sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien, dann des sozialistischen Staates im Sinne einer staatlichen Kunstdoktrin, die in Kunst und Kultur einen Gradmesser für den ökonomischen und politischen Erfolg des Sozialismus und ein Medium der Erziehung sieht.“ (Seghers-Handbuch 2020) Dadurch wird ein eigenständiger Romanstil abgeleitet: die Wirklichkeit wird aus der subjektiven Sichtweise des Ich-Erzählers dargestellt, um diese wahrheitsgetreu abzubilden, deren Defizite aufzuzeigen und eine Veränderung des Lesers und der Welt herbeizuführen.

Eine Folge dieser Poetologie ist der Erzählstil, der den Jargon einer mündlichen Erzählweise imitiert, was sich im einfachen Satzbau und einer retardierenden Ich-Anapher zu Beginn zahlreicher Sätze des Romans manifestiert. Ferner findet sich durchgehend eine Leseransprache, wie etwa „Haben Sie bitte Geduld mit mir.“ (Transit) oder „Bitte verzeihen Sie diese Abschweifung.“ (Transit), die die Distanz zwischen Erzähler und Leser reduzieren möchte.

Textausgabe:

Seghers, Anna: Transit. Berlin 2020.

Seghers: „Transit“: Herunterladen [pdf][175 KB]