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Arthur Schnitzler: Lieutnant Gustl (1900)

Empfehlung für die Orientierungsstufe, das Basisfach und das Leistungsfach

Kurzinformation

Cover der ersten Ausgabe von Lieutenant Gustl von Arthur Schnitzler

Arthur Schnitzler Lieutenant Gustl (1901).jpg von Moritz Coschell [PD-US] via Wikimedia

Der junge Lieutnant Gustl, Offizier der k.u.k.-Armee, gerät nach Ende eines Oratoriums, das er zerstreut und gelangweilt verfolgt hat, im Gedränge an der Garderobe mit dem Bäckermeister Habetswallner aneinander. Auf Gustls grobe Zurechtweisung reagiert der physisch stärkere Bäcker mit der diskreten Drohung, Gustls Säbel zu zerbrechen und an die Regimentsleitung zu schicken. Dabei hält er den Griff fest, sodass Gustl nicht reagieren kann, und er bezeichnet ihn zuletzt als dummen Buben. Perplex und verunsichert von dieser von den übrigen Anwesenden unbemerkten Ehrverletzung durch einen Zivilisten, beginnt Gustl panisch und angsterfüllt über die Konsequenzen dieser skandalösen Beleidigung nachzudenken. In einem Bewusstseinsstrom aus Gedankensplittern, Wahrnehmungen und Erinnerungsfragmenten kreisen seine inneren Vorgänge um die Frage der Zeugenschaft des Vorfalls, die Angst vor der Blamage bei dessen Enthüllung sowie um die Aussichtslosigkeit seiner Lage. Im Gefühl der übermächtigen Bedrohung und Unlösbarkeit seines Problems fasst er den für ihn alternativlosen Entschluss zum Selbstmord am nächsten Morgen. Sein Weg führt ihn durch das nächtliche Wien hinaus zum Prater, wo er auf einer Parkbank erschöpft einschläft. Kurze Zeit später macht er sich auf den Rückweg und gelangt nach einem kurzen Aufenthalt in einer Kirche am frühen Morgen in sein vertrautes Kaffeehaus, wo ihm der Kellner Rudolph berichtet, den Bäcker Habetswallner habe um Mitternacht der Schlag getroffen. Über alle Maßen erleichtert, lässt Gustl seine Suizidpläne fallen und beschäftigt sich mit den anstehenden Vorhaben des Tages – unter anderem einem Duell am Nachmittag.

Schnitzlers Monolognovelle gilt als einer der bedeutendsten und innovativsten Texte der Wiener Moderne. Die Gründe dafür sind zum einen inhaltlich-thematischer Natur, zum anderen liegen sie in der erzählerischen Gestaltung. Mit großer diagnostischer Treffsicherheit legt Schnitzler im Spiegel eines banalen Durchschnittsoffiziers und eines noch banaleren Vorfalls die Dürftigkeit eines Ehrbegriffs frei, der – zumal bei Angehörigen des Militärs – zwar identitätsstiftend war, aber auch destruktiv in die militarisierte Gesellschaft der späten Habsburger Monarchie hineinwirkte. Die schädlichen Auswirkungen eines solchen hypertrophen Ehrbegriffs zeigt Schnitzler in einer neuartigen Form des psychologisch authentischen Erzählens. Der perfektionierte innere Monolog lässt einen vermittelnden Erzähler hinter der Figur verschwinden und den Leser unmittelbar teilhaben an den Bewusstseinsvorgängen des erlebenden Ichs. Dabei treten auch unkontrollierte Reflexe, Emotionen und Vorurteile sowie Einstellungen zu Tage, die wenig schmeichelhafte Schlaglichter auf die Mentalität eines Repräsentanten der damaligen Gesellschaft werfen, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Überlegenheit befindet: Antisemitismus, Obrigkeitshörigkeit, Frauenfeindlichkeit, absurde Männlichkeitsrituale (Duellieren), dazu ein autoritärer Charakter, der seine inneren Schwächen durch die gesellschaftliche (militärische) Stellung kompensiert. Mit den Worten des Germanisten Hartmut Scheible gilt: „ Drei Duzend Seiten genügen, um ein erstaunlich vollständiges Bild [der damaligen Gesellschaft] zu entwerfen.“

Textausgaben:

Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. von Konstanze Fliedl. Berlin 2011

Taschenbuch-Ausgabe / E-Book. Hrsg. von Konstanze Fliedl. Stuttgart 2002, 2014

Schnitzler: „Lieutnant Gustl“: Herunterladen [pdf][170 KB]

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