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Teil 3

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


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Nach Unterrichtsschluss sprach sich Camilla mit ihrer Freundin Gloria aus:
»Wie denkst du eigentlich über dies Problem mit Rebekka?«
»Es ist etwas sehr Trauriges«, antwortete Gloria.
»Aber findest du nicht auch, dass Rebekka unnötigerweise so gelitten hat?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Gloria. »Aber............................................................................................................. ...................... (Hilfe: Gloria verweist hier auf einen grundsätzlichen Aspekt von Freundschaften oder Liebesbeziehungen. Wenn Du keine Idee hast, lies weiter und formuliere später) ...................................................................................................................... ...................................................................................................................... ..................................................................................................................... Aber warum fragen wir nicht einfach meine Mutter? Komm heute mit zu mir nach Hause, sie freut sich bestimmt!«

Camilla fand, das sei eine gute Idee. Von Glorias Wohnung aus telefonierte sie mit ihren Eltern und sagte Bescheid, dass sie bei Gloria übernachten wolle. So konnten sie ungestört den ganzen Abend miteinander verbringen. Zu dritt saßen sie gemütlich zusammen, und irgendwann ergab es sich, dass Camilla noch einmal ihre Frage anbringen konnte:

»Finden Sie eigentlich, dass der Freund von Rebekka damals moralisch richtig gehandelt hat?«

»Aber natürlich!«, antwortete Glorias Mutter. ».................................................................................................................. .................................................................................................................... ............................................ ............................................................«

»Aber er hat Rebekkas Leiden überhaupt nicht berücksichtigt!«

»Das wissen wir nicht so genau, Camilla«, sagte Glorias Mutter. »Aber ich verstehe, was dich an der Geschichte stört! Du findest es unerträglich, dass Rebekka leiden musste.«

»Ja genau, sie hatte doch nichts getan, und dann muss sie plötzlich mit ansehen, wie ihr Leben zerstört wird. Das hat sie doch nicht verdient.«

»Weißt du, es stimmt zwar, dass man seine Mitmenschen nicht leiden machen soll, aber in solchen Fällen ist das unvermeidlich.«

»Warum denn unvermeidlich? Ich sehe das nicht ein.«

»Weil es um Liebe geht. Wenn du jemanden liebst, dann hoffst du, dass der dich aus freien Stücken wiederliebt. Aber diese Liebe kannst du nicht erzwingen.«

»Das ist wahr!«, schaltete sich jetzt Gloria ein. »Gefühle lassen sich nicht erzwingen.«

Glorias Mutter fuhr fort: »Lieben und Wiederlieben sind Gefühle, die man nur in freier Weise haben kann. Rebekkas Freund ist nicht verantwortlich zu machen für ihr Leiden, obwohl er es bewirkt hat.«

Camilla war von diesem Gedanken beeindruckt.

»Also hatte Rebekkas Freund keine Schuld an ihrem Leiden ...«

»Überhaupt keine«, wiederholte Glorias Mutter. »Man kann aus der Welt nicht einfach jede Form des Leidens fortschaffen. Überleg dir mal, wie eine Welt ganz ohne Leiden aussehen würde! Man könnte ja dann nur noch diejenigen Menschen lieben, bei denen man von vornherein wüsste, dass sie einen wiederlieben, und außerdem müsste man die Gewissheit haben, dass nicht noch eine dritte Person unter dieser Liebe leidet. Würdest du gern in so einer Welt leben?«

»Wohl nicht«, sagte Camilla nachdenklich.

»Es wäre auch sonst eine merkwürdige Welt«, sagte Gloria. »Man dürfte zum Beispiel keine Wettspiele mehr erlauben.«

»Wie kommst du denn jetzt darauf, Gloria?«, fragte ihre Mutter.

»Herr Sepulveda hat uns heute morgen darauf hingewiesen, dass in diesen Spielen, wo jeder gewinnen will, die Verlierer gewöhnlich unter ihrer Niederlage leiden. Folgerichtig müsste man, wenn man das Leiden der Verlierer verhindern will, diese Spiele verbieten.«

»Das ist richtig«, sagte Glorias Mutter. »Und es gäbe auch noch andere merkwürdige Konsequenzen, die unseren Alltag völlig durcheinander brächten: ................................................................................................................... ............................

..................... (Hilfe: Überlege Dir hier weitere Beispiele, bei denen deutlich wird, dass ein Vermeiden von Leiden unsinnig wäre.) .................................................................................................................. ................................................................................................................ .............................................................................«

»Ja, jetzt verstehe ich langsam, dass eine Welt ohne Leiden wirklich absurd wäre. Manche Formen des Leids würde es sogar in einer perfekten Welt immer geben.«

»Klar!«, sagte Glorias Mutter. »Von Krankheiten und anderen Leiden, die nicht von anderen Menschen verursacht werden, wollen wir jetzt gar nicht reden. Aber manchmal ist es auch unvermeidlich, dass das Tun eines Menschen bei einem anderen einen Schmerz bewirkt, ohne dass er das will und auch ohne dass er fahrlässig handelte. Es ist die andere Person, die wegen dem leidet, was du tust, aber dann ist es grundsätzlich ein Problem des anderen.«

»Und wenn ich versuchen wollte, dieses Leiden zu vermeiden«, ergänzte Camilla, »würde ich Dinge beseitigen müssen, die für alle sehr wichtig sind, wie ein Gewinnspiel einzugehen oder zu lieben und frei wiedergeliebt zu werden.«

Obwohl Camilla zustimmte, war sie immer noch unsicher. Gloria müsste ihr das angesehen haben.

»Du bist anscheinend doch noch nicht ganz überzeugt, Camilla?«

»Irgendwie komme ich nicht damit zurecht, dass Rebekka so sehr darunter leiden müsste.«

Glorias Mutter setzte noch einmal zu einer Erklärung an:

»Es ist zwar richtig, dass die Handlung eines anderen unmoralisch ist, wenn wir nicht wollen können, dass sie uns betrifft, aber dieses »Wir wollen nicht« muss man zugleich als eine allgemeine Regel verstehen können, die für alle gilt: Wir wollen, dass niemand so handelt. Wenn Rebekka darüber nachgedacht hätte, wie sie selbst gehandelt hätte, wenn sie in der Rolle ihres Freundes gewesen wäre, dann wäre ihr klar geworden, dass man ohne Liebe nicht heiraten soll. Folglich hätte es keine allgemeine Regel von der Art geben können, dass alle Menschen sich in der Weise verhalten sollen, wie das von Rebekka gewünscht wurde. Und deshalb konnte sie ihrem Verlobten auch keinen Vorwurf für sein Verhalten machen, bloß weil sie sich jetzt auf der Seite des Verlierers befand. Verstehst du, Camilla?«

»Jetzt endlich steig ich dahinter«, rief Camilla erleichtert. »Es kommt also auf die verallgemeinerbare Regel an!«

Glorias Mutter lächelte. »Scheints habe ich die Sache erst jetzt richtig beschrieben. Wir haben keinen Grund, die Entscheidung des Freundes zu kritisieren, weil wir nur dann jemandem einen Vorwurf machen können, wenn er oder sie nicht so handelt, wie wir das im allgemeinen haben möchten. Natürlich hatte Rebekka es gerne gesehen, wenn es anders gewesen wäre, aber das hätte nicht einmal sie selbst als allgemeine Regel wollen können, und so kann man ihrem Freund keine Vorwürfe machen.«

Camilla und Gloria waren mit diesem Ergebnis zufrieden, aber durch das viele Nachdenken müde geworden, gingen sie bald danach zu Bett.

Textquelle:
Ernst Tugendhat, Celso López, Ana María Vicuna, Wie sollen wir handeln? - Schülergespräche über Moral. Stuttgart 2000 (= Reclam UB 18089), S. 57
Mit freundlicher Genehmigung des Reclam-Verlags

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Auswertung:   Überschrift für den Abschnitt/ Vergleich mit Originaltext/
                       Wie lautet die Verallgemeinerungsregel?

Mögliche Formulierung:
Wenn ich eine Handlungsweise zu einer allgemeinen moralischen Handlungsregel erkläre, muss ich wollen können, dass alle so handeln.

Vertiefungsaufgabe:   Wende die Verallgemeinerungsregel auf die moralischen Fragen der ersten Stufe an! (Möglichkeit zur Binnendifferenzierung)

  1. Warum ist es unmoralisch, Schwächeren ohne Recht etwas wegzunehmen?
  2. Wann darf ein Arzt einem Patienten Schmerzen zufügen?
  3. Warum dürfen Gefangene nicht gefoltert werden?