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M 18 Bestimmungsgründe der robusten Beschäftigungsdynamik

Warum steht der deutsche Arbeitsmarkt im Hinblick auf die Entwicklung von Beschäfti­gung und Arbeitslosigkeit heute so viel besser da als vor der Krise? Zwei Aspekte verdienen besondere Beachtung, nämlich zum einen der vergleichsweise robuste Verlauf dieser beiden zentralen Größen des Arbeitsmarktgeschehens im Krisen­jahr 2009 und zum anderen deren nahezu stetige Aufwärtsentwicklung seit etwa Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Anpassung im Krisenjahr.

Der scharfe Einbruch des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 5,1 vH im Jahr 2009 hätte früheren Erfahrungen zufolge eigentlich eine beträchtliche Entlassungswelle auslösen müssen. Warum es dazu nicht gekommen ist, lässt sich vornehmlich einer besonders ausgeprägten Hortung von Arbeitskräften zuschreiben. Diese Unternehmens­strategie wurde maßgeblich unterstützt durch ein besonnenes Verhal­ten der Tarifvertragsparteien und eine Konzessionsbereitschaft auf der betrieblichen Ebene sowie durch eine kräftige Hilfestellung seitens der Wirtschaftspolitik, nament­lich in Form der Ausweitung der gesetzlichen Regelungen zur Kurzarbeit.

Die Anpassung an die schwere Rezession vollzog sich weniger über Personalfreisetzun­gen, sondern über eine Unterauslastung der Beschäftigten, indem die durchschnittliche Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden je Arbeitnehmer teilweise drastisch heruntergefahren wurde. Dieses Reaktionsmuster ist zwar grundsätzlich typisch für die Arbeitsnachfrage in Deutschland, im Gegensatz etwa zu den Verhältnis­sen in den Vereinigten Staaten, wo eher eine Politik von Entlassungen und (Wieder-)Einstellungen verfolgt wird. Allerdings überrascht die Intensität, mit der diese Hortung durch Arbeitszeitreduktion hierzulande betrieben wurde. 460. Konkret haben sich die Unternehmen folgender Anpassungsinstrumente bedient (...):

  • Hauptsächlich wurde die Arbeitszeit reduziert, sei es zu Lasten von Guthaben auf Ar­beitszeitkonten oder in Form des Abbaus von Überstunden, sei es durch eine Ver­ringerung der tariflichen oder betriebsüblichen Wochenarbeitszeit, gegebenen­falls auf der Basis von entsprechenden Öffnungsklauseln in Tarifverträ­gen.
  • Die zweite Komponente bestand in einer Inanspruchnahme der gesetzlichen Kurzar­beiterregelungen, welche die Bundesregierung seinerzeit beträchtlich ausge­weitet hatte. Kurzarbeit stellt in einer historischen Perspektive allerdings seit jeher ein gebräuchliches Instrument dar. (...)

Der zweite Aspekt der robusten Beschäftigungsdynamik betrifft die stetige, fast trendmä­ßige Aufwärtsentwicklung der Erwerbstätigkeit im Zeitraum der Jahre 2006 bis zunächst 2011 oder im Gegensatz dazu den Rückgang der Arbeitslosigkeit. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe: die günstige internationale Konjunkturentwick­lung, eine insgesamt gesehen beschäftigungsfreundliche Tariflohnpolitik und die Wir­kung der Arbeitsmarktreformen der Jahre 2003 bis 2005. Diese drei Bestimmungsfakto­ren und ihr Zusammenwirken haben maßgeblich die robuste Beschäfti­gungsdynamik unterstützt und aufrechterhalten. (...)

Die Arbeitsmarktreformen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts stellen schließlich einen weiteren wichtigen Bestimmungsgrund der robusten Beschäftigungsdy­namik ab dem Jahr 2006 dar (...).

Insbesondere die Einführung des Arbeitslosengelds II legte bei der Zielrichtung der Arbeitsmarktpolitik, dem Fordern und Fördern, ein größeres Gewicht auf das For­dern. Von den Arbeitslosen wurde eine intensivere Suche nach einem Arbeitsplatz erwartet sowie eine höhere Konzessionsbereitschaft bei der Akzeptanz von Arbeitsplatz­angeboten, selbst wenn diese nicht unbedingt den Präferenzen der Arbeitslo­sen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Arbeitsentgelte, entsprachen.

Damit einher gingen eine höhere Beschäftigung im Niedriglohnbereich und eine wei­tere Spreizung der qualifikatorischen Lohnstruktur. Die geäußerte Kritik an dieser Entwicklung übersieht vielfach die Vorteile. Gering qualifizierte Arbeitnehmer verfügen über eine vergleichsweise niedrige Produktivität, sodass sich Arbeitsplätze nur bei entsprechend geringen Lohnkosten rechnen. Die daraus resultierende Entloh­nung mag zwar nicht zum Lebensunterhalt reichen. Gleichwohl ist es allemal besser, diese Arbeitslosen ebenfalls in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren und ihre Arbeitsentgelte mit Hilfe des Arbeitslosengelds II aufzustocken, als dieser Alterna­tive mit Hilfe überzogener Anforderungen an diese Arbeitsplätze einen Riegel vorzuschieben und den gering qualifizierten Arbeitslosen damit Beschäftigungschan­cen zu verwehren. Ein Vollzeitarbeitsplatz mit einer Entlohnung, die es erlaubt, „von seiner Hände Arbeit zu leben“, ist selbstverständlich vorzuziehen, aber diese Alterna­tive stellt sich für viele gering qualifizierte Arbeitslose leider nicht.

(C) Text: Sachverständigenrat 2011: 276 - 280


Weiter: M 19 Bundeskanzler Gerhard Schröder: Rede vor dem World Economic Forum in Davos, 28.01.2005


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