Arbeitsblatt 2
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Theodor Fontane: Einheit oder Freiheit?
In: Berliner Zeitungshalle, 7. November 1848
„Es war, wenn wir nicht irren, am 14. September d. J., dass der Abgeordnete Eisenmann „die Einheit Deutschlands um jeden Preis forderte, sei‘s auch auf Kosten der Freiheit“. Der ehrenwerte Abgeordnete mochte damals selbst nicht ahnen, wie nah die Verwirklichung seines Wunsches war. Es kam der berüchtigte Majoritätsbeschluss des Frankfurter Parlaments: der
preußische
Waffenstillstand mit Dänemark ward ein
deutscher
, und siehe, „die Einheit um jeden Preis“ feierte ihren ersten Triumph. Preußen, d.h. die preußische Regierung, durfte nicht beleidigt werden; ein Bruch mit ihr konnte die Einheit gefährden, und „Einheit um jeden Preis“ war der Leitstern der Versammlung.
Das Volk knirschte mit den Zähnen über die Beschlüsse seiner Vertreter; die erste Tat des einigen Deutschlands, dem Auslande gegenüber, war eine Schandtat – sie schändete die Größe und den Ruhm der Nation. Aber die gefeierte Einheit sollte noch andere Opfer kosten; der Abgeordnete Eisenmann hatte den Teufel an die Wand gemalt; auch die
Freiheit
des Volkes musste ihren Zoll entrichten.
Wir fassen hier das Verfahren der Zentralgewalt, den republikanischen Aufständen gegenüber, ins Auge und bezeichnen dies Einschreiten unbedingt als einen Eingriff in die Rechte und Freiheiten kleinerer Staaten. Wer wollte leugnen, dass der Republikanismus, den Struve mit dem Schwerte predigte, nicht um der
Predigt
, sondern um der
Sache
willen, das badensche Volk mit fortgerissen hätte, wenn nicht, wie immer, durch preußische Regimenter der natürliche Gang der Dinge gehemmt worden wäre. Wenn das Badner Volk – wie jedes Volk – nicht mehr stark genug war, der Republik die Tore zu verschließen, so war es nur schwach, weil es schwach sein
wollte
. Es focht mit dem Herzen auf feindlicher Seite, und die Republik war in ihrem Recht. Ein Volk lässt sich keine Verfassung, von außen her, aufzwängen. Es hält fest am Alten, auch gegen bessere Überzeugung; aber es nimmt kein Neues an, gegen Wunsch und Willen.
[…] Wir wissen nicht, wie es [das Parlament der Paulskirche] handeln
wird
, wir wissen nur, wie es
konsequenterweise
handeln
müsste
; und dieses Wissen genügt uns, um über diese Einheitspolitik den Stab zu brechen. Dies unerschütterliche Festhalten am Konstitutionalismus, dies Drohen und Mit-Krieg-Beziehen, wenn ein ganzes Volk, wie Tell, den Gruß vor diesem Geßler-Hut verweigert –
dies
Streben nach Einheit, auf Kosten aller freien Entwickelung, ist ein Fluch, aber kein Segen unseres Landes.
Unsere Einheit ohne das
ganze Maß
der Freiheit ist ein Unding; sie bleibt ein unlösliches Problem. Ohne Freiheit gibt es wohl eine Einheit der Kabinette. Eine Einheit der Polizei, eine Einheit von allem möglichen, nur nicht eine Einheit des deutschen Volks. Nein, keine Einheit um jeden Preis, überhaupt kein
Streben
nach Einheit; sie muss sich geben wie die Liebe – aller Zwang ist ihr Tod. Nur „Freiheit um jeden Preis“,
ihr
nachgestrebt,
ihr
jedes Opfer gebracht – das sei unverändert die Losung des Tages. Dann ist die Zeit nahe, wo kein Schwanken mehr ist: „Ob einig, ob frei?“, dann werden wir einig sein durch die Freiheit und frei durch die Einigkeit“.
Zitiert nach: 1848. Augenzeugen der Revolution. Briefe, Tagebücher, Reden, Berichte, Berlin 1973, S.552 f.
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