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Hin­wei­se zur In­ter­pre­ta­ti­on

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Be­schrei­bung des Tex­tes

Form:

Theo­dor Fon­ta­nes Ar­ti­kel „Ein­heit oder Frei­heit“, er­schie­nen am 7. No­vem­ber 1848 in der „Ber­li­ner Zei­tungs­hal­le“, dem Pu­bli­ka­ti­ons­or­gan der „Zen­tral­aus­schus­ses der De­mo­kra­ten Deutsch­lands“, wen­det sich ve­he­ment da­ge­gen, die Frei­heits­rech­te der Deut­schen auf dem Altar einer Ein­heit um jeden Preis zu op­fern.

Zu Ar­beits­blatt 2:

Nach dem Schei­tern des Sep­tem­ber­auf­stands in Frank­furt und des Stru­vezugs in Baden ge­wann im No­vem­ber 1848 die Nie­der­la­ge der re­vo­lu­tio­nä­ren Kräf­te eben­so deut­li­che Kon­tur wie der Sieg der Re­ak­ti­on. Dies ma­chen der Sieg der kai­ser­li­chen Trup­pen in Wien An­fang No­vem­ber (am 9. No­vem­ber 1848 wird Ro­bert Blum in Wien – trotz sei­ner Im­mu­ni­tät als Ab­ge­ord­ne­ter der Pauls­kir­che stand­recht­lich er­schos­sen); Fried­rich Wil­helm IV. lässt die preu­ßi­sche Na­tio­nal­ver­samm­lung mit Mi­li­tär­ge­walt auf­lö­sen (10. Bis 15. No­vem­ber 1848). Fon­ta­nes Ar­ti­kel er­scheint so als letz­ter ver­zwei­fel­ter Ap­pell, an den frei­heit­li­chen Zie­len der Re­vo­lu­ti­on fest­zu­hal­ten, und gleich­zei­tig als schar­fe Kri­tik an Preu­ßen, den Fon­ta­ne für die Un­ter­drü­ckung der Frei­heit  ver­ant­wort­lich macht.

Der pam­phlet­ar­ti­ge (Leit-)Ar­ti­kel rich­te­te sich zwar an die ge­sam­te pu­bli­zis­tisch-li­te­ra­ri­sche Öf­fent­lich­keit Deutsch­lands, dürf­te aber wohl nur noch Leser aus der (klei­nen) Grup­pe der De­mo­kra­ten er­reicht haben.

In­halt:

Der Ar­ti­kel be­zieht sich auf eine Rede des frän­ki­schen Ab­ge­ord­ne­ten Ei­sen­mann in der De­bat­te um den „Waf­fen­still­stand von Malmö“, in der die­ser an seine Kol­le­gen der Na­tio­nal­ver­samm­lung ap­pel­lier­te, die deut­sche Ein­heit durch­zu­set­zen, und sei es auf Kos­ten der Frei­heit. Fon­ta­ne lehnt die­sen Ap­pell eben­so ve­he­ment ab wie den zwei­ten Be­schluss der Pauls­kir­chen­ab­ge­ord­ne­ten, dem von Preu­ßen ge­schlos­se­nen „Waf­fen­still­stand“, den sie zuvor ver­wor­fen hat­ten, nach­träg­lich an­zu­er­ken­nen; Fon­ta­ne gei­ßelt dies als die „erste Schand­tat des ei­ni­gen Deutsch­lands“, das sich damit Preu­ßen un­ter­wor­fen habe.

Fon­ta­ne warnt davor, die Frei­heit der Ein­heit zu op­fern, zumal einer Macht wie Preu­ßen, die im Sep­tem­ber 1848 auch gegen Gus­tav Struve vor­ge­gan­gen sei und die ba­di­sche Re­pu­blik – ent­ge­gen dem Wil­len des ba­di­schen Vol­kes – un­ter­drückt habe.

Der Ar­ti­kel schließt mit dem flam­men­den Ap­pell, die Ein­heit Deutsch­lands nicht auf Kos­ten der Frei­heit durch­zu­set­zen.

Sprach­li­che Mit­tel:

Fon­ta­ne, der eine mög­lichst brei­te Öf­fent­lich­keit er­rei­chen möch­te – in den Rei­hen der De­mo­kra­ten fan­den sich zahl­rei­che Hand­werks­ge­sel­len – ver­wen­de­te eine ein­fa­che Spra­che und teil­wei­se sogar um­gangs­sprach­li­che Wen­dun­gen (z.B. mit den Zäh­nen knir­schen, den Teu­fel an die Wand malen, den Stab bre­chen). Eben­so deut­lich zum Aus­druck kom­men seine Iro­nie, mit der er vor allem zu Be­ginn sei­ner Aus­füh­run­gen Ei­sen­mann ka­ri­kiert (wenn wir nicht irren, der eh­ren­wer­te Ab­ge­ord­ne­te, er moch­te selbst nicht ahnen) und schließ­lich sein Pa­thos, mit der seine Wer­tun­gen her­vor­hebt und un­ter­streicht („erste Schand­tat des ei­ni­gen Deutsch­lands“, „der mit dem Schwer­te ge­pre­dig­te Re­pu­bli­ka­nis­mus“,“ aller Zwang ist ihr Tod“, die „Lo­sung des Tages“, die „Zeit nahe, wo kein Schwan­ken mehr ist“).

Er ver­weist auf Fried­rich Schil­ler, der im 19. Jahr­hun­dert nicht al­lein von den Li­be­ra­len als Deutsch­lands „Frei­heits­dich­ter“ ver­ehrt wurde, und des­sen Drama „Wil­helm Tell“ als bei­spiel­ge­ben­des Drama eines Ty­ran­nen­mords, der Selbst­hil­fe eines ein­zel­nen Bür­gers wie des Vol­kes ver­stan­den wurde.

Er­klä­ren im his­to­ri­schen Kon­text:

Mit dem Er­star­ken der Re­ak­ti­on vor allem in Ber­lin und Wien schwand der Rück­halt vor allem der Li­be­ra­len, die im März 1848 die re­vo­lu­tio­nä­re Be­we­gung in Gang ge­setzt hat­ten. Die Linke ver­such­te, mit der Schaf­fung des „Zen­tral­m­ärz­ver­eins“ (21. No­vem­ber 1848) noch ein­mal alle Kräf­te zu bün­deln und die For­de­run­gen vom März 1848 – denen die Fürs­ten ja

Zu Ar­beits­blatt 2:

gro­ßen­teils zu­ge­stimmt hat­ten – in die Tat um­zu­set­zen. Nicht über­se­hen wer­den darf dabei je­doch, dass die po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit Deutsch­lands seit dem Sep­tem­ber 1848 er­nüch­tert, ja zu­tiefst war; seit der Zu­stim­mung der Na­tio­nal­ver­samm­lung zum „Waf­fen­still­stand von Malmö“ ver­lor die Pauls­kir­che ihren Rück­halt in der po­li­ti­sche Öf­fent­lich­keit. Zudem er­stark­ten seit dem Sieg Ca­vai­gnacs in Frank­reich (Ju­n­i­auf­stand 1848) auch in Deutsch­land die re­ak­tio­nä­ren Kräf­te, die sich im No­vem­ber in Wien und Ber­lin ent­schei­dend durch­set­zen konn­ten. Die Ap­pel­le der Re­vo­lu­ti­ons­an­hän­ger an die deut­sche Öf­fent­lich­keit, an den März­for­de­run­gen fest­zu­hal­ten, stie­ßen ge­ra­de im Bür­ger­tum auf immer ge­rin­ge­re Re­so­nanz.

Zu be­rück­sich­ti­gen ist fer­ner, die per­sön­li­che Um­bruch­si­tua­ti­on, in der sich Theo­dor Fon­ta­ne be­fand.Zum einen war er seit 1847 als Apo­the­ker ap­pro­biert und in einer Ber­li­ner Apo­the­ke an­ge­stellt (zudem seit 1845 ver­lobt); zum an­de­ren zähl­te er zu den ak­ti­ven Bar­ri­ka­den­kämp­fern des März 1848 und zur ‚Par­tei‘ der ent­schie­de­nen Re­pu­bli­ka­ner, die zu­neh­mend ins Vi­sier der Ob­rig­keit ge­rie­ten. Sein po­li­tisch-ideo­lo­gi­scher Stand­punkt er­klärt auch die Ver­klä­rung des – ge­schei­ter­ten – Stru­vezugs (Aus­ru­fung der deut­schen Re­pu­blik in Lör­rach am 21. Sep­tem­ber 1848), der bin­nen we­ni­ger Tage auch und ge­ra­de wegen des ge­rin­gen Rück­halts in der Be­völ­ke­rung (ähn­lich wie zuvor der He­cker­zug) nie­der­ge­schla­gen wer­den konn­te – al­ler­dings nicht von preu­ßi­schen, son­dern von rund 800 ba­di­schen Sol­da­ten (Ge­fecht von Stau­fen am 24. Sep­tem­ber 1848). Als Par­tei­gän­ger der De­mo­kra­ten und Re­pu­bli­ka­ner muss­te Fon­ta­ne  – um seine zen­tra­le Bot­schaft zu­spit­zen zu kön­nen – die his­to­ri­schen Fak­ten ver­fäl­schen. Ihm ging es nicht um Auf­klä­rung oder sach­li­che In­for­ma­ti­on, son­dern al­lein um die An­kla­ge gegen den po­li­ti­schen Geg­ner und die Pro­pa­gie­rung sei­ner – aus heu­ti­ger Sicht si­cher sehr eh­ren­wer­ten – po­li­ti­schen Ziele.

Be­ur­tei­len des Tex­tes:

Der Autor ver­fälscht – um sei­ner po­li­tisch-pro­pa­gan­dis­ti­schen Ziele wil­len – einen Teil der Fak­ten; seine Ar­gu­men­ta­ti­on ist zwar strin­gent und lo­gisch, ent­spricht aber nur teil­wei­se den his­to­ri­schen Ge­ge­ben­hei­ten. Seine Werte legt der Ver­fas­ser offen: An ers­ter Stel­le ste­hen für ihn die po­li­ti­sche und per­sön­li­che Frei­heit des Ein­zel­nen wie des deut­schen Vol­kes; eben­so klar be­kennt er sich zur Re­pu­blik und lehnt die Mon­ar­chie ab.

Die zeit­ge­nös­si­sche Re­zep­ti­on des Tex­tes dürf­te – an­ge­sichts des ge­rin­gen Rück­halts der Re­pu­bli­ka­ner in der deut­schen Öf­fent­lich­keit und ihrer Min­der­heits­po­si­ti­on in den deut­schen Par­la­men­ten – sehr be­grenzt ge­we­sen sein; daran konn­te auch die über­zeu­gen­de Ar­gu­men­ta­ti­on des Ver­fas­sers wohl wenig än­dern.
Für den heu­ti­gen Leser ist es in­ter­es­sant zu sehen, wie klar der Ver­fas­ser im No­vem­ber 1848 eines der zen­tra­len Di­lem­ma­ta der preu­ßisch-deut­schen Ge­schich­te der zwei­ten Hälf­te des 19. und der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts (Ein­heit statt Frei­heit) be­reits for­mu­lier­te.

Auf­ga­be 1: Un­ter­strei­chen Sie alle „er­gän­zen­den In­for­ma­tio­nen“ und „Hin­wei­se zur In­ter­pre­ta­ti­on des Ar­ti­kels von Theo­dor Fon­ta­ne“, die Sie für eine Ana­ly­se des Tex­tes für un­ver­zicht­bar hal­ten.

Auf­ga­be 2: For­mu­lie­ren Sie – unter Zu­hil­fe­nah­me der für Sie un­ver­zicht­ba­ren In­for­ma­tio­nen – eine ei­ge­ne Text­ana­ly­se (ohne Be­ur­tei­lung des Tex­tes) oder Text­in­ter­pre­ta­ti­on (mit Be­ur­tei­lung des Tex­tes).

 

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wei­ter: Ar­beits­blatt 3

 

Bei­spiel­auf­ga­ben: Her­un­ter­la­den [docx][46 KB]