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Be­ur­tei­lung

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Ana­ly­se von Sach- und Wert­ur­tei­len:

  • Alle drei Au­to­ren ver­glei­chen den deut­schen Na­ti­ons­wer­dungs­pro­zess nicht nur mit dem in ihren Augen ‚nor­ma­len‘ Pro­zes­sen der Na­ti­ons­wer­dung und De­mo­kra­ti­sie­rung in Eng­land und Frank­reich, son­dern be­wer­ten die deut­sche Ent­wick­lung vom west­li­chen Stand­punkt aus als „Son­der­weg“ und den Zeit­punkt der na­tio­na­len Ei­ni­gung als „ver­spä­tet“.
  • D.h. je­doch, dass die sach­li­chen Fest­stel­lun­gen, Deutsch­land habe einen ei­ge­nen, be­son­de­ren Weg be­schrit­ten und die na­tio­na­le Ei­ni­gung sei spä­ter er­folgt als in den west­li­chen Nach­bar­län­dern un­trenn­bar mit Wert­ur­tei­len, in die­sem Fall pe­jo­ra­ti­ven Wert­ur­tei­len, ver­knüpft ist.
  • Dies gilt für viele „Ur­tei­le“ aller drei Texte.
  • Hinzu kom­men ‚reine‘ Wert­ur­tei­le, vor allem bei Pless­ner, z.B. seine Fest­stel­lung Preu­ßen und Deutsch­land seien „Groß­mäch­te ohne Staats­idee“ ge­we­sen.

Ver­gleich der drei Dar­stel­lun­gen:

  • Alle drei Au­to­ren stim­men darin über­ein, dass die deut­sche Reichs­grün­dung das Er­geb­nis eines „Son­der­wegs“ sei.
  • Im Ge­gen­satz zu Pless­ner und Wink­ler sieht Weh­ler den Be­ginn die­ses Son­der­wegs nicht im spä­ten Mit­tel­al­ter bzw. der frü­hen Neu­zeit, son­dern erst im ent­schei­den­den Reichs­grün­dungs­jahr­zehnt: ent­schei­dend für ihn ist die cha­ris­ma­ti­sche Herr­schaft Bis­marcks und die mit ihr ver­bun­de­ne Stär­kung des Adels und der Bü­ro­kra­tie sowie die „so­zia­le“ und „men­ta­le“ Mi­li­ta­ri­sie­rung; hinzu kommt, dass die „Na­ti­ons­bil­dung“ nicht 1871 endet, son­dern erst dann unter den ge­nann­ten Vor­zei­chen, die al­le­samt die po­li­ti­sche und so­zia­le Mo­der­ni­sie­rung im west­li­chen Sinne zu­min­dest ver­zö­gern, wenn nicht gar ab­brem­sen, be­ginnt.
  • Dem­ge­gen­über ma­chen Pless­ner und Wink­ler für die Ver­spä­tung vor allem das jahr­hun­der­te­lan­ge Feh­len einer „Na­tio­na­l­idee“ für die „Ver­spä­tung“ ver­ant­wort­lich; für sie ist das Feh­len Re­sul­tat der Glau­bens­spal­tung, der alten Reich­s­idee und des preu­ßisch-ös­ter­rei­chi­schen Dua­lis­mus.
  • Für Pless­ner sind zudem der Un­ter­ta­nen­geist und die po­li­ti­sche In­dif­fe­renz von Pro­tes­tan­tis­mus und Preu­ßen­tum ver­ant­wort­lich, zumal Preu­ßen ein blo­ßer Macht­staat – ohne jede Staats­idee – ge­we­sen sei.
  • Wink­ler, der in der Reichs­grün­dung zu­min­dest ein Stück „Nor­ma­li­sie­rung“=“Ver­west­li­chung“ der deut­schen Ent­wick­lung sieht, macht dann aber – ähn­lich wie Weh­ler – die Bis­marck’sche „Re­vo­lu­ti­on von oben“ für die wei­te­re Fehl­ent­wick­lung Deutsch­lands ver­ant­wort­lich.
  • Für alle drei Au­to­ren er­reicht der „deut­sche Son­der­weg“ mit der Dik­ta­tur Hit­lers sei­nen „Gip­fel­punkt“.

Be­ur­tei­lung der drei Dar­stel­lun­gen:

  • Alle drei Au­to­ren gehen davon aus, dass die Na­tio­nal­staats­grün­dung den his­to­ri­schen Nor­mal­fall dar­stel­le und dass die ‚na­tio­na­le‘ Ge­schich­te auf diese Grün­dung zu­lau­fen müsse. Über­se­hen wird m.E. dabei, dass die Na­tio­nal­staats­idee erst seit der Fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on auf der his­to­risch-po­li­ti­schen Agen­da steht.
  • Auch die po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Ent­wick­lun­gen der ge­prie­se­nen west­li­chen Vor­bil­der ver­lie­fen höchst un­ter­schied­lich, dass man sie nur zum ein­heit­li­chen Maß­stab ma­chen kann, wenn man die Un­ter­schie­de ni­vel­liert. (Ver­glei­che z.B. These der „At­lan­ti­schen Re­vo­lu­ti­on“).
  • Pless­ners unter dem Ein­druck der Er­rich­tung der Hit­ler­dik­ta­tur ent­wi­ckel­te These vom „deut­schen Son­der­weg“ (1934/35) ist als un­mit­tel­ba­re Re­ak­ti­on durch­aus ver­ständ­lich und nach­voll­zieh­bar; dem­ge­gen­über ist vor allem Wink­lers Rück­blick auf die deut­sche Ge­schich­te vom 1990 end­lich er­reich­ten west­li­chen Stan­dard (der in Frei­heit und De­mo­kra­tie ver­ein­ten Na­ti­on) aus – noch immer eben­so po­li­tisch-ideo­lo­gisch ge­färbt.
  • In allen drei Fäl­len wird vor allem die po­li­ti­sche Ent­wick­lung des so­ge­nann­ten „Drit­ten Deutsch­land“ und damit die weit­aus fort­schritt­li­chen Ver­hält­nis­se Ba­dens, Würt­tem­bergs etc. völ­lig aus­ge­blen­det; dass sie sich nicht stär­ker durch­set­zen konn­ten und – hier ist Weh­ler zu­zu­stim­men – an­ge­sichts der Dy­na­mik der 1860er Jahre in Preu­ßen-Deutsch­land mar­gi­na­li­siert wur­den, steht auf einem an­de­ren Blatt.