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Ver­lauf

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Ver­laufs­skiz­ze – re­du­zier­te Ver­si­on

I. Ein­stieg (Fo­to­col­la­ge)

II . Leh­rer­in­for­ma­ti­on zu den ver­schie­de­nen Arten von Wen­de­punk­ten

III. Cha­rak­te­ri­sie­ren und prä­sen­tie­ren eines Wen­de­punk­tes

M 1 : Deut­sche Zä­su­ren – und wel­che, die keine sind

Sab­row, Mar­tin: 1990 – eine Epo­chen­zä­sur? Vor­trag am 29.4.2010 im Haus der Bran­den­bur­gisch-Preu­ßi­schen Ge­schich­te, on­line unter:
  http://​www.​zzf-​pdm.​de/​Por­tals/_​Rain­bow/​images/​news/​2010_​04_​29_​Vor­tra­g_​Sab­ro­w_​Epo​chen​zaes​ur_​Voll­text.​pdf (Stand 1.6.2010)

M 2 : Zä­su­ren und Sys­tem­wech­sel

"Von hier und heute geht eine neue Epo­che der Welt­ge­schich­te aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei ge­we­sen." Klin­gend und be­rühmt sind diese vor Sol­da­ten ge­spro­che­nen Worte Jo­hann Wolf­gang von Goe­thes aus sei­nem Werk "Kam­pa­gne in Frank­reich". Als Be­glei­ter Carl Au­gusts, des Her­zogs von Sach­sen-Wei­mar-Ei­se­nach, hatte er an dem Feld­zug teil­ge­nom­men und am 20. Sep­tem­ber 1792 die ge­ra­de­zu mys­ti­fi­zier­te "Ka­no­na­de von Valmy" mit­er­lebt. Bei dem An­griff auf das fran­zö­si­sche Dorf Valmy war auf schein­bar wun­der­sa­me Weise der Vor­marsch der Ko­ali­ti­on zum Er­lie­gen ge­kom­men, die be­vor­ste­hen­de Über­wäl­ti­gung der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­ons­trup­pen wider Er­war­ten aus­ge­blie­ben. Die­ses Er­eig­nis gilt als "Na­del­öhr" der Ge­schich­te – bei einer an­de­ren Ent­wick­lung des Ge­fechts wäre – zu­ge­spitzt for­mu­liert – die Re­vo­lu­ti­on viel­leicht durch einen kon­ser­va­ti­ven "roll back" auf eine Fuß­no­te der Ge­schich­te re­du­ziert wor­den. Das Emp­fin­den des "gro­ßen his­to­ri­schen Mo­ments", nach dem "nichts mehr so ist, wie es vor­her war", stellt ein Pa­ra­dig­ma des Ge­schichts­er­le­bens dar; es gibt viele Zeug­nis­se be­weg­ten Zeit­ge­nos­sen­tums für Au­gen­bli­cke, in denen sich Ge­schich­te punk­tu­ell – pris­men­ar­tig zu ver­dich­ten und einen ab­rup­ten Bruch zu er­fah­ren scheint – man denke nur an den Fall der Ber­li­ner Mauer im No­vem­ber 1989. […]

Die Kon­struk­te der "Zäsur" und des "Sys­tem­wech­sels" rei­ben sich dabei durch­aus im Wi­der­streit mit­ein­an­der. Be­schreibt der Be­griff "Sys­tem­wech­sel" nach po­li­tik­wis­sen­schaft­li­cher Auf­fas­sung den Über­gang von einem Re­gime­ty­pus zum an­de­ren, so wird die his­to­risch-aus­grei­fen­de Sicht die­sen la­bo­ra­to­ri­ums­ar­ti­gen An­satz er­gän­zen, um "Zei­ten­wen­den" um­fas­sen­der zu de­fi­nie­ren. Um die Ver­flech­tung von Dis­kon­ti­nui­tä­ten und Kon­ti­nui­tä­ten zu be­schrei­ben, spie­len lang­fris­ti­ge kul­tu­rel­le, so­zia­le, wirt­schaft­li­che, auch men­ta­le Ent­wick­lungs­li­ni­en eine we­sent­li­che Rolle. So wurde die In­ter­pre­ta­ti­on des Jah­res 1945 als to­ta­ler Neu­be­ginn der deut­schen Ge­schich­te – wie sie in dem lange hoch­ge­hal­te­nen My­thos der so ge­nann­ten "Stun­de Null" zum Aus­druck kommt – längst re­la­ti­viert, ob­wohl hier im Sinne der Sys­tem­wech­sel-Theo­rie ein ein­deu­ti­ger Ein­schnitt vor­liegt. An­de­rer­seits könn­te man mit ei­ni­gem Recht Er­eig­nis­se oder Ent­wick­lun­gen, die nicht die­sem Ras­ter ent­spre­chen, mit dem Eti­kett der Zäsur ver­se­hen: So wird bei­spiels­wei­se die "68er Be­we­gung" in man­cher Per­spek­ti­ve als In­iti­al­zün­dung eines tief grei­fen­den Wand­lungs­pro­zes­ses oder gar als "zwei­te Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik" ge­deu­tet, ob­wohl sie im sys­te­misch-in­sti­tu­tio­nel­len Sinn kaum Re­le­vanz be­sitzt. Auf der an­de­ren Seite kön­nen eher evo­lu­tio­när ab­lau­fen­de po­li­ti­sche Pro­zes­se – wie die Ent­wick­lung der Eu­ro­päi­schen Union – schwer­lich als ge­nui­ne Zä­su­ren be­schrie­ben wer­den – ihre Kon­se­quen­zen sind aber viel­leicht wir­kungs­mäch­ti­ger als sol­che selbst.

Krug, Wer­ner/ Franz, Mo­ni­ka: Vor­wort zu: Deut­sche Zä­su­ren. Sys­tem­wech­sel vom Alten Reich bis zum wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­land, hg. von der Baye­ri­schen Lan­des­zen­ta­le für po­li­ti­sche Bil­dungs­ar­beit, Mün­chen 2006, S. 5f.

(C) Text "Zä­su­ren und Sys­tem­wech­sel" Text mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung der der Baye­ri­schen Lan­des­zen­ta­le für po­li­ti­sche Bil­dungs­ar­beit

M 3 : Pe­ri­odi­sie­rung

Os­ter­ham­mel, Jür­gen: Zei­ten, in: Budde, G./ Freist, D./ Gün­ther-Arndt, H. (Hgg.): Ge­schich­te. Stu­di­um – Wis­sen­schaft – Beruf, Ber­lin 2008, S. 77-81.

M 4 : Die Wahr­neh­mung von Zä­su­ren

Sab­row, Mar­tin: 1990 – eine Epo­chen­zä­sur? Vor­trag am 29.4.2010 im Haus der Bran­den­bur­gisch-Preu­ßi­schen Ge­schich­te, on­line unter:
  http://​www.​zzf-​pdm.​de/​Por­tals/_​Rain­bow/​images/​news/​2010_​04_​29_​Vor­tra­g_​Sab­ro­w_​Epo​chen​zaes​ur_​Voll­text.​pdf (Stand 1.6.2010)

M 5 : Struk­tur, Pro­zess, Er­eig­nis

Ko­sel­leck, Rein­hart: Zeit­schich­ten. Stu­di­en zur His­to­rik, Frank­furt am Main 2003, S. 295f.

M 6 : Makro-Pro­zes­se

Os­ter­ham­mel, Jür­gen: Zei­ten, in: Budde, G./ Freist, D./ Gün­ther-Arndt, H. (Hgg.): Ge­schich­te. Stu­di­um – Wis­sen­schaft – Beruf, Ber­lin 2008, S. 77-81.

M 7 : Die Wie­der­ent­de­ckung des Er­eig­nis­ses in der Ge­schichts­schrei­bung

Suter, An­dre­as/ Hett­ling, Man­fred: Struk­tur und Er­eig­nis – Wege zu einer So­zi­al­ge­schich­te des Er­eig­nis­ses, in: Dies. (Hrsg.): Struk­tur und Er­eig­nis, Ge­schich­te und Ge­sell­schaft, Son­der­heft 19, Göt­tin­gen 2001, S. 8f.

M 8 : Groß­pro­zes­se und Er­eig­nis­se

Für alles, was den sta­tis­ti­schen Durch­schnitt nicht ge­fähr­det und im Rah­men der all­ge­mei­nen Ent­wick­lung bliebt, ste­hen Er­satz­lö­sun­gen zu Ge­bo­te. Schwie­ri­ger wird es an­ge­sichts kon­stan­ter und kol­lek­ti­ver Phä­no­me­ne, zumal sol­cher, die sehr lang­sam ent­stan­den sind, ja deren Da­sein wir viel­leicht sogar immer schon vor­aus­setz­ten, so­bald wir sin­gu­lä­re Ent­schei­dun­gen, Hand­lun­gen und Men­schen his­to­risch be­grei­fen woll­ten. […] Die au­gen­schein­li­che Un­er­setz­bar­keit von epo­chen­über­grei­fen­den Er­schei­nun­gen wie Ar­beits­tei­lung und Städ­te­we­sen, Mi­li­tär und Ver­wal­tung, Fa­mi­lie und Er­zie­hung gilt in nur schwach ver­min­der­tem Maße auch für epo­chen­spe­zi­fi­sche Phä­no­me­ne. Auf­klä­rung und Ro­man­tik, Idea­lis­mus und So­zia­lis­mus, Na­tio­nal­staat und Im­pe­ria­lis­mus las­sen sich in ihren Di­men­sio­nen und Pro­por­tio­nen ge­dank­lich mo­di­fi­zie­ren, kaum aber schlech­ter­dings weg- und um­den­ken. [… Auch] lang­fris­tig gleich­ge­rich­te­te Pro­zes­se [wi­der­set­zen sich] einer ge­dank­li­chen Aus­wech­sel­bar­keit. Ein Strom, den tau­send Bäche spei­sen, wird kaum ge­schwächt, wenn wir den einen oder an­de­ren Zu­fluss ab­däm­men oder um­lei­ten. Ver­liert sich dann der Ur­sprung im Dun­kel der Vor­zeit, so lässt sich eine plau­si­ble Al­ter­na­ti­ve nicht vor­stel­len.

Aus die­sem Grun­de ist die Ent­wick­lung der Zi­vi­li­sa­ti­on, der Pro­duk­ti­on und der Or­ga­ni­sa­ti­on nicht un­ge­sche­hen zu den­ken. Daran hängt das In­ter­es­se der Mensch­heit. Auch die gro­ßen Kul­tu­ren sind gegen den Zu­fall ge­feit. Was hätte die chi­ne­si­sche, die in­di­sche, die eu­ro­päi­sche Kul­tur an ihrem je­wei­li­gen Auf­stieg hin­dern kön­nen? […]

Die größ­ten ge­dank­li­chen ab­än­der­ba­ren Ent­wick­lun­gen sind jene, die sich um einen be­stimm­ten Men­schen kris­tal­li­sie­ren und die­sem ihre Iden­ti­tät ver­dan­ken. Eine Fehl­ge­burt Ma­ri­as hätte die Welt­ge­schich­te ver­än­dert. Ein frü­her Tod des Alten Frit­zen stell­te Preu­ßens Auf­stieg in Frage. Für die So­wjet­uni­on war Lenin, für die Volks­re­pu­blik China war Mao we­sent­lich. In fort­ge­schrit­te­nem Sta­di­um wer­den Groß­pro­zes­se dann re­sis­ten­ter. Han­ni­bal konn­te Rom nicht mehr nie­der­zwin­gen, Bru­tus die Re­pu­blik nicht mehr ret­ten.

Zur Kurs­kor­rek­tur gro­ßer Ent­wick­lun­gen sind Ka­ta­stro­phen er­for­der­lich.

De­man­dt, Alex­an­der, Un­ge­sche­he­ne Ge­schich­te. Ein Trak­tat über die Frage: Was wäre ge­sche­hen, wenn…?, 4. Auf­la­ge Göt­tin­gen 2005, S. 128-131.

(C) Text "Groß­pro­zes­se und Er­eig­nis­se" Text mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Ver­lags Van­den­hoeck & Ru­precht

M 9 : Was kön­nen Er­eig­nis­se be­wir­ken? Wie offen ist Ge­schich­te?

Die Zeit­rei­he der Ent­schei­dungs­si­tua­tio­nen ver­leiht der Ge­schich­te eine Kno­ten­struk­tur. Eine Weile geht es glatt, dann kommt ein Kno­ten, eine Wende. "Denn nicht mit der Länge der Zeit pfle­gen sich die Dinge neu zu ge­stal­ten. Alles ent­springt in den Mo­men­ten gro­ßer Kri­sen" (Ranke).

Bis­marck be­merk­te ein­mal, dass in fast jedem Jahr­hun­dert ein gro­ßer Krieg ge­we­sen sei, der die deut­sche Nor­mal­uhr rich­tig ge­stellt habe. Tau­wet­ter­pha­sen brin­gen die Dinge wie­der in Fluss. Ein Herr­schafts­wech­sel, ein In­ter­re­gnum, eine Na­tur­ka­ta­stro­phe be­wirkt eine sol­che Null­zeit, in der die Wei­chen neu ge­stellt, die Kar­ten neu ge­mischt wer­den. […] Das Mo­dell des Fließ­gleich­ge­wichts ko­or­di­niert die un­ter­schied­li­chen Grade an Nor­ma­li­tät in der Er­eig­nis­fol­ge. So ver­deut­licht es den Zu­sam­men­hang zwi­schen Ten­denz und Kon­tin­genz 1 oder zwi­schen Regel und Zu­fall und er­hellt damit die un­ter­schied­li­chen De­ter­mi­na­ti­ons­gra­de im Ge­sche­hen. Ten­denz­kon­for­me Er­eig­nis­se lie­gen in der Strom­rich­tung der Vor- und Nach­ge­schich­te, re­gel­haf­te ent­spre­chen einem Ver­lauf­s­typ. Beide be­sa­ßen einen hohen Grad von Wahr­schein­lich­keit, wes­we­gen weit ab­füh­ren­de Al­ter­na­ti­ven zu ihnen schwer vor­stell­bar sind. Zu­fäl­li­ge Er­eig­nis­se sind nicht vor­her­seh­bar und er­öff­nen mo­men­tan die Aus­sicht auf un­er­war­te­te Mög­lich­kei­ten, die aber oft durch den Fort­gang ab­ge­blockt wer­den. Regel und Zu­fall be­zie­hen sich häu­fi­ger auf Teil­as­pek­te an Er­eig­nis­sen als auf diese als ganze, las­sen sich an ihnen bes­ser de­mons­trie­ren.

Um den Ein­fluss des Zu­falls auf die Ge­schich­te nicht zu über­schät­zen, soll­ten wir uns die Folge un­er­war­te­ter To­des­fäl­le ver­ge­gen­wär­ti­gen. Gerne knüp­fen sich kühne Spe­ku­la­tio­nen an ein vor­zei­ti­ges Ende oder ein ge­lun­ge­nes At­ten­tat, durch das wir bei­spiels­hal­ber Na­po­le­on, Bis­marck oder Hit­ler aus der Ge­schich­te strei­chen und damit viel von dem, was wir ihnen zu­rech­nen. Be­trach­ten wir aber die er­folg­rei­chen At­ten­ta­te, so er­stau­nen wir, wie wenig sie am gro­ßen Gang der Dinge ge­än­dert haben: […] Cae­sar 44 v.​Chr., Marat 1793, Kot­ze­bue 1819, Ra­then­au 1922, Sadat 1981 – das durch sie re­prä­sen­tier­te Sys­tem über­dau­er­te. Wo ein Zu­fall weit­rei­chen­de Wir­kung er­zielt, ist eben dies kein Zu­fall.

De­man­dt, Alex­an­der, Un­ge­sche­he­ne Ge­schich­te. Ein Trak­tat über die Frage: Was wäre ge­sche­hen, wenn…?, 4. Auf­la­ge Göt­tin­gen 2005, S. 148f.

(C) Text "Was kön­nen Er­eig­nis­se be­wir­ken?" Text mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Ver­lags Van­den­hoeck & Ru­precht


1 Als Kon­tin­gent (lat. con­tin­ge­re: sich er­eig­nen) wer­den Er­eig­nis­se be­zeich­net, die als mög­lich, aber nicht als not­wen­dig oder vor­her­be­stimmt (de­ter­mi­niert) an­ge­se­hen wer­den.

  Vor­schlag zur Leis­tungs­mes­sung

 

Wen­de­punk­te des 20. Jahr­hun­derts: Her­un­ter­la­den [doc] [105 KB]