Schülerarbeit
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Thema: Der „deutsche Sonderweg“
Aufgabenstellung: Arbeiten Sie die zentralen Aussagen der drei Texte heraus. Vergleichen Sie ihre Hauptaussagen miteinander. Beurteilen Sie die drei Darstellungen der Reichsgründung von 1871 bzw. des „deutschen Sonderwegs“. (12 VP)
Text 1:
Die These vom „deutschen Sonderweg“ beschreibt das Abweichen der deutschen Entwicklung zum Nationalstaat von der Nationalstaatsbildung der westeuropäischen Mächte.
Laut Plessner begann Deutschland sich bereits im 17. Jahrhundert vom Westen zu entfernen; an der Entwicklung zum Rechtsstaat habe es kaum Anteil gehabt. Preußen, die einzige Macht innerhalb des deutschen Reichs, sei zwar mit der ‚Nationalisierung‘ zu Deutschland geworden, doch seine staatliche Struktur habe lediglich auf Militär und Beamtentum basiert; so sei eine Großmacht ohne legitimierende Staatsidee entstanden.
Auch der Historiker Hans-Ulrich Wehler sieht in den 1860er/1870er Jahren die entscheidende Epoche für den deutschen Sonderweg. Die Gründung der Nation 1871 habe nur den Beginn der Entwicklung zum Nationalstaat markiert, da eben diese „von oben“ erfolgt sei. Traditionelle Machtfaktoren wie das Militär und der Adel hätten eine neuerliche Stärkung erlebt. Gleichzeitig hätte der Industriekapitalismus durch veränderte Sozialformationen auch neue politische Strukturen hervorgebracht. Diese zusammenspielenden Faktoren des Entscheidungsjahrzehnts im von Bismarck geprägten Deutschland seien ursächlich für die „verspätete Nation“.
Heinrich August Winkler hingegen sieht die Ursache für Deutschlands „Sonderweg“ bereits in dessen starker Prägung durch das Mittelalter. Teilweise Modernisierungen wie Bismarcks Reichsgründung hätten nicht genug zur Überwindung der mittelalterlichen Strukturen beigetragen. Auch seien alle an der Erringung von Einheit und Freiheit zugleich gescheitert, anders als in England oder Frankreich. Deutschland habe sich gegen die politischen Ideen des Westens trotz vieler Verbindungen aufgelehnt, was im Regime der Nationalsozialisten seinen Höhepunkt erreicht habe.
Sowohl Plessner als auch Wehler sehen in der Bismarck’schen Epoche die entscheidenden Entwicklungen hin zum „deutschen Sonderweg“. Die Gebundenheit an das Gottesgnadentum, sozialer Militarismus und soziale Aufwertung des Adels sehen sie als Faktoren für die Ablehnung der westlichen Ideen des Staats- und Völkerrechts. Gerade diese Attribute lassen sich jedoch in Winklers Theorie einfügen, der von einem starken Nachleben des mittelalterlichen Deutschlands spricht, an dem eine ebenso rasche Modernisierung wie in den anderen europäischen Staaten gescheitert sei. Plessner erklärt die Unvereinbarkeit von Freiheit und Einheit in einem deutschen Staat mit der fehlenden Staatsidee. Die Staatsfremdheit der neu entstandenen Großmacht habe ihr eine Legitimierung verwehrt, was zur Auflehnung gegen die politischen Ideen des Westens und zum Nationalsozialismus geführt habe. ( /12)
Text 2:
Die These vom „deutschen Sonderweg“ bezieht sich auf die historische Entwicklung zum deutschen Nationalstaat. Die Erklärung vieler Historiker, Sozialwissenschaftler und Politologen ist, dass Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert einen fatalen „Sonderweg“ beschritten habe, gerade wenn man den deutschen Weg mit dem der westlichen Staaten, z.B. Großbritannien, vergleicht, da es Deutschland nicht gelungen sei, die gesellschaftliche, ökonomische und politische Entwicklung miteinander zu verzahnen.
Der deutsche Politologe Helmuth Plessner nannte Deutschland die „verspätete Nation“. Er hat Argumente zusammengestellt, die seiner Meinung nach, den Grund liefern, warum Deutschland den besagten Sonderweg beschritten hat. Zum einen führt er an, dass die fragwürdige Obrigkeitsfrömmigkeit und die Staatsfremdheit ihren Ursprung in der politischen Indifferenz des Luthertums, in der Blockierung jedes nationalen Gedankens durch das katholisch und universal ausgerichtete Kaisertum und schließlich auch in der Verarmung von Stadt und Land gehabt habe. Er beschreibt, dass Deutschland seit dem 17. Jahrhundert begonnen habe, sich von dem Westen zu entfremden und somit keinen Anteil an dem neuzeitlichen Entwicklung des natürlichen Rechts des Menschen sowie des Staats- und Völkerrechts gehabt habe. Preußen habe zwar eine staatliche Haltung und Gesinnung entwickelt, jedoch nur in Form und Funktion. Frankreich habe zwar Einfluss auf die Staatsspitze und die Struktur der Verwaltung genommen, jedoch konnte die Nationalidee des „modernen“ Frankreichs nicht greifen. Territoriale Begrenztheit und das Landesherrentum hätten verhindert, dass Preußen eine eigene Staatsidee habe entwickeln können und so sei eine Großmacht ohne Staatsidee entstanden.
Der deutsche Historiker Hans-Ulrich Wehler sieht die 1860er/70er Jahre als entscheidend an. In diesen Jahren seien die Weichen neu gestellt worden und das belegt er mit Sachgesichtspunkten: Zum einen sagt er, dass die Gründung des Nationalstaates relativ spät kam und dazu noch „von oben“. Was dazu geführt habe, dass der neue deutsche Staat von der Politik Bismarcks auf lange Zeit geprägt worden sei. Des Weiteren führt er an, dass die Nationsbildung erst 1871 eingesetzt und der Adel im sozialen Machtkampf eine zweite Stärkung erhalten habe. Was die Bürokratie betrifft, diese habe eine Menge neuer Einfluss- und Durchsetzungschancen erlangt. Was jedoch noch nicht alles gewesen sei, da der Industriekapitalismus die Wirtschaftsverfassung verändert habe.
Zu guter Letzt hat Heinrich August Winkler sich noch zu diesem Thema geäußert. Er sagt, dass es unmöglich gewesen wäre, 1848/49 Einheit und Freiheit gleichzeitig zu erringen. Egal was Deutschland auch getan habe, in einer anderen Sache seien die Unterschiede zum Westen immer noch immens geblieben. Für ihn gab es einen „deutschen Sonderweg“ und zwar sei das der lange Weg eines tief vom Mittelalter geprägten Landes in die Moderne gewesen.
Alle drei Autoren begründen auf ihre Art und Weise das Vorhandensein eines „deutschen Sonderwegs“. Der eine nennt Beispiele, der andere hält es eher allgemein und liefert Argumente ab und der Letzte bezieht so gut wie alles auf die westlichen Länder.
Natürlich ist es so, dass – wenn ich Deutschland mit Frankreich und den USA vergleiche – Deutschland tatsächlich erst sehr viele Jahre später zum Nationalstaat wurde. Dies gilt sowohl für die Demokratisierung als auch für den Imperialismus. Alle drei Prozesse kamen in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich, Großbritannien und den USA erst sehr spät in Gang. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass die jeweiligen bürgerlichen Revolutionen unterschiedlich abliefen, doch deswegen gleich von einem Sonderweg sprechen? Warum haben die Deutschen den Sonderweg beschritten und nicht vielleicht die Franzosen? Oder sogar die Russen? Was den Imperialismus angeht, erwarb Russland keine Kolonien in Übersee, was mehr einem Sonderfall entsprechen würde. Man kann ganz klar sagen, dass Deutschland nur im Vergleich zu Staaten wie England, Frankreich und den USA später dran war und deshalb als Sonderfall beschrieben wird. Ich gehe jetzt nicht auf einzelne Aspekte ein, um nicht zu sehr ins Detail gehen zu müssen, da ich finde, dass das Problem viel allgemeiner ist. Wenn man sagt, Deutschland hat einen Sonderweg eingeschlagen, macht man das an einem anderen Land fest, jedoch, wer sagt, dass dieses Land den „richtigen“ Weg gegangen ist? Dass dessen Vorgehensweise, die ist, die auch richtig ist bzw. der Norm entspricht? Wenn man allein die Länder nimmt, mit denen man Deutschland immer vergleicht und diese Länder genau unter die Lupe nimmt, wird man dort auch Differenzen feststellen. Das eine Land hat etwas früher eine Revolution erlebt, das andere war schneller, was etwas anderes betrifft. Und wenn man jetzt Deutschland nimmt und mit einem ganz anderen Land vergleicht, hat seine Entwicklung vielleicht viel früher begonnen. Jedes Land bzw. Volk musste Hürden überwinden, um unabhängig, frei und gerecht zu leben. Bei dem einen war es vielleicht mehr oder weniger anstrengend, jedoch kann ich mir dann doch nicht eines dieser Länder aussuchen und sagen, dieses Land hat das jetzt aber anders gemacht und hat einen Sonderweg eingeschlagen. Die Geschichte eines jeden Volkes verläuft anders und das ist gut so! ( /12)
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