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Aspekte Urteilsbildung - Rethels "Auch ein Todtentanz"

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Feststellung formaler Merkmale:

Quelle: googlebilder; Manfred Hettling: Totenkult statt Revolution. 1848 und seine Opfer, Frankfurt 1998; Karin Groll: Alfred Rethel. Auch ein Totentanz aus dem Jahre 1848, Meßkirch 1998.

Titel der Erstausgabe: „Auch ein Todtentanz“; spätere Volksausgabe als Einblattdruck mit dem Titel „Ein Todtentanz aus dem Jahre 1848“ 

Bildender Künstler: Alfred Rethel

Verfasser des „erklärenden Texts“: Robert Reineck

Entstehungsdatum: Jahreswechsel 1848/1849  - vor der „Reichsverfassungskampagne“, Erscheinungsdatum: Mai 1849 („Ausgeführt im akademischen Atelier für Holzschneidekunst zu Dresden unter Leitung von H. Bürkner")

Beschreibung des Dargestellten und der Gestaltungsweise:

Blatt 1: Der Tod (Skelett mit Leichentuch) steigt aus einem Grab und wird von fünf Frauen begrüßt, die ihn für seine ihm von ihnen zugedachte Aufgabe ausrüsten, während die (im Hintergrund sitzende) Gerechtigkeit gefesselt und mit verbundenen Augen gefangen gehalten wird. Deren Schwert übergibt die „schlaue List“ dem Tod, deren Waage die „Lüge“; die „Tollheit“ übergibt ihm ein Pferd, die „Blutgier“ eine Sense und die „Eitelkeit“ einen mit Hahnenfeder und Kokarde geschmückten Hut. Einerseits erscheinen die Frauen – zumindest die drei  vorderen – als attraktive Verführerinnen, andererseits verweisen ihre Sirenenfüße (Odyssee) auf ihren Unheil bringenden Charakter. Außerdem zu erkennen ist ein umgestürztes Kreuz und eine Distel. Wichtige Detailinformationen (zu den Frauenfiguren) sind nur dem Text zu entnehmen (Ausnahme: Eitelkeit – Pfauenmuster des Rocks, Schmuckband im Haar, entblößter Busen, Spiegel; schlaue List – Schlange, Fuchsschwanz; Lüge – Maske vor dem Gesicht).

Blatt 2: Der rauchende, mit Reitstiefeln und Sporen, einem Soldatenmantel und dem federgeschmückten Hut bekleidete Tod reitet – begleitet von (Unheil und Tod kündenden) Raben – auf eine am Horizont erkennbare Stadt zu; zwei Bäuerinnen nehmen Reißaus. Text nur Erläuterung des Bildes.

Blatt 3: Vor einer Schenke verblüfft der Tod seine – teilweise bereits betrunkenen (vgl. Schnapsgläser) –  Zuschauer mit einem Taschenspielertrick: da er die Waage am „Zünglein“ festhält, kann er beweisen, dass die Krone nur noch eine Pfeife wert sei und das Hoch auf die Republik anstimmen; darauf verweist auch der Maueranschlag mit der Losung der Französischen Revolution („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“); das Wirtshausschild, ein Davidstern mit Römerglas, kennzeichnet die Schenke als jüdische; weitere Zuschauer ein Müller (?), Arbeiter, Kinder; nur eine von einem Kind geleitete blinde Frau (ein Rosenkranz kennzeichnet sie als gläubige Katholikin) wendet sich erschrocken ab; Text nur Erläuterung des Bildinhalts.

Blatt 4: Die Aufwiegelung vor allem der Arbeiter, der „Blusenmänner“, ist gelungen, sie tragen jetzt den mit der Hahnenfeder geschmückten Hut und erhalten das Schwert der Volksjustiz; an der Seite des nun in einen Soldatenmantel gehüllten und einer Schärpe gegürteten Tods steht auf einem Holzgerüst ein Handwerksgeselle (Schmied?) mit der Fahne der Republik, während im Hintergrund Militär aufmarschiert (links) und der Kampf schon erste Tote gekostet hat (rechts).Text nur Erläuterung des Bildinhalts und deutlicher Bezug zu 1789.

Blatt 5: Der Barrikadenkampf ist jetzt in vollem Gange und die vom grinsenden Tod angeführten, mit Gewehren bewaffneten Kämpfer können den Kanonen (Kartätschen) der Soldaten nichts entgegensetzen als ihren Mut; den als Arbeiter gekennzeichneten Kämpfenden und Sterbenden gibt sich der Tod noch nicht zu erkennen – nur dem Betrachter. Im Text wird die Fahne des Todes als „rote“ näher bestimmt und hier erkennen die Kämpfer bereits, wer sie führt, der Tod.

Blatt 6: Der Tod reitet, nun wieder nackt und bloß, sein Leichentuch als Fahne schwingend und mit einem Lorbeerkranz als Sieger gekennzeichnet, über die am Boden liegenden Opfer des Barrikadenkampfes, vorbei an Weinenden (Frau, Sohn) und zerstörten, qualmenden Häusern zurück; im Hintergrund bergen auch die Soldaten ihre Toten: der Tod hat gesiegt. Bild Erläuterung Zuspitzung der Bildaussage: Tod als Held der „rothen Republik“; „als Leichen – ja – da sind wir gleich“ (Epilog).

Gestaltungsweise: Anknüpfen an das seit der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts verbreitete Motiv des Totentanzes; traditionelle Technik des Holzschnitts; traditionelle Bildmotive: Sirenenfüße (Odyssee); Waage und Schwert der Justitia; gerade geschmiedete Sense aufständischer Bauern; der reitende Sensenmann als apokalyptischer Reiter.

Aktuelle Bildmotive: Hut mit Hahnenfeder als Kennzeichen Friedrich Heckers und seiner Anhänger; öffentliches Rauchen als Zeichen der Auflehnung.

Die erst nach dem Fertigstellen der Bilder von Robert Reineck verfassten Begleitverse haben – mit Ausnahme des ersten Blatts – meist nur erläuternden, präzisierenden Charakter.

Erklären im historischen Kontext:

Die Folge von Holzschnitten erschien im Mai 1849, wenige Tage nach den Barrikadenkämpfen von Dresden, thematisiert jedoch nicht – wie vielfach behauptet – weder diese noch die  Reichsverfassungskampagne, sondern die Düsseldorfer, Berliner und Wiener Kämpfe vom März bzw. Herbst 1848 sowie die Frankfurter Septemberunruhen.

Rethels Bilderfolge war sehr erfolgreich; binnen kurzem drei Auflagen mit 4.500 Exemplaren sowie eine „Volksausgabe“ (Einblattdruck) mit 10.000 Exemplaren. Zahlreiche weitere Neuauflagen (auch 1919 unter dem Eindruck der Novemberrevolution) bis 1948.

Auffallend die Bezüge zur Französischen Revolution: Blatt 3 (Maueranschlag, Mütze), Blatt 4 (Fahne der Republik), Blatt 5 (Barrikadenkampf), im Text Reinecks weitaus häufigere Verwendung der Losung der Französischen Revolution.

Mit Ausnahme des „Heckerhuts“ sind keine direkten Bezüge zur Revolution von 1848/49 erkennbar; Geschehen völlig ohne Hinweise auf jüngst vergangene oder aktuelle Ereignisse; historisch-politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ursachen der Revolution bleiben völlig ausgeblendet ebenso die maßgeblichen Ziele der Revolution (nationale Einheit, nationales Parlament, Beseitigung des Reformstaus, Modernisierung der Gesellschaftsverfassung etc.); als einziges Ziel wird die Republik der demokratischen Minderheit herausgestellt.

Dagegen werden als Ursachen der Revolution individuelle Laster und Schwächen angegeben: List. Lüge, Eitelkeit, Tollheit und Blutgier; die Revolution entspringt nach Rethel nicht dem Wunsch nach Verbesserung der politischen/gesellschaftlichen/wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern allgemeinen menschlichen Charakterschwächen, die sogar dazu führen, dass sie sich gegenseitig umbringen – der Tod muss gar nicht mehr „selbst töten“.

Dennoch kann zumindest die Akzentuierung des Todes als Führer und Verführer der Arbeiter, Handwerker oder Studenten als Kritik an der zeitgenössischen Sehnsucht nach heldenhaften Vorkämpfern, ja, der Verehrung der revolutionären Märtyrer (Märzgefallene, Hecker, Robert Blum). Zugleich verweist er auf die Sinnlosigkeit politisch motivierten Sterbens, da der gewaltsame Tod von Menschen immer sinnlos sei (vgl. Manfred Hettling, S. 168f.).

Aspekte Urteilsbildung - Rethels "Auch ein Todtentanz":
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Rethels "Auch ein Todtentanz" nur Text:
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Rethel Todtentanz Blatt 2: Herunterladen [jpg][600 KB]

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