Vortrag
Infobox
Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Geschichte: Neue Schwerpunktthemen ab dem Abitur 2014
„Wind of Change“
2014: Neue Schwerpunktthemen in der schriftlichen Abiturprüfung
Neues Material: Plakate
Individualisierung als Mega-Thema
2015: Neues Aufgabenformat in der schriftlichen Abiturprüfung
2015/16: Neuer Bildungsplan
„Natura non facit saltus…“
… und die Geschichte auch nicht.
Stattdessen: Kontinuierlich-stetige Weiterententwicklung der Kompetenzorientierung im Abitur seit 2004
Abitur 2008: Geschichte
2. Ordnen Sie die Ost- und Deutschlandpolitik der Regierung Brandt/Scheel in die internationale Politik seit Beginn der sechziger Jahre ein.
Abitur 2010: Geschichte
3. Erläutern Sie, wie die Bundesregierungen in den 1960er- und 1970er-Jahren auf die Veränderung im Verhältnis der beiden Supermächte zueinander reagiert haben.
Abitur 2011: Geschichte
5. Überprüfen Sie anhand von drei Beispielen Ihrer Wahl, inwieweit die politische Entwicklung im Innern der Bundesrepublik von 1949 bis in die 1980er Jahre vom Ost-West-Konflikt bestimmt wurde.
Abitur 2012: Geschichte
1. Arbeiten Sie aus M 1 heraus, wie Sebastian Haffner die Lage der beiden deutschen Staaten im internationalen Spanungsfeld beurteilt und welche Folgerungen er daraus ableitet?3. Erörtern Sie, ob sich zwischen 1959 und 1979 die internationalen und die deutsch-deutschen Beziehungen verbessert haben.
Alexander Gallus (Hg.), Deutsche Zäsuren. Systemwechsel seit 1806. Köln 2006.
„Die deutsche Geschichte der vergangenen zweihundert Jahre ist – im Vergleich zu derjenigen anderer Länder – besonders reich an Zäsuren, die mit einem grundlegenden Wandel der staatlichen und politischen Ordnung verbunden waren. Es ist daher erstaunlich, wie wenig diese Systemwechsel zum Gegenstand einer gebündelten Betrachtung wurden. In der Politikwissenschaft erfreut sich das Thema der Transformation politischer Systeme dagegen spätestens seit den Umbrüchen des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Ostmittel- und Osteuropa einer großen Beliebtheit.“ (S. 9)
„Durch die Revolution in Ostmitteleuropa und der DDR haben sich seit 1989 die Perspektiven auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts insgesamt und insbesondere auf die deutsche Nachkriegsgeschichte gravierend verschoben.“
(Christoph Kleßmann 2005)
„Die Fluchtpunkte historischer Betrachtung ändern sich. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war für die deutsche Geschichtswissenschaft „1945“ ein solcher Fluchtpunkt. Die Frage, wie es zur „deutschen Katastrophe“ … kommen konnte, beherrschte den Diskurs nicht nur über das 19. und 20. Jahrhundert, sondern zeitweise auch über frühere Epochen: vom Absolutismus über die Reformation bis zurück ins Mittelalter… Mittlerweile gibt es einen neuen Fluchtpunkt für Betrachtungen zur deutschen Geschichte: die welthistorische Epochenwende von 1989/91.“
(H.A. Winkler 1997)
Welche Zäsuren, welche Systemwechsel?
1806 | 1848 | 1871 | 1918 | 1933 | 1945 | 1989/90 |
Wege von der Leitperspektive zur Fragekompetenz?
„Anknüpfend an die von der Systemwechselforschung eröffneten Perspektiven ergibt sich eine Fülle von leitenden Fragen:
Wie gestalteten sich die Übergänge von der Monarchie zur Demokratie, von der Demokratie zur Diktatur und von der Diktatur zur Demokratie?
Was waren die Ursachen für das Ende des alten Systems?
Wann und wie erfolgte die Institutionalisierung der neuen Ordnung?
Worin zeigte sich die Konsolidierung der neuen politischen Ordnung, sofern diese überhaupt gelang?
Wie ist der Umbruch zu bezeichnen: als Revolution, Reform, Wandel, Zusammenbruch oder Umsturz?
Wurde der Umbruch „inszeniert“, und falls ja, in welcher Form und mit welcher Absicht?
Inwieweit wurde auf frühere Umbrüche und Systemwechsel in der deutschen Geschichte Bezug genommen?
Verliefen die Entwicklungen in politisch-institutioneller Hinsicht auf der einen sowie in sozioökonomischer und politisch-kultureller auf der anderen synchron, oder wichen diese voneinander ab?
Wie verhielten sich während der Transformation modernisierende und restaurative Tendenzen zueinander?
Wie begegnete die Bevölkerung (öffentliche Meinung) dem Wandel – zustimmend, ablehnend oder teilnahmslos?
Wie zwangsläufig war die jeweilige Entwicklung?
Wo liegen entscheidende Weggabelungen?
(Gallus 2006, S. 9)
Von der Fragekompetenz zur Urteilsbildung?
Wie lassen sich die Systemwechsel charakterisieren?
Wie stark fielen die Umbrüche aus?
Bestand eine historisch offene Situation?
Welche (inneren oder äußeren) Kräfte zeichneten für den Umsturz verantwortlich?
Spielten extremistische Bestrebungen eine tragende Rolle?
Deckten sich die Intentionen mit den Auswirkungen?
Gab es Zusammenhänge zwischen den Systemwechseln?
Welche Nachwirkungen hinterließen sie?
Wie sind sie zu bewerten?
Abitur 2014: Eine mögliche Leitperspektive?
Zäsuren - Systemwechsel - Systemtransformationen?
Samuel P. Huntington 1991: Die drei Demokratisierungswellen
1828 – 1926 (1922: 29 Demokratien, 35 Diktaturen) ► Deutschland: 1918 (nicht: 1848, 1871)
1943 – 1962 (1942: 12 Demokratien, 49 Diktaturen) ► Deutschland: 1945
1974 – 1991 (1973: 30 Demokratien, 92 Diktaturen) ► Deutschland: 1989
(Zahlen ohne Länder mit einer Bevölkerung von weniger als 1 Mio.)
nach: S. Huntington, The Third Wave. Democratization in the Late 20th Century. Norman, Oklah. 1991
Nolte 2012: Vier Demokratisierungswellen
1770 - 1800: Nordatlantische Revolutionen (USA, Frankreich, Haiti)
1820er/30er Jahre: Lateinamerika (Bolivar), Juli-Revolution in Frankreich
1848: Revolutionen in Europa mit „Nachbrenner“ in den 1860er Jahren („Liberale Ära“ in Europa, Sieg des Nordens im Civil War)
1905 - 1912: Revolutionen in Russland, im Osmanischen Reich, in Portugal, Mexiko, China
Doppelrevolution als Systemwechsel
„Durchgesetzt hat sich … die Tendenz, den Beginn der Moderne mit der europäisch-atlantischen
„Doppelrevolution“
zu verbinden, der wirtschaftlich-industriellen, die von England ihren Ausgang nahm, und der politisch-sozialen, die in Nordamerika und Frankreich begann.“
(Lothar Gall, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft. München 2012, S. 53)
Modernisierung als Systemwechsel: Definition
„Als
Modernisierung
werden bevorzugt solche Prozesse des sozialen Wandels bezeichnet, die sich erstens beziehen auf Strukturveränderungen, wie sie in der Zeit von 1750 bis 1830 durch die „englische“ und Französische Revolution eingeleitet wurden, und zweitens Strukturveränderungen auf Makroebene bewirkten.“
(R.M. Lepsius, Soziologische Theoreme über die Sozialstruktur der „Moderne“ und die „Modernisierung“, in: R. Koselleck (Hg.), Studien zum Beginn der modernen Welt. Stuttgart 1977, S. 10-29, hier: S. 12)
Modernisierung als „breit angelegtes Schwellenereignis“
„Vor allem im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entwickelte sich eine Formierungs- und Veränderungsdynamik, die die überkommenen geistigen und materiellen Grundlagen der Alten Welt in Frage stellte und so zur
bürgerlichen Moderne
überleitete.“
(Hans Schilling, Höfe und Allianzen. Deutschland 1648-1763. 1989, S. 13)
Das Programm einer „bürgerlichen Gesellschaft“
Im Zentrum dieses Entwurfs stand das Ziel einer modernen, säkularisierten Gesellschaft freier, mündiger Bürger (citoyens), die ihre Verhältnisse friedlich, vernünftig und selbständig regelten, ohne allzu viel soziale Ungleichheit, ohne obrigkeitsstaatliche Gängelung, individuell und gemeinsam zugleich. Dazu bedurfte es bestimmter Institutionen: des Marktes, einer kritischen Öffentlichkeit, des Rechtsstaates mit Verfassung und Parlament. In dieser gesellschaftlich-politischen Zielsetzung steckte ein neuer Daseinsentwurf, der auf Arbeit, Leistung und Bildung (nicht auf Geburt), auf Vernunft und ihrem öffentlichen Gebrauch (statt auf Tradition), auf individueller Konkurrenz wie auf genossenschaftlicher Gemeinsamkeit fußte und sich kritisch gegen zentrale Elemente des Alten Regimes wandte: gegen Absolutismus, gegen Geburtsprivilegien und gegen ständische Ungleichheit, auch gegen kirchlich-religiöse Orthodoxie.
(Jürgen Kocka, Bürger und Bürgerlichkeit im Wandel, in: APuZ 9-10/2008, S. 3 - 9, hier: S. 4f.)
Krise der bürgerlichen Moderne
Totalitäre Alternativen zum liberalen Modell:
-
Marxismus-Leninismus
-
Faschismus/Nationalsozialismus
Internationale Beziehungen: Systemkonflikt
Ideologisierung der Politik
Ost-West-Konflikt ab 1917
Marginalisierung Europas
Kalter Krieg ab 1947
Deutsche Zäsuren?
„Die eigentliche Zäsur in der neuesten Geschichte Deutschlands und Europas ist die Geschichte der Bundesrepublik selbst.“
(Hans-Peter Schwarz)
„Die erste deutsche Republik ist nicht mehr bloß Vorgeschichte des ‚Dritten Reiches‘ und Kontrast zu seinen beiden Nachfolgestaaten, sondern im Positiven wie im Negativen Vorgeschichte der zweiten gesamtdeutschen Demokratie. Doch anders als Weimar ist die erweiterte Bundesrepublik keine ungelernte Demokratie mehr. Sie hat nicht nur die Weimarer, sondern auch die sehr viel erfolgreicheren Bonner Lehrjahre hinter sich.“
(Heinrich August Winkler, 1998)
Westzonen: Ende oder Restauration der bürgerlichen Gesellschaft?
- Entdifferenzierung in der „Zusammenbruchsgesellschaft“: „Volk“ (Hans Mommsen), Währungsreform
- Von der bürgerlichen Gesellschaft zur nivellierten Mittelstands- (Schelsky) und Konsumgesellschaft
- Delegitimierung und Entmachtung der alten Führungsschichten
- Entpolitisierung: Repräsentativ-elektorales Demokratiemodell (Grundgesetz) > Nolte 2012
SBZ/DDR: Entbürgerlichung
- Ende der bürgerlichen Gesellschaft
- Stalins Doppelstrategie
- Ideologisierung, begrenzte Sowjetisierung
- Blockade zivilgesellschaftlicher Bewegungen (Ulbricht, Sommer 1945: „Es ist doch ganz klar. Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“)
Entdifferenzierung des Parteiensystems ab 1945
„Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ (1945)
Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED (1946): „Einheit der Arbeiterklasse“
SED: „Partei neuen Typs“ (1948)
Wirtschaftliche Entdifferenzierung
„Demokratische Bodenreform“ ab 3.9.1945
Entschädigungslose Enteignung der „Kriegsverbrecher“ und „Großgrundbesitzer“ (über 100 ha)
„Durch die demokratische Bodenreform wurde das Bündnis der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern auf eine feste ökonomische Grundlage gestellt.“
Gesellschaftliche Entdifferenzierung
- Entnazifizierung als Hebel zur Entdifferenzierung
- Elitenwechsel: „Neubauern“, „Neulehrer“, „Neurichter“
- Soziale Privilegierung der „Arbeiterklasse“ und der „armen Bauernschaft“
- Entdifferenzierung durch Militarisierung ab 1948: „Volkspolizei“, „Heimatschutz“
Zivilgesellschaft
Der Begriff ‚civil society‘ bezeichnet das genaue Gegenteil von dem staatsrechtlich und rechtsphilosophisch begründeten Begriff der 'bürgerlichen Gesellschaft' der deutschen politischen Terminologie des 19. Jahrhunderts. Die 'civil society' ist nicht die Gesellschaft der Bourgeoisie und bestimmt sich nicht aus der Differenz zwischen Familie und Staat; sie ist die Gesellschaft der politisierenden Aktivbürger nach dem Vorbild der antiken Stadtstaaten, auf die die begriffliche Trennung von Staat bzw. Politik und Gesellschaft nicht anwendbar ist.“
(S. Böhm, Teil und Ganzes, in: K. Acham/W. Schulze (Hg.), Teil und Ganzes. München 1990, S. 45-71, hier: S. 76)
Vortrag: Herunterladen [ppt][164 KB]