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M5. Äu­ße­run­gen zur Re­vo­lu­ti­on 1848/49

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

A

1848 be­gann in Deutsch­land eine neue Zeit. Auch wenn es da­nach schwe­re Rück­schlä­ge gab: Was hier be­gann, war auf die Dauer nicht mehr rück­gän­gig zu ma­chen. Das Jahr 1848 war nicht nur der blei­ben­de An­fang der deut­schen De­mo­kra­tie­ge­schich­te - es war auch eine ent­schei­den­de Wen­de­mar­ke auf dem Weg zum mo­der­nen, de­mo­kra­ti­schen Eu­ro­pa. Denn an­ders als 1789 war 1848 das Jahr einer wirk­lich eu­ro­päi­schen Be­we­gung. An vie­len Orten und in vie­len Spra­chen er­scholl da­mals der Ruf nach Par­ti­zi­pa­ti­on, nach Grund­rech­ten, nach Frei­heit. Es wehte der Wind eines Wan­dels, der die Völ­ker Eu­ro­pas nicht nur ver­än­der­te, son­dern auch auf neue Weise mit­ein­an­der ver­band. […] Zu­ge­ge­ben: Die Frei­heits­ge­schich­te un­se­res Vol­kes war oft eine Ge­schich­te von Ver­lie­rern, von Ver­su­chen, Irr­tü­mern und auch Nie­der­la­gen. Und wir kön­nen uns un­se­re Ver­gan­gen­heit nicht aus­su­chen. Aber wir kön­nen für unser ei­ge­nes Selbst­be­wusst­sein, für die Iden­ti­tät un­se­res Ge­mein­we­sens sehr wohl aus­wäh­len, auf wel­che Tra­di­tio­nen wir uns be­ru­fen und an wel­che wir an­knüp­fen wol­len. 1848 ist dafür der Schlüs­sel: Da­mals sind die Prin­zi­pi­en for­mu­liert wor­den, die noch heute die Grund­la­gen un­se­rer staat­li­chen Exis­tenz aus­ma­chen: Das Be­kennt­nis zu Men­schen­rech­ten und De­mo­kra­tie und der ge­mein­sa­me Wille, die ver­schie­de­nen Re­gio­nen und Strö­mun­gen in un­se­rem Land zu einem frei­en Ge­mein­we­sen zu ver­ei­ni­gen. 1848 gibt uns das Recht, mit Selbst­be­wusst­sein zu sagen: Die de­mo­kra­ti­sche Idee, die Ideen der Frei­heit, der Men­schen- und Bür­ger­rech­te sind auch ein Teil der deut­schen Tra­di­ti­on - auch wenn sie sich erst spä­ter wirk­lich durch­ge­setzt haben. […]Die Frei­heits­ge­schich­te Eu­ro­pas war stets eine über­na­tio­na­le An­ge­le­gen­heit - auch wenn sie sich meist über die Gram­ma­tik na­tio­na­len Den­kens zu rea­li­sie­ren be­gann: Die fran­zö­si­sche Re­vo­lu­ti­on mit ihrem Be­kennt­nis zu den Men­schen­rech­ten und dem auf­wüh­len­den, fast ver­zwei­fel­ten Rin­gen um eine neue so­zia­le Ba­lan­ce, die eng­li­sche Char­tis­ten-Be­we­gung mit ihrem Schlacht­ruf "One man, one vote", die bel­gi­sche Re­vo­lu­ti­on, die die Ver­söh­nung li­be­ra­ler und kirch­li­cher Ideen un­ter­nahm, die Auf­stän­de in Polen, die Eu­ro­pa ge­ra­de­zu mit Ehr­furcht ver­folg­te, der deut­sche Vor­märz mit sei­nen re­bel­li­schen Dich­tern und Pro­fes­so­ren, mit Heine und Börne, Frei­li­grath und Werth, mit den "Göt­tin­ger Sie­ben" und mit Hoff­mann von Fal­lers­le­ben. Der Ruf nach Frei­heit er­scholl quer durch Eu­ro­pa. Heute, am Be­ginn der größ­ten Er­wei­te­rung in der Ge­schich­te der Eu­ro­päi­schen Union, geht es letz­ten Endes um die Frage, was uns als Be­woh­ner die­ses Kon­ti­nents ver­bin­det und was die EU als Schick­sals- und So­li­da­ri­täts­ge­mein­schaft be­grün­det. Die ge­mein­sa­me Tra­di­ti­on der Frei­heits­be­we­gun­gen, die seit 1848 die eu­ro­päi­schen Staa­ten ver­band, war und ist auch heute das geis­ti­ge Fun­da­ment des ver­ein­ten Eu­ro­pa.

B

In den Frei­heits­krie­gen hatte das deut­sche Volk in frei­wil­li­ger und be­wuss­ter Hin­ga­be an den Ge­dan­ken einer deut­schen Na­ti­on sich die äu­ße­re Frei­heit er­run­gen; sein Stre­ben, nun auch aus der deut­schen Viel­staa­te­rei zum na­tio­na­len Staat auf frei­heit­li­cher Grund­la­ge, zum Reich zu kom­men, schei­ter­te an dem Wi­der­stand der deut­schen Fürs­ten, dem na­tio­na­len Ge­dan­ken ein Opfer an Sou­ve­rä­ni­täts­rech­ten zu brin­gen. Treu­lich be­wahr­te trotz al­le­dem das deut­sche Volk seit den Frei­heits­krie­gen im Zei­chen des schwarz-rot-gol­de­nen Ban­ners das Ideal der Ei­ni­gung der deut­schen Stäm­me und der in­ne­ren Frei­heit. In der gro­ßen Volks­be­we­gung, die 1848 wie an­de­re Na­tio­nen auch die Deut­schen er­fass­te, soll­te an die­ser Stät­te das po­li­ti­sche Stre­ben der Bes­ten und Be­deu­tends­ten der Na­ti­on, soll­te der Volks­staat des ei­ni­gen und frei­en Deutsch­land Ver­wirk­li­chung fin­den. Zum ers­ten Male ging aus all­ge­mei­nen Wah­len des gan­zen deut­schen Vol­kes eine Ver­tre­tung Deutsch­lands her­vor, die Na­tio­nal­ver­samm­lung, ein Par­la­ment von hohem geis­ti­gen Schwung, von edels­tem Wesen und star­kem na­tio­na­len Be­wusst­sein. Die­ser ers­ten Na­tio­nal­ver­samm­lung ge­lang es, die Grund­rech­te des deut­schen Vol­kes und die Ver­fas­sung des ei­ni­gen Deut­schen Rei­ches zu schaf­fen, aber es ge­lang ihr nicht, das Reich selbst auf­zu­rich­ten. Dazu fehl­ten ihr die rea­len Macht­mit­tel; am Geis­te der Klein­staa­te­rei schei­ter­te ihr na­tio­na­ler Wille. [...] Dann, als wie­der­um, 70 Jahre spä­ter, im Win­ter 1918/19 das deut­sche Volk ge­zwun­gen war, sein Ge­schick selbst in die Hand zu neh­men, sein Staats­we­sen in den Nöten der Zeit neu­auf­zu­bau­en, führ­te uns die Ar­beit von Wei­mar zur Frank­fur­ter Pauls­kir­che zu­rück, zu den Leit­ge­dan­ken, die einst an die­ser Stät­te ge­bo­ren sind. [...] Ein­heit, Frei­heit und Va­ter­land ! Diese drei Worte, jedes gleich be­tont und gleich wich­tig, waren der Leit­stern, unter dem die Pauls­kir­che wirk­te. Sie sind auch Kern und Stern des Da­seins­kamp­fes, den wir heute an Rhein, Ruhr und Saar zu füh­ren ge­zwun­gen sind. Dort ste­hen wir in ent­schlos­se­ner Ab­wehr, um das ei­ni­ge Reich, um un­se­re Frei­heit zu er­hal­ten, dort kämp­fen alle Volks­ge­nos­sen mit äu­ßers­ter Hin­ga­be für den Staat des deut­schen Vol­kes. Die­sen Geist der Ei­nig­keit, der Frei­heit und des Rech­tes, der uns auch in die­ser tiefs­ten Not er­hebt, wol­len wir be­wah­ren. Er soll und wird uns einer bes­se­ren Zu­kunft ent­ge­gen­füh­ren.

C

Die deut­sche Re­vo­lu­ti­on von 1848 brach­te nicht die Ge­burt eines bür­ger­lich deut­schen Staa­tes, son­dern die preu­ßisch-mi­li­tä­ri­sche feu­da­lis­ti­sche Vor­macht. Warum hat Deutsch­land nicht ein glei­ches oder ähn­li­ches Schick­sal er­le­ben dür­fen wie die Mäch­te der li­be­ra­len west­li­chen Welt? Warum war der deut­sche Im­pe­ria­lis­mus so ex­plo­siv und ag­gres­siv in sei­nen Me­tho­den? Warum war der deut­sche Geist über­heb­lich, der deut­sche Staat mi­li­tä­risch und die deut­sche De­mo­kra­tie 1933 zum Fa­schis­mus fähig? Hier muss die Ge­schich­te Ant­wort geben. [...] Das deut­sche Bür­ger­tum konn­te seine na­tio­na­le Auf­ga­be 1848 nicht er­fül­len, weil seine po­li­ti­sche Kampf­front durch Un­ei­nig­keit ge­schwächt war und weil die na­tio­na­le Kampf­front durch den Ver­zicht auf ein Bünd­nis mit den Ar­bei­tern und Bau­ern zu schmal war. [...] Die in der deut­schen Ar­bei­ter­be­we­gung or­ga­ni­sier­ten Kräf­te sind 1948, auf sich al­lein ge­stellt, eben­so wenig fähig, die Ein­heit Deutsch­lands zu ver­wirk­li­chen, wie es 1848 das auf sich ge­stell­te Bür­ger­tum nicht konn­te. Die Be­reit­wil­lig­keit der So­zia­lis­ti­schen Ein­heits­par­tei Deutsch­lands zu einer brei­ten fort­schritt­li­chen Bünd­nis­po­li­tik ent­springt darum tiefs­ter po­li­ti­scher Ehr­lich­keit und der Sorge um die Zu­kunft der gan­zen deut­schen Na­ti­on ( Bei­fall ). Das ist die ent­schei­den­de Lehre aus der März­re­vo­lu­ti­on 1848.

D

Auch wir sind heute nach den Jah­ren der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ty­ran­nei wie­der am Werk, eine auf dem Fun­da­ment de­mo­kra­ti­scher Frei­heit auf­ge­bau­te staat­li­che Ord­nung zu ver­wirk­li­chen und die rech­te Form für eine Ge­mein­schaft der deut­schen Län­der und Land­schaf­ten zu fin­den. Das Bei­spiel von 1848 mahnt uns, dabei die po­li­ti­schen Ge­ge­ben­hei­ten nicht aus dem Auge zu ver­lie­ren und bei der Ein­schät­zung der Rei­hen­fol­ge der Werte den rech­ten Maß­stab an­zu­le­gen. Ein Weg­be­rei­ter der Ideen von 1848, der Frei­bur­ger Pro­fes­sor und Ab­ge­ord­ne­te von Rotteck, sagte schon im Jahre 1832 auf einer li­be­ra­len Ver­samm­lung in Ba­den­wei­ler: „Ich will lie­ber Frei­heit ohne Ein­heit als Ein­heit ohne Frei­heit.“ An Ein­heit hat es uns in den dun­kels­ten Jah­ren un­se­rer Ge­schich­te, die wir hin­ter uns haben, ge­wiss nicht ge­man­gelt, und dass wir die Ein­heit ver­lo­ren haben, hatte si­cher seine we­sent­lichs­te Ur­sa­che darin, dass wir uns unter der Dik­ta­tur der Frei­heit be­ge­ben hat­ten. Wenn wir wie­der zu dem un­ent­behr­li­chen Maße von Ein­heit kom­men wol­len, des­sen wir zum Leben be­dür­fen, wer­den wir es weder er­rin­gen noch be­haup­ten kön­nen ohne die Grund­vor­aus­set­zung der Frei­heit.

E

Seit […] Jah­ren ist zwar unser teu­e­res Va­ter­land von wei­te­ren Re­vo­lu­ti­ons­aus­brü­chen ver­schont ge­blie­ben, der Re­vo­lu­ti­ons­geist jener Zeit ist aber lei­der auch heu­ti­gen Tags noch nicht ver­schwun­den, und wer mit un­be­fan­ge­nem Blick in die Ge­gen­wart hin­ein­schaut, dem kann es nicht ent­ge­hen, dass es auch jetzt nicht an Geis­tern fehlt, wel­che mit En­er­gie und Schlau­heit dar­auf aus­ge­hen, den Samen der Un­zu­frie­den­heit unter das Volk aus­zu­streu­en und alle Klas­sen und Schich­ten des­sel­ben mit dem alten Re­vo­lu­ti­ons­geist zu er­fül­len. [...] Die So­zi­al­de­mo­kra­ten un­se­rer Tage sehen jene Zeit ge­wis­ser­ma­ßen als die klas­si­sche Zeit ihrer Par­tei an, sie fei­ern die da­ma­li­gen Re­vo­lu­ti­ons­hel­den als ihre Vor­gän­ger und Vor­kämp­fer und seh­nen sich nach einer Wie­der­kehr jener gol­de­nen Zeit, wo es manch­mal so schön drun­ter und drü­ber zu­ging. [...] Das fort­ge­setz­te wüste Trei­ben der Re­vo­lu­tio­nä­re, das über­all ein Sto­cken der Ge­schäf­te und Un­si­cher­heit aller Ver­hält­nis­se her­vor­rief, brach­te es dann aber auch zu­letzt dahin, dass nicht nur der bes­se­re, son­dern bald auch der grö­ße­re Teil der Be­völ­ke­rung das Re­vo­luz­zen völ­lig satt bekam und sehn­süch­tig nach den Re­gie­run­gen und Män­nern aus­schau­te, die den Mut hat­ten zu sagen: „bis hier­her und nicht wei­ter!“ und die dann auch wirk­lich durch ihr en­er­gi­sches Auf­tre­ten be­wirk­ten, dass die über das Ufer hin­aus­ge­tre­te­nen wil­den Ge­wäs­ser sich ver­lie­fen oder in ihr na­tür­li­ches Strom­bett zu­rück­tra­ten.

 

zu­rück: M4. Ar­beits­an­wei­sun­gen

wei­ter: M6. Ar­beits­blatt

 

Un­ter­richts­bei­spiel 1: Be­wer­tung: Her­un­ter­la­den [doc][29,4 MB]