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Er­le­ben, Be­ob­ach­ten, Be­schrei­ben. Ver­such einer An­lei­tung

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Von der sinn­li­chen Wahr­neh­mung zum Schrei­ben.

Was ist das Schwers­te von allem?
Was dir das leich­tes­te dün­ket;
Mit den Augen zu seh’n
Was vor den Augen dir liegt. 1

Diese Er­kennt­nis Goe­thes steht am An­fang der Be­mü­hun­gen, Schü­le­rin­nen und Schü­ler zum Be­schrei­ben zu brin­gen. Tat­säch­lich be­ginnt das an­ge­lei­te­te Be­schrei­ben, so frei es im Pro­dukt am Ende auch sei, bei der sorg­fäl­ti­gen Hin­füh­rung zur kon­zen­trier­ten Wahr­neh­mung und der Ver­bin­dung die­ser mit pas­sen­den Wör­tern. Dabei geht es nicht um eine wie immer ge­ar­te­te Steue­rung der Wahr­neh­mung auf vom Leh­rer Ge­woll­tes hin, son­dern um eine Kon­kre­ti­sie­rung und In­ten­si­vie­rung der ei­ge­nen Er­le­bens­fä­hig­keit, die die Ver­sprach­li­chung jen­seits von sprach­li­chen Ver­satz­stü­cken erst mög­lich macht. In der Folge soll ein Ver­fah­ren vor­ge­stellt wer­den, was sich in der Pra­xis in ver­schie­de­nen Al­ters­stu­fen und ver­schie­de­nen Kon­tex­ten be­währt hat. Die Be­schrei­bung der ein­zel­nen Ver­fah­rens­schrit­te fo­kus­siert vor allem auf das Hand­werk­li­che. Im je kon­kre­ten Fall muss je nach Klas­sen­stu­fe, di­dak­ti­schem Ziel und Leh­rer­per­sön­lich­keit je pas­send ge­plant, ge­führt und be­glei­tet wer­den. Auch muss auf die un­ter­schied­li­chen Ar­beits­ge­schwin­dig­kei­ten Rück­sicht ge­nom­men wer­den, die be­son­ders in den Pha­sen der Wahr­neh­mung und des Sam­melns von Wör­tern nicht zu ver­mei­den sind.

Ein­stim­mungs- und Wahr­neh­mungs­übun­gen

Im schu­li­schen All­tag fällt es Schü­le­rin­nen und Schü­lern oft schwer, sich auf einen Ge­gen­stand in­ten­siv ein­zu­las­sen. Es kann dabei durch­aus hilf­reich sein, die volle Wahr­neh­mungs­fä­hig­keit über­haupt erst her­zu­stel­len, indem man Übun­gen zur Kon­zen­tra­ti­on oder zur Be­ru­hi­gung an den An­fang stellt. Im Zu­sam­men­hang mit nach­fol­gen­den Wahr­neh­mungs­übun­gen haben sich vor allem Übun­gen be­währt, die auf eine Art Zen­trie­rung der Auf­merk­sam­keit ab­zie­len.

Eine Mög­lich­keit unter vie­len be­steht darin, dass jeder, im frei­en und auf­rech­ten Stand, sich so weit nach vorne neigt, wie es mög­lich ist, ohne die Fer­sen vom Boden zu heben. Das Glei­che wird ent­spre­chend nach hin­ten und zu den Sei­ten voll­zo­gen. Am Ende kön­nen die Nei­gun­gen in einem Krei­sen um den ei­ge­nen Stand­punkt ver­bun­den wer­den. Diese Übung ist mit of­fe­nen wie mit ge­schlos­se­nen Augen durch­führ­bar.

Wei­ter­hin sind Atem­übun­gen, wie sie in der Chor­ar­beit üb­lich sind, nütz­lich, um Ein­flüs­se der Au­ßen­welt ab­zu­schwä­chen und im Ge­gen­zug die Kon­zen­tra­ti­on auf das Nahe zu stär­ken.

Die ei­gent­li­chen Wahr­neh­mungs­übun­gen un­ter­neh­men das In­ten­si­vie­ren sinn­li­cher Wahr­neh­mung. Man kann zum Bei­spiel ver­su­chen, mit ge­schlos­se­nen Augen die Um­ge­bung wahr­zu­neh­men, indem man ver­sucht, Ge­räu­sche der Um­ge­bung zu orten und zu­zu­ord­nen. Es ist hilf­reich, Mau­ern, Bäume etc. tas­tend zu un­ter­su­chen. Am Ende haben beide Übungs­for­men eng mit­ein­an­der zu tun, indem Kon­zen­tra­ti­ons­übun­gen die Selbst­wahr­neh­mung stei­gern und ge­lun­ge­ne Wahr­neh­mungs­übun­gen zur Kon­zen­tra­ti­on bei­tra­gen. Über­haupt gilt, dass alle Übun­gen ge­eig­net sind, die zur Kon­zen­tra­ti­on füh­ren und Wahr­neh­mun­gen be­güns­ti­gen. 2

Die Wahr­neh­mungs­pha­se

Um „das Schwers­te“, wie es Goe­the nennt, zu er­leich­tern, ist es hilf­reich, die Ar­beits­si­tua­ti­on auf das Vor­ha­ben aus­zu­rich­ten. Das ge­lingt teil­wei­se schon durch die Kon­zen­tra­ti­ons- und Wahr­neh­mungs­übun­gen. Wäh­rend diese aber noch ein ge­mein­sa­mes Un­ter­neh­men sind, geht es nun um durch nichts ab­ge­lenk­te Ein­zel­an­stren­gun­gen, die eher er­mög­licht als an­ge­lei­tet wer­den müs­sen. Tat­säch­lich lässt sich bis­wei­len bei den Schü­le­rin­nen und Schü­lern in die­ser Phase die Nei­gung zur räum­li­chen Ver­ein­ze­lung be­ob­ach­ten. Wenn ge­nü­gend Zeit zur Ver­fü­gung steht, lohnt es sich, den Wahr­neh­mungs­ort be­wusst zu wäh­len. Die­ser soll­te dann auch der Ort für die ein­lei­ten­den Übun­gen und das Sam­meln von Wör­tern sein. Die wich­tigs­te An­for­de­rung an Lehr­per­so­nen be­steht in die­ser Phase wohl darin, die Be­ob­ach­ten­den in Ruhe zu las­sen.

Wör­ter sam­meln

Der Über­gang von der Wahr­neh­mung zur sprach­li­chen Äu­ße­rung ist ein gro­ßer Schritt, der nicht durch zu viel­fäl­ti­ge An­for­de­run­gen über­las­tet wer­den darf. Be­währt hat sich die An­lei­tung, Worte zu sam­meln, die sich bei äu­ße­ren Ein­drü­cken in einer in­ten­si­ven Be­ob­ach­tungs­pha­se von selbst ein­stel­len. Hilf­reich ist häu­fig, auf Wahr­neh­mungs­wei­sen auf­merk­sam zu ma­chen, zum Bei­spiel zum ge­ziel­ten Tas­ten auf­zu­for­dern, wenn eine Weile nur be­ob­ach­tet wurde. Je nach Ob­jekt kön­nen auch an­de­re Sinne an Be­deu­tung ge­win­nen. Wich­tig ist, für die ge­sam­te Phase genug Zeit und Ruhe zu las­sen. Das ist ge­ra­de in der engen Tak­tung eines Schul­vor­mit­tags nicht immer leicht, wird aber häu­fig von den Schü­le­rin­nen und Schü­lern als be­son­ders an­ge­nehm er­lebt.

Die große Her­aus­for­de­rung bei der Suche nach den rich­ti­gen Wör­tern ist nun, ab­ge­grif­fe­nen For­mu­lie­run­gen nicht auf den Leim zu gehen, das heißt, nicht zu no­tie­ren, was zum be­tref­fen­den Ge­gen­stand an Wör­tern be­reits ab­ge­spei­chert ist, son­dern was an Wör­tern zur mo­men­ta­nen Wahr­neh­mung passt. Ein Stein zum Bei­spiel muss sich nicht un­be­dingt hart an­füh­len, muss nicht sta­tisch wir­ken. Am Ende der Sam­mel­pha­se soll­te ein un­ge­ord­ne­ter Vor­rat an No­ta­ten ent­stan­den sein.

Wör­ter ver­wen­den

Die ge­fun­de­nen Wör­ter sind noch keine ver­sprach­lich­ten Wahr­neh­mun­gen, son­dern eher be­zeich­ne­te Ein­drü­cke. Aus den ge­sam­mel­ten Wör­tern aber las­sen sich dif­fe­ren­zier­te Äu­ße­run­gen zu Wahr­neh­mun­gen zu­sam­men­fü­gen, also zum Bei­spiel „glatt und un­zu­gäng­lich“ oder „stellt sich ins Licht“. Damit ist die Auf­merk­sam­keit nicht mehr pri­mär auf den Ge­gen­stand ge­rich­tet wie bei der Suche nach Wör­tern, son­dern auf das ge­sam­mel­te Sprach­ma­te­ri­al. Diese Um­ori­en­tie­rung soll­te nicht gar zu ka­te­go­risch durch­ge­setzt wer­den, kann aber zum Bei­spiel durch einen Orts­wech­sel (Rück­kehr vom Be­ob­ach­tungs­ort ins Klas­sen­zim­mer) be­tont wer­den. Die Ar­beits­an­wei­sung in die­ser Phase soll­te dar­auf ab­zie­len, aus Wör­tern Sätze zu ma­chen, aus Ein­drü­cken Aus­sa­gen. Das Ziel ist in die­ser Phase, Aus­sa­gen über Wahr­neh­mun­gen zu tref­fen, noch nicht eine Be­schrei­bung des Ge­gen­stan­des. Die Aus­sa­gen dür­fen wei­ter­hin be­rüh­rungs­los ne­ben­ein­an­der ste­hen. Es geht wei­ter­hin nur darum, dass sie als stim­mig emp­fun­den wer­den.

Texte schrei­ben

In die­ser Phase des Schrei­bens, in der zu­sam­men­hän­gen­de Texte ent­ste­hen sol­len, ent­steht ein Zu­sam­men­hang zwi­schen den ein­zel­nen ver­sprach­lich­ten Ein­drü­cken. Ein­zel­ne Äu­ße­run­gen wach­sen zu einer Be­schrei­bung zu­sam­men, die in sich sinn­voll ge­glie­dert ist, also eine Struk­tur be­kommt. Dies be­darf häu­fig gar nicht der An­wei­sung. Auch ent­steht, un­ter­schied­lich be­wusst ge­steu­ert, der spe­zi­fi­sche Ton­fall der Be­schrei­bung. Der Text kann auf seine Brauch­bar­keit als Be­schrei­bung hin über­prüft wer­den, es ent­steht durch die For­de­rung nach Treff­si­cher­heit, ohne dass dies ex­pli­zit ein­ge­for­dert würde, eine Adres­sa­ten­ori­en­tie­rung. Auch kann es durch­aus ge­sche­hen, dass der ent­stan­de­ne Text durch den Wunsch, die ei­ge­ne Wahr­neh­mung plau­si­bel zu ma­chen, recht per­sön­lich gerät. Ir­gend­wann in die­ser Phase wird auch die Ent­schei­dung für eine Text­sor­te zwin­gend. Wich­tig ist, dass bei die­ser Ar­beit wirk­lich der Text der Ge­gen­stand im Fokus ist, nicht mehr das ur­sprüng­lich be­ob­ach­te­te Ob­jekt. Es kann auch ge­sche­hen, dass, indem der Text selbst für den Schrei­ben­den ver­stärkt zu einem Ge­gen­stand wird, das Ele­ment der Re­fle­xi­on an Be­deu­tung ge­winnt. Dies ist ein ty­pi­sches Phä­no­men von Schreib­pro­jek­ten in der Kurs­stu­fe.

Über­ar­bei­ten und Rück­mel­den

Nun, da Texte ent­stan­den sind, ist eine Dis­tanz­nah­me sinn­voll, die es mög­lich macht, die Be­schrei­bung auf ihre Text­qua­li­tä­ten hinzu über­prü­fen. Der Text wird also selbst zu einem be­trach­te­ten Ge­gen­stand. Das kann da­durch ent­ste­hen, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler ihre Texte un­ter­ein­an­der aus­tau­schen und kom­men­tie­ren. Dabei ist der erste Le­seein­druck eben­so wich­tig wie eine Rück­mel­dung zur Ver­ständ­lich­keit. Kann sich der Leser den be­schrie­be­nen Ge­gen­stand nach sei­ner Be­schrei­bung vor­stel­len? Hat der Text eine sinn­vol­le und dem Leser hilf­rei­che Struk­tur? Rück­mel­den­de sind eben­so die an­de­ren Schrei­ben­den wie die Lehr­per­son. Die Be­deu­tung einer dif­fe­ren­zier­ten Rück­mel­dung kann gar nicht genug be­tont wer­den 3 . Auf die Rück­mel­dung folgt die ei­gent­li­che Über­ar­bei­tung, in der Kom­men­ta­re über­dacht und ein­ge­ar­bei­tet oder ver­wor­fen wer­den. Ideal ist ein sich ent­wi­ckeln­der Wech­sel zwi­schen Rück­mel­dung und Über­ar­bei­tung. Fer­ti­ge Texte kön­nen einer Ana­ly­se als Sach­t­ex­te oder einer Deu­tung als li­te­ra­ri­sche Texte un­ter­wor­fen wer­den. Da­durch wer­den die neuen Er­fah­run­gen auch im Ana­ly­ti­schen an­ge­wandt, au­ßer­dem er­folgt eine Wür­di­gung der Schreib­pro­duk­te. Sinn­voll ist am Ende auch das ge­mein­sa­me Be­nen­nen von Lern­fort­schrit­ten im Be­reich des Schrei­bens, aber auch die An­re­gung neuer, in­di­vi­du­el­ler Schreib­pro­jek­te. 4


Die­ses Goe­the-Zitat ist in letz­ter Zeit in­fla­tio­när her­an­ge­zo­gen wor­den. Wenn es hier noch ein­mal ge­schieht, dann vor allem des­halb, weil es bei den vor­ge­stell­ten Ver­fah­ren zur Schreib­för­de­rung nun wirk­lich um eine An­nä­he­rung an die Goe­the­sche For­de­rung geht.

Als wert­vol­le Quel­le für An­re­gun­gen hat sich Wie man sich die Welt er­lebt von Keri Smith (Mün­chen 2011) er­wie­sen.

Siehe hier­zu auch den Ab­schnitt zur Schreib­be­glei­tung.

Siehe hier­zu auch den Ab­schnitt „Wett­be­wer­be und An­lauf­stel­len“.

 

Er­le­ben, Be­ob­ach­ten, Be­schrei­ben. Ver­such einer An­lei­tung:
Her­un­ter­la­den [docx] [25 KB]