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Trai­nings­mo­dul 2: Un­ter­schie­de zwi­schen ge­spro­che­ner und ge­schrie­be­ner Spra­che er­ken­nen

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Schü­ler­ar­beits­blatt:

Si­cher haben Sie schon Er­fah­run­gen mit den Un­ter­schie­den zwi­schen ge­spro­che­ner und ge­schrie­be­ner Spra­che ge­macht.

  • Er­ar­bei­ten Sie eine Liste sol­cher Er­fah­run­gen.
  • Wäh­len Sie eine die­ser Er­fah­run­gen aus und no­tie­ren Sie, wel­che Fol­gen, Chan­cen und Ge­fah­ren sich er­ge­ben kön­nen.
  • Chat, SMS, Mail usw. - Ana­ly­sie­ren Sie an­hand von Bei­spie­len die Be­son­der­heit die­ser Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men.

  Kor­rek­tes Deutsch?“ - Jan Georg Schnei­der: Ge­spro­che­ne und ge­schrie­be­ne Spra­che im Ver­gleich (aus DU 4-2012 - ver­se­hen mit dem Ver­merk COPY)

"Das Wort Gram­ma­tik stammt aus dem Alt­grie­chi­schen und be­deu­tet wört­lich über­setzt so viel wie „Buch­sta­ben­kunst“ (tech­ne gram­ma­ti­ke). Al­lein hier­an er­kennt man schon, dass sich die Gram­ma­tik­schrei­bung und der Gram­ma­tik­un­ter­richt tra­di­tio­nell stets an der Schrift­spra­che ori­en­tier­ten. Un­se­re gram­ma­ti­schen Ka­te­go­ri­en sind schrift­sprach­lich ge­prägt; be­son­ders deut­lich zeigt sich dies an räum­li­chen Be­schrei­bungs­ka­te­go­ri­en wie „Links-“ und „Recht­sat­tri­but“ In dem Aus­druck guter Wein ist guter ein so­ge­nann­tes „Link­sat­tri­but“ zu Wein, weil es links vom Be­zugs­wort steht. Im Aus­druck Zen­trum der Stadt ist der Stadt „Recht­sat­tri­but“, weil es rechts vom Be­zugs­wort Zen­trum steht. Links und rechts gibt es aber nur in der ge­schrie­be­nen Spra­che, denn sie ist im Ge­gen­satz zur ge­spro­che­nen vi­su­ell und flä­chig; in un­se­rer Al­pha­bet­schrift z.B. schrei­ben wir in den Zei­len von links nach rechts und in den Spal­ten von oben nach unten. Dies ist eine kul­tu­rell be­ding­te Kon­ven­ti­on; im Ara­bi­schen und im He­bräi­schen z.B. schreibt man von rechts nach links. In der Münd­lich­keit da­ge­gen gibt es über­haupt kein Links und Rechts, denn die ge­spro­che­ne Spra­che ist ja laut­lich: Die Stim­me er­klingt und ver­klingt da­nach so­fort wie­der, das Ge­spro­che­ne er­streckt sich in der Zeit, und nicht im Raum.

Al­lein dies macht be­reits deut­lich, dass ge­spro­che­ne und ge­schrie­be­ne Spra­che zwei un­ter­schied­li­che Me­di­en sind, die ganz un­ter­schied­lich funk­tio­nie­ren. Auf­grund un­se­rer al­pha­bet­schrift­li­chen Gram­ma­tik­t­ra­di­ti­on über­se­hen wir dies leicht: Wir alle haben so­zu­sa­gen eine schrift­sprach­li­che Bril­le auf der Nase und nei­gen dazu, münd­li­che Äu­ße­run­gen mit einem schrift­sprach­li­chen Maß­stab zu mes­sen. Nach Auf­fas­sung der mo­der­nen Sprach­wis­sen­schaft ist dies je­doch nicht an­ge­mes­sen. Wir müs­sen ler­nen zu ver­ste­hen, dass ge­spro­che­ne und ge­schrie­be­ne Spra­che un­ter­schied­lich funk­tio­nie­ren und in un­ter­schied­li­chen Si­tua­tio­nen ver­wen­det wer­den: Die ge­spro­che­ne Spra­che ver­wen­den wir in der Regel in in­ter­ak­ti­ven Ge­sprä­chen: Wir ma­chen häu­fig Pau­sen beim Spre­chen, wir kor­ri­gie­ren uns, set­zen beim Spre­chen neu an, manch­mal fal­len wir ein­an­der ins Wort oder er­gän­zen eine Äu­ße­rung, die ein an­de­rer be­gon­nen hat. In der ge­schrie­be­nen Spra­che ist das nor­ma­ler­wei­se nicht der Fall: Beim Pro­du­zie­ren der ge­schrie­be­nen Spra­che sind wir in der Regel al­lein, wir haben die Mög­lich­keit, un­se­re Texte zu über­ar­bei­ten und zu kor­ri­gie­ren, bevor wir sie „in Um­lauf“ brin­gen: In die­sem Sinne ist die ge­schrie­be­ne Spra­che re­ver­si­bel, die ge­spro­che­ne ir­re­ver­si­bel: In der spon­ta­nen münd­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on kann ein­mal Ge­sag­tes nicht zu­rück­ge­nom­men wer­den. Wenn mir etwas „her­aus­rutscht“, kann ich mich dafür zwar ent­schul­di­gen, aber lö­schen kann ich es nicht. Zudem be­steht un­se­re ge­schrie­be­ne Spra­che aus ein­zel­nen vi­su­el­len Ele­men­ten, näm­lich Buch­sta­ben, wäh­rend eine ge­spro­che­ne Äu­ße­rung ein kon­ti­nu­ier­li­cher Laut­strom ist.

Ins­be­son­de­re durch die Ent­wick­lung der so­ge­nann­ten neuen Me­di­en (Chat, E-Mail, SMS usw.) wer­den ei­ni­ge die­ser me­dia­len Un­ter­schie­de heute ver­rin­gert: Chat­ten z.B. ist viel in­ter­ak­ti­ver und syn­chro­ner als tra­di­tio­nel­les Brie­fe­schrei­ben. Dies än­dert aber nichts daran, dass es grund­le­gen­de me­dia­le Un­ter­schie­de zwi­schen ge­spro­che­ner und ge­schrie­be­ner Spra­che gibt, die auch bei der Be­ur­tei­lung von sprach­li­chen Äu­ße­run­gen be­rück­sich­tigt wer­den müs­sen. Ge­ra­de weil die münd­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on so in­ter­ak­tiv und spon­tan ist, man die Äu­ße­run­gen nicht vor­her „im stil­len Käm­mer­lein“ pla­nen kann, man beim Spre­chen Pau­sen macht und be­gon­ne­ne Äu­ße­run­gen ab­bricht, fin­den sich in der ge­spro­che­nen Spra­che zum Teil an­de­re Gram­ma­tik­kon­struk­tio­nen als im Ge­schrie­be­nen. Diese Kon­struk­tio­nen sind je­doch in der Regel nicht als falsch oder kor­rek­tur­be­dürf­tig ein­zu­stu­fen, son­dern es sind eben ty­pisch münd­li­che Kon­struk­tio­nen. Zum Bei­spiel trennt man im Ge­spro­che­nen manch­mal das, wor­über man spricht, von der Aus­sa­ge, die man dar­über macht: „Das Buch da, kannst Du mir das mal lei­hen?“, „Der war echt gut, der Film.“ Frü­her konn­te man ge­spro­che­ne Äu­ße­run­gen nicht fest­hal­ten, man hatte daher nur die Schrift­spra­che, die man genau ana­ly­sie­ren konn­te. Heute da­ge­gen kön­nen wir ge­spro­che­ne Spra­che auf Ton­trä­ger oder Video auf­neh­men: Da­durch wird sie wie­der­hol­bar, und wir kön­nen prä­zi­se er­for­schen, wel­che be­son­de­ren Gram­ma­tik­struk­tu­ren es im Münd­li­chen gibt. Dies ist eine Auf­ga­be der mo­der­nen Sprach­wis­sen­schaft. Auch Äu­ße­run­gen, in denen die Kon­junk­ti­on weil mit Haupt­satz­stel­lung ver­wen­det wird, kom­men im Ge­spro­che­nen sehr häu­fig vor. Sol­che Äu­ße­run­gen sind im Ge­spro­che­nen nicht als feh­ler­haft ein­zu­stu­fen; viel­mehr ent­spre­chen sie dort der Ge­brauchs­norm, auch wenn man sie in der ge­schrie­be­nen Stan­dard­spra­che kor­ri­gie­ren würde. „Er ist be­stimmt schon ge­gan­gen, weil – sein Man­tel hängt nicht mehr dort.“ Sol­che Kon­struk­tio­nen sind zum Teil da­durch zu er­klä­ren, dass man nach weil häu­fig eine Pause macht und über­legt, wel­chen Grund man jetzt an­ge­ben möch­te. Ähn­li­ches gilt z.B. für Äu­ße­run­gen mit ob­wohl: „Ich glaub, ich komme mit ins Kino – ob­wohl – ich bin zu krank. Dann komm ich doch bes­ser nicht mit.“ Dies sind keine Feh­ler, son­dern ty­pisch münd­li­che Struk­tu­ren, ge­nau­er: Struk­tu­ren der münd­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on. In spon­ta­ner münd­li­cher Rede äu­ßern Spre­che­rin­nen und Spre­cher ihre Ge­dan­ken ohne vor­he­ri­ge Pla­nung des Satz­baus, und dies führt zu spe­zi­fisch münd­li­chen Gram­ma­tik­struk­tu­ren.

Diese me­dia­len Un­ter­schie­de müs­sen bei der Be­ur­tei­lung ge­spro­che­ner und ge­schrie­be­ner Äu­ße­run­gen immer be­rück­sich­tigt wer­den. Auch ist re­le­vant, ob es sich je­weils um eine for­mel­le oder eine we­ni­ger for­mel­le Si­tua­ti­on han­delt. In pri­va­ten Un­ter­hal­tun­gen redet man an­ders als bei einem Be­wer­bungs­ge­spräch. Ein wich­ti­ges Ziel des Deutsch­un­ter­richts soll­te es sein, Schü­le­rin­nen und Schü­ler zum si­tua­ti­ons­an­ge­mes­se­nen Kom­mu­ni­zie­ren an­zu­lei­ten – im Schrift­li­chen und auch im Münd­li­chen. Man spricht eben nicht so, wie man schreibt, und man kom­mu­ni­ziert auch nicht in jeder Si­tua­ti­on gleich. Dies ist etwas, was po­pu­lä­re Sprach­kri­ti­ker und Sprach­pfle­ger, wie z.B. Bas­ti­an Sick, nicht aus­rei­chend be­rück­sich­ti­gen. Sie nei­gen dazu, Münd­lich­keit und Schrift­lich­keit über einen Kamm zu sche­ren, und über­se­hen, dass auch die Be­ur­tei­lung gram­ma­ti­scher Rich­tig­keit nicht un­ab­hän­gig von Kon­text und Me­di­um er­fol­gen kann."

 

Auf­ga­ben­stel­lun­gen

  • Lesen Sie den Text und ana­ly­sie­ren Sie, wel­che Po­si­ti­on der Sprach­wis­sen­schaft­ler Jan Georg Schnei­der hin­sicht­lich des kor­rek­ten und des nicht kor­rek­ten Sprach­ge­brauchs ver­tritt. Was ist für ihn ein Feh­ler?
  • Wel­che Un­ter­schie­de zwi­schen ge­spro­che­ner und ge­schrie­be­ner Spra­che wer­den im Text ge­nannt?

 

Was be­deu­tet das für Ihre - de­fi­ni­ti­ons­ge­mäß schrift­li­chen - Auf­sät­ze und Klau­su­ren? Stel­len Sie für Ihren Kurs eine Liste mit Tipps, Hil­fen und Hin­wei­sen zu­sam­men, die Sie im Laufe der bei­den Schul­jah­re in­di­vi­du­ell er­gän­zen.

 

Trai­nings­mo­dul 2: Un­ter­schie­de zwi­schen ge­spro­che­ner und ge­schrie­be­ner Spra­che er­ken­nen: Her­un­ter­la­den [docx] [34 KB]