Literarische beschreibende Texte als Mittel der Schreibförderung
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Zunehmende Beschreibungskompetenz mit all ihren Konsequenzen bringt auch eine wachsende Sensibilität für beschreibende Texte mit sich. Dies ist zunächst ein Seitenthema im Bereich der Schreibförderung, ist ihr aber doch nahe genug, um in diesem Zusammenhang Erwähnung zu finden. Außerdem gilt die Verbindung auch umgekehrt, literarische Texte, die auch beschreibende Texte sind, eignen sich in besonderer Weise, literarische Bildung mit Schreibförderung zu verbinden.
In der Folge werden einige Texte vorgestellt, zunächst sehr bekannte Dinggedichte, deren beschreibender Charakter sie für den Unterricht empfiehlt, als Beispiele für Möglichkeiten des Beschreibens, die Schreibprozesse auslösen können, aber auch als Texte, in denen das Beschreiben literarisch wirkmächtig wird. Dass bei der Behandlung der Gedichte im Unterricht dann Form-Inhalt-Entsprechungen wichtig werden, ist ein weiterer erfreulicher Umstand. Insgesamt legt es dieser Abschnitt auf Synergieeffekte zwischen Entwicklungen von Lese- und Schreibkompetenzen an. Die Auseinandersetzung mit literarischen Texten an dieser Stelle versteht sich also durchaus als Beitrag zur Schreibförderung. Die Kommentare zu den nachfolgenden Texten sind bewusst kurz gehalten und verstehen sich als Ideenskizzen für den Einsatz im Unterricht.
Der Panther Rainer Maria Rilke
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.
„Der Panther“ ist wohl das bekannteste unter Rilkes Dinggedichten. Die Besonderheit des Beschreibens liegt hier in der scheinbaren Distanziertheit, die so tut, als gäbe es bei dieser Betrachtung keinen Betrachter. Dieser Eindruck rührt von der konsequenten Verwendung des Präsens her, das hier nicht Aktualität, sondern Zeitlosigkeit erzeugt. Lediglich die Vergleiche weisen auf Anteilnahme hin. Auch wird der Panther außer im Titel nie benannt. Stets ist es nur „er“, oder es ist von „ihm“ die Rede. Erst ganz am Ende wird deutlich, dass hier nicht in erster Linie die Gefühllosigkeit eines Beschreibers dokumentiert wird, sondern dass das Ersterben aller Gefühle im Gefangenen, in dem ein Bild nichts mehr auslöst, eigentliches Thema ist.
Im Unterricht kann, indem das Wie des Beschreibens untersucht wird, der Kern des Gedichtes aufgedeckt werden. Die in der inszenierten Distanz zu fassende Form-Inhalt-Entsprechung, welche für die Wirkung verantwortlich ist, verfolgt eine Strategie des Beschreibens, die Schülerinnen und Schülern durchaus zugänglich ist. Sie kann außerdem zum Impuls für eigenes, ähnlich geartetes Schreiben werden, in dem Anteilnahme nicht ausgedrückt, sondern hervorgerufen wird.
Das Karussell – Jardin du Luxembourg
Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.
Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur daß er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.
Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.
Und dann und wann ein weißer Elefant.
Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgend wohin, herüber -
Und dann und wann ein weißer Elefant.
Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel...
Wenige Gedichte lassen so unmittelbar Bilder in der Vorstellung entstehen wie dieses. Seine Deutung kann verschiedene Richtungen einschlagen, kann etwa der Verdinglichung der Kinder nachgehen, die hier zu Teilen einer Maschine werden, aber auch die Ästhetisierung einer Alltagsszene in den Blick nehmen, die sich in der Auflösung einzelner Wesen in einem Kaleidoskopbild vollzieht.
Im Unterricht lässt sich das Gedicht als Beispiel für die Ästhetisierung im fin de siècle nutzen, besonders in der Art der Beschreibung, die ein hohes Maß an Bewegung mit präsentischer Zeitlosigkeit kombiniert. Aber auch das Handwerkliche an der Beschreibung, die zum Beispiel das Drehen des Karussells in Wiederholungen abbildet, ist Deutungsgrundlage und Einladung zum eigenen Schreiben.
Inventur
Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier ist mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.
Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.
Geritzt hier mit diesem
kostbaren Nagel
den vor begehrlichen
Augen ich berge.
Im Brotbeutel sind
ein Paar wollene Socken
und einiges, was ich
niemand verrate,
so dient es als Kissen
nachts meinem Kopf.
Die Pappe hier liegt
Zwischen mir und der Erde.
Die Bleistiftmine
Lieb ich am meisten:
Tags schreibt sie mir Verse,
die nachts ich erdacht.
Dies ist mein Notizbuch,
dies meine Zeltbahn,
dies ist mein Handtuch,
dies ist mein Zwirn.
Günter Eich
Dieses sehr bekannte Beispiel aus der Trümmerliteratur findet sich in zahlreichen Deutschbüchern. Es transportiert sehr wirkungsvoll die Kargheit einer äußeren Lebenssituation und die Reduzierung, die der persönliche Erfahrungshorizont eines Kriegsgefangenen erfahren hat. In der Art der Beschreibung, die auf Adjektive fast gänzlich verzichtet, genauso wie auf Ausblicke, die über den persönlichen Besitz hinausgehen, zeigt sich einerseits die Zurücknahme der in früheren Zeiten gängigen Ästhetisierung, andererseits aber auch die Kostbarkeit, die alltäglichen Dingen zuwächst, die so sehr aus der Nähe und unter Ausblendung der Welt eher benannt als beschrieben werden.
Der Bezug zwischen dem Gedicht und seiner Entstehungszeit stellt sich im Unterricht fast von alleine her. Die Betrachtung des Stils jedoch geht schnell über das Offensichtliche hinaus, wenn die Frage zum Thema wird, wie denn der Wert der Dinge deutlich wird, ohne dass erkennbar sprachlicher Aufwand betrieben würde. Da ist das beharrliche Deuten („Dies ist“), da äußert sich Misstrauen in der Angst vor „begehrliche<n>“ Blicken und in der Weigerung, alles zu verraten, selbst in einem Gedicht. Als Impuls für eigenes Schreiben eignet sich das Gedicht sehr. Besonders lohnt sich auch ein Stilvergleich, der „Inventur“ kontrastiv neben eines der Rilkegedichte stellt.
Der römische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschalen Rund,
Die sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der Dritten wallend ihre Flut,
Und jene nimmt und gibt zugleich,
Und strömt und ruht.
Conrad Ferdinand Meyer
Der „römische Brunnen“ ist wahrscheinlich das bekannteste Gedicht Meyers. Kaum ein Interpret versäumt es, auf das Gleichgewicht von Bewegung und Ruhe hinzuweisen, um das es hier geht. Und tatsächlich entsteht aus der Beschreibung von Bewegung, die das ganze Gedicht bestimmt, am Ende die Ruhe des unwandelbaren Systems von Strömungen. Der Text folgt in dem Verlauf der Bewegungen dem Blick des Betrachters. Die Ruhe wird dagegen erst im letzten Wort des Textes explizit, bestimmt atmosphärisch aber das gesamte Gedicht.
Es lohnt sich im Unterricht sehr, dem sich schnell einstellenden Eindruck von Ruhe und Statik textanalytisch entgegenzuarbeiten. Schon eine Zählung der Bewegungsverben macht deutlich, dass mit Bewegung Ruhe erzeugt wird, ebenso wie das beharrliche Präsens am Eindruck der überzeitlichen Statik mitarbeitet.
Vergänglichkeit der Schönheit
Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand
Dir endlich mit der Zeit um deine Brüste streichen,
Der liebliche Korall der Lippen wird verbleichen,
Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand;
Der Augen süßer Blitz, die Kräfte deiner Hand,
Für welchen solches fällt, sie werden zeitlich weichen.
Das Haar, das itzund kann des Goldes Glanz erreichen,
Tilgt endlich Tag und Jahr als ein gemeines Band.
Der wohlgesetzte Fuß, die lieblichen Gebärden,
Die werden teils zu Staub, teils nichts und nichtig werden,
Dann opfert niemand mehr der Gottheit deiner Pracht.
Dies und noch mehr als dies muss endlich untergehen.
Dein Herze kann allein zu aller Zeit bestehen,
Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht.
Christian Hofmann von Hofmannswaldau
Auch in Verbindung mit der im Abitur zentralen Liebeslyrik finden sich beschreibende literarische Texte, deren Untersuchung besonders von gewachsener Beschreibungskompetenz profitiert, diese aber auch befördern kann. Im vorliegenden Beispiel handelt es sich um eine Personenbeschreibung, die sich, ausgehend von zeitgemäß konventionellen äußeren Details weiblicher Schönheit, zu einer inneren Charakterisierung vorarbeitet, die das Herz als Diamant, mithin als kostbar, aber als unberührbar hart kennzeichnet. Damit verbunden ist eine epochentypische Thematisierung der Vergänglichkeit.
Das Gedicht ist durchaus geeignet, im Unterricht Kontroversen auszulösen. Äußert sich hier nun eher Bewunderung oder Kritik? Unterrichtserfahrungen zeigen, dass der Text durchaus Konfliktpotential birgt, was diese Frage angeht. Als Gegenstand der Schreibförderung bietet der Text einiges. So lässt sich die argumentative Struktur des Sonetts zum Thema machen und in eigenen Gestaltungen nachvollziehen, ebenso zeigt sich das im Gedicht ausgebreitete Spannungsfeld zwischen Lob und Kritik als fruchtbarer Anstoß für persönliche und unhistorische Schreibversuche.
Das Fliegenpapier
Das Fliegenpapier Tangle-foot ist ungefähr sechsunddreißig Zentimeter lang und einundzwanzig Zentimeter breit; es ist mit einem gelben, vergifteten Leim bestrichen und kommt aus Kanada. Wenn sich eine Fliege darauf niederläßt - nicht besonders gierig, mehr aus Konvention, weil schon so viele andere da sind - klebt sie zuerst nur mit den äußersten, umgebogenen Gliedern aller ihrer Beinchen fest. Eine ganz leise, befremdliche Empfindung, wie wenn wir im Dunkel gingen und mit nackten Sohlen auf etwas träten, das noch nichts ist als ein weicher, warmer, unübersichtlicher Widerstand und schon etwas, in das allmählich das grauenhaft Menschliche hineinflutet, das Erkanntwerden als eine Hand, die da irgendwie liegt und uns mit fünf immer deutlicher werdenden Fingern festhält. Dann stehen sie alle forciert aufrecht, wie Tabiker, die sich nichts anmerken lassen wollen, oder wie klapprige alte Militärs (und ein wenig o-beinig, wie wenn man auf einem scharfen Grat steht). Sie geben sich Haltung und sammeln Kraft und Überlegung. Nach wenigen Sekunden sind sie entschlossen und beginnen, was sie vermögen, zu schwirren und sich abzuheben. Sie führen diese wütende Handlung so lange durch, bis die Erschöpfung sie zum Einhalten zwingt.
Es folgt eine Atempause und ein neuer Versuch. Aber die Intervalle werden immer länger. Sie stehen da, und ich fühle, wie ratlos sie sind. Von unten steigen verwirrende Dünste auf. Wie ein kleiner Hammer tastet ihre Zunge heraus. Ihr Kopf ist braun und haarig, wie aus einer Kokosnuß gemacht; wie menschenähnliche Negeridole. Sie biegen sich vor und zurück auf ihren festgeschlungenen Beinchen, beugen sich in den Knien und stemmen sich empor, wie Menschen es machen, die auf alle Weise versuchen, eine zu schwere Last zu bewegen; tragischer als Arbeiter es tun, wahrer im sportlichen Ausdruck der äußersten Anstrengung als Laokoon. Und dann kommt der immer gleich seltsame Augenblick, wo das Bedürfnis einer gegenwärtigen Sekunde über alle mächtigen Dauergefühle des Daseins siegt. Es ist der Augenblick, wo ein Kletterer wegen des Schmerzes in den Fingern freiwillig den Griff der Hand öffnet, wo ein Verirrter im Schnee sich hinlegt wie ein Kind, wo ein Verfolgter mit brennenden Flanken stehen bleibt. Sie halten sich nicht mehr mit aller Kraft ab von unten, sie sinken ein wenig ein und sind in diesem Augenblick ganz menschlich. Sofort werden sie an einer neuen Stelle gefaßt, höher oben am Bein oder hinten am Leib oder am Ende eines Flügels.
Wenn sie die seelische Erschöpfung überwunden haben und nach einer kleinen Welle den Kampf um ihr Leben wieder aufnehmen, sind sie bereits in einer ungünstigen Lage fixiert, und ihre Bewegungen werden unnatürlich. Dann liegen sie mit gestreckten Hinterbeinen auf den Ellbogen gestemmt und suchen sich zu heben. Oder sie sitzen auf der Erde, aufgebäumt, mit ausgestreckten Armen, wie Frauen, die vergeblich ihre Hände aus den Fäusten eines Mannes winden wollen. Oder sie liegen auf dem Bauch, mit Kopf und Armen voraus, wie im Lauf gefallen, und halten nur noch das Gesicht hoch. Immer aber ist der Feind bloß passiv und gewinnt bloß von ihren verzweifelten, verwirrten Augenblicken. Ein Nichts, ein Es zieht sie hinein. So langsam, daß man dem kaum zu folgen vermag, und meist mit einer jähen Beschleunigung am Ende, wenn der letzte innere Zusammenbruch über sie kommt. Sie lassen sich dann plötzlich fallen, nach vorne aufs Gesicht, über die Beine weg; oder seitlich, alle Beine von sich gestreckt; oft auch auf die Seite, mit den Beinen rückwärts rudernd. So liegen sie da. Wie gestürzte Aeroplane, die mit einem Flügel in die Luft ragen. Oder wie krepierte Pferde. Oder mit unendlichen Gebärden der Verzweiflung. Oder wie Schläfer. Noch am nächsten Tag wacht manchmal eine auf, tastet eine Weile mit einem Bein oder schwirrt mit dem Flügel. Manchmal geht solch eine Bewegung über das ganze Feld, dann sinken sie alle noch ein wenig tiefer in ihren Tod. Und nur an der Seite des Leibs, in der Gegend des Beinansatzes, haben sie irgendein ganz kleines, flimmerndes Organ, das lebt noch lange. Es geht auf und zu, man kann es ohne Vergrößerungsglas nicht bezeichnen, es sieht wie ein winziges Menschenauge aus, das sich unaufhörlich öffnet und schließt.
Robert Musil
Bei diesem Text scheint es sich zunächst um eine Gegenstandsbeschreibung zu handeln, die sich auf die Wirkungsweise eines Fliegenpapiers beschränkt. In Vergleichen und suggestiven Bezeichnungen aber wird im Verlauf der Beschreibung Mitgefühl mit dem Schicksal der Fliege sichtbar, die darüber hinaus immer menschlichere Züge annimmt und so das „Fliegenpapier“ zu einer pessimistischen Beschreibung der conditio humana macht. Von besonderer Bedeutung ist dabei, wie die zunächst neutrale Gegenstandsbeschreibung durch das Anwachsen der persönlichen Anteilnahme Stück für Stück zu einem Text über den Beschreiber selbst wird.
Dieser Text ist in der Kursstufe auf vielfältige Weise nutzbar zu machen. Neben den Möglichkeiten, die verschiedene Arten der Textanalyse bieten, lässt sich aber auch das eigene Schreiben entwickeln und reflektieren, dies allerdings im eher fortgeschrittenen Bereich zum Beispiel des essayistischen Schreibens. Ausgehend von der detaillierten Beschreibung eines Alltagsgegenstandes lassen sich Verbindungen zu Besonderheiten der allgemein menschlichen oder der eigenen Situation herstellen und entwickeln. Vorschläge für geeignete Gegenstände wären der Sekundenzeiger einer Uhr oder ein Pflanzensetzling. Wichtig ist aber, dass der Gegenstand zunächst wirklich als konkreter untersucht wird und nicht gleich als Symbol behandelt wird.
Literarische beschreibende Texte: Herunterladen [docx] [29 KB]