Stil und Stilkompetenz
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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.
Was ist Stilkompetenz?
Das Stilgefühl sagt uns, ob wir etwas richtig oder falsch, gut oder schlecht formuliert finden. Diesem Stilgefühl liegt die Stilkompetenz zugrunde.
Stilkompetenz bezeichnet die Fähigkeit, aus dem Repertoire der zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel unter Berücksichtigung sprachlicher und kommunikativer Faktoren und in Kenntnis von Normen und Konventionen und mit dem Ziel, eine bestimmte Wirkung zu erreichen, Formulierungen auszuwählen und Formulierungsentscheidungen bewusst und begründet zu treffen und zu beurteilen.
Stilkompetenz bedeutet nicht, dass man gelernte Stilregeln anwenden kann, weil es derartige allgemein gültige Regeln kaum gibt; Stil ist nämlich immer abhängig von der kommunikativen Situation.
Stilkompetenz ist somit vielmehr ein Bewusstsein.
Wie kann man Stilkompetenz im Unterricht fördern?
Wenn wir wissen, was wir unter Stilkompetenz verstehen, können wir diese Kompetenz in ihre Teilkompetenzen zerlegen und diese gezielt fördern. Im Unterricht sollte die „Arbeit am Stil“ also:
- Das Repertoire der zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel erhöhen.
- Mit der Wirkung sprachlicher Mittel vertraut machen.
- Kommunikative Faktoren bewusst machen.
- Kenntnis von Normen und Konventionen vermitteln.
Was sagt der Bildungsplan zur Stilkompetenz?
Im Bildungsplan für das Gymnasium (2004) findet sich der Begriff der Stilkompetenz nicht.
In den „Leitgedanken zum Kompetenzerwerb“ ist umrissen, was der Deutschunterricht leisten soll: Unter anderem
befähigt [er] zu bewusstem und differenziertem Sprachgebrauch, zu selbstständigem, normgerechten und kreativem Umgang mit Sprache. Die Schülerinnen und Schüler erfahren Bedeutung und Wirkung von Sprache. Sie lernen, sach-, situations- und adressatengerecht sprachlich zu handeln. Sie verstehen Sprache als gestaltbares Medium der Kommunikation. (Bildungsplan Gymnasium 2004: 76).
Hier werden einige Aspekte von Stilkompetenz im oben dargelegten Sinne angesprochen: Bezogen auf die SchreiberInnen ist eine Äußerung immer eine Auswahl aus einer Vielzahl zur Verfügung stehender sprachlicher Mittel. Zu diesen sprachlichen Mitteln gehörten einerseits der Wortschatz, andererseits aber auch syntaktische Konstruktionen. Die Auswahl sollte „bewusst“ getroffen werden können. Dies setzt voraus, dass die SchreiberInnen über ein Repertoire sprachlicher Mittel verfügen, um eine Auswahl treffen zu können. Nur dann kann der Sprachgebrauch „differenziert“ sein. SchülerInnen müssen also über einen entsprechenden Wortschatz sowie grammatische Regeln verfügen. Eine Aufgabe des Deutschunterrichts ist somit die Vermittlung von Wortschatz und Grammatik als Voraussetzung für einen „bewussten und differenzierten Sprachgebrauch“ und einen „normgerechten [...] Umgang mit Sprache“. Es geht also bei der Förderung der Stilkompetenz darum, die Zahl der sprachlichen Mittel, die die SchülerInnen aktiv beherrschen, zu erhöhen.
Wenn sie nun über hinreichend sprachliche Mittel verfügen, heißt das jedoch noch nicht, dass sie in der Lage sind, diese angemessen zu verwenden. Hier kommt noch ein anderer Aspekt von Stil ins Spiel. Bezogen auf die LeserInnen bedeutet Stil, dass eine Äußerung auch in Bezug auf die Erfüllung von Erwartungen eingeordnet und bewertet wird. Einerseits gibt es richtige und falsche Wörter und Sätze, andererseits angemessene und unangemessene Äußerungen. Stilkompetenz heißt also auch, Regeln und Konventionen zu kennen und zu befolgen, um „normgerecht“ sowie „sach-, situations- und adressatengerecht“ handeln zu können. Daher muss der Unterricht Kenntnis dieser Normen und Konventionen vermitteln.
Die Sprache als System stellt zwar die sprachlichen Mittel zur Verfügung, aber Normen und Konventionen engen die Wahl, von der weiter oben die Rede war, ein. Stil bewegt sich also immer im Spannungsfeld zwischen Regel („normgerecht“) und Regelbruch, zwischen Konvention und Innovation. „Dieser Doppelcharakter des Stils lässt sich als das Janusgesicht des Stils bezeichnen“ (Eroms 2008: 16). Gerade der persönliche Stil guter Schreiber und Schreiberinnen ist dadurch gekennzeichnet, dass er mit Konventionen „kreativ“ umgeht und sie bisweilen auch umgeht.
Da Schriftsprache in der Regel mit der Absicht eingesetzt wird, als Mittel der Kommunikation eine bestimmte Wirkung bei den Leser und Leserinnen zu erzielen, ist es vonnöten, dass Schüler und Schülerinnen die „Wirkung von Sprache“ kennenlernen und den Umgang damit erproben können. Diese Wirkung beruht nicht zuletzt auf stilistischen Faktoren. „Sprache als gestaltbares Medium der Kommunikation“ zu begreifen und anzuwenden heißt also auch zu wissen, dass die Kommunikation insbesondere durch den Stil gestaltet wird.
Und weiter heißt es im Bildungsplan: „Ziel ist [...] die Entfaltung eines authentischen Stils als Ausdruck der Individualität des jungen Individuums“ (ebd.). Die Herausbildung eines individuellen Stils ist jedoch ein hoher Anspruch, der kaum zu verwirklichen scheint, auch wenn Lessing ganz einfach sagt: „Jeder Mensch hat einen eigenen Stil, so wie seine eigene Nase.“ (Lessing 1993: 150) Eine realistischere Einschätzung gibt vielleicht Otto Ludwig:
Gemeint ist lediglich ein eigener, ein persönlicher, ein leicht einer Person zuzuordnender Stil. Mehr nicht. Man sollte auch die Vorstellung von einem solchen Stil nicht zu hoch ansetzen. Es genügt, wenn der Schreiber den Stil als ihm gemäß empfindet und sich mit ihm identifizieren kann. (Ludwig 1994: 20)
Literatur
Eroms, Hans-Werner: Stil und Stilistik. Eine Einführung. Berlin: Schmidt, 2008. (Grundlagen der Germanistik 45)
Lessing, Gotthold Ephraim:
Werke und Briefe in zwölf Bänden.
Band 9.
Werke 1778-1780.
Hg. von Klaus Bohnen und Arno Schilson. Frankfurt: Deutscher Klassiker Verlag, 1993.
Ludwig, Otto: Basisartikel. Schreiben: Arbeit am Stil . In: Praxis Deutsch 126 (1994), S. 18-22.
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