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Un­ter­richts­ver­such in Klas­se 11

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Ge­gen­stands­be­schrei­bung

In einer Klas­se 11 (K1) wurde zu Be­ginn der Kurs­stu­fe ein Un­ter­richts­ver­such durch­ge­führt, der die Ge­gen­stands­be­schrei­bung ins Zen­trum setz­te. In der Folge sol­len Ziele, Ver­fah­ren und ge­won­ne­ne Er­kennt­nis­se dar­ge­stellt wer­den, zu­sätz­lich Ein­blick in Schü­ler­ar­bei­ten ge­ge­ben wer­den.

Die Ziel­set­zung

Ziel des Un­ter­richts­ver­su­ches war es im We­sent­li­chen, mit­hil­fe der Ge­gen­stands­be­schrei­bung als Schreib­form in­di­vi­du­el­les Schrei­ben an­zu­sto­ßen, Be­schrei­bungs­kom­pe­tenz zu ent­wi­ckeln und letzt­lich auch die Auf­merk­sam­keit für be­schrei­ben­de Texte zu ent­wi­ckeln. Die An­for­de­run­gen lagen dabei vor allem im Be­reich der ge­nau­en Be­ob­ach­tung und der Fä­hig­keit, Wahr­neh­mun­gen zu ver­sprach­li­chen. Als Be­schrei­bungs­ge­gen­stand wur­den ge­schlif­fe­ne Halb­edel­stei­ne ge­wählt, die in einem ge­misch­ten Kon­vo­lut vor­la­gen und an Be­ob­ach­tung wie an die Suche nach den tref­fen­den Wör­tern hohe An­sprü­che stel­len. Aus der Fülle des No­tier­ten soll­te ein sinn­voll struk­tu­rier­ter Text ge­formt wer­den, der ei­ge­nen und frem­den An­sprü­chen an eine Be­schrei­bung ge­nü­gen konn­te. Al­ler­dings wur­den über das Be­ob­ach­ten und das Be­schrei­ben hin­aus keine Auf­ga­ben ge­stellt, auch diese waren be­wusst offen und wenig len­kend ge­hal­ten. So lie­ßen die Schü­ler­ar­bei­ten per­sön­li­chen Ein­drü­cken und Re­ak­tio­nen auf den Stein un­ter­schied­lich viel Raum.

Das Ver­fah­ren

Als Ge­gen­stän­de für den Un­ter­richts­ver­such wur­den bunt ge­misch­te Halb­edel­stei­ne ge­wählt. Diese sind leicht zu be­kom­men, nicht teuer und wei­sen un­ter­ein­an­der große Un­ter­schie­de, bis hin zu Al­lein­stel­lungs­merk­ma­len auf.

Der erste Schritt war, jedem der Be­tei­lig­ten die Aus­wahl des ei­ge­nen Stei­nes zu über­las­sen. Die Aus­wahl ging zügig, ge­schah aber von Schü­ler­sei­te sehr ge­zielt.

Das wei­te­re Ver­fah­ren rich­te­te sich im We­sent­li­chen nach der Schrit­tig­keit, die im Ab­schnitt „Er­le­ben, Be­ob­ach­ten, Be­schrei­ben“ dar­ge­stellt ist. Auf das Be­ob­ach­ten folg­te also die Sam­mel­pha­se, in der nach pas­sen­den Wör­tern ge­sucht wurde, die an­schlie­ßend zu Aus­sa­gen zu­sam­men­ge­fügt wur­den. Schließ­lich ent­stan­den be­schrei­ben­de Texte. Ge­schrie­ben wurde in Ab­schnit­ten, deren Zu­schnitt nicht zu­letzt durch die in­halt­li­chen An­for­de­run­gen an den Stoff­ver­tei­lungs­plan zu Be­ginn der Kurs­stu­fe 1 be­stimmt wurde, das heißt, ty­pi­scher­wei­se im An­schluss an stark ko­gni­tiv ge­präg­te Un­ter­richts­pha­sen in Dop­pel­stun­den.

Be­ob­ach­tun­gen und Er­geb­nis­se

Die erste über­ra­schen­de Be­ob­ach­tung ergab sich bei der Fort­set­zung des ers­ten Schreib­ver­su­ches im Ab­stand von ei­ni­gen Tagen. Jeder er­kann­te beim Aus­tei­len der Stei­ne sei­nen Schreib­ge­gen­stand ohne Zö­gern in der Menge wie­der. Of­fen­sicht­lich war die Er­in­ne­rung an den ei­ge­nen Stein durch die Sorg­falt der Be­ob­ach­tung und das Ver­sprach­li­chen der Er­kennt­nis­se über meh­re­re Tage leb­haf­ten Schul­all­tags sta­bil ge­blie­ben. Im Zu­sam­men­hang damit fiel das in der gan­zen Lern­grup­pe hohe En­ga­ge­ment für den Be­ob­ach­tungs- und Schreib­auf­trag auf, der das Maß der blo­ßen Be­reit­schaft deut­lich über­stieg. Auch wurde das Wei­ter­ar­bei­ten an den Be­schrei­bun­gen nach einer Pause von ei­ni­gen Tagen of­fen­bar nicht als läs­ti­ge Pflicht, son­dern kon­zen­triert und mehr als be­reit­wil­lig wie­der auf­ge­nom­men. Das gilt auch für die ge­gen­sei­ti­ge Be­ra­tung bei den be­schrei­ben­den Tex­ten. Die Be­schrei­bun­gen selbst sind recht un­ter­schied­lich aus­ge­fal­len. Ins­ge­samt gilt aber, dass sie alle er­kenn­bar Do­ku­men­te der Ar­beit an Schreib­kom­pe­ten­zen dar­stel­len. In un­ter­schied­li­chem Maße ma­chen sie eine per­sön­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Be­ob­ach­tungs­ge­gen­stand sicht­bar.

In der Folge sol­len ein­zel­ne Er­kennt­nis­se an au­then­ti­schen Schü­ler­tex­ten ver­deut­licht wer­den.

"Der Ge­gen­stand ist ein Halb­edel­stein, ein Ro­sen­quartz. Der Stein ist hell­ro­sa wie die Blät­ter einer Rose und wenig trans­pa­rent, eher mil­chig. Er äh­nelt von der Form einem fla­chen Par­al­le­lo­gramm, je­doch mit einem Halb­kreis an einer der kur­zen Kan­ten und wiegt un­ge­fähr so viel wie eine Kir­sche. Kan­ten und Ecken sind ge­run­det, der ge­sam­te Stein wurde in einer Schlei­fe­rei in Wald­kirch ge­schlif­fen, die Ober­flä­che ist daher sehr glatt. Der Stein ist ins­ge­samt flach, ca. 4 mm hoch, das un­ge­fäh­re Par­al­le­lo­gramm mit einer Länge von ca. 2 cm und eine Brei­te von ca. 1cm.

Hält man den Stein in das Licht, wird es an den Kan­ten ge­spie­gelt und man er­kennt Fin­ger­ab­drü­cke auf dem Stein.

Im Stein be­fin­den sich viele Luft- und Dreck­ein­schlüs­se, die aus­se­hen wie Eis­kris­tal­le, vor allem in der Dia­go­na­len von der un­te­ren lin­ken zur obe­ren Rech­ten Ecke und an der ima­gi­nä­ren Gren­ze zwi­schen dem Par­al­le­lo­gramm und dem Halb­kreis auf der lin­ken Seite. Eine klei­ne Macke, ca. 2mm im Durch­mes­ser be­fin­det sich in der obe­ren lin­ken Ecke wo be­son­ders viele Luft­ein­schlüs­se sind.

Hält man den Stein in der Hand, fühlt er sich sehr an­ge­nehm an durch seine Form und die ge­schlif­fe­ne Ober­flä­che. Aber er wirkt auch kühl und un­nah­bar durch seine Farbe und die Struk­tur von Eis in sei­nem In­ne­ren. Man hat den Ein­druck, dass durch die klei­ne Macke die kühle Per­fek­ti­on des Steins auf­ge­bro­chen wird, er sich da­durch erst be­grei­fen lässt."

Diese Schü­ler­ar­beit lässt sich in­ten­siv auf die An­for­de­rung einer prä­zi­sen Be­schrei­bung ein. In­so­fern stellt sie ein eher ty­pi­sches Bei­spiel für die er­hal­te­nen Ar­bei­ten dar. Zu be­ob­ach­ten ist das Rin­gen um die Ver­sprach­li­chung sehr sorg­fäl­ti­ger Be­ob­ach­tun­gen, be­son­ders was die un­re­gel­mä­ßi­ge Form des Steins an­geht. Dabei ge­lingt viel, be­son­ders in der Be­schrei­bung der Ein­schlüs­se. In­ter­es­sant ist, dass an meh­re­ren Stel­len die for­mu­lier­ten Ein­drü­cke zu einer per­sön­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung wer­den. Kälte und Eis wer­den als Be­zugs­grö­ßen zur Be­schrei­bung her­an­ge­zo­gen, am Ende wirkt der Stein „kühl und un­nah­bar“, seine „kühle Per­fek­ti­on“ wird be­tont.

Die Ge­gen­stands­be­schrei­bung in K1 als Hin­füh­rung zum es­say­is­ti­schen Schrei­ben

Ei­gent­lich erst im Ver­lauf des Un­ter­richts­ver­su­ches stell­te sich eine Nähe des Be­schrei­bens im vom Ver­such in­ten­dier­ten Sinne zum es­say­is­ti­schen Schrei­ben her­aus.

In dem Maße, in dem die Ge­gen­stands­be­schrei­bung die per­sön­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit einem Ge­gen­stand be­glei­tet und ab­bil­det, kommt das Be­schrei­ben dem Essay (1) nahe. Also: Wie der Es­say­ist seine ei­ge­ne Per­son in das Nach­den­ken über ein Thema mit hin­ein­nimmt, ist die Ge­gen­stands­be­schrei­bung als li­te­ra­ri­sche Tä­tig­keit um die zwei Zen­tren Ge­gen­stand und be­schrei­ben­des Sub­jekt an­ge­ord­net. Vor­be­rei­tend für die Schreib­form Essay kann die Ge­gen­stands­be­schrei­bung in­so­fern fun­gie­ren, als bei ähn­li­chen schrei­be­ri­schen An­for­de­run­gen die An­eig­nung des Ge­gen­stan­des di­rek­ter und un­mit­tel­ba­rer an­ge­gan­gen wer­den kann. Das be­deu­tet kei­nes­wegs, dass die Schreib­pro­duk­te am Ende we­ni­ger Er­geb­nis­se er­brin­gen kön­nen als ein Essay zum Thema Frei­heit, es be­deu­tet aber, dass der Weg zum Schrei­ben di­rek­ter ist, indem De­fi­zi­te im Welt­wis­sen, an­ders als häu­fig beim Essay, keine Rolle spie­len. Frei­lich ist die Be­schrei­bung noch kein Essay, sie kann aber, als per­sön­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit einem Ge­gen­stand, ein Ein­stieg in das es­say­is­ti­sche Schrei­ben sein. Nicht mehr war auch bei dem be­schrie­be­nen Un­ter­richts­ver­such in­ten­diert.

Nach der in­ten­si­ven Be­schäf­ti­gung mit dem ei­ge­nen Schrei­ben soll die Hin­füh­rung zu li­te­ra­ri­schen Tex­ten fol­gen, die be­schrei­ben (Musil, Rilke, Eich). Diese Phase konn­te bis zur Fer­tig­stel­lung der Fort­bil­dungs­ma­te­ria­li­en nicht ab­ge­schlos­sen wer­den. Zu den hier­zu vor­ge­se­he­nen Tex­ten siehe auch den Ab­schnitt „Li­te­ra­ri­sche be­schrei­ben­de Texte als Mit­tel zur Schreib­för­de­rung“.

An­mer­kung

1. Zur Be­griffs­an­nä­he­rung siehe vor allem Ju­dith S. Ulmer: „Ein Ver­such macht Schu­le. Der Essay als Auf­satz­form und Bil­dungs­ide­al.“, in Mat­thi­as Thies et al.: Der Essay in der Schu­le . Balt­manns­wei­ler 2012, S.5-21.

 

Un­ter­richts­ver­such in Klas­se 11: Her­un­ter­la­den [docx] [25 KB]