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Schreib­an­läs­se

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Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

 

Ein Schreib­an­lass ist im un­ter­richt­li­chen Kon­text ja die erste Sta­ti­on eines Schreib­pro­zes­ses, dem das in­di­vi­du­el­le Schrei­ben, das Über­ar­bei­ten und die Be­wer­tung fol­gen. 1 Er be­steht aus einem Ge­gen­stand im wei­te­ren Sinne und einem Schrei­b­im­puls oder –auf­trag. Gän­gig ist auch das Ver­ständ­nis, ein Schreib­an­lass sei „alles, was zu einer spon­ta­nen schrift­li­chen Äu­ße­rung füh­ren kann. 2 Diese De­fi­ni­ti­on grenzt durch die Be­to­nung des Spon­ta­nen den Schreib­an­lass von enger ge­stell­ten Auf­ga­ben ab und be­zieht Schrei­b­im­pul­se mit ein, die zum Schrei­ben mo­ti­vie­ren, ohne vor­ge­fass­te An­for­de­run­gen ans Er­geb­nis zu stel­len. Im Fol­gen­den wird diese Ab­gren­zung ver­nach­läs­sigt, da die Schreib­för­de­rung beide Be­rei­che be­trifft. Der Schreib­an­lass kann also die Form einer Auf­ga­be oder eines Auf­trags zu einem Ge­gen­stand an­neh­men, oder aber als freie­rer Schrei­b­im­puls ge­stal­tet sein, der in der Regel we­ni­ger eng als eine Auf­ga­be, sehr wohl aber ziel­ge­rich­tet ist.

Dabei ist grund­sätz­lich wich­tig, dass Schreib­pro­zes­se im Un­ter­richt vor allem dann sinn­voll sind, wenn sie vom Ziel her kon­zi­piert sind, das heißt, di­dak­tisch be­grün­det und auf Kom­pe­ten­z­er­werb zie­lend. So kann zum Bei­spiel, aus­ge­hend von einem Bild, dem Schreib­ge­gen­stand, die Ge­schich­te hin­ter dem Bild auf­ge­deckt, kon­zi­piert und er­zählt wer­den. Hier ist das ge­naue Be­ob­ach­ten ge­for­dert, eben­so aber, im Er­zäh­len, das Er­zeu­gen eines Span­nungs­bo­gens. Die hier­mit er­zeug­te bes­se­re Kennt­nis von Er­zähl­füh­rung und Span­nungs­auf­bau ist gleich­zei­tig Teil der Ana­ly­se­kom­pe­tenz im Zu­sam­men­hang mit Tex­ter­schlie­ßung. Je nach Auf­trag kann im Zu­sam­men­hang mit dem glei­chen Bild aber auch der per­sön­li­che Stil ge­pflegt wer­den. Je nach ab­ge­bil­de­tem Ge­gen­stand bie­tet sich die Aus­ein­an­der­set­zung mit be­stimm­ten Ge­dan­ken und Fra­ge­stel­lun­gen an.

Schreib­an­läs­se sol­len also als in­sze­nier­te Ge­le­gen­hei­ten für die Schü­ler ver­stan­den wer­den, im Schrei­ben Kom­pe­ten­zen zu ent­wi­ckeln. Der Blick auf die je­weils an­ge­streb­ten Kom­pe­ten­zen führt nach der Ent­schei­dung für einen Schreib­ge­gen­stand zur Aus­wahl spe­zi­fi­scher Auf­ga­ben oder Im­pul­se, aber auch zu ge­eig­ne­ten Über­ar­bei­tungs­ver­fah­ren und steu­ert die Schwer­punkt­set­zung bei den Rück­mel­dun­gen. Der Er­folg des Schreib­an­las­ses ent­steht am Ende aus dem Zu­sam­men­spiel von Ge­gen­stand, Schreib­auf­trag, Über­ar­bei­tung und Rück­mel­dung. Dabei ist er im güns­tigs­ten Fall sach­dien­lich und mo­ti­vie­rend, wobei die Mo­ti­va­ti­on nicht not­wen­dig nur aus dem spek­ta­ku­lä­ren Ge­gen­stand ent­steht, son­dern durch­aus auch aus Fra­ge­stel­lun­gen oder As­pek­ten der Be­trach­tung, die sich in der Aus­ein­an­der­set­zung ent­wi­ckeln.

Die Viel­falt der denk­ba­ren Schreib­an­läs­se und –im­pul­se ist un­über­schau­bar groß, auch die der zum krea­ti­ven Schrei­ben an­ge­bo­te­nen Li­te­ra­tur. In der Folge soll es zu­nächst bei­spiel­haft darum gehen, aus­ge­hend von einem Ge­mäl­de Schreib­pro­zes­se zu in­iti­ie­ren, die auf die Pfle­ge spe­zi­fi­scher Kom­pe­ten­zen ab­zie­len. Dann sol­len ex­em­pla­risch wei­te­re Schreib­an­läs­se skiz­ziert wer­den.

Ge­ziel­te Schreib­an­läs­se: Ge­gen­stän­de und Auf­trä­ge

Das aus­ge­wähl­te Bild (René Mag­rit­te: Clair­voyan­ce , 1936 http://​ghise.​al­ter­vis­ta.​org/​Mag­rit­te/​sli­des/​Mag­rit­te%20-​%20C​lair​voya​nce.​jpg ) zeigt eine ma­le­ri­sche Ge­gen­stands­be­schrei­bung. Ein Maler be­trach­tet ein Ei, den Pin­sel in der Hand. Auf der Lein­wand vor ihm ist das Ge­mäl­de eines flie­gen­den Vo­gels na­he­zu voll­endet. Alles auf dem Bild von Mag­rit­te ist für den Be­trach­ter von Be­deu­tung, sogar, dass der Maler, der im Vor­der­grund des Ge­mäl­des sitzt, Mag­rit­te selbst ist und es sich bei dem Ge­mäl­de damit neben allem an­de­ren um ein Selbst­por­trait han­delt. Die Aus­füh­rung des Bil­des ist na­tu­ra­lis­tisch exakt und steht in einem pro­vo­zie­ren­den Span­nungs­feld zu dem sur­rea­lis­ti­schen Cha­rak­ter des Dar­ge­stell­ten.

Aus dem Ge­mäl­de von Mag­rit­te las­sen sich ver­schie­de­ne Schreib­auf­trä­ge ge­win­nen. Ihre spe­zi­fi­sche Aus­for­mung ge­win­nen sie je nach Klas­sen­stu­fe und nach di­dak­ti­scher Ziel­set­zung. Auch die Dra­ma­tur­gie des Schreib­an­las­ses rich­tet sich nach der Schü­ler­grup­pe und der Ziel­set­zung. So kann es durch­aus sinn­voll sein, vor dem in­di­vi­du­el­len Schrei­ben in einem ge­mein­sa­men Ge­spräch den Ein­stieg zu er­leich­tern. Nach­fol­gend ei­ni­ge Bei­spie­le:

Für die Klas­sen 5 und 6:

  • Schrei­be die Ge­schich­te zu dem Bild.

Für die Klas­se 9:

  • Be­schrei­be das Bild. Was kannst du über die dar­ge­stell­te Si­tua­ti­on si­cher aus­sa­gen oder ver­mu­ten? Nimm Stel­lung zu dem Bild.

Für die Kurs­stu­fe:

  • Be­schrei­ben Sie das Ge­mäl­de. Er­ör­tern Sie davon aus­ge­hend den Zu­sam­men­hang zwi­schen einem Ge­gen­stand in der Welt und einem Kunst­werk, das die­sen Ge­gen­stand ab­bil­det.

Für alle Klas­sen­stu­fen:

  • Be­trach­te das Bild. Schrei­be.

Die un­ter­schied­li­chen Auf­ga­ben zie­len auf sehr un­ter­schied­li­che Schreib­for­men und zu pfle­gen­de Schreib­kom­pe­ten­zen ab. Im ers­ten Fall geht es, neben der an­schie­ben­den Schreib­mo­ti­va­ti­on um das Er­zäh­len, 3 die Ent­wick­lung eines Span­nungs­bo­gens, die Pfle­ge des Wort­schat­zes, aber durch­aus auch, in der Über­ar­bei­tung, um for­mal rich­ti­ges Schrei­ben.

In der Auf­ga­be für die Klas­se 9 ist ein dis­tan­zier­te­rer Stand­punkt dem Bild ge­gen­über ge­for­dert. Die Schü­le­rin­nen und Schü­ler sol­len be­schrei­ben, ana­ly­sie­ren und in­ter­pre­tie­ren. Die ab­schlie­ßen­de Auf­for­de­rung, Stel­lung zu be­zie­hen, kann sub­jek­tiv be­wer­tend, aber auch dis­tan­ziert er­ör­ternd auf­ge­fasst wer­den. Sie kann durch die kon­kre­ti­sie­ren­de Frage, ob der Maler mit sei­nem Bild recht hat, an­ge­sto­ßen wer­den.

Die Auf­ga­be für die Kurs­stu­fe führt durch­aus be­reits zum es­say­is­ti­schen Schrei­ben hin, indem hier, aus­ge­hend von einem Bild, das Nach­den­ken über ein grö­ße­res Thema, den Zu­sam­men­hang zwi­schen Welt und mime­ti­scher Kunst, zum Thema des Schrei­bens wird. Neben der Bild­be­schrei­bung wird das Ana­ly­sie­ren und In­ter­pre­tie­ren eines nicht­li­nea­ren Tex­tes ein­ge­for­dert, aber auch das schrei­ben­de Nach­den­ken über ein Thema.

Die Auf­ga­be für alle Klas­sen­stu­fen ist in der an­ge­führ­ten For­mu­lie­rung na­tür­lich kaum zu ver­wen­den. Ge­meint ist, das Ge­mäl­de als Im­puls für ein wirk­lich frei­es Schrei­ben zu ver­wen­den und alle ge­wähl­ten Schreib­for­men zu­zu­las­sen. Die Ver­wirk­li­chung einer sol­chen Auf­ga­be kann frei­lich nur ge­lin­gen, wenn sorg­fäl­tig zum Schrei­ben hin­ge­führt und die för­der­li­che Schrei­b­um­ge­bung ge­schaf­fen wird.

Li­te­ra­ri­sche Ne­ben­fi­gu­ren als Schreib­an­läs­se

In der Li­te­ra­tur fin­den sich immer wie­der Werke, die eine Figur aus einer li­te­ra­ri­schen Quel­le her­aus­grei­fen und zum Prot­ago­nis­ten eines ei­gen­stän­di­gen Wer­kes ma­chen. Vor allem pro­mi­nen­te bi­bli­sche Texte haben immer wie­der zur li­te­ra­ri­schen Be­schäf­ti­gung mit Ne­ben­fi­gu­ren her­aus­ge­for­dert. Dabei sind eben­so be­deu­ten­de Hand­lungs­trä­ger als auch mar­gi­na­le Rand­fi­gu­ren in den Fokus von Schrift­stel­lern ge­ra­ten. Hen­ryk Si­en­kie­wicz hat im wohl be­rühm­tes­ten Bei­spiel eines sol­chen Fort­schrei­bens, dem Roman Quo vadis , aus einem kur­zen Ab­schnitt aus den Apo­kry­phen 4 zum Neuen Tes­ta­ment einen um­fang­rei­chen Roman ent­wi­ckelt. An­de­re Werke neh­men rand­stän­di­ge­re Fi­gu­ren zum An­lass für ein li­te­ra­ri­sches Pro­jekt. So ist die Figur das Bar­ra­bas aus der Pas­si­ons­ge­schich­te mehr­fach be­han­delt wor­den, ob nun in der Li­te­ra­tur oder im Film.

Das An­re­gungs­po­ten­ti­al, das Ne­ben­fi­gu­ren für die Ent­fal­tung ei­gen­stän­di­ger Werke be­sit­zen, lässt sich auch im oder nahe dem Un­ter­richt nut­zen. Im in 5.2.3 be­schrie­be­nen Un­ter­richts­ver­such in der neun­ten Klas­se hat sich ge­zeigt, dass die Figur der Elke Vol­kerts aus Storms Schim­mel­rei­ter durch­aus ge­stal­te­ri­sches Po­ten­ti­al in Schü­le­rin­nen und Schü­lern we­cken konn­te. Auf wel­che Weise ein sol­ches Pro­jekt ein­ge­lei­tet wer­den kann, fin­det sich im Ab­schnitt „Un­ter­richts­ver­such in Klas­se 9“ dar­ge­stellt. Die Aus­ge­stal­tung von Ne­ben­fi­gu­ren als Schreib­an­lass zu nut­zen, ist me­tho­disch kei­nes­wegs neu. Im Grun­de gehen be­kann­te Schreib­auf­trä­ge aus der Un­ter­stu­fe wie der Ta­ge­buch­ein­trag einer li­te­ra­ri­schen Figur in diese Rich­tung. Auch die ge­stal­ten­de In­ter­pre­ta­ti­on, indem sie li­te­ra­ri­sche Leer­stel­len schließt, setzt Fi­gu­ren über den Text hin­aus fort. Die Ent­wick­lung einer Ne­ben­fi­gur als Schreib­an­lass funk­tio­niert hand­werk­lich ähn­lich, setzt sich aber an­de­re Ziele. Zwar ist der Text wei­ter­hin Aus­gangs­punkt des Schrei­bens, die­ses ent­fernt sich aber von ihm und ist im wei­te­ren Ver­lauf frei in der in­halt­li­chen wie sprach­li­chen Ge­stal­tung.

Vor­aus­ge­setzt wird ein ver­trau­ter Roman, ein Drama oder ein Ju­gend­buch. Eine Figur wird zur in­di­vi­du­el­len Wei­ter­füh­rung aus­ge­wählt und fun­giert als kom­ple­xer Schreib­ge­gen­stand, an dem un­ter­schied­li­che Schreib­pro­jek­te ver­wirk­licht wer­den kön­nen. Im Un­ter­richts­ver­such hat es sich be­währt, mit der Aus­ge­stal­tung eines Schau­plat­zes zu be­gin­nen, um sich der Figur und ihrer Si­tua­ti­on an­zu­nä­hern.

Be­schrei­ben­de Texte

Be­schrei­ben­de Texte, ins­be­son­de­re sol­che li­te­ra­ri­schen Cha­rak­ters, ver­fol­gen spe­zi­fi­sche Be­schrei­bungs­stra­te­gi­en, die sie häu­fig zu Ge­gen­stän­den wert­vol­ler Schrei­b­im­pul­se ma­chen. Ei­ni­ge Bei­spie­le sol­cher Texte fin­den sich mit An­re­gun­gen zu ihrer Ver­wen­dung in dem Ab­schnitt „Li­te­ra­ri­sche be­schrei­ben­de Texte“ .

 


Siehe hier­zu Peter Sie­ber: „Mo­del­le des Schreib­pro­zes­ses“ in Ur­su­la Bre­del et al.: Di­dak­tik der deut­schen Spra­che . Pa­der­born 2003, Bd.1, S. 208-223.

Heinz-Jür­gen Klie­wer/Inge Pohl (Hg.): Le­xi­kon Deutsch­di­dak­tik , Balt­manns­wei­ler 2006, Bd.2, S.654-656.

Siehe hier­zu auch From­mer, Ha­rald: Er­zäh­len. Eine Di­dak­tik für Se­kun­dar­stu­fe I und II. Frank­furt, Main 1992.

Akten des Pau­lus und der Thek­la

 

Schreib­an­läs­se: Her­un­ter­la­den [docx] [25 KB]