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Her­me­neu­tik, Klas­sen­ar­beit Kl. 10

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

 

Auf­ga­be 1:

  • Über­prü­fe die Aus­sa­gen des Tex­tes. Mar­kie­re bei jeder Aus­sa­ge, ob sie auf den obi­gen Text zu­trifft oder nicht und gib die ent­spre­chen­de Zeile mit an. (8 P)
    [Anm.: Die Zei­len­num­mern be­zie­hen sich auf die pdf-Ver­si­on.]
  •  
    Trifft zu
    Trifft nicht zu
    Beleg in Zeile ...
    1. So­wohl am Glau­ben in­ter­es­sier­te Men­schen als auch Geg­ner des Glau­bens ver­zich­ten in ihrem Bi­bel­ver­ständ­nis immer wie­der auf um­sich­ti­ges her­me­neu­ti­sches Fra­gen und Den­ken.
    2. Bi­bli­sche Aus­sa­gen kön­nen durch­aus viel­fäl­tig ver­stan­den wer­den. Wich­tig ist, zu zei­gen, wie man zu einem be­stimm­ten Ver­ständ­nis ge­kom­men ist.
    3. Das Ver­ständ­nis von Wahr­heit ver­langt, dass eine Sache auch wirk­lich so pas­siert ist.
    4. Her­me­neu­tik ist Auf­ga­be der theo­lo­gi­schen Aus­bil­dung, nicht un­be­dingt Auf­ga­be des Re­li­gi­ons­un­ter­richts.
    5. Der Schlag auf die rech­te Wange be­deu­te­te zur Zeit Jesu einen An­griff auf die Ehre eines Men­schen.
    6. Der Schlag auf die linke Wange da­ge­gen war da­ge­gen be­rech­tigt, wenn je­mand ver­är­gert war.
    7. Jesus lehr­te die völ­li­ge Ge­walt und Wi­der­stands­lo­sig­keit.
    8. Her­me­neu­ti­sches Den­ken, Fra­gen und Ar­gu­men­tie­ren ist an­stren­gend und müh­sam.
         



Text: Von der Not­wen­dig­keit her­me­neu­ti­scher Ar­beit

„Jeder liest aus der Bibel her­aus, was er will!“ Die­sen Vor­wurf höre ich als Re­li­gi­ons­leh­rer immer wie­der. Und muss ihm lei­der in ge­wis­sem Um­fang zu­stim­men. Es be­geg­nen mir Men­schen mit In­ter­es­se am christ­li­chen Glau­ben eben­so wie Be­strei­ter des Glau­bens, die ein naiv ein­sei­ti­ges Bi­bel­ver­ständ­nis haben. Kenn­zei­chen dafür sind der Ver­zicht auf his­to­ri­sche, kul­tu­rel­le, theo­lo­gi­sche oder sprach­wis­sen­schaft­li­che Kon­tex­te, kurz, der To­tal­aus­fall an Her­me­neu­tik. Häu­fig wird eine ein­zel­ne Aus­sa­ge der Bibel wort­wört­lich ge­nom­men, dem ei­ge­nen Blick­win­kel un­ter­wor­fen und als Aus­gangs­punkt einer Ar­gu­men­ta­ti­on ver­wen­det. Es gibt wohl viele Spiel­räu­me im Ver­ste­hen bi­bli­scher Texte und Aus­sa­gen. Jü­di­scher Tra­di­ti­on zu­fol­ge hat jede Stel­le in der Tora min­des­tens 70 Aus­le­gungs­mög­lich­kei­ten! Wenn we­nigs­tens statt dem voll­mun­di­gen „In der Bibel steht ...“ der ein­schrän­ken­de Zu­satz er­folg­te: „So ver­ste­he ich die­sen Vers, diese Aus­sa­ge, die­sen Ab­schnitt der Bibel ...“ Denn erst da be­ginnt Her­me­neu­tik, wo der Nach­weis ge­ge­ben und für an­de­re nach­voll­zieh­bar be­grün­det wird, auf wel­chem Weg je­mand zum Ver­ständ­nis einer Aus­sa­ge ge­kom­men ist. Her­me­neu­tik als die Wis­sen­schaft vom Ver­ste­hen von Tex­ten ist darum ein durch­aus müh­sa­mes Ge­schäft.

Wer dar­auf bil­lig ver­zich­tet, mag enden wie jener Mensch im Witz, der Got­tes Wei­sung für den Tag durch blo­ßes Auf­schla­gen der Bibel und zu­fäl­li­ges Deu­ten auf einen Vers er­hofft. Der erste Ver­such führt zu der Bi­bel­stel­le: „Und Judas ging hin und er­häng­te sich.“ Ent­täuscht, dass dies ja keine Maß­ga­be für die Ta­ges­ge­stal­tung sein könne, wie­der­holt er das Pro­ze­de­re und lan­det bei der Auf­for­de­rung: „So gehe hin und tue des­glei­chen.“

Nur ein Witz? Das habe ich er­lebt: Da kann ein Bio­lo­gie­leh­rer laut auf­la­chen, weil er meint, dass die Schü­le­rin­nen und Schü­ler vom Re­li­gi­ons­un­ter­richt her an eine 7-Tage-Schöp­fung glau­ben müs­sen. Ein an­de­rer Kol­le­ge weist dar­auf hin, dass Jesus in der Berg­pre­digt irr­sin­ni­ger­wei­se die völ­li­ge Wehr­lo­sig­keit ge­lehrt habe, wäh­rend ein Kurs­stu­fen­schü­ler vol­ler Ent­rüs­tung fragt, wie eine Kir­che gleich­ge­schlecht­li­che Paare seg­nen könne, wo Ho­mo­se­xua­li­tät doch in der Bibel ex­pli­zit be­nann­te Sünde sei und also nicht den Segen ver­die­ne. Und so fügt ein Athe­ist hinzu haben sich nicht die­je­ni­gen, die die Bibel ernst nah­men, über Jahr­hun­der­te hin­weg ge­gen­sei­tig den Schä­del ein­ge­schla­gen? Ist es also nicht höchs­te Zeit, die­ses Buch als über­holt oder be­deu­tungs­los zu er­ach­ten, weil eben jeder aus der Bibel her­aus­liest, was er will?

Höchs­te Zeit ist es, einen sach­ge­mä­ßen Um­gang mit den bi­bli­schen Tex­ten ein­zu­for­dern. Sind diese Schrif­ten ja im­mer­hin über eine Zeit­span­ne von ein­tau­send Jah­ren ent­stan­den und also in­zwi­schen bald zwei- bis drei­tau­send Jahre alt. Höchs­te Zeit ist es, das Ver­ständ­nis von Wahr­heit wie­der aus der Ver­en­gung auf bloße his­to­ri­sche Fak­ti­zi­tät zu ent­schrän­ken auf das, was den Men­schen z.B. auch im Sprach­bild, in der Nar­ra­ti­on, im My­thos zu­tiefst be­tref­fen und zu­tiefst wahr be­schrei­ben kann. Höchs­te Zeit ist es für ein in­ten­si­ves Be­mü­hen, die bi­bli­schen Texte so zum Spre­chen zu brin­gen, wie sie (seit ihrer Ab­fas­sung) spre­chen wol­len. An der Schu­le ist das von An­fang an Auf­ga­be des Re­li­gi­ons­un­ter­richts.

Für ein sach­ge­mä­ßes Ver­ste­hen alter Texte braucht es daher immer ein um­sich­ti­ges Fra­gen nach den da­ma­li­gen his­to­ri­schen Ge­ge­ben­hei­ten, nach den kul­tu­rel­len und ge­sell­schaft­li­chen Prä­gun­gen. Das kos­tet Mühe, das macht Ar­beit, im min­des­ten Fall die, einen so­li­den his­to­risch-theo­lo­gi­schen Kom­men­tar­band zu be­fra­gen.

Neh­men wir dazu das Bei­spiel von oben, Jesus habe die völ­li­ge Wehr­lo­sig­keit ge­lehrt. „Wenn dich einer auf die rech­te Backe schlägt, so halte ihm auch die an­de­re hin.“ (Mt. 5:39) Was für ein Irr­sinn, so die vor­schnel­le Äu­ße­rung sich blin­der, rauer Ge­walt als wehr­lo­ses Opfer ge­ra­de­zu an­zu­bie­ten, ja, völ­lig pas­siv auf sich „ein­stie­feln“ zu las­sen. In der Tat, die­ses Text­ver­ständ­nis ist irr­sin­nig. Denn Jesus hat mit­nich­ten die völ­li­ge Wehr­lo­sig­keit, gar Ku­schen und Krie­chen ge­lehrt, son­dern um­ge­kehrt: die mu­ti­ge, klä­rungs­wil­li­ge und zur Ver­stän­di­gung füh­ren­de Aus­ein­an­der­set­zung, mit­hin also ech­ten, frei­lich ge­walt­lo­sen Wi­der­stand! In der (da­ma­li­gen) jü­di­schen Kul­tur, wie üb­ri­gens bis heute in vie­len ori­en­ta­lisch ge­präg­ten Eth­ni­en, ist die per­sön­li­che Ehre das obers­te Gut, der Ur­wert, den es un­be­dingt zu schüt­zen gilt. Was meint der Schlag auf die rech­te Wange? Um je­man­den so zu tref­fen, muss ich ja mit dem Hand­rü­cken zu­schla­gen. Der Schlag mit dem Hand­rü­cken aber, und sei er nur in die Luft an­ge­deu­tet, ist zu jener Zeit Zei­chen ex­tre­mer Ent­eh­rung, Aus­druck äu­ßers­ter Ver­ach­tung. Nicht ein­mal ein Hund wird so ge­schla­gen! Wer also einen „Schlag auf die rech­te Backe“ er­hält, der wird von einem Ge­gen­über als wert­los, ehr­los er­ach­tet und damit per­sön­lich zu­tiefst ver­letzt. Was soll der­je­ni­ge nach Jesus tun? Die linke Backe hin­hal­ten! Und das heißt: Er soll nicht flie­hen, nicht zu­rück­schla­gen, nicht weh­lei­dig kla­gen, son­dern mutig auf­tre­ten, also stand­haft blei­ben und fra­gen: „Was macht dich so wü­tend (auf mich), dass du mich mit dei­nen Wor­ten ver­nich­test? Was genau ist ge­sche­hen? Be­nen­ne die Dinge, das sind nun eben die kon­kre­ten Schlä­ge auf die linke Wange die dich wü­tend ma­chen. Ich möch­te klä­ren und in Ord­nung brin­gen, wenn etwas zwi­schen uns steht.“ So ver­stan­den lehrt Jesus einen mu­ti­gen, letzt­lich zum ge­gen­sei­ti­gen Ver­ste­hen füh­ren­den Wi­der­stand. Oder wie ein jü­di­scher Ge­lehr­ter es nann­te: Jesus lehrt die Ent­fein­dung. Wie­viel Span­nung und Feind­schaft zwi­schen Men­schen könn­te, ne­ben­bei be­merkt, ge­klärt und be­sei­tigt wer­den, wenn wir nur diese eine Bi­bel­stel­le sach­ge­mäß ver­stün­den und um­setz­ten?

Jo­chen Fetz­ner, Juni 2014


Auf­ga­be 2 bis 5


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