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Text 1 und 2

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.


Der um­strit­te­ne Jesus

Text 1

Es gibt wohl kaum eine Per­sön­lich­keit der Welt­ge­schich­te, um die so hef­tig und über die Jahr­tau­sen­de hin­weg ge­strit­ten wurde wie um Jesus von Na­za­reth.

Die Stim­men, dass er eine bloße Er­fin­dung sei, müs­sen un­ge­hört ver­hal­len. Zu ein­deu­tig spre­chen die his­to­ri­schen Be­le­ge für seine Exis­tenz zur Zeit des Kai­sers Au­gus­tus. (…)

Schon die ers­ten neu­tes­ta­ment­li­chen Er­zähl­do­ku­men­te aber, die durch­weg als mis­sio­na­ri­sche Trak­ta­te und nicht als bloße Be­richt­er­stat­tung ver­stan­den wer­den wol­len, ken­nen von An­fang an den Streit um Jesus. Nicht nur, dass es eine ganze Text­gat­tung der so ge­nann­ten Streit­ge­sprä­che gibt, in denen Jesus von Ver­tre­tern der eta­blier­ten Re­li­gi­on hin­ter­fragt, in Fal­len ge­lockt, zu Selbst­wi­der­sprü­chen pro­vo­ziert wird. Oder in denen er selbst den Streit, die Aus­ein­an­der­set­zung sucht. Viel mehr noch: die Evan­ge­li­en selbst sind sich nicht einig: Ist die­ser Jesus Mensch ge­wor­de­ner Logos, von An­fang an Gott, Schöp­fer des ge­sam­ten Kos­mos, wie ihn der Pro­log des Jo­han­nes­evan­ge­li­ums lob­preist? Oder ist der Zim­mer­manns­sohn aus Na­za­reth durch seine Taufe am Jor­dan in eine be­son­de­re Nähe zu Gott er­ho­ben wor­den, wie man es im Mar­ku­sevan­ge­li­um lesen kann? Ist der Wan­der­pre­di­ger Jesus, von dem sich seine ei­ge­ne Fa­mi­lie dis­tan­zier­te, ein Re­form­ju­de, der die Thora im Licht der Liebe zu Gott und den Men­schen neu in­ter­pre­tiert? Ist sein Ster­ben am Kreuz kon­se­quen­te Folge sei­ner Ver­kün­di­gung, die mit der Re­li­gi­on und den Hü­tern des Sys­tems sei­ner Zeit kol­li­die­ren muss­te, oder steckt da­hin­ter ein gött­li­ches „Muss“? Und wie ist seine Auf­er­ste­hung zu sehen? Ist Jesus leib­haf­tig le­ben­dig ge­wor­den oder lebt er in an­de­rer Form, z.B. in der Ver­kün­di­gung wei­ter?

Noch im 1. Jahr­hun­dert n. Chr. ver­la­ger­te sich die Aus­ein­an­der­set­zung auf so­te­rio­lo­gi­sche Fra­ge­stel­lun­gen. Wem nützt und wem gilt sein Tod am Kreuz? Allen Men­schen oder allen, die an ihn glau­ben? Hat er als Got­tes­sohn über­haupt am Kreuz wirk­lich hän­gen und lei­den kön­nen?

Wir könn­ten die Liste bald end­los fort­set­zen. Die Chris­ten der ers­ten Jahr­hun­der­te haben den Streit um Jesus Chris­tus ge­ra­de­zu ge­pflegt. Bald ging es in ver­schärf­ter Form um die „Na­tu­ren“ des Chris­tus und wie diese mit­ein­an­der kor­re­spon­die­ren. War er Gott oder Mensch oder bei­des. Oder mehr Mensch als Gott, mehr Gott als Mensch? Gottähn­lich? Gott­gleich? Ein ein­zi­ges Jota mach­te den Un­ter­schied und spal­te­te die Ge­mü­ter! Trau­ri­ger Hö­he­punkt im 5. Jahr­hun­dert war die Räu­ber­syn­ode von Ephe­sus, als sich die Be­für­wor­ter der Gött­lich­keit Jesu nur noch mit Knüp­peln durch­zu­set­zen wuss­ten.

Noch im 17. Jahr­hun­dert er­ei­fer­te man sich im so ge­nann­ten Keno­sis-Streit um die Frage: Hat Chris­tus wäh­rend sei­ner Er­den­zeit alle gött­li­che (Super-)Macht ab­ge­legt, oder ver­füg­te er doch über be­son­de­re gött­li­che Kräf­te auf Abruf?

Zu­ge­ge­ben: In den letz­ten Jahr­zehn­ten hat man um Jesus we­ni­ger of­fen­siv ge­strit­ten. Aber ex­tre­me Lager hat es den­noch ge­ge­ben und es gibt sie bis heute. Für die einen ist Jesus der ra­di­ka­le und so­zi­al­kri­ti­sche Mah­ner, der jedes men­schen­ver­ach­ten­de Sys­tem kri­ti­siert und die Würde des Men­schen zur Gel­tung bringt ge­ra­de als der, der sich auf die Seite der Klei­nen, Schwa­chen, Un­ter­drück­ten stellt oder be­wusst Par­tei für die Frau­en er­greift und dem es ent­spre­chend nach­zu­ei­fern gilt. Er ist pri­mär der, der aus skla­vi­schen Ver­hält­nis­sen be­freit. Für die an­de­ren ist der­sel­be Jesus völ­lig un­po­li­tisch. Ein See­len­trös­ter, dem man sein Herz öff­nen muss, dem zu be­geg­nen, „des­sen Ge­wand nur am Saum zu be­rüh­ren“ die ei­ge­ne Seele ge­sun­den lässt – wie es ein cha­ris­ma­ti­sches Lied un­se­rer Tage be­singt.
Und wie hat sich Jesus, der zu allen Zei­ten Um­strit­te­ne ver­hal­ten? Was hat er denen ge­sagt, die ihn für sich und ihre Sache be­an­spruch­ten? Er hat sich schlicht als den Men­schen­sohn be­zeich­net. Men­schen­sohn! Wäre nun eine gute Streit­fra­ge, was genau Jesus damit ge­meint hat!


Text 2

Es bleibt die (Streit-)Frage, wie wir den Streit um Jesus be­wer­ten. Auf den ers­ten Blick könn­ten sich alle Kri­ti­ker des christ­li­chen Glau­bens ob der of­fen­sicht­li­chen Un­ei­nig­keit die Hände rei­ben und die Frage nach Jesus als bloße Zeit­ver­schwen­dung abtun. Ja, von der Un­ei­nig­keit unter den christ­li­chen Theo­lo­gen über die Jahr­tau­sen­de hin­weg könn­ten sie auf die Un­wahr­heit und Be­deu­tungs­lo­sig­keit der ge­sam­ten Je­sus­de­bat­te schlie­ßen. Aber genau hier irren die Kri­ti­ker in dop­pel­ter Hin­sicht.

Zum einen hat es immer wie­der klare und ver­bind­li­che Ei­ni­gungs­ver­su­che zu­min­dest in­ner­halb der „Main-stream-Kir­che“ ge­ge­ben. Wir haben diese in Form der Sym­bo­le bzw. Glau­bens­be­kennt­nis­se, deren be­kann­tes­tes das Apos­to­li­kum ist. (Wenn­gleich auch die­ses nicht un­um­strit­ten war und bis heute in den Kir­chen un­ter­schied­lich ge­spro­chen wird!) Von daher war und ist der Streit um Jesus wohl not­wen­dig, weil es of­fen­sicht­lich nur so zu ech­ten Klä­rungs­pro­zes­sen kom­men konn­te und kommt. Dann wäre ge­ra­de auch die Hef­tig­keit des Streits ein Schlüs­se­lin­diz, wie be­deut­sam die Ge­stalt des Jesus von Na­za­reth für die christ­li­che Kir­che ist. Um einen Ju­li­us Cae­sar muss nie­mand wirk­lich strei­ten. Aber um einen Jesus Chris­tus, einen Ret­ter der Welt, da lohnt der Streit. Das schreit ge­ra­de­zu nach tief­grün­di­ger Klä­rung. Das muss ich genau wis­sen!

Ein zwei­tes spricht für die Hef­tig­keit des Streits und die damit ver­bun­de­ne Be­deut­sam­keit der Per­son Jesu. Wer sich lei­den­schaft­lich um Jesus strei­tet, dem geht es wohl um mehr als um den Aus­weis ob­jek­ti­ver Wahr­heit. Er sucht letzt­lich einen Jesus für sich. Er sucht einen Chris­tus, mit dem er sich voll und ganz iden­ti­fi­zie­ren kann. Er stellt – wie es die Je­sus­dar­stel­lun­gen auf den Hun­ger­tü­chern der un­ter­schied­lichs­ten Län­dern tun – Jesus in sei­ner „Haut­far­be“ dar. Die­ser er­strit­te­ne Jesus ist der Jesus, der für mich, der für uns ist. So ver­stan­den er­wächst der Streit um Jesus aus einem tie­fen Be­dürf­nis, „sei­nen Jesus“ zu haben, Jesus auf seine Seite zu zie­hen und sein Leben in die­ser Welt bes­ser zu ver­ste­hen und zu ge­stal­ten.

Beide Texte: Jo­chen Fetz­ner, St. Ge­or­gen, März 2014


Auf­ga­ben zur Klau­sur B


Jesus Chris­tus I: Her­un­ter­la­den [docx] [1 MB]