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Un­ter­richts­ver­such in Klas­se 9

In­fo­box

Diese Seite ist Teil einer Ma­te­ria­li­en­samm­lung zum Bil­dungs­plan 2004: Grund­la­gen der Kom­pe­tenz­ori­en­tie­rung. Bitte be­ach­ten Sie, dass der Bil­dungs­plan fort­ge­schrie­ben wurde.

Ent­fal­tung li­te­ra­ri­scher Orte und Fi­gu­ren in Klas­se 9

Die Per­so­nen­cha­rak­te­ri­sie­rung wird im Deutsch­un­ter­richt von der Klas­se fünf bis zum Ab­itur immer wie­der Un­ter­richts­ge­gen­stand als zen­tra­ler Teil­be­reich der Er­schlie­ßung li­te­ra­ri­scher Werke. Als Schreib­form geht sie aus von der Per­so­nen­be­schrei­bung. Sie er­for­dert ei­ner­seits sorg­fäl­ti­ges Sam­meln of­fen­sicht­li­cher und sau­be­res Er­schlie­ßen von ver­deck­ten In­for­ma­tio­nen. An­de­rer­seits muss aus den ge­sam­mel­ten Ein­zel­hei­ten ein stim­mi­ges Ge­samt­bild zu­sam­men­ge­setzt wer­den. Schließ­lich soll sich der Schrei­ben­de in die un­ter­such­te Per­son ein­füh­len und eine emo­tio­na­le An­nä­he­rung ver­su­chen. Be­reits hier, wo es um das er­wei­ter­te Text­ver­ste­hen geht, sind also ana­ly­ti­sches, af­fek­ti­ves und pro­duk­ti­ves Ar­bei­ten glei­cher­ma­ßen ge­for­dert.

Wenn nun, aus­ge­hend vom bis­he­ri­gen per­sön­li­chen Werk­ver­ständ­nis, schrei­ben­de Ge­stal­tun­gen un­ter­nom­men wer­den, so ent­ste­hen im Er­folgs­fall er­wei­ter­te und ver­tief­te Kon­kre­ti­sie­run­gen. Das Schrei­ben als Ar­beits­form er­zwingt dabei eine Ver­lang­sa­mung der Werkaneig­nung, die so­wohl dem Text­ver­ständ­nis, im Sinne des text­na­hen Le­sens, als auch dem ei­ge­nen li­te­ra­ri­schen Ar­bei­ten gut tut . (1) Wich­tig ist, dass es sich bei den im Un­ter­richt an­ge­wand­ten Schreib­for­men nicht um For­men der ge­stal­ten­den In­ter­pre­ta­ti­on han­delt, wel­che ja ein streng her­me­neu­ti­sches Ver­fah­ren dar­stellt . (2) Im vor­lie­gen­den Fall geht es viel­mehr darum, zu frei­em, un­ter­schied­lich text­na­hem Schrei­ben zu er­mu­ti­gen, die­ses zu be­glei­ten und dabei ver­schie­de­ne Schreib­kom­pe­ten­zen zu för­dern.

Vor­ge­hen

Die neun­te Klas­se, mit der der Schreib­ver­such durch­ge­führt wurde, hatte ge­ra­de den Schim­mel­rei­ter von Theo­dor Storm im Deutsch­un­ter­richt er­ar­bei­tet. Dabei war auch die Per­so­nen­cha­rak­te­ri­sie­rung Thema ge­we­sen. In der nun ge­plan­ten Un­ter­richts­se­quenz soll­te die Kennt­nis der No­vel­le und ihrer han­deln­den Per­so­nen zur För­de­rung des frei­en Schrei­bens ei­ner­seits, zur Ver­tie­fung des per­sön­li­chen Text­ver­ständ­nis­ses an­de­rer­seits ge­nutzt wer­den. Als Ein­stieg in die ge­stal­ten­de Schreib­ar­beit soll­te die Kon­kre­ti­sie­rung und Be­schrei­bung eines Schau­plat­zes ge­nutzt wer­den. Aus­ge­hend von der be­son­ders im eu­ro­päi­schen Rea­lis­mus des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts weit ver­brei­te­ten Idee der Kor­re­spon­denz zwi­schen han­deln­der Per­son und dem Schau­platz der Hand­lung bot sich die­ser Umweg an, um am zu­nächst zu­gäng­li­che­ren Pro­jekt der Orts­be­schrei­bung eine An­nä­he­rung an das schrei­ben­de Ge­stal­ten zu un­ter­neh­men. In einem zwei­ten Schritt soll­te der Blick auf den Schau­platz durch die Augen einer han­deln­den Per­son ge­wählt wer­den, um die An­nä­he­rung an eine Per­son vor­an­zu­trei­ben, aber auch die Ent­ste­hung einer ei­ge­nen Ge­schich­te zu för­dern. Beide Schrei­b­im­pul­se wur­den im Un­ter­richt, aber auch zu Hause ver­folgt.

Im Ein­zel­nen

Es wurde zu Be­ginn der Ar­beit an Ge­stal­tun­gen pro­spek­tiv eine Si­tua­ti­on der No­vel­len­hand­lung nach Art einer Traum­rei­se kon­kre­ti­siert, der rech­nen­de Hauke Haien in der Wohn­stu­be des alten Deich­gra­fen, die­ser im Lehn­stuhl schla­fend, die stri­cken­de Elke auf einem „grob­ge­schnitz­ten Holz­stuhl“. Wich­tig war, eine Si­tua­ti­on im Werk aus­zu­wäh­len, die selbst nur spar­sam aus­ge­führt ist, um genug Ge­stal­tungs­raum für die Schü­ler­ar­bei­ten zu las­sen. Die Si­tua­ti­on wurde nun in einer Vor­stel­lungs­übung von jedem Schü­ler ein­zeln ent­wi­ckelt. Ein­zel­ne Ein­drü­cke wur­den an­schlie­ßend im Ple­num be­nannt, wobei Über­ein­stim­mun­gen und Un­ter­schie­de zwi­schen den ver­schie­de­nen ima­gi­nier­ten Bil­dern sicht­bar wur­den. So war zum Bei­spiel der vor­ge­stell­te Raum in allen Fäl­len eher licht­arm, die Farbe Braun spiel­te eine pro­mi­nen­te Rolle. Allen Pro­jek­tio­nen eig­ne­te eine in­ten­si­ve Be­hag­lich­keit. Die je­wei­li­gen Ein­drü­cke wur­den in der Folge in Ein­zel­ar­beit ver­schrift­licht. (3) Wich­tig hier­bei ist, dass keine Text­be­le­ge ge­for­dert wur­den, auch soll­te in Zwei­fels­fäl­len nicht der Text zur Ver­ein­deu­ti­gung her­an­ge­zo­gen wer­den. Zum Be­har­ren auf den ei­ge­nen Ein­drü­cken wurde er­mu­tigt.

Eine be­son­de­re Her­aus­for­de­rung stellt die Schreib­be­glei­tung beim frei­en Schrei­ben dar. Ei­ner­seits sol­len Kom­pe­ten­zen ge­zielt ge­pflegt wer­den, zum an­de­ren soll das Schrei­ben ein Ei­gen­stän­di­ges blei­ben. Im ge­schil­der­ten Un­ter­richts­ver­such wur­den Rück­mel­dun­gen ge­ge­ben, die sich im We­sent­li­chen auf die sprach­li­che Kor­rekt­heit, die Ver­ständ­lich­keit und den Ein­druck, der beim Lesen ent­stan­den war, kon­zen­trier­te .(4) In der Folge ist eine Schü­ler­ar­beit ein­ge­rückt, die auf den ers­ten Schreib­auf­trag hin ent­stan­den ist.

Be­schrei­bung des Rau­mes

In dem Raum des Deich­gra­fen gibt es drei Türen. Eine Tür führt in das Zim­mer von Elke, die An­de­re in eine Ab­stell­kam­mer und die letz­te Tür in ein Zim­mer, dass nicht ge­braucht wird und ganz dun­kel und ver­las­sen ist. Man kann 3 klei­ne­re Fens­ter er­ken­nen, die ein wenig Licht in das Zim­mer las­sen, den­noch nicht viel. Der Raum ist ziem­lich düs­ter und es gibt nur Ker­zen zur Be­leuch­tung. Zwei Ti­sche ste­hen in dem Raum, an einem sitzt Hauke und rech­net und an dem an­de­ren sit­zen Elke und der Deich­graf. Sie trin­ken Tee und un­ter­hal­ten sich. Auf Hau­kes Tisch ste­hen meh­re­re Ker­zen. Drau­ßen reg­net und win­det es. Es ist Herbst und gegen Abend. Der Regen klatscht gegen die Fens­ter. In der Ecke steht ein her­un­ter­ge­kom­me­ner Schau­kel­stuhl, auf dem der Deich­graf immer ein Buch liest. Der Boden ist dun­kel und be­steht aus brau­nem Holz. Es gibt keine Tep­pi­che. An der Wand hän­gen zwei Ge­mäl­de, auf dem einen kann man ein Wald mit vie­len Bäu­men er­ken­nen und ein­zel­nen Blu­men, und auf dem An­de­ren ist eine Kuh die auf der Wiese grast. Die Fens­ter­lä­den von außen schla­gen immer wie­der auf und zu, durch den Wind, der drau­ßen herrscht. In dem Zim­mer ist es sehr warm, da ein Kamin das Zim­mer be­heizt. Die Stim­mung un­ter­ein­an­der ist sehr har­mo­nisch und ruhig. Der Stil des Deich­gra­fen ist eher schlicht und alt.

Er­kennt­nis­se

Be­reits die sich aus dem ers­ten Schreib­an­lass er­ge­ben­den Texte zei­gen Er­staun­li­ches. Die be­schrie­be­nen Räume äh­neln sich in der Stim­mung, die ihre Be­schrei­bung er­zeugt, auf­fal­lend .(5) Aus­stat­tung und Schwer­punkt­set­zung, wo eine sol­che zu er­ken­nen ist, wei­chen al­ler­dings deut­lich von­ein­an­der ab, eben­so dif­fe­riert die Qua­li­tät der Schreib­pro­duk­te. Man­che der ein­ge­gan­ge­nen Texte sind schon in der ers­ten Fas­sung aus­ge­spro­chen viel­ver­spre­chend, was die sti­lis­ti­sche Ge­stal­tung und/oder die An­nä­he­rung an den No­vel­len­text an­geht. An­de­re wei­sen in­halt­li­che Un­stim­mig­kei­ten und sprach­li­che Un­be­hol­fen­heit in un­ter­schied­li­chem Maße auf. Ins­ge­samt gilt, dass alle Ar­bei­ten in den De­tails, aber auch in der Stim­mungs­ge­stal­tung, über die In­for­ma­tio­nen des Aus­gangs­tex­tes hin­aus gehen. Das zeigt sich zum Bei­spiel in dem Ein­ge­hen auf Far­ben und Licht­ver­hält­nis­se. Dabei ar­bei­tet der ent­ste­hen­de Text kaum je gegen den No­vel­len­aus­zug. Deut­lich wird in den Schreib­pro­duk­ten auch der sich ent­fal­ten­de per­sön­li­che Stil, der sich je un­ter­schied­lich aus­prägt.

Wich­ti­ge Er­geb­nis­se des Un­ter­richts­ver­su­ches sind:

  • Das hand­lungs­lo­se Be­schrei­ben eines Schau­plat­zes ge­lingt auf An­hieb bes­ser als das Aus­ge­stal­ten und Fort­spin­nen einer Hand­lung.
  • Beim Be­schrei­ben eines Schau­plat­zes wird manch­mal wie selbst­ver­ständ­lich die Per­spek­ti­ve einer an­we­sen­den Per­son ein­ge­nom­men. Dies kann auch for­ciert wer­den.
  • Aus dem Ent­wurf eines li­te­ra­ri­schen Rau­mes ent­steht ohne Mühe eine Er­zähl­hand­lung, die von dem vor­her­ge­hen­den Ein­le­ben in einen Schau­platz pro­fi­tiert.
  • Über­haupt wer­den das Er­zäh­len und die Per­spek­ti­ve sehr or­ga­nisch zum Thema des Un­ter­richts.
  • Das text­na­he freie Schrei­ben lässt sich nicht nur an­sto­ßen, es ver­dient und ver­trägt auch in­ten­si­ve und hart­nä­cki­ge Schreib­be­glei­tung.
  • Rück­mel­dun­gen bie­ten sich nicht nur an, sie er­ge­ben sich auf ver­schie­de­nen Ebe­nen fast von selbst.
  • Ob­wohl das Schrei­ben sich in der Hand­lung und Aus­ge­stal­tung der Cha­rak­te­re vom Text ent­fernt, sind in den nach­fol­gen­den Un­ter­richts­ge­sprä­chen ver­tief­te Text­kennt­nis in den De­tails und ver­tief­tes Text­ver­ständ­nis zu be­ob­ach­ten.

 

Ins­ge­samt er­weist sich das an­ge­lei­te­te freie Schrei­ben zu li­te­ra­ri­schen Per­so­nen im be­schrie­be­nen Un­ter­richts­ver­such als Mög­lich­keit, Schreib­för­de­rung im Sinne frei­en Schrei­bens zu be­trei­ben und ihre Er­geb­nis­se für das Ver­ständ­nis li­te­ra­ri­scher Texte nutz­bar zu ma­chen.

Nach­fol­gend ist ein kom­men­tier­ter Ver­laufs­plan des be­schrie­be­nen Un­ter­richts­ver­su­ches an­ge­hängt.

An­mer­kun­gen

  1. Siehe zum Nut­zen der Ver­lang­sa­mung bei der Ar­beit mit li­te­ra­ri­schen Tex­ten v.a. Eli­sa­beth Pa­ef­gen: „Text­na­hes Lesen. Sechs The­sen aus di­dak­ti­scher Per­spek­ti­ve“. In Bel­grad/Fin­ger­hut(Hgg): Text­na­hes Lesen . 1998, S.14-23.
  2. Eher bie­ten sich, ähn­lich der Aus­wer­tung sze­ni­scher Ver­fah­ren, in einer Rück­füh­rung zum Text im An­schluss an den Schreib­pro­zess, frucht­ba­re In­ter­pre­ta­ti­ons­ge­sprä­che an.
  3. Siehe Ma­te­ri­al­samm­lung.
  4. Siehe hier­zu den Ab­schnitt „Schreib­be­glei­tung“.
  5. Bei­spie­le fin­den sich in den Ab­schnit­ten „ Un­ter­richts­ver­such in Klas­se 9. Ma­te­ria­li­en“ und „Rück­mel­dun­gen zu Schü­ler­ar­bei­ten“.

 

Un­ter­richts­ver­such in Klas­se 9: Her­un­ter­la­den [docx] [25 KB]