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In­halt des Iu­di­ci­um Iovis

Das Iu­di­ci­um Iovis, wel­ches das erste li­te­ra­ri­sche Werk über den Berg­bau im Erz­ge­bir­ge dar­stellt, hat Nia­vis einem be­freun­de­ten Pfar­rer in Zwi­ckau ge­wid­met; es soll nach dem Wil­len des Au­tors als Mus­ter für Ge­richts­re­den vor allem Stu­den­ten nütz­lich sein. Zum Zwe­cke der Be­glau­bi­gung gibt Nia­vis sein Werk als la­tei­ni­sche Über­set­zung des münd­li­chen Be­richts eines sonst nicht be­kann­ten Freun­des aus. Diese Stra­te­gie der fik­tio­na­len Be­glau­bi­gung wird du­pli­ziert da­durch, dass ein Ein­sied­ler den Pro­zess per­sön­lich ge­se­hen haben soll.

Gemäß der Rah­men­hand­lung war die­ser an­ony­me Mönch bei einem Spa­zier­gang er­schöpft ein­ge­schla­fen und irrte nach dem Er­wa­chen in der als locus amo­e­nus be­schrie­be­nen Um­ge­bung zu­nächst ori­en­tie­rungs­los umher, bis er im dich­ten Wald an eine Lich­tung kam, in der er auf eine Art Pa­ra­dies­gärt­lein traf.1 Dort be­ob­ach­tet und be­lauscht er im Ge­hei­men einen merk­wür­di­gen Pro­zess unter Vor­sitz des Göt­ter­kö­nigs Ju­pi­ters. Als An­klä­ger tre­ten mit zer­ris­se­nem Kleid die Mut­ter Erde und deren An­walt Mer­kur auf, be­glei­tet wer­den die bei­den von einer gan­zen Schar von Göt­tern, die gro­ßen­teils im Laufe des Pro­zes­ses zu Wort kom­men, na­ment­lich Ceres, Bac­chus, die Na­ja­den und der Fähr­mann Cha­ron, des­sen Kahn durch das Ab­sin­ken des Grund­was­ser­spie­gels auf dem Tro­cke­nen liegt. Dem Men­schen ste­hen als gött­li­che Hel­fer ein­zig die Pe­naten bei, die auf dem Ti­tel­kup­fer des Werks als nack­te Zwer­ge dar­ge­stellt sind.

Kupferstich

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Bild­quel­le: Schnee­vo­gel, Paul: Iu­di­ci­um Iovis ad quod mor­ta­lis homo a terra trac­tus par­ri­ci­dii ac­cu­sa­tus CC BY-SA 4.0 ], via di­gi­ta­le-samm­lun­gen.de, be­ar­bei­tet

Zu­erst er­hebt Mer­kur schwe­re An­kla­ge gegen den Men­schen: Die­ser scha­de mit dem Berg­bau nicht nur sei­ner ei­ge­nen Mut­ter, der Erde, die ihn doch für­sorg­lich mit rei­chen Gaben be­schenkt habe, son­dern ver­let­ze dar­über hin­aus Ju­pi­ters Gebot zur Eh­rung der El­tern und der Göt­ter. In sei­ner Ge­gen­re­de ver­tei­digt sich der Mensch unter an­de­rem, indem er auf die Not­wen­dig­keit des Berg­baus für Geld­wirt­schaft und glo­ba­len Wa­ren­tausch ver­weist. Ohne diese seien viele Ge­gen­den der Erde gar nicht be­wohn­bar. Unter Be­ru­fung auf te­leo­lo­gi­sche Ar­gu­men­te an­ti­ker Phi­lo­so­phen – und un­aus­ge­spro­chen auf den christ­li­chen Schöp­fungs­auf­trag – pos­tu­liert der Mensch au­ßer­dem, dass alle Güter der Erde zu sei­nem Nut­zen ge­schaf­fen seien.

In ihrer Ant­wort ver­weist Ceres, die Göt­tin des Ge­trei­des, dar­auf, dass dem Men­schen alles, was er zum Leben brau­che, zu Füßen ge­legt werde, Acker­bau und Vieh­zucht als tra­di­tio­nel­le For­men des Wirt­schaf­tens seien völ­lig aus­rei­chend. Die Ge­gen­re­de der Pe­naten ver­weist noch­mals auf die Not­wen­dig­keit von Fort­schritt und Tausch­han­del. Nach wei­te­ren Reden ver­schie­de­ner Gott­hei­ten und Ge­gen­re­den weist der Mensch auf dem emo­tio­na­len Hö­he­punkt des Pro­zes­ses die Be­haup­tung der Erde zu­rück, sie sorge als Mut­ter für ihn: Die Erde sei viel­mehr eine er­bar­mungs­lo­se Stief­mut­ter, die den Men­schen ge­ra­de­zu zwin­ge, unter Ge­fah­ren für Leib und Leben in den Tie­fen der Erde nach Me­tal­len zu gra­ben.2

Das Ur­teil im Pro­zess spricht nicht Ju­pi­ter selbst, viel­mehr de­le­giert er die Ent­schei­dung in einem Brief an For­tu­na, die Göt­tin des Schick­sals. Deren Ant­wort fällt re­la­tiv knapp aus: „Es ist die Be­stim­mung des Men­schen, die Berge zu durch­wüh­len, Erz­gru­ben an­zu­le­gen, die Äcker zu be­bau­en, Han­del zu be­trei­ben und die Erde zu ver­let­zen, das Wis­sen zu ver­wer­fen, Pluto auf­zu­schre­cken und schließ­lich in Bach­läu­fen Me­tal­la­dern auf­zu­spü­ren; Sein Leib aber wird von der Erde ver­schlun­gen, durch schlech­te Wet­ter er­stickt, vom Wein trun­ken ge­macht, durch Hun­ger be­zwun­gen – und, was das beste ist, er weiß nicht, dass dar­über hin­aus viele wei­te­re Ge­fah­ren un­trenn­bar mit dem Mensch­sein ver­bun­den sind.“

For­tu­na be­stä­tigt hier als per­so­ni­fi­zier­te Zwangs­läu­fig­keit der Ge­schich­te die Un­um­gäng­lich­keit tech­ni­schen Fort­schritt und die damit ver­bun­de­nen Ge­fah­ren für den Men­schen. Nicht zu­letzt hier er­weist sich der zu­tiefst hu­ma­nis­ti­sche Cha­rak­ter des Werks, das Got­tes Ur­teil nach dem Sün­den­fall zu einem Leben unter Müh­sal und Ge­fah­ren mit den Neue­run­gen des Berg­baus ver­bin­det und in das an­ti­ke Ge­wand al­le­go­ri­scher Rede hüllt.


1 Die Par­al­le­le zu Dan­tes In­fer­no, an des­sen Be­ginn das Dich­ter-Ich sich eben­falls in einem dich­ten Wald bzw. Ge­strüpp ver­irrt, liegt m. E. auf der Hand.

2 Hier wird ein an­ti­ker Streit auf­ge­grif­fen, der schon bei Ci­ce­ro und Pli­ni­us dis­ku­tiert wird; vgl. dazu S. 37f der Aus­ga­be.

 

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