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Bildanalyse und Text-Bild-Vergleich

Obwohl oder gerade aufgrund der großen Bilderflut, mit der sich unsere SuS heute kon-frontiert sehen, greifen Formen von visuellem Analphabetismus um sich. Bilder, Motive und Symbole können häufig nicht oder nicht richtig gedeutet werden. Ziel muss es daher sein, die Rezeption von Bildern zu entschleunigen, um so Bilder ‚les-‘ und verstehbar zu machen. Gerade im Mittelalter, als viele Menschen nicht lesen konnten, kam Bildern eine wichtige Funktion für die Vermittlung religiöser und narrativer Inhalte zu. Daher nimmt die Analyse von Bildern in Verbindung mit der Textarbeit eine wichtige Rolle in dieser Lektüre-Ausgabe ein.

Wie beim Erwerb von Interpretationstechniken sollen die entsprechenden Kompetenzen stufenweise aufgebaut werden: Zunächst werden einfache Suchaufgaben zur Identifikation dargestellter Realien und Details mit der Arbeit an lateinischen oder zweisprachigen Texten verbunden (Titelbild und Bergaltar von Annaberg-Buchholz), eine gerade am Beginn der Bildanalyse sehr motivierende Aufgabe nach dem Prinzip von ‚Wimmelbildern‘. Diese werden durch komplexere Aufgaben zur Darstellungsweise sowie zur Erarbeitung der Bild-Aussage im Vergleich mit der Textaussage ergänzt.

Bereits bei der Auseinandersetzung mit dem Titelkupfer soll auch deutlich werden, dass Bilder ein Medium mit eigenen Gesetzmäßigkeiten sind, die sich von denen eines Textes unterscheiden. Daher ist hier die zunächst trivial erscheinende Frage zu beantworten: Was stellt das Bild dar, was der Text nicht zeigt, und umgekehrt? – Die Frage nach den Gründen dafür sollen von den SuS im jeweiligen Medium gesucht werden: So erlaubt das Titelbild (ursprünglich ein Holzschnitt, der nur eine relativ grobe Linienzeichnung zulässt) einzig die Darstellung einer begrenzten Anzahl an Details und auch an Figuren. Außerdem ist ein Bild meist auf die Darstellung eines Moments beschränkt, Handlungsfolgen können mit Bildmitteln nur schwer umgesetzt werden. Das Titelbild wählt die interessante Möglichkeit des sogenannten kontinuierenden Stils, gemäß dem in einem Bild mehrere Zeitpunkte zusammen dargestellt werden, in diesem Fall der Weg des Einsiedlers mit seinen verschiedenen Stationen.1

Schülerorientierte Bildbetrachtung

Alternativ zur vor allem im Fach Geschichte üblichen Bildbetrachtung, welche die einzelnen Schritte WAS (ist dargestellt)?, WIE (ist es dargestellt)? Und WARUM (bzw. in welcher Absicht ist es so dargestellt)? in klar unterschiedene Phasen trennt, wird hier für die Annäherung an Bilder ein anderes Verfahren vorgeschlagen: das schülerorientierte Schreibgespräch. Diese Methode soll dem Umstand Rechnung tragen, dass Bilder beim Betrachter wertvolle eigene Eindrücke, Emotionen, Assoziationen und Fragestellungen in Gang setzen, die durch eine methodisch gestufte und gelenkte Betrachtung im Unterrichtsgespräch oft verloren gehen.2 Zudem bietet diese Methode die Möglichkeit, dass die SuS sich intensiv und entschleunigt mit den Bildinhalten auseinandersetzen.

Die SuS erhalten jeder eine Kopie des jeweiligen Bildes mit ausreichendem Rand und sollen in Stillarbeit spontane Bildeindrücke, Assoziationen und Fragen notieren oder auch Beobachtetes auf dem Bild markieren. Innerhalb einer Kleingruppe von optimalerweise vier SuS werden die Blätter dann an den Nachbarn weitergegeben, der die formulierten Beobachtungen, Eindrücke und Fragen mit eigenen Vermutungen oder auch Kenntnissen schriftlich beantwortet, präzisiert und weitere Beobachtungen oder auch neu entstandene Fragen ergänzt etc. Spätestens nach der zweiten Runde sollte – vor bei der Einführung der Methode – noch ein Bogen mit Anhaltspunkten für die Bildbetrachtung an alle verteilt werden (s. unten).

Nach der Beendigung des Schreibgesprächs werden die gesammelten Fragen und Beobachtungen gemeinsam im Plenum besprochen – und ggf. mit dem Text verglichen. Die Praxis und deren Evaluation mit den SuS zeigen, dass diese Methode zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Bild führt, die wertvolle Detailbeobachtungen zutage fördert, welche die einzelne Schülerin oder der einzelne Schüler anders nicht gemacht hätte.

Mögliche Anhaltspunkte für die Bildbetrachtung

  • dargestellte Personen: Mimik – Gestik – Körperhaltung – Kleidung – Position und Verhältnis im Raum (oben – unten / hinten – vorne)

  • Raumgestaltung: Vorder- und Hintergrund/Staffelung – Mittelpunkt(e) – Perspektive

  • Farbe: Farbton (Helligkeit, Intensität) – Kontraste – Entsprechungen – Bedeutung (z. B. Blau für Ruhe)

  • Licht und Schatten

  • Sichtachsen: Verbindungslinien zwischen Körperachsen oder auch Raum-Achsen


1 Prominente Beispiele für den kontinuierenden Stil sind die antike Trajanssäule und die Darstellung der Scheidung von Licht und Finsternis an der Decke der Sixtinischen Kapelle.

2 Vgl. Holtermann, Martin 2015: Schülerorientierte Bildbetrachtung im altsprachlichen Unterricht, in AU 6, 2015: Text und Bildbetrachtung, S. 24-28.

 

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