Zur Haupt­na­vi­ga­ti­on sprin­gen [Alt]+[0] Zum Sei­ten­in­halt sprin­gen [Alt]+[1]

Re­zen­si­on

War­ren Ben­nis, Burt Nanus
Füh­rungs­kräf­te, Die vier Schlüs­sel­stra­te­gi­en er­folg­rei­chen Füh­rens
Cam­pus, 1992


Im ers­ten Teil des Bu­ches ist der Schwer­punkt der Un­ter­su­chung auf ein­zel­ne Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten ge­setzt. Im zwei­ten Teil liegt der Ak­zent dar­auf, wie die Füh­rungs­per­so­nen ihre Or­ga­ni­sa­tio­nen er­mäch­ti­gen. Dabei geht es um Fra­gen, wie eine Or­ga­ni­sa­ti­on eine an­ge­mes­se­ne Vi­si­on der Zu­kunft schafft, wie Sinn­ver­mitt­lung ge­stif­tet wird, wie die Füh­rungs­per­son die Be­zie­hun­gen zu den wich­tigs­ten Ele­men­ten eines kom­ple­xen Um­fel­des ge­stal­tet und schließ­lich um die Frage von Lern­pro­zes­sen in einer Or­ga­ni­sa­ti­on.

Ich be­schrän­ke mich in die­sem Lek­tü­re­tipp auf den ers­ten Teil, weil sich der zwei­te Teil weit­ge­hend mit Bei­spie­len aus der Wirt­schaft be­schäf­tigt. Mich in­ter­es­sie­ren die per­sön­li­chen Fak­to­ren am meis­ten und die Um­set­zung der Theo­rie in die Pra­xis muss oh­ne­hin je­weils auf das ei­ge­ne Um­feld an­ge­passt wer­den.

Was macht die Ef­fek­ti­vi­tät einer Füh­rungs­per­sön­lich­keit aus?

Jahr­zehn­te aka­de­mi­scher Ana­ly­sen zur Ge­win­nung einer Füh­rungs­theo­rie haben uns mehr als 350 De­fi­ni­tio­nen von Füh­rung be­schert, Tau­sen­de von em­pi­ri­schen Un­ter­su­chun­gen über Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten wur­den al­lein in den letz­ten 75 Jah­ren durch­ge­führt, aber wir wis­sen immer noch nicht klar, was einen Füh­ren­den von einem Nicht­füh­ren­den un­ter­schei­det.

Um die Schlüs­sel­stra­te­gi­en er­folg­rei­cher Füh­rung zu fin­den, in­ter­view­ten War­ren Ben­nis und Burt Nanus 90 her­aus­ra­gen­de Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten:

60 er­folg­rei­che Wirt­schafts­ka­pi­tä­ne (Prä­si­den­ten, Ge­ne­ral­di­rek­to­ren oder Vor­stands­vor­sit­zen­de), 30 aus dem öf­fent­li­chen Be­reich.

In in­for­mel­len, un­sys­te­ma­ti­schen Ge­sprä­chen wur­den eine Menge Daten ge­sam­melt, aber fol­gen­de drei Fra­gen wur­den allen In­ter­view­ten ge­stellt:

  1. Was sind Ihre Stär­ken und Schwä­chen?
  2. Hat es eine spe­zi­el­le Er­fah­rung oder ein Er­eig­nis in Ihrem Leben ge­ge­ben, das Ihre Füh­rungs­phi­lo­so­phie bzw. Ihren Füh­rungs­stil be­ein­fluss­te?
  3. Wel­ches waren die wich­ti­gen Wen­de­punk­te in Ihrer Lauf­bahn und wie be­ur­tei­len Sie Ihre Ent­schei­dun­gen heute?

Aus den ge­sam­mel­ten Daten kris­tal­li­sier­ten sich all­mäh­lich vier Haupt­the­men her­aus, vier Fä­hig­kei­ten, vier For­men so­zia­ler Kom­pe­tenz, die alle 90 Füh­rungs­fi­gu­ren ver­kör­per­ten:

Stra­te­gie I Mit einer Vi­si­on Auf­merk­sam­keit er­zie­len

Stra­te­gie II Sinn ver­mit­teln durch Kom­mu­ni­ka­ti­on

Stra­te­gie III: Eine Po­si­ti­on ein­neh­men und damit Ver­trau­en er­wer­ben

Stra­te­gie IV: Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit durch (I) ein po­si­ti­ves Selbst­wert­ge­fühl und (II) den Wal­len­da-Fak­tor

Stra­te­gie I Mit einer Vi­si­on Auf­merk­sam­keit er­zie­len

Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten sind die am stärks­ten er­geb­nis­ori­en­tier­ten In­di­vi­du­en der Welt und Re­sul­ta­te zie­hen ihre Auf­merk­sam­keit auf sich. Ihre Zu­kunfts­per­spek­ti­ven sind mit­rei­ßend und zie­hen die Men­schen an, In­ten­si­tät ge­kop­pelt mit En­ga­ge­ment hat eine ma­gne­ti­sche Wir­kung. Eine helle, in­ten­si­ve Flam­me brennt in sol­chen Per­sön­lich­kei­ten. Sie we­cken aber nicht nur Auf­merk­sam­keit, son­dern schen­ken an­de­ren auch Auf­merk­sam­keit.

In­ter­ak­ti­on zwi­schen Füh­ren­den und Ge­führ­ten, sie holen aus ihrem Ge­gen­über das Beste her­aus. (Hin- und Her­strö­men von En­er­gie)

Stra­te­gie II Sinn ver­mit­teln durch Kom­mu­ni­ka­ti­on

Viele Men­schen haben man­nig­fal­ti­ge und dif­fe­ren­zier­te Ziel­set­zun­gen, aber ohne Kom­mu­ni­ka­ti­on sind sie nicht zu ver­wirk­li­chen. Er­folg er­for­dert die Fä­hig­keit, ein über­zeu­gen­des Bild eines wün­schens­wer­ten Zu­stands zu ver­mit­teln - jene Art von Bild, das bei an­de­ren Be­geis­te­rung und En­ga­ge­ment aus­löst.

Wie ver­mit­telt man Ziel­vor­stel­lun­gen? Wie bringt man ein Pu­bli­kum dazu, eine Idee an­zu­er­ken­nen und zu ak­zep­tie­ren?

Die Mit­ar­bei­ter müs­sen fest um­ris­se­ne Ziele er­ken­nen kön­nen, um sich dafür ein­zu­set­zen. Or­ga­ni­sa­tio­nen brau­chen einen Sinn­ge­halt , über den sich alle einig sind, und eine In­ter­pre­ta­ti­on der Rea­li­tät, die eine ko­or­di­nier­te Hand­lungs­wei­se er­leich­tert.

Die Füh­rungs­per­so­nen ar­ti­ku­lie­ren und de­fi­nie­ren, was zuvor im­pli­zit oder un­ge­sagt ge­blie­ben ist, dann er­fin­den sie Sinn­bil­der, Me­ta­phern, Mo­del­le, die die Auf­merk­sam­keit auf neue Brenn­punk­te kon­zen­trie­ren.

Stra­te­gie III: Eine Po­si­ti­on ein­neh­men und damit Ver­trau­en er­wer­ben

Mit dem Be­zie­hen eines Stand­punk­tes sind jene Hand­lun­gen ge­meint, die nötig sind, um die Vi­si­on, d.h. die Ziel­per­spek­ti­ven der Füh­rungs­per­son zu ver­wirk­li­chen. Durch das Fest­hal­ten am ge­wähl­ten Kurs (Ste­tig­keit, Zu­ver­läs­sig­keit) er­wirbt die Füh­rungs­per­son Ver­trau­en, ihr Ver­hal­ten ist ein Bei­spiel für das idea­le Han­deln.

Stra­te­gie IV: Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit durch (I) ein po­si­ti­ves
Selbst­wert­ge­fühl und (II) den Wal­len­da-Fak­tor

Spit­zen­ma­na­ger ver­brin­gen etwa 90 % ihrer Ar­beits­zeit mit an­de­ren und be­schäf­ti­gen sich wäh­rend eines fast eben­so gro­ßen Teils ihrer Zeit mit der Ver­wor­ren­heit der zwi­schen­mensch­li­chen Pro­ble­me.

Von ent­schei­den­der Be­deu­tung ist der rich­ti­ge Um­gang mit sich selbst. Ohne die­sen kön­nen Füh­rungs­kräf­te mehr Scha­den als Nut­zen stif­ten. Eben­so wie in­kom­pe­ten­te Ärzte kön­nen in­kom­pe­ten­te Ma­na­ger an­de­re Men­schen kran­ker und en­er­gie­lo­ser ma­chen.

Ei­ge­ne Stär­ken zu er­ken­nen und Schwä­chen zu kom­pen­sie­ren, das sind die ers­ten Schrit­te zur Er­rei­chung eines po­si­ti­ven Selbst­wert­ge­fühls (i. Sinne von den ei­ge­nen Wert er­ken­nen-Stär­ken-Schwä­chen-Wert für die ent­spre­chen­de Or­ga­ni­sa­ti­on). Ein wei­te­rer Schritt ist mit Be­harr­lich­keit an sei­nen Ta­len­ten zu ar­bei­ten und sie zur Ent­fal­tung zu brin­gen, sich ver­ant­wort­lich zu füh­len für die ei­ge­ne Wei­ter­ent­wick­lung.

Ef­fek­ti­ve Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten ler­nen, ihre Un­zu­läng­lich­kei­ten zu be­he­ben, bevor ihnen diese ge­fähr­lich wer­den kön­nen, oder sie scha­ren ein Team um sich, das ihre ei­ge­nen Schwä­chen ab­deckt und kom­pen­siert, oder sie neh­men den Job erst gar nicht an. Das heißt, sie haben die Fä­hig­keit, die Über­ein­stim­mung zwi­schen den ei­ge­nen Qua­li­fi­ka­tio­nen und den Er­for­der­nis­sen eines Jobs zu be­ur­tei­len.

Men­schen, die die­ses Selbst­wert­ge­fühl haben, leis­ten Gutes in ihrem Beruf, sie haben die nö­ti­gen Qua­li­fi­ka­tio­nen. Ihre Ar­beit macht ihnen Freu­de, sie sind stolz auf ihre Ar­beit, sie zeugt von ihrem Wert­sys­tem. Bei den Mit­ar­bei­tern kön­nen sie Re­spekt für an­de­re aus­lö­sen.

Po­si­ti­ves Selbst­wert­ge­fühl hängt mit emo­tio­na­ler Weis­heit zu­sam­men: Be­geis­te­rung für Men­schen, Spon­ta­nei­tät, Phan­ta­sie und eine un­be­grenz­te Fä­hig­keit, neue Ver­hal­tens­wei­sen zu ler­nen.

Men­schen mit emo­tio­na­ler Weis­heit be­die­nen sich fol­gen­der Fä­hig­kei­ten:

  1. Men­schen so zu ak­zep­tie­ren, wie sie sind und nicht wie man sie haben möch­te,
    in die Haut des an­de­ren schlüp­fen, zu ver­ste­hen, statt sie zu be­ur­tei­len
  2. Fä­hig­keit, an Be­zie­hun­gen und Pro­ble­me ge­gen­warts­be­zo­gen und nicht ver­gan­gen­heits­ori­en­tiert her­an­zu­ge­hen, vor­bei ist vor­bei, Feh­ler nicht auf­wär­men.
  3. Men­schen in der en­ge­ren Um­ge­bung mit der­sel­ben höf­li­chen Auf­merk­sam­keit zu be­han­deln, die man Frem­den und flüch­ti­gen Be­kann­ten ent­ge­gen­bringt. (Pro­blem der "Über­ver­traut­heit") Das Pro­blem, dass man nicht mehr auf das Ge­sag­te hört: Se­lek­ti­ve Taub­heit führt zu Miss­ver­ständ­nis­sen, Fehl­deu­tun­gen und Feh­lern. Keine Rück­mel­dung wird ge­ge­ben, um dem Be­tref­fen­den un­se­re Auf­merk­sam­keit zu si­gna­li­sie­ren
  4. Fä­hig­keit, an­de­ren zu ver­trau­en, selbst wenn das Ri­si­ko groß scheint. Eine Über­do­sis von Ver­trau­en ist auf län­ge­re Frist wei­ser, als zu un­ter­stel­len, dass die meis­ten Men­schen in­kom­pe­tent oder un­auf­rich­tig seien.
  5. Fä­hig­keit, ohne stän­di­ge Zu­stim­mung und An­er­ken­nung sei­tens an­de­rer aus­zu­kom­men. Es soll­te im Grun­de keine Rolle spie­len, wie viele Men­schen eine Füh­rungs­per­son mögen. Wich­tig ist die Qua­li­tät der Ar­beit, die durch Zu­sam­men­ar­beit mit an­de­ren zu­stan­de kommt.

 

Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit durch den Wal­len­da-Fak­tor

Karl Wal­len­da, Draht­seil­ar­tist, 1968: Auf dem Draht­seil zu ste­hen heißt Leben, alles an­de­re ist War­ten

Wal­len­da setz­te sein Leben aufs Spiel, sooft er sich auf das Seil begab, er kon­zen­trier­te sich nur auf den Er­folg , auf die Auf­ga­be . Ein­mal (1978) als er seine ganze En­er­gie dar­auf kon­zen­trier­te, nicht ab­zu­stür­zen, statt dar­auf, das Seil zu über­que­ren, war sein Fehl­tritt bei der Über­que­rung eines 25 Meter hohen Draht­seils in Pu­er­to Rico prak­tisch vor­pro­gram­miert.

Der Wal­len­da-Fak­tor be­trifft die Be­ur­tei­lung des kon­kre­ten Aus­gangs einer Un­ter­neh­mung. Um er­folg­reich Füh­rung aus­zu­üben, muss eine Kom­bi­na­ti­on von po­si­ti­vem Selbst­wert­ge­fühl und Op­ti­mis­mus in Bezug auf ein ge­wünsch­tes Re­sul­tat vor­han­den sein.

Wie re­agie­ren Füh­rungs­kräf­te auf Miss­er­folg?

Sie den­ken ein­fach nicht an Miss­er­folg, sie be­nut­zen nicht ein­mal das Wort und grei­fen statt­des­sen zu Syn­ony­men: Feh­ler, Miss­griff, Rein­fall, Flop, Ver­se­hen, Aus­rut­scher, Schnit­zer, Rück­schlag.

Für eine er­folg­rei­che Füh­rungs­kraft ist so ein Pat­zer ein An­fang, das Sprung­brett der Hoff­nung, eine Chan­ce und nicht das Ende der Welt.

Miss­er­folg ver­sus Ler­nen

So­wohl das po­si­ti­ve Selbst­wert­ge­fühl als auch der Wal­len­da-Fak­tor be­zie­hen sich auf Re­sul­ta­te: Wie kom­pe­tent bin ich?- Habe ich das rich­ti­ge Zeug an­zu­bie­ten? Was für ein Bild mache ich mir vom Er­geb­nis, vom Aus­gang mei­ner Be­mü­hun­gen?

Füh­rungs­kräf­te mit einem po­si­ti­ven Selbst­wert­ge­fühl und einem auf­ge­schlos­se­nen Um­feld (Op­ti­mis­mus in Bezug auf ein ge­wünsch­tes Re­sul­tat) kön­nen selbst­si­cher und an­ge­mes­sen han­deln.

 

Wie wirkt sich die­ser Füh­rungs­stil auf die Mit­ar­bei­ter aus?

Füh­rungs­per­so­nen be­fä­hi­gen an­de­re, Ab­sich­ten in die Wirk­lich­keit um­zu­set­zen und dies durch­zu­hal­ten, sie schaf­fen eine Vi­si­on, die ihren Mit­ar­bei­tern das Ge­fühl ver­mit­telt, im ak­ti­ven Zen­trum der so­zia­len Ord­nung zu ste­hen, be­deut­sam zu sein .

Ein sol­cher Füh­rungs­stil spricht Men­schen an, er­füllt sie mit En­er­gie, mo­ti­viert durch Iden­ti­fi­zie­rung und nicht durch Be­loh­nung und Be­stra­fung.

Hil­de­gard Sta­del­mai­er, Aka­de­mie­re­fe­ren­tin