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Rezension

Reinhard K. Sprenger
Aufstand des Individuums. Warum wir Führung komplett neu denken müssen
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2000


Das Buch – "eine Liebeserklärung an den Einzelnen" – wendet sich an Führungskräfte und fordert sie zu einem tief greifendem Umdenken auf. Gefragt ist nicht mehr das Spielen auf der althergebrachten Klaviatur der Führungstechniken, sondern der absolute Blick auf das Individuum. Sprenger sieht einen tief greifenden Wandel im Bereich "Führung" kommen, der sich für ihn in dem Gegensatzpaar vom "egalisierenden" und "individualisierenden" Unternehmen äußert. Ersteres ist zum Untergang verurteilt, dem letzteren gehört nach der Autorenmeinung die Zukunft.

Im ersten Teil "Das egalisierende Unternehmen oder die Krise hat einen Namen" rechnet Sprenger mit allem ab, was in den letzten Jahren modisch zur optimalen Führung gehört hat: Coaching ("oder wie man aus Unternehmen Kindertagesstätten macht"),

360-Grad-Beurteilung("oder der unheimliche Charme der Totalüberwachung"), Mitarbeiterbefragungen ("Wer nichts zu sagen hat, wird befragt.", 103),

Teamarbeit ("Die Gruppe kollektiviert immer Schwäche, niemals Stärke", 136), Zielvereinbarungen ("erzeugen eine Scheinobjektivität", 153),

um einige Beispiele zu nennen – nichts bleibt vor dem kritischen Blick des Autors bestehen. Bestechend präzis formuliert und mit treffenden Beispielen versehen wird Kritik nicht nur formuliert, sondern zuweilen geradezu zelebriert. Genüsslich wird die "lernende Organisation" zum "Etikett ohne praktische Konsequenzen", "die Rede von der "Vertrauenskultur" ... eine rhetorische Pointe, aber keine ernst zu nehmende unternehmensgestaltende These"(24). Mit dem Insiderblick – Sprenger berät DAX-Unternehmen - greift der Autor Beispiele aus dem bundesdeutschen Führungsalltag auf und rechnet mit Führungstechniken ab, die letztlich doch dazu dienen sollen, die Zustände ja nicht zu ändern. Dem stellt Sprenger seinen "kategorischen Imperativ des Individuums gegenüber: "Suche deine eigene Einsicht und folge ihr!" (19).

Sprenger sieht wirtschaftlich gesehen eine "Ära des experimentellen Kapitalismus" (59) auf uns zukommen. Neue Prinzipien dieser Phase sind dann "lokale Verhandlung, gemischte Zuständigkeit und vorläufige Versuche" (59). Daraus ergeben sich die Forderungen nach mehr Selbstverantwortung, Eigeninitiative und unternehmerischer Kraft.

Der zweite Teil der Abhandlung stellt "individualisierende Unternehmen" in den Fokus. Dies sind Unternehmen, die es aushalten, sich selbst als Organisation in Frage zu stellen (185) und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Freiraum zur persönlichen Arbeitsgestaltung zu geben. Sprenger sieht Führung in einem Unternehmen "im quantitativen Sinne" als überflüssig an, nicht dagegen im qualitativen (186). Er definiert gute Führungskräfte folgendermaßen: "Sie gehen ihren eigenen Weg." (188) Dadurch werden sie authentisch und überzeugend. Durch ihr unverwechselbares Sein gewinnen sie Menschen, die ihnen freiwillig nachfolgen – über die historischen Probleme damit in Deutschland ist sich Sprenger durchaus bewusst. Akzeptanz der Führungskraft erfolgt nicht aus der Position, sondern aus der Person. Führung legitimiert sich dann letztlich aus der Akzeptanz der Mitarbeiter. Damit gewinnt auch das Paradigma des individualisierenden Unternehmens seine Relevanz für die Führungskraft: Sie ist aufgerufen, "den für sich selbst besten Weg zu finden", sich nicht irgendeinem wie auch immer ‚erlernbaren‘ Führungsstil zu unterwerfen. Wichtig wird es dagegen, die eingefahrenen Prozesse zu stören (198), sich nicht auf den Erfolgen von gestern auszuruhen. Sprenger bringt das auf die einprägsame Formel "Nichts ist so problematisch für den Erfolg von morgen wie der Erfolg von gestern."(199) Der Führungsauftrag wird zum Störauftrag für routineanfällige Mitarbeiter. Es geht dabei allerdings nicht darum als Störenfried die Belegschaft zu irritieren – Alternativen müssen schon angeboten werden, damit die Mitarbeiter neu wählen und damit neue Kraft für einen kommenden Prozess schöpfen können.

Den althergebrachten Führungstechniken stellt Sprenger die "individuelle Führung" gegenüber, die weiß, "dass, wenn organisatorische und individuelle Lebensbedürfnisse besser harmonieren, beide etwas davon haben: der Einzelne und das Unternehmen"(279). Zugespitzt liest sich das bei Sprenger so: "Individuelle Führung ist mithin vor allem Führung ohne Instrumente. Führung ohne Leitbilder."(282).

Sprengers Fazit ist ganz versöhnlich: ""Wir brauchen eine starke Führung, die den Wandel, den Zweifel, das Widersprüchliche begrüßt, die das Individuelle nicht als Bedrohung erlebt, die selbstverantwortliche Menschen schätzt, die Unsicherheit als Chance begreift. (...) Anspruchsvolle Führung im doppelten Sinn: die hohe Ansprüche an Mitarbeiter stellt und an sich selbst, Führung, die in die Verantwortung geht, und ihre Aufgabe nicht in skandalöser Weise an scheinobjektive Instrumente abtritt." (283)

Auch wenn alles nicht ganz neu erscheint – dass Führung zuallererst Selbsterziehung bedeutet ist zumindest seit der Reformpädagogik und Sprengers früheren Veröffentlichungen (z. B. "Das Prinzip Selbstverantwortung") bekannt – gibt der Autor doch eine Menge Denkanstösse, ist vergnüglich zu lesen, regt zum Nachdenken an. Und das tut nicht nur Führungskräften gut...