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Re­zen­si­on

Spren­ger, Rein­hard K.
My­thos Mo­ti­va­ti­on, Wege aus der Sack­gas­se
Frank­furt/New York ,Cam­pus Ver­lag, 13. Aufl. 2000


Rein­hard Spren­gers Werk ist ein Buch aus der Pra­xis für die Pra­xis, denn "es ent­stand gleich­sam auf den Bei­fah­rer­sit­zen sei­ner Au­ßen­dienst-Mit­ar­bei­ter, No­tiz­block und Zet­tel auf den Knien, von einem Kun­den zum an­de­ren fah­rend."(a.a.0. S.8)

Spren­gers An­satz, "Je mehr ver­sucht wird, Mo­ti­va­ti­on zu kau­fen, desto schwä­cher die Füh­rung, desto be­droh­ter das Un­ter­neh­men", deckt sich mit den Er­geb­nis­sen von Pro­fes­sor Alfie Kohn von der Har­vard Uni­ver­si­tät, die die­ser in sei­nem Buch "Pu­nis­hed by Re­wards" 1993 ver­öf­fent­lich­te.

Spren­ger führt aus, dass es welt­weit keine Stu­die gibt, die eine dau­er­haf­te Leis­tungs­stei­ge­rung durch An­reiz­sys­te­me nach­ge­wie­sen hätte. Für ihn brei­tet sich Be­am­ten­men­ta­li­tät ge­ra­de dort aus, wo Füh­rung nicht aktiv über­nom­men wird.

In den ers­ten bei­den Ka­pi­teln "Sich­tun­gen" und "Ent­lar­vun­gen" über­wie­gen die kri­ti­schen Töne. Der Autor ver­sucht, die sub­ti­le, fas­zi­nie­ren­de und zu­gleich trü­ge­ri­sche Logik, das "tust Du mehr, be­kommst Du mehr" zu ana­ly­sie­ren und nach­zu­wei­sen, dass sie an un­über­wind­ba­ren Schwä­chen lei­det. Er ver­tritt die These, dass "alles Mo­ti­vie­ren De­mo­ti­vie­ren ist."(a.a.0. S.13)

Spren­ger legt dar, dass mit­ver­ant­wort­lich für das Nicht­funk­tio­nie­ren her­kömm­li­cher Mo­ti­va­ti­ons­stra­te­gi­en, die dar­auf ab­ziel­ten, die Mit­ar­bei­ter zu be­ein­flus­sen, zu len­ken, gar zu ma­ni­pu­lie­ren, der Wer­te­wan­del bzw. die ver­än­der­te Ein­stel­lung der Men­schen zu den Wer­ten ist. Ar­beit, die Sinn macht, hat eine si­gni­fi­kant hö­he­re Be­deu­tung ge­gen­über Sta­tus, Geld und Kar­rie­re. Heute sucht man eine Tä­tig­keit, deren Ziel­set­zung man ak­zep­tiert und die sinn­voll für das ei­ge­ne Leben ist.

Trotz zu­neh­men­der Frei­zei­tori­en­tie­rung des Le­bens fin­det die be­fürch­te­te Leis­tungs­ver­wei­ge­rung im Be­rufs­le­ben nicht statt. Im Ge­gen­teil, das Be­dürf­nis, im Beruf etwas zu leis­ten, was Sinn und Spaß macht, ist grö­ßer denn je.

Spren­ger stellt die These auf, dass der Kern des Wer­te­wan­dels die gleich­sam un­frei­wil­li­ge kom­pen­sa­to­ri­sche Wert­er­fül­lung in der Frei­zeit ist. Er for­mu­liert pro­vo­kant, dass die alt­her­ge­brach­ten An­reiz-Sys­te­me, die sich hin­ter di­ver­sen Mo­ti­va­ti­ons­stra­te­gi­en ver­ber­gen, den Men­schen nicht ernst neh­men, so dass er in dem Ver­such der Mo­ti­vie­rung die mas­sen­haf­te Ver­füh­rung zur in­ne­ren Kün­di­gung sieht.

Glaub­wür­dig­keit, Au­then­ti­zi­tät und mensch­li­che In­te­gri­tät sind heute die vor allem von jün­ge­ren Ar­beit­neh­mern meist­ge­such­ten Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten; die­sem An­spruch der Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter, die bes­ser aus­ge­bil­det sind als frü­her und sich als den­ken­de, kri­tik­fä­hi­ge In­di­vi­du­en ins Un­ter­neh­men ein­brin­gen wol­len, sind viele Top-Ma­na­ger nicht ge­wach­sen. Mit der alten Feld­her­ren­men­ta­li­tät, so Spren­ger, lässt sich heute nicht mehr füh­ren und schon gar nicht mo­ti­vie­ren. Ins­be­son­de­re die "high po­ten­ti­als", die Bes­ten, kann man damit nicht kö­dern. Sie wol­len ernst ge­nom­men wer­den.

Spren­ger teilt das vie­len Mo­ti­va­ti­ons­stra­te­gi­en zu­grun­de lie­gen­de Men­schen­bild nicht, das er wie folgt be­schreibt:

  • Men­schen sind ten­den­zi­ell Leis­tungs­ver­wei­ge­rer
  • Men­schen sind ge­staf­fel­te Be­dürf­nis­bün­del
  • Men­schen sind Reiz-Re­ak­ti­ons-Ma­schi­nen

Die von vie­len Füh­rungs­kräf­ten ge­stell­te Frage "Wie komme ich an die ganze Leis­tungs­kraft mei­nes Mit­ar­bei­ters?" im­pli­ziert, dass der Mit­ar­bei­ter von sich aus dem Un­ter­neh­men nicht alles geben möch­te. Spren­ger ver­gleicht diese Hal­tung sehr über­zeu­gend mit dem Spruch von Se­ne­ca "Man­che haben an­de­ren das Be­trü­gen bei­ge­bracht, weil sie fürch­te­ten, be­tro­gen zu wer­den". Der Ur­sprung der Mo­ti­vie­rung im her­kömm­li­chen Sinn ist für Spren­ger die be­haup­te­te oder be­ob­ach­te­te Lücke zwi­schen tat­säch­li­cher und mög­li­cher Ar­beits­leis­tung und speist sich aus me­tho­di­schem Miss­trau­en, denn Miss­trau­en, so for­mu­liert Spren­ger sehr pro­vo­zie­rend, ist die In­tel­li­genz der Be­nach­tei­lig­ten und Ent­täusch­ten.

Den zwei­ten Teil sei­nes Bu­ches wid­met Spren­ger dem Ge­gen­ent­wurf. Er geht im Ge­gen­satz zu den her­kömm­li­chen Be­loh­nungs­stra­te­gi­en von einem po­si­ti­ven Men­schen­bild aus, das ge­kenn­zeich­net ist durch Leis­tungs­wil­len und -be­reit­schaft und durch eine hohe Mo­ti­va­ti­on, und rückt vor die­sem Hin­ter­grund die Füh­rungs­kraft und deren Hand­lun­gen mit den mög­li­chen Aus­wir­kun­gen auf die Leis­tungs­be­reit­schaft sowie die Mo­ti­va­ti­on in den Vor­der­grund. Stellt man sich die Frage: "Wie kann ich als Füh­rungs­kraft die De­mo­ti­va­ti­on mei­ner Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter ver­hin­dern?", wird die an­de­re Per­spek­ti­ve deut­lich. An die Stel­le der Ver­füh­rung setzt er die der An­for­de­rung, der Ver­ein­ba­rung und des Kon­sens-Ma­nage­ments, denn "alle Men­schen ver­fü­gen grund­sätz­lich über krea­ti­ve En­er­gie, die nach Ent­fal­tung drängt."

Als Beleg für die grund­sätz­lich vor­han­de­ne Be­reit­schaft des Men­schen zu ar­bei­ten führt Spren­ger Bei­spie­le aus dem Non-Pro­fit-Be­reich an wie z.B. das Rote Kreuz, ka­ri­ta­ti­ve und kirch­li­che Ein­rich­tun­gen oder den Brei­ten­sport, Be­rei­che also, in denen Men­schen her­vor­ra­gen­de eh­ren­amt­li­che Ar­beit leis­ten.

Der Wan­del in der Ge­sell­schaft und der Wirt­schaft er­for­dert nach Rein­hard Spren­ger als "Al­ler­ers­tes Vor­ge­setz­te, die wil­lens sind den Dia­log zu füh­ren" (...) und "dazu auch fähig sind" (a.a.0. S.193). Dia­log­fä­hig­keit ist aber kein Trick, keine Tak­tik, son­dern zu­erst eine Frage der in­ne­ren Ein­stel­lung.

Füh­rung durch Kom­mu­ni­ka­ti­on ist heute ein ge­flü­gel­tes Wort, doch wird damit oft nur die In­for­ma­ti­on, die Ein­weg-Kom­mu­ni­ka­ti­on ge­meint, im Ge­gen­satz zu der auf Ge­gen­sei­tig­keit be­ru­hen­den Zwei­weg-Kom­mu­ni­ka­ti­on. Eine dia­lo­gi­sche Ein­stel­lung lebt vom of­fe­nen kom­mu­ni­ka­ti­ven Aus­tausch und för­dert Be­schlüs­se auf brei­tem Kon­sens.

Nach Spren­ger kann man erst dann si­cher sein, dass ein Ge­spräch ein ech­ter Dia­log war, wenn man aus dem Ge­spräch an­ders her­aus­kommt, als man hin­ein­ge­gan­gen ist, denn ein Dia­log, aus dem man un­ver­än­dert her­aus­kommt, war kei­ner, hat doch nie­mand alle Wahr­heit für sich ge­pach­tet.

Diese Art der dia­lo­gi­schen Füh­rung fällt vie­len Füh­rungs­kräf­ten schwer, denn ein Nach­ge­ben oder Ein­ge­hen auf die Ar­gu­men­te des an­de­ren wird doch nur allzu oft als Schwä­che ge­se­hen. Und hier liegt die Krux. Dia­lo­gi­sche Füh­rung nimmt die Mit­ar­bei­ter ernst, denn ihre Vor­schlä­ge und Ideen flie­ßen maß­geb­lich in die Ent­schei­dun­gen ein, und das Mo­ti­va­ti­ons­ni­veau und die Leis­tungs­be­reit­schaft der Mit­ar­bei­ter bleibt hoch.

Für den Ver­fas­ser kann man Men­schen nicht mo­ti­vie­ren, son­dern man muss, ins­be­son­de­re als Füh­rungs­kraft, ver­su­chen, De­mo­ti­va­ti­on z.B. durch Pe­dan­te­rie, man­geln­de Glaub­wür­dig­keit, Nicht-Zu­trau­en, In­fra­ge­stel­lung der Selb­stän­dig­keit, Ma­chen statt Las­sen, Un­ter­for­de­rung, Sinn­lo­sig­keit der Ar­beit oder man­geln­den Frei­raum etc. ver­mei­den, denn nicht um­sonst heißt es, am Schluss habe jeder Chef die Mit­ar­bei­ter, die er ver­dient.

An den Schluss ge­setzt sei ein Zitat von Rein­hard Spren­ger:

"Mo­ti­va­ti­on ist un­wi­der­sprech­lich Sache des Ein­zel­nen. Ihr Frei­raum zu geben ist Sache der Füh­rung." (a.a.0. S.251)

Auch im schu­li­schen Be­reich hört man auf Sei­ten der Füh­rungs­kräf­te häu­fig Fra­gen wie diese: Wie kann ich meine Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen mo­ti­vie­ren? Wie hole ich je­man­den aus der in­ne­ren Emi­gra­ti­on? Häu­fig er­seh­nen sich Füh­rungs­kräf­te ge­ra­de in die­sem Be­reich die Mög­lich­kei­ten der frei­en Wirt­schaft, weil sie glau­ben, mit den An­reiz­sys­te­men der In­dus­trie sei es leich­ter, die Mo­ti­va­ti­on der Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zu er­hal­ten. Ge­ra­de des­halb ist Rein­hard Spren­gers Buch in­ter­es­sant für Füh­rungs­kräf­te aus dem Schul­be­reich, denn er nimmt die gän­gi­ge Pra­xis in der In­dus­trie kri­tisch unter die Lupe und zeigt neue Wege auf, die ge­eig­net sind, die Mo­ti­va­ti­on der Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen nach­hal­tig zu er­hal­ten, oder um es mit Rein­hard Spren­ger zu sagen, die ge­eig­net sind, Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen nicht zu de­mo­ti­vie­ren.

Bir­git Ja­e­ger-Goll­wit­zer, Aka­de­mie­re­fe­ren­tin