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Rezension

Radatz, Sonja:
Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen.
Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten.
Wien. 4. Auflage 2006


"Jeder von uns hat schon zu oft erlebt, welche Wirkung gut gemeinte Ratschläge auslösen: Einerseits sollten Sie dafür dankbar sein - (…) andererseits passen Ratschläge von außen nie wirklich genau auf die eigenen Probleme."

Das lässt sich lösen, denn Coaches sind nicht für Ratschläge zuständig. Eher für gute Fragen. Sonja Radatz, Leiterin des Instituts für systemisches Coaching und Training in Wien und Autorin führt uns zur Verdeutlichung zunächst in systemisch-konstruktivistische Grundlagen ein, die für Coachingprozesse relevant sind, klärt die Haltung, schildert Gesprächsabläufe für Coachingprozesse und gibt außerdem praxisnahe Hinweise zur Gestaltung. Insgesamt ist Sonja Radatz deutlich für den Bereich Einzelcoaching und ihrem systemischen Ansatz verpflichtet. Dieser wird zu Beginn gut nachvollziehbar vorgestellt und abgegrenzt. 

Der Bogen dabei ist weit gespannt:

  • systemisch-konstruktivistisches Denken als Grundlage

  • Was ist Coaching?

  • Rahmenbedingungen von Coachings

  • Ablauf eines Coachinggesprächs

  • Systemische Fragemethoden im Coaching

  • Coaching-Konzepte für die Praxis

  • Coaching-Gespräche in der Praxis

  • Eigencoaching-Konzepte

Konstruktivistisches Denken geht davon aus, dass es die objektive Wirklichkeit nicht gibt, sondern jeder von uns sich "seine Wirklichkeit konstruiert". Deutlich wird das meist anhand von Missverständnissen oder durch ein Gespräch, bei dem man sich gegenseitig sein Verständnis der vielleicht gemeinsam verwendeten Begriffe erklärt. Oft gehen wir unbedacht davon aus, dass alle Menschen ähnlich denken und eine ähnliche Vorstellung haben.

Ein Beispiel: Wir machen an einer Schule für die dortigen Lehrer/innen eine Umfrage mit der Fragestellung, was "erfolgreiche Mitarbeit einer Lehrkraft" bedeutet. Das Ergebnis ist sicher, dass wir unterschiedliche Antworten bekommen. Soweit ist das nachvollziehbar. Das Interessante: Es gibt bislang keine Absprachen darüber und jede/r handelt genau nach dem eigenen Konzept dessen, was für ihn oder für sie erfolgreiche Mitarbeit bedeutet. Denken wir dann an einen Lehrer dieser Schule, der sich unter Umständen schlecht behandelt fühlt, weil die Anerkennung fehlt. Der Schulleiter sieht das ganz anders. Wer hat Recht? …Beide.

Sonja Radatz nennt solche Fragen Verantwortungsfragen, das sind alle Fragen, die nie nur eine Antwort kennen. Anders gesagt: Alle Fragen, auf die jeder selbst eine Antwort finden muss und diese verantwortet. Jeder beantwortet sie sich auf seine individuelle Art aufgrund seiner Erwartungen, Ziele, Wertvorstellungen und Erfahrungen - oft eine unbewusst getroffene Entscheidung.

Es ist wichtig, über die Bedeutung hinter den Begriffen zu sprechen und damit eine klarere Kommunikation zu ermöglichen. Durch eine solche Aussprache wird gemeinsamer Kontext erst erschaffen.

Der systemische Ansatz, wird deutlich durch die Funktionen und Rollen, die wir einnehmen, die Ziele und Erwartungen, die damit verbunden sind und unser Verhalten im System. Als System gelten hier zum Beispiel die Familie, der Beruf, der Freundeskreis, das Nachbarschaftssystem. Jedes dieser Systeme würde eine Person mit anderen Charakteristika beschreiben, andere Verhaltensweisen wahrnehmen und eben einen bestimmten Ausschnitt der Person wahrnehmen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten des einzelnen und den Rollen und Funktionen, die er gemäß diesem System innehat und die in der Gesamtheit das System bilden. Zum einen ist damit eine große Freiheit angesprochen. "Menschen sind nicht - sie verhalten sich" (S.43). Die Verhaltensmöglichkeiten eines Menschen sind also grundlegend vorhanden. Gleichzeitig sind wir als Menschen auf den Zusammenhang des jeweiligen Systems verwiesen. Wir verhalten uns eben auch so, wie es die Systeme, in denen wir uns befinden zulassen. Oder wie Sonja Radatz es formuliert: "Alle Verhaltensweisen der Welt können von einem Menschen angewandt werden - in Abhängigkeit von den Gestaltungsmerkmalen, die das System jeweils zulässt - so leben also unendlich viele Menschsein-Alternativen bei uns unter einem Dach - in einem Körper!" (S.61)

So verstanden ermöglicht systemisches Coaching Menschen ihr Wahrnehmungsfeld zu erweitern oder zu verändern, indem sie Dinge anders beschreiben, erklären oder bewerten. Neue Denk und Handlungsmuster werden angeregt, auf ihrer Tauglichkeit in der Anwendung geprüft, dadurch können spezifische Problemlösungen entstehen. Und als Kriterium für eine Lösung gilt " Handle stets so, dass sich die Zahl der Alternativen vergrößert!" (S 161)

Stellen Sie sich vor Sie sind auf der Suche nach einem guten Coach. Woran wird sich ihre Wahl entscheiden? Außer spontaner Sympathie unter anderem dadurch, wie er mit dem wesentlichen Instrumentarium eines Coaches umgeht, nämlich ob er gute Fragen stellen kann.

Fragen bei einem Coaching haben eine bestimmte Ausrichtung, Sie bringen den Kunden zum Nachdenken und befriedigen nicht etwa die Neugierde des Coaches. Salopp formuliert liegt der Informationszuwachs also bei demjenigen, der sich beraten lässt!

Sonja Radatz unterscheidet so Reporterfragen von sogenannten Denkfragen, die im Dienste des Kunden stehen. Durch sie erfährt der Kunde selbst etwas Neues, damit sind sie Wegweiser, die eigens passende Lösung zu finden. Die Unterscheidung ist relativ schlicht: Reporterfragen (beispielsweise: "Welche Funktion haben Sie in der Schule?") haben wir schon häufiger beantwortet. Sie bringen dem Coach neue Informationen, die Antwort ist direkt klar. Denkfragen hingegen (beispielsweise: Woran merken Ihre Kollegen, dass sie Ihrer Funktion gemäß gehandelt haben?) brauchen ein wenig Zeit zur Beantwortung. Manchmal ist die Erstreaktion darauf auch ein schlichtes: "Weiss ich nicht!".

Das Buch enthält eine Fülle von Fragen, an denen dies nachvollziehbar aufgezeigt ist, sowie weitere Beispiele systemischer Fragen (zirkuläre Fragen, Skalierungsfragen, Paradoxe Fragen). Außerdem finden sich auf 40 Seiten Coaching-Konzepte, also konkrete Vorschläge für einzelne Coaching-Situationen zur Bearbeitung bestimmter Situationen. Vier beispielhafte Gesprächsprotokolle geben einen Ablauf von Gesprächen wider. Und den Abschluss des Buches bilden Impulse und Fragen für Eigencoachings, um sich selbst in der Außenperspektive einige Fragen zur Klärung stellen zu können.

Kompakt und immer wieder erstaunlich auf den Punkt gebracht ist der Schreibstil, durch zahlreiche Beispiele leicht nachvollziehbar, an manchen Stellen auch mal zu einem Schmunzeln verlockend. Die Kapitel sind jeweils abgeschlossen, das Inhaltsverzeichnis klar gegliedert und ausführlich. Zudem hilft die transparente Gestaltung innerhalb der Kapitel. Einzelne Passagen sind hervorgehoben gestaltet und immer wieder bereichern tabellarische Zusammenstellungen den Fließtext. Ein umfassendes Buch, mit einem guten Theoriekapitel zu systemisch-konstruktivistischen Grundlagen, das anschließend für die Praxis in gut lesbarem Stil geschrieben ist. Mit einem Schatz von Formulierungen von Fragen, die zum (Anders-) Denken anregen.

Silke Bisschop, Akademiereferentin