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Aufgabenorientierung

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

Was ist aufgabenorientierter Fremdsprachenunterricht?

A) Kann man das Leben ins Klassenzimmer holen?

Fall 1
Stellen Sie sich vor, Ihr Nachbar arbeitet bei einer Versicherung. Von Zeit zu Zeit treffen Sie sich im Treppenhaus und  unterhalten sich über dies und das, unter anderem auch über berufliche Dinge, z.B. über Versicherungsfälle, die Ihr Nachbar bearbeitet. Sicherlich werden Sie sich für den ein oder anderen Fall interessieren, zuhören und sich dabei das ein oder andere merken. Jedoch wird Ihr Interesse dann schnell erlahmen, wenn sich das Gespräch darum dreht, wie man einer Versicherung einen Schaden meldet.

Fall 2
Doch stellen Sie sich nun vor, dass Ihnen heute Morgen im Straßenverkehr von hinten jemand aufs Auto aufgefahren ist und Sie den Schaden Ihrer Versicherung melden müssen. Mit wie viel Ungeduld erwarten Sie das Ende des Arbeitstages, um dann nach Ihrer Rückkehr nach Hause zielstrebig an der Tür Ihres Nachbarn zu läuten, um hochmotiviert zu erfragen, wie sie sich jetzt am Besten verhalten sollen und in welcher Form der Schaden gemeldet werden muss. Und da sie am Ende die Schadensmeldung auch korrekt durchführen wollen, um an ihr Geld zu kommen, sind sie nun auch eifrig schon am Telefonieren mit der Versicherung.

Sie haben im zweiten Fall motiviert etwas über Schadensmeldungen bei Versicherungen gelernt und zwar anhand einer konkreten Situation, die Sie persönlich in Form einer kommunikativen Aufgabe (Informationen beim Nachbarn einholen / Telefonat mit der Versicherung) aktiv handelnd bewältigen mussten. Das ist der Grundgedanke aufgabenorientierten Fremdsprachenunterrichts.

B) Aufgabenorientierter Fremdsprachenunterricht

Im aufgabenorientierten Fremdsprachenunterricht geht es um die Bewältigung lebensnaher kommunikativer Aufgaben, sogenannter Lernaufgaben (oft auch synonym bezeichnet als Rahmenaufgabe). So wie sich in Fall 2 plötzlich die Notwendigkeit ergibt, eine Schadensmeldung korrekt durchführen zu können, so werden Schüler bei Lernaufgaben zunächst mit einer kommunikativen Problemsituation konfrontiert, die es zu bewältigen gilt. Die folgende Phase der Informationsbeschaffung bei Ihrem Nachbarn, bevor die eigentliche Schadensmeldung am Telefon erfolgt, entspricht im Fremdsprachenunterricht der Phase der Informationsaufnahme, Beschäftigung mit entsprechenden Lernwegen, Lernstrategien und Hilfsangeboten seitens des Lehrers (z.B. Redemittel) sowie form- und sprachbezogenen Übungen, die in die Lernaufgabe integriert sind. Das Telefonat selbst entspricht dann einer dritten Phase, die das Ziel hat, dass der Lernende am Ende die entsprechende kommunikative Aufgabe selbstständig lösen und durchführen kann.

Bildungsstandards geben vor, zu welchem Zeitpunkt die Schüler über bestimmte Kompetenzen (Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Haltungen) verfügen müssen (im Fach Spanisch als dritte Fremdsprache in Baden-Württemberg z.B. am Ende von Klasse 10 und der Kursstufe). Die sich daraus ergebende Frage ist dann aber noch, wie es methodisch gelingen kann, dass Schüler im Spanischunterricht diese Kompetenzen erwerben. Der aufgabenorientierte Fremdsprachenunterricht bietet dazu einen geeigneten Weg, da es sich um ein methodisches Vorgehen handelt, bei dem nicht nur Wissen aufgenommen und angehäuft, sondern durch entsprechende Lernaufgaben dafür sorgt wird, dass Schüler anwendungsorientiert lernen: Sie stoßen auf kommunikative Probleme, die einen starken Bezug zur Lebenswelt und ein entsprechend hohes Identifizierungspotenzial aufweisen.         
In Form von konkreten Problemstellungen wird der Lernende so angeregt, sich Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Haltungen anzueignen, um dann das gestellte kommunikative Problem sprachlich handelnd und sozial interagierend in Form eines Produktes (z.B. Galerie, Rollenspiel, Brief, Rede, Interview, Werbekampagne usw.) zu bewältigen.

Der aufgabenorientierte Ansatz entwickelte sich bereits in den 1980er Jahren in der Erwachsenenbildung aus einer Unzufriedenheit erwachsener Lerner heraus über die zu einseitige Fixierung auf formbezogene Sprachübungen im traditionnellen Fremdsprachenunterricht, die jedoch nicht auf das „echte“ Leben im Zielland vorbereiteten. Mit der kommunikativen Wende zog deshalb das Prinzip der Handlungsorientierung (Rollenspiele usw.) in den Unterricht ein. Seit der Veröffentlichung des Europäischen Referenzrahmens (2002) und der nachfolgenden Einführung von Bildungsstandards (2004 in Baden Württemberg) rückte der aufgabenorientierte Ansatz wieder ganz neu ins Bewusstsein.
Der europäische Referenzrahmen definiert klar die Forderung, dass Kompetenzen möglichst anhand von Lernaufgaben entwickelt werden sollen, bei denen Schüler anhand von authentischen Kommunikationssituationen lernen, als sozial handelnde Bürger im Zielland kommunikative Situationen bewältigen zu können.

C) Aufgabenorientiert oder nicht? Das ist hier die Frage…

Nicht aufgabenorientiert
Schüler bekommen die Hausaufgabe, als Vorbereitung auf die nächste Lektion, Kleidungsstücke und Farbadjektive zu lernen. Die folgende Stunde beginnt damit, dass Schüler anhand einer Folie mit Abbildungen verschiedener Kleidungsstücken diese und deren Farben benennen müssen.

Aufgabenorientiert
Zu Beginn der Stunde nimmt der Lehrer die Schüler mit auf eine fiktive Reise zu einer Modenschau nach Madrid. Die Schüler stellen sich vor, Journalisten eines Modejournals zu sein. Ihre Aufgabe besteht darin, sich die Modenschau in Madrid anzuschauen und anschließend für ihre Zeitschrift einen kurzen Artikel zu verfassen über zwei Kollektionen Ihrer Wahl (Oberteil / Hose oder Rock / Schuhe / Accessoires), die ihnen am Besten gefallen haben. Die Lernaufgabe ist gestellt.

In einem zweiten Schritt geht es um die Frage der dafür notwendigen Hilfsmittel. Die Schüler bekommen eine Folie projiziert mit Abbildungen von Kleidungsstücken und Farben (Wörter, denen sie jetzt zum ersten Mal begegnen). Die Modenschau beginnt: entweder sehr aufwendig in Form eines youtube-Videos einer echten Modenschau oder schlichter, indem mehrere Schüler vor den Mitschülern zu Musik auf und abdefilieren und Fotos zeigen, die der Lehrer aus einem Modekatalog ausgeschnitten (und für den mehrmaligen Einsatz laminiert) hat.

Die Schüler verfolgen die Modenschau und verfassen anschließend einen kurzen Artikel für ihr Modejournal, in dem sie dem modebewussten Publikum ihre beiden Lieblingskollektionen vorstellen.

Da das Modejournal nur einen Artikel veröffentlichen kann, folgt nun eine Redaktionssitzung. Verschiedene Schüler lesen ihre Artikel laut im Plenum vor, wobei jeweils die Schüler, die auf dem „Laufsteg“ ein Foto präsentiert haben, dann erneut vor die Klasse treten müssen, wenn sie erkennen, dass sich einer der vorgetragenen Artikel auf ihr Foto bezieht. So werden die Kollektionen durch die Schüler nicht nur verbalisiert, sondern sind auch für alle visuell sichtbar und überprüfbar. Die Redaktionssitzung endet mit einer Abstimmung über den Artikel, der veröffentlicht werden soll.

Die Formel aufgabenorientierten Lernens lautet demnach:

  1. Lernaufgabe (= Rahmen) mit kommunikativer Problemstellung wird präsentiert,
  2. Hilfsmittel / Strategien / form- u. sprachbezogene Aufgaben / Wissenserwerb,
  3. Bewältigung der Aufgabe in Form eines Produktes.

Fachdidaktische Literatur mit weiteren Beispielen
Steveker, Wolfgang (2011): Kompetenzorientierte Lernaufgaben . In: Sommerfeldt, Kathrin (Hrsg.) (2011): Spanisch Methodik – Handbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin: Cornelsen Scriptor
Wirth, Götz (2010): Aufgabenorientierter Spanischunterricht – ein Beispiel . In: Der fremdsprachliche Unterricht Spanisch, Heft 29, S.42-48.

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