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Modul 2: Lesen - Grundlagen

Lesen und Lesekompetenz

„Lesen ist kein passiver Prozess der Bedeutungsentnahme, sondern stellt eine aktive Konstruktionsleistung des Individuums dar, bei der die im Text enthaltenen Inhalte aktiv mit dem Vor- und Weltwissen des Rezipienten in Verbindung gesetzt werden. Unter Lesekompetenz wird also mehr verstanden als einfach nur lesen zu können. Während der Begriff der Lesefertigkeit nur die Kompetenz umfasst, Grapheme in Phoneme umzusetzen und damit dekodieren zu können, bezieht sich der Begriff Leseverständnis auf die Kompetenz, aus Geschriebenem den Sinngehalt zu entnehmen, und damit auch auf die Verarbeitung von ganzen Sätzen und Texten. (Rost, 2001).“

In: Förderung von Lesekompetenz. Expertise. Herausgegeben vom Bildungsministerium für Bildung und Forschung. Berlin 2007. S. 11.

Mehrebenenmodell des Lesens

Prozessebene
Wort- und Satzidentifikation, lokale Kohärenz, globale Kohärenz, Superstrukturen und Darstellungsfunktionen erkennen
Subjektebene
Selbstkonzept als (Nicht-) Leser/in: Wissen, Beteiligung, Motivation
soziale Ebene
Anschlusskommunikation (Familie, Schule, Freunde ...)

Nach: Rosebrock, Cornelia/Nix, Daniel: Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen schulischen Leseförderung. Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengehren). 2014, S. 15

Lesestrategien

Phasen des Lesens
Verstehensstrategien
Fördermöglichkeit

I

Vor dem Lesen

Vorwissen einbringen
Cluster
Mind-Map
eigene Erfahrungen

Fragen an den Text stellen
Was will ich über das Thema wissen? (insb. bei Sachtexten)

II

Während des Lesens

Textoberfläche nutzen
Absätzen und Zwischenüberschriften
Kohärenz herstellen Überschriften formulieren
Reihenfolge rekonstruieren
Überwachen des Verständnisses
 

Unklarheiten benennen, Fragen stellen Lesezeichen setzen

Selektives Lesen
Markieren
Informationen entnehmen
Textsortenwissen
Textsortenmerkmale bestimmen
Typisches und Untypisches benennen

III

Nach dem Lesen

Ergänzen/Erweitern des Textinhalts (Inferenzen)
Fragen zu Wörtern, Begriffen und thematischen Aspekten, die einen Informationsmehrwert haben, klären
Reduktion der Informationen
Zusammenfassungen (mündlich/schriftlich)
Wichtiges von weniger Wichtigem trennen
Stichwortzettel

Nach: Fischer, Ute: Lesen auf Stufen. Donauwörth (Auer) 2007. S. 10

Textgrundlage: Hans Christian Andersen, Des Kaisers neue Kleider

Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, dass er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein. Er kümmerte sich nicht um seine Soldaten, kümmerte sich nicht um Theater und liebte es nicht, spazieren zu fahren, außer um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und ebenso wie man von einem König sagt, er ist im Rate, so sagte man hier immer: "Der Kaiser ist in der Garderobe!"

In der großen Stadt, in welcher er wohnte, ging es sehr munter zu; an jedem Tage kamen viele Fremde da an. Eines Tages kamen auch zwei Betrüger; sie gaben sich für Weber aus und sagten, dass sie das schönste Zeug, was man sich denken könne, zu weben verstanden. Die Farben und das Muster seien nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, besäßen die wunderbare Eigenschaft, das sie für jeden Menschen unsichtbar wären, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.

„Das wären ja prächtige Kleider!“, dachte der Kaiser; „wenn ich die anhätte, könnte ich ja dahinterkommen, welche Männer in meinem Reiche zu dem Amte, das sie haben, nicht taugen; ich könnte die Klugen von den Dummen unterscheiden! Ja, das Zeug muss sogleich für mich gewoben werden!' Und er gab den beiden Betrügern viel Handgeld, damit sie ihre Arbeit beginnen möchten. [...]

Weiter siehe Reader: Lesen. Diagnose und Förderung [docx] [269 KB]

Aufgabenbeispiele zu Des Kaisers neue Kleider

Texte erschließen

(1) unterschiedliche Lesetechniken (z.B. diagonal, selektiv, navigierend) und Methoden der Texterschließung anwenden (z.B. markieren , Verständnisfragen formulieren);

  • Markiere beim ersten Durchlesen alle Personen oder Personengruppen. Markiere sie nur an der Stelle, an der sie zum ersten Mal genannt werden.

(2) ihren Leseeindruck und ihr erstes Textverständnis erläutern

  • Der Kaiser läuft nackt durch die Stadt! Erkläre, warum ihn die Leute nicht auslachen.

(3) Inhalte von Texten herausarbeiten und textbezogen erläutern ; einen Text nacherzählen;

  • Bei den beiden Webern handelt es sich um geschickte Betrüger. Erläutere, wie es ihnen gelingt, den Minister, den Staatsmann und den König zu täuschen und zu überlisten.

Texte analysieren

(5) wesentliche Elemente eines Textes (Ort, Zeit, Figuren , Spannungskurve und Aufbau) bestimmen und analysieren;

  • Wähle die fünf wichtigsten Personen aus und notiere zu jeder Figur zwei Charaktereigenschaften.

(7) einzelne sprachliche Gestaltungsmittel beschreiben und in einfachen Ansätzen auf ihre Funktion hin untersuchen;

  • Am Ende der Geschichte heißt es:
    • und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte.
    • „Aber er hat ja nichts an!“, rief zuletzt das ganze Volk.
    • Das ergriff den Kaiser, denn es schien, sie hätten Recht; aber er dachte bei sich: „Nun muss ich die Prozession aushalten.“
    An den drei unterstrichenen Textstellen könnte man auch „sagte“ einsetzen. Erkläre, warum „zischelte“, „rief“ und „dachte“ viel besser passen als „sagte“.

(8) Komik erkennen und untersuchen

  • Stell dir die Situation vor, die in den Zeilen 97-103 beschrieben wird, und erkläre, warum das eine sehr ungewöhnliche Situation ist.
  • Viele Leser schmunzeln oder lachen, wenn sie diese Stelle lesen. Erkläre, warum.

(9) Gedichte, epische Kleinformen ( Märchen , Sage, Fabel) und dialogisch-szenische Texte unter Verwendung zentraler Gattungsmerkmale bestimmen und erläutern;

  • Märchen erkennt man oft daran, dass Dinge mit besonderen Kräften und Fabelwesen vorkommen, und daran, dass sie gut ausgehen. Überprüfe, ob des Kaisers neue Kleider ein typisches Märchen ist.

Texte interpretieren

(10) einfache Deutungsansätze entwickeln und formulieren ;

  • Erkläre, woran es liegt, dass das kleine Kind sich anders verhält als die Erwachsenen und ausruft, dass der Kaiser gar keine Kleider trägt.

(12) mit handlungs- und produktionsorientierten Verfahren ein plausibles Textverständnis herausarbeiten (z. B. (...) Perspektivwechsel vornehmen und ausgestalten (...))

  • Erzähle das Märchen aus Sicht der Betrüger schriftlich nach. Beginne so: „Wir hatten von einem Kaiser gehört, der schöne Kleider über alles liebte. Gleich fuhren wir in seine Stadt, stellten uns vor und ...

(13) ihr Verständnis literarischer Figuren und ihrer Beziehung zueinander formulieren, dabei innere und äußere Merkmale sowie ihr Verhalten beschreiben, begründen und bewerten.

  • Notiere alle Informationen, die du über den Kaiser hast, und erkläre, warum der Kaiser auf die Betrüger hereinfällt.

(14) Verstehensschwierigkeiten benennen;

  • Hast du eine Frage zur Geschichte oder an eine der Figuren? Schreibe sie auf.

Texte kontextualisieren

(16) die in Texten dargestellte Lebenswelt beschreiben und mit der eigenen vergleichen ;

  • Erkläre das Sprichwort „Kindermund tut Wahrheit kund.“
  • Hast du es schon einmal erlebt, dass ein Kind etwas Wahres oder Lustiges gesagt hat, während die Erwachsenen sich das nicht getraut haben? Erzähle.

(17) einfache Texte hinsichtlich eines inhaltlichen und formalen Aspekts vergleichen und den Vergleich für ihr Verständnis nutzen

  • In vielen Märchen spielen Gegenstände mit geheimnisvollen Kräften eine wichtige Rolle. Beschreibe, welche Kräfte der Tisch, der Esel und der Knüppel im Märchen „Tischlein deck´ dich“ besitzen und welche besonderen Kräfte die gewebten Kleider des Kaisers haben.
  • Überprüfe, ob es sich bei dem Tisch, dem Esel, dem Knüppel und den gewebten Kleidern um verzauberte Gegenstände handelt.

Texte werten

(19) subjektive und kriteriengestützte Wertungen von literarischen Texten begründen

  • Die ganze Stadt lacht über den Kaiser, weil er bei der Prozession keine Kleider an hat! Tut er dir leid? Begründe.

(21) die eigene ästhetische Erfahrung literarischer Texte darstellen

  • Schreibe eine Leseempfehlung. Verrate dabei aber nicht, wie das Märchen ausgeht. Beginne so:
  • Wer gerne Märchen liest, sollte unbedingt „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen lesen. Ich finde das Märchen nämlich sehr lustig, weil ...

Textgrundlage: Aesop, Zwei Freunde und ein Bär

Zwei Freunde gelobten sich gegenseitig, sich in allen Fällen treu beizustehen und Freud und Leid miteinander zu teilen. So traten sie ihre Wanderschaft an.
Unvermutet kam ihnen auf einem engen Waldwege ein Bär entgegen. Vereint hätten sie ihn vielleicht bezwungen. Da aber dem einen sein Leben zu lieb war, verließ er, ebenso bald vergessend, was er kurz vorher versprochen hatte, seinen Freund und kletterte auf einen Baum. Als sich der andere nun verlassen sah, hatte er kaum noch Zeit, sich platt auf den Boden zu werfen und sich tot zu stellen, weil er gehört hatte, dass der Bär keine Toten verzehre.
Der Bär kam nun herbei, beleckte dem Daliegenden die Ohren, warf ihn mit der Schnauze einige Male herum und trabte dann davon, weil er ihn für tot hielt.
Sobald die Gefahr vorüber war, stieg jener vom Baume herab und fragte seinen Gefährten voll Neugierde, was ihm der Bär zugeflüstert habe?
„Eine vortreffliche Warnung“, antwortete dieser, „nur schade, dass ich sie nicht früher gewusst habe.“

http://gutenberg.spiegel.de/buch/aesop-fabeln-1928/38

Aufgabenbeispiele zu Zwei Freunde und ein Bär

Texte erschließen

(1) (... ) Methoden der Texterschließung (...) auch: (3) (...) einen Text nacherzählen

  • Notiere acht Schlüsselbegriffe, mit denen du die Geschichte nacherzählen kannst.

Texte analysieren

(5) wesentliche Elemente eines Textes (... Figuren ...) bestimmen und analysieren

  • Erkläre, warum der eine der beiden Freunde auf den Baum klettert und der andere stehen bleibt, als der Bär auf die beiden zukommt.

(5) wesentliche Elemente eines Textes (... Figuren ...) bestimmen und analysieren

  • In den Zeilen zehn und elf wird beschrieben, was der Bär genau tut, als er zu dem am Boden Liegenden kommt. Zähle auf.

Texte interpretieren

(10) einfache Deutungsansätze entwickeln und formulieren

  • Geht es in der Geschichte um Stärke, um Freundschaft oder um Lügen? Begründe deine Wahl.

(12) mit handlungs- und produktionsorientierten Verfahren ein plausibles Textverständnis herausarbeiten (... Perspektivwechsel vornehmen und ausgestalten)

  • Erzähle die Geschichte aus der Sicht des Gefährten, der sich auf den Boden wirft, als der Bär auftaucht. Beginne so: „Als wir im Wald unterwegs waren, kam uns ...“

(13) ihr Verständnis literarischer Figuren und ihrer Beziehung zueinander formulieren, dabei innere und äußere Merkmale sowie ihr Verhalten beschreiben, begründen und bewerten

  • Beschreibe das Verhältnis der Gefährten. Wie ist es am Beginn der Geschichte (Zeile 1-2), in der Mitte (Zeile 3-11) und am Ende der Geschichte (11-14)? Erkläre es.

(14) Verstehensschwierigkeiten benennen

  • Der allein gelassene Gefährte sagt, dass ihm der Bär eine „vortreffliche Warnung“ zugeflüstert habe. Erkläre, warum diese Textstelle schwierig zu verstehen ist.

Texte kontextualisieren

(17) einfache Texte hinsichtlich eines inhaltlichen und formalen Aspekts vergleichen und den Vergleich für ihr Verständnis nutzen

  • In der Fabel „Die Maus und Löwe“ (Babrius) schließen eine Maus und ein Löwe Freundschaft. Vergleiche ihre Freundschaft mit der Freundschaft der beiden Wanderer.

Texte werten

(19) subjektive und kriteriengestützte Wertungen von literarischen Texten begründen

  • Würdest du den Text „Zwei Freunde und ein Bär“ in eine Textsammlung zum Thema Freundschaft aufnehmen? Begründe.

(20) eine eigene Position zu einem Text erklären und die Bedeutsamkeit eines Textes für die eigene Person erläutern.

  • Formuliere eine passende Lehre zu der Fabel „Zwei Freunde und ein Bär“. Beginne so: „Die Fabel zeigt, dass ...“ oder „Die Fabel zeigt mir, dass ...“

Beobachten – Beschreiben – Bewerten – Begleiten

Beobachten

  • Selbstbeobachtung der Schülerinnen und Schüler anhand von Fragebogen (oder anderer Verfahren der Diagnostik)
  • Beobachtungsmöglichkeiten durch kooperatives Lernen (Lautes/Schriftliches Denken).
    • Beobachtet werden Leseverhalten, Lesemotivation, ...
    • Reflektiert wird die Lesebiographie, ...

Beschreiben

  • Die Schülerinnen und Schüler beschreiben sich in einem Brief nach Selbstreflexion.
  • Sie schreiben ein Vorwort für ihr Portfolio.
  • Sie spiegeln die Vorgehensweise beim kooperativen Arbeiten.
  • Sie reflektieren ihre Mitarbeit mithilfe eines Beobachtungsbogens

Bewertung

  • Rückmeldung / Auswertung der Beschreibung durch die Lehrperson

Begleitung

  • Direkte Förderung durch die Lehrperson durch Vermittlung von Vorgehensweisen und Techniken zur Texterschließung.
  • Indirekte Förderung durch Gestaltung von entsprechenden Lernarrangements, insbesondere durch den kooperativen Ansatz und durch individuelles Arbeiten an verschiedenen Textsorten, Vorgehensweisen, Lektüren usw.

Beobachtungsbogen

Beobachtungsbogen

geändert nach: Felix Winter: Leistungsbewertung. Baltmannsweiler 2008. S. 256 f

Weiter zu Diagnose und Förderung

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