2. Medien im BP 2016: Kompetenzen
2.1 Diachroner Vergleich: „Medien“ in den BP 1994, 2004 und 2016 (Klassen 5/6)
2.1.5 Vergleichende Betrachtung der Verankerung von „Medien“ in den BP 1994, 2004 und 2016
Pädagogisch-didaktische Grundhaltung:
- In den BP 2004 und 2016 stimmen die in den „Leitgedanken zum Kompetenzerwerb“ formulierten allgemeinen pädagogischen und didaktisch-methodischen Ziele der Auseinandersetzung mit Medien im Deutschunterricht weitestgehend überein: dies betrifft den Aspekt der medialen Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen ebenso wie den Gesichtspunkt der Persönlichkeits- (BP 2004) und Identitätsbildung (BP 2016) oder den analytischen, produktiven und kreativen Umgang mit Medien (wobei es im BP 2004 nur zwei auf Produktion ausgerichtete Kompetenzen gibt, im BP 2016 drei); auch liegt beiden BP der erweiterte Textbegriff zugrunde (vgl. BP 2016, S. 6 f.; der BP 2004 spricht von „Medial aufbereiteten Texten“, S. 77).
- Der BP 2016 betont jedoch stärker als der BP 2004 die Komplexität der heutigen „multimedial geprägten Gesellschaft“ (S. 2; der BP 2004 verwendet noch ausschließlich den Begriff „medial“) und begreift deshalb Medienbildung als „Schlüsselqualifikation“, als „Kernbereich schulischer Bildung“ (BP 2016, S. 6).
- Die Verwendung von Medien zur Kommunikation wird im BP 2016 stärker in den Fokus gerückt, im BP 2004 wird in den „Leitgedanken zum Kompetenzerwerb“ lediglich eine „mediengerechte[] Präsentation“ (S. 77) gefordert.
Medienbildung:
- Im BP 2016 wird „Medienbildung“ als themenspezifische Leitperspektive betont, als „Schlüsselqualifikation in einer multimedial geprägten Gesellschaft“ (S. 2) bezeichnet.
- Schon im BP 2004 wird der Terminus „Medienkompetenz“ verwendet (S. 77), der auch im BP 2016 aufgegriffen wird. Der Begriff der „Medienbildung“ betont dabei stärker die gesellschaftliche Relevanz, der Terminus „Medienkompetenz“ eher das Wissen und die Fähigkeiten und Fertigkeiten der SuS im Umgang mit Medien.
Medienkultur:
- Im gesamten BP 1994 wird neben dem Wort „Medien“ nur ein Kompositum mit dem Wort „Medien“ verwendet („Medienangebot“, Kl. 5, S. 63; Kl. 6, S. 107).
- Im BP 2004 sind es bereits fünf Komposita, u.a. „Medienwelt“ und „Medienkompetenz“ (S. 83), im BP 2016 sind es 22 Begriffe, die das Wort „Medien“ enthalten.
- Qualitativ ist die enorme Bedeutungszunahme der „Medien“ im BP 2016 daran zu erkennen, dass Begriffe wie „Medienwelt“ oder „Mediengesellschaft“ darauf verweisen, dass Kinder und Jugendliche heute in ganz anderer Weise als noch vor 12 Jahren in eine Medienkultur eingebunden sind. Auch wird der Begriff „medial“ (z.B. BP 2004, S. 77) im BP 2016 zu „multimedial“ (S. 2) erweitert, was nicht nur auf die Allgegenwart der Medien, d.h. die qualitative wie quantitative mediale Durchdringung der Gesellschaft, sondern auch auf die Verschmelzung aller Medienarten im Symmedium Computer und die neuen Partizipationsmöglichkeiten im so genannten Web 2.0 verweist.
Medienästhetik:
- In allen drei BP sollen Medien auch im ästhetischen Diskurs verankert werden (vgl. BP 1994, S. 306; BP 2004, S. 86; 2016, S. 3).
- Unterschiede bestehen zwischen dem BP 1994 und seinen beiden Nachfolgern insofern, als im BP 1994 lediglich eine ästhetische Betrachtungsweise von Literatur im BP Deutsch angesiedelt ist, die „Medienästhetik“ hingegen im fächerverbindenden Thema „Jugendkulturen“ in Klasse 9 (S. 306).
- Die BP 2004 und 2016 greifen die Beschäftigung mit Medienästhetik jeweils erst in Klasse 10 ausdrücklich im Deutschunterricht auf (BP 2004, S. 86; BP 2016, S. 45), zuvor ist die Kategorie der Ästhetik in beiden BP explizit auf (schriftsprachliche) Literatur beschränkt.
Medienkritik und Medienreflexion :
- In allen drei BP von 1994, 2004 und 2016 wird „Medienkritik“ im Erziehungs- und Bildungsauftrag (BP 1994) und in den Leitgedanken zum Kompetenzerwerb (BP 2004, 2016) als zentrales Bildungsziel apostrophiert (BP 1994, S. 63; BP 2004, S. 77; BP 2016, S. 6 f.).
- In den BP 1994 und 2016 wird dieser Gedanke auch konkret in Lernzielen und Kompetenzen der Klassen 5/6 aufgegriffen (BP 1994, Lernziel 4, s.o.; BP 2016, v.a. Kompetenz 16), im BP 2004 hingegen erst ab und v.a. in Klasse 8.
- Ein reflexiver Umgang mit „Medien“ wird explizit nur im BP 2016 gefordert (vgl. S. 6), implizit ist er auch in den anderen BP in Gesprächen über die Freizeitbeschäftigung mit Medien angelegt (BP 1994, Lernziel 4, s.o.; BP 2004, Kompetenz 9, s.o.). Im BP 2016 wird der Fokus in Kompetenz 3 in Bereich 3.1.1.3 aber auf eine höhere Reflexionsebene gehoben, indem die SuS zum einen die Medien „gezielt“ nutzen und zum anderen „begründen“ (Anforderungsbereich II) sollen, „welche Medien ihren Ziele entsprechen“.
Lernzielformulierungen und Kompetenzen:
- Acht Kompetenzen des BP 2016 können (mehr oder minder genau) Lernzielformulierungen im BP 1994 (Kompetenzen 3, 6, 8, 11, 13, 14, 16 und 17 des BP 2016), sechs Kompetenzen dem BP 2004 zugeordnet werden (Kompetenzen 3, 4, 6, 13, 14, 17); zu den sechs Kompetenzen 1, 5, 6, 12, 18 und 19 des BP 2016 gibt es in den BP 1994 und 2004 keine oder nur annähernde Entsprechungen.
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Im Einzelnen betrifft diese Neuerung v.a. folgende Aspekte:
- Aufgenommen in den BP 2016 wurden z.B. computergestützte Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsmittel, die es zur Zeit der Entstehung der anderen beiden BP noch nicht gab oder deren gesellschaftliche Bedeutung seitdem stark zugenommen hat (z.B. Suchmaschinen oder soziale Netzwerke, Kompetenz 1).
- Die Problematik, die vielfältigen im Internet zugänglichen Informationen „hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit“ prüfen (Kompetenz 18) oder „Urheberrecht und Datenschutz“ beachten zu müssen (Kompetenz 19), ist erst in den letzten Jahren in der uns heute vertrauten Brisanz entstanden, u.a. durch das so genannten Web 2.0 (z.B. soziale Netzwerke, Videoportale), das selbst Kindern und Jugendlichen zuvor nicht gekannte Möglichkeiten bietet, eigene Beiträge ins Internet zu stellen.
- Neu in den Kompetenzkanon aufgenommen wurden die beiden Textgattungen Fotostory und Comic (Kompetenz 8) und das audiovisuelle Gestaltungsmittel „Einstellung“ (Kompetenz 14).
- Verzahnt sind die Kompetenzen mit anspruchsvollen kognitiven Operationen, die sich in den Operatoren wiederspiegeln und bisher in den Klassen 5/6 im Gegenstandsbereich „Medien“ nicht in dem Ausmaß enthalten waren, wie dies es im BP 2016 der Fall ist (vgl. die Ausführungen zu den Operatoren weiter unten).
- Erstmals wird im BP 2016 nach „Printmedien“, „Hörmedien“ etc. differenziert (lediglich der Terminus „Printmedien“ kommt auch im BP 2004 vor).
- Mit dem Terminus „Jugendmedienschutz“ (Leitperspektive „Medienbildung“, Arbeitspapier, S. 5; Verweis darauf BP 2016, S. 23) wird der Fokus nicht nur auf die Gefährdung Jugendlicher durch übermäßige und oder unreflektierte Mediennutzung gelegt, sondern auch in den Kontext staatlicher Fürsorge gestellt.
- Durch Verwendung des Begriffs „Mediengeschichte“ (Kl. 8, S. 33) wird die historische Dimension des Umgangs mit Medien betont.
- Der BP 1994 ist in den Klassen 5/6 stärker auf mediale „Gestaltung“ ausgerichtet als der BP 2004; im BP 2016 wird die mediale „Gestaltung“ wieder etwas wichtiger.
Operatoren:
Wesentliche Unterschiede in den Kompetenzen der BP 2004 und 2016 treten im Vergleich der durch die Operatoren zum Ausdruck kommenden Anforderungsbereiche zutage:
- Im BP 2016 werden im Bereich „Medien“ nicht nur mehr Operatoren bzw. Kompetenzformulierungen verwendet (20 statt 11 im BP 2004), sondern gut zwei Drittel der Operatoren gehört dem Anforderungsbereich II oder III an (2004: knapp die Hälfte).
- Sieben der 19 Kompetenzen im Bereich 3.1.1.3 enthalten Operatoren bzw. Kompetenzformulierungen, die dem Anforderungsbereich III zugeordnet werden können (Kompetenzen 4, 6, 8, 11, 16, 17, 18), im Bildungsplan 2004 betrifft dies gerade einmal eine Kompetenz. Zehn weitere Kompetenzen im Bereich 3.1.1.3 des BP 2016 gehören dem Anforderungsbereich II an (2, 3, 4, 8, 9, 10, 11, 12, 14, 16). Dies zeigt eine klare Verschiebung der Kompetenzen hin zu den Anforderungsbereichen II und III.
- Diese Verschiebung ergibt sich daraus, dass zahlreiche zentrale Kompetenzen, die im BP 2004 in der Mittelstufe (Kl. 8 und 10) verortet waren, im BP 2016 bereits in der Unterstufe (Kl. 6) zu finden sind.
Aus diesem Befund ergibt sich die unterrichtspraktische Notwendigkeit, den bisherigen Mittelstufenunterricht an den Entwicklungsstand von Fünft- und Sechstklässlern anzupassen und sicherzustellen, dass der Unterricht zu diesen Kompetenzen auf Differenzierung und Individualisierung ausgerichtet ist. Der im BP 2016 stark auf analytische Distanz fokussierte Medienunterricht in den Klassen 5 und 6 (vgl. allgemeine Vorbemerkung zum Bereich 3.1.1.3) sollte berücksichtigen, dass Kinder und Jugendliche in der Regel viel Freude am Umgang mit Medien haben, weshalb ein vorurteilsfreier Medienunterricht die Chance auch (!) für ein identifikatorisches Lesen von Texten in allen medialen Repräsentationsformen und für handelndproduktive Gestaltungen und deren Veröffentlichungen (im Web 2.0) bietet.
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